• Auswandern,  Biographie,  Buch,  Gut,  Historisches Buch,  Musikbuch,  Sachbuch,  USA

    Kritik Biografie: Georg Kreisler gibt es gar nicht, von Hans-Jürgen Fink und Michael Seufert (2007) – 7 Sterne

    Ein hochinteressanter Charakter hat ein hochinteressantes Leben in einer hochinteressanten Zeit. Er und seine langjährige Bühnen- und Lebenspartnerin reden darüber ausführlich und „auf das Freundlichste“ (Nachwort) mit zwei Journalisten, sie überreichen Fotos und Zeitungsausschnitte, auch die witzigen Liedtexte darf man zitieren. Besser könnte die Ausgangslage für eine Biografie kaum sein – freilich wirkt es schon fast wie eine schönfärberische Autobiografie. Auch Kreislers autobiografische Texte zitieren die Autoren kommentarlos. Viele Buchaussagen basieren scheint’s allein auf Kreislers Erzählungen und Zeitungsausschnitten. Ob Kreisler auch weniger Löbliches erwähnte? Im Buch kommt das nicht vor. Kritik gibt’s nicht (auch keine Lobhudelei), und nur ein einziges Mal zitieren Fink/Seufert explizit einen anderen Zeitzeugen: „Jürgen Schmidt erzählt…“…

  • Biographie,  Buch,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch,  USA

    Kritik Biografie: The Colonel: The Extraordinary Story of Colonel Tom Parker and Elvis Presley, von Alanna Nash (2003) – 7 Sterne

    Alanna Nash arbeitet gut heraus, wie Elvis-Manager „Colonel Tom Parker“ schon als Kind fürs Showgeschäft schwärmte: Er präsentierte verbotswidrig Kunststückchen im Pferdestall des Vaters, jobbte bei Zirkus und Varietees. Seine ersten Musiker vermarktete Parker bei Wohltätigkeitskonzerten zugunsten des Tierheims, das er leitete. Colonel Parker  (1909 – 1997) traf erst Ende 1954 auf Elvis Presley (1935 – 1977). Darum bespricht Nash auf den ersten 117, engbedruckten Seiten andere Aktivitäten – zunächst Parkers Kindheit in den Niederlanden, dann Kirmes- und Zirkus-Arbeit in den USA, schließlich Tour-Manager von Countrymusikern. Auf Seite 308 von 342 Seiten Haupttext ist der Sänger tot. Obwohl Parker ihn um viele Jahre überlebte, gibt Nash nun die Chronologie auf;…

  • Buch,  Deutschland,  Gut,  Sachbuch

    Sachbuch-Kritik: Wolf Schneider, Speak German (2008) – 7 Sterne

    Schneider schreibt kraftvolles, knackiges Deutsch. Er schreibt sehr kompakt und verdichtet; man kann nichts streichen, ohne gleichzeitig Information zu verlieren. Sein Buch ist voller Fakten und interessanter Informationen – Linguistik genauso wie unzählige kuriose Beispiele. Die sehr einfachen Hauptsätze passen syntaktisch auch in die Bild-Zeitung. Amazon-Werbelinks: Wolf Schneider | Deutsche Sprache Manchmal eifert Wolf Schneider ziemlich; so bringt er lange Listen mit sehr kurzen deutschen Wörtern, denen er entsprechende längere englische Wörter gegenüberstellt. Teils sucht er sich aber  englische Wörter aus, die man auch durch ein kürzeres englisches Wort ersetzen könnte. Zum Beispiel nimmt er das deutsche „Mangel „und stellt dem das längere englische „deficiency“ gegenüber. Doch stattdessen könnte man…

  • Buch,  Deutschland,  Gut,  Sachbuch

    Kritik Politik-Buch: Alleiner kannst Du gar nicht sein, von Peter Dausend, Horand Knaup (2020) – 7/10 Sterne

    Peter Dausend und Horand Knaup liefern interessante Einblicke in die deutsche Politik – auch in wenig bekannte Gefilde wie die Beziehungen Abgeordneter-Mitarbeiter oder Abgeordneter-Partner (ich gendere nicht). Aber richtig investigativ ist das nicht: Sie bringen offenbar nur, was nach Interviews freigegeben oder schon woanders berichtet wurde, auch wenn sie gelegentlich anonymisieren. Amazon-Werbelinks: Dieses Buch von Dausend/Knaup | Deutsche Politik Literarischer Streckbetrieb: Vor allem produzieren die Autoren zu viele Verallgemeinerungen und heiße Luft. Das ermüdet. Beispiele: Macht gibt es überall, in jedem sozialen Gefüge… Für Minister kann die Bereinigungssitzung zur Tortur werden. Ist es ((sic)) häufig auch… Die soziale Kontrolle ist, wie im richtigen Leben auch, nicht immer schmerzfrei… Aber beginnen…

  • Buch,  England,  Gut,  Lustig,  Sachbuch,  USA

    Buchkritiken: 84 Charing Cross Road (1970) & Die Herzogin der Bloomsbury Street (1973), von Helene Hanff – 7/10 Sterne

    84, Charing Cross Road ist ein kauziger, zunehmend persönlicher Briefwechsel zwischen der exzentrischen, buchversessenen Helene Hanff in New York und einem Londoner Antiquariat zwischen 1949 und 1969. Er spielte sich angeblich wirklich so ab. In der Fortsetzung Die Herzogin der Bloomsbury Street berichtet Helene Hanff (1917 – 1997) in Tagebuchform von einer Bildungs- und Publicity-Reise nach London Beide Bücher sind witzig, kurz, gründen angeblich komplett auf Tatsachen; mein englisches Taschenbuch bringt sie in einem einzigen, dünnen Band. Amazon-Werbelinks: Helene Hanff 84, Charing Cross Road (1970, 7/10): 84, Charing Cross Road brachte mich in der ersten Hälfte oft zum Lachen. Brief für Brief entsteht eine transatlantische, ungewöhnliche Freundschaft; man bespricht allmählich…

  • Biographie,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Biografie: Theodor Fontane, von Regina Dieterle (2018) – 7 Sterne

    Regina Dieterle berichtet zu ausführlich von Theodor Fontanes Eltern und Großeltern, auch von Napoleon, Preußen und Sachsen. Immerhin schreibt sie meist lebendig und wissenswert für Geschichtsinteressierte. Sie portraitiert vor allem in der ersten Hälfte auch Randfiguren und deren Ehefrauen seitenlang. In Leipzig schreibt Dieterle sogar über Promis, die Jung-Apotheker Theodor Fontane explizit nicht traf: Leipzig 1841 – ohne Schumann, Mendelssohn, Bach? Bekannte Schriftsteller wie Gerhart Hauptmann oder Theodor Storm spielen nur Minirollen; Gottfried Keller wird angesprochen, aber nicht getroffen. Der anglophile Fontane las zudem allerlei Engländer, doch scheinbar nicht Jane Austen. Weit ausführlicher begegnet der (ich gendere nicht) Leser dem Fontane-Clan, seinen Freunden sowie allerlei Regierenden und Verlagsmenschen bis hin…

  • Auswandern,  Buch,  Frankreich,  Gut,  Sachbuch,  USA

    Kritik Koch-Reportage aus USA, Frankreich: Dreck, von Bill Buford (2020, engl. Heat) – 7 Sterne

    Bill Buford praktiziert zunächst kurz bei französischen Starköchen an der US-Ostküste und verbringt dann den größten Teil seines Buchs in Frankreich – samt Frau und dreijährigen Zwillingen. Aus den logistischen Schwierigkeiten und Auseinanderssetzungen in der Familie gewinnt Buford witzige Dialoge. Ansonsten wirkt die häufige Selbstironie im ersten Drittel teils pflichtschuldig und routiniert. Er sagt selbst beim Sprachunterricht: I’d thrown myself into telling a story with a punch line. Ein ganzer Buchteil heißt gar „Lyon with Twin Toddlers“. Und besonders verblüffend für den Amerikaner in einer französischen Bäckerei: money changing hands, all cash. Hauptsache, es schmeckt: Bill Buford redet viel übers Kochen heute und in früheren Jahrhunderten, über Köche, über abstoßenden…

  • Buch,  Gut,  Italien,  Sachbuch,  USA

    Kritik Koch-Reportage aus USA, Italien: Hitze, von Bill Buford (2006, engl. Heat) – 7 Sterne

    Bill Buford schreibt bestens lesbar, reportageartig, und vor allem zu Beginn mit Selbstironie, die mich oft kichern ließ*. Er gibt sich als naiver Koch-Sklave und schildert nicht nur eigene Küchen-Erlebnisse in Italien und New York, sondern auch das Leben seines ersten „Sklavenhalters“, Starkoch und Me-too-Opfer Mario Batali. Auch weitere koch- und lebensmittelbesessene Amerikaner und Italiener portraitiert Buford. Gelegentlich wird Buford bei italienischer Kochgeschichte des Mittelalters und Einzelheiten über Pasta und Essbares vom Schwein zu kleinteilig. Unaufdringlich und doch reportage-artig erzählt Bill Buford (*1954) nicht nur von Batalis Lehrzeit in Italien 1989, sondern auch aus dem Leben mexikanischer Küchenhilfen in New York oder von toskanischen Rinderzüchtern  – reizvolle Einblicke, selbst wenn…

  • Biographie,  Buch,  Gut,  Sachbuch,  USA

    Kritik Biografie. Raymond Carver, A Writer’s Life, von Carol Sklenicka (2009) – 8 Sterne

    Carol Sklenicka schreibt einfühlsam, fast literarisch, gelegentlich mild psychologisierend und in melodischem, gut lesbarem Englisch. Sie bringt die Essenz Carverscher Kurzgeschichten in fast schlichten Worten stimmig auf den Punkt. Sklenicka setzt die Pronomen so, dass Bezüge nie unklar klingen, eine Meisterleistung. Ich würde vielleicht auch Romane von ihr lesen. Sklenicka sprach von 1994 bis 2009 mit hunderten Wegbegleitern und flüchtigen Bekannten; nur Carvers zweite Frau Gallagher schwieg. Die Biografin zeichnet nach, wie Raymond Carver Inspiration zu seinen Stories sammelte, etwa die Entstehung der Geschichte Kathedrale und wie sie für Carver selbst eine Abkehr vom alten, betont kargen Stil bedeutete. Sie sieht viele Bezüge zwischen Carvers Gedichten und seiner Jugend (zitiert…

  • Buch,  Deutschland,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Sachbuch: Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945 – 1955, von Harald Jähner (2020) – 7 Sterne – mit Links

    Fazit: Harald Jähner schreibt sehr flüssig und eingängig. Er gibt seiner Sozialgeschichte knapp genug Fotos mit. Allerdings störten mich Stilblüten, Zeigefingerei, inhaltliche Inkonsistenzen und zu viel Verallgemeinerung aufkosten von Einzelschicksalen. Amazon-Werbelinks: Harald Jähner | Deutschland Stunde Null | Deutschland Nachkriegszeit Orientierung an Romanen: Harald Jähner orientiert sich in dieser Zeitbeschreibung gern an bekannten Fotografen, Architekten, Theaterkritiker-Memoiren, Frauenzeitschriften (betextet von Männern) und Romanzitaten (von Borchert und Habe Ungenießbares, dito Andersch mit einem belletristischen Beleg weiblichen  Sexhungers). Dazu ein Zitat aus dem „Herrenmagazin ‚Er'“, dessen Erguss für Jähner „zu den trashigsten Texten“ gehört, aber gleichfalls viel Platz erhält, ebenso wie ein Schrottroman „von der tapferen deutschen Erika“, ehedem  „Stripteasetänzerin und Schlammcatcherin“ (S.…

  • Churchill
    Biographie,  Buch,  England,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Biografie: Churchill, Walking with Destiny, von Andrew Roberts (2018) – 8 Sterne

    Starhistoriker Andrew Roberts (*1963) schreibt ungemein flüssig und leicht lesbar. Dazu tragen auch die vielen teils langen, drolligen Churchill-Zitate und -Anekdoten bei. Außerdem lässt Roberts einen Reigen weiterer Zeitzeugen erzählen, etwa George VI. und den UdSSR-Botschafter Maisky. Dazu kommt Roberts‘ scharfer Blick für Koinzidenzen – so etwa, als Churchill vor dem 1. Weltkrieg gegen den Wunsch von Frau und Freunden Fliegen lernt. Seine Clementine beruhigt Churchill, that flying was not ‚a serious risk‘. Three days later his instructor, Captain Gilbert Wildman Lushington, was killed in a flying accident. Auch verblüffende Parellelen zwischen den Karrieren Winston Churchills und seines Vaters Randolph notiert Roberts zuverlässig. Viele Kapitel enden mit einer gefälligen Kombi…

  • Churchill
    Biographie,  Buch,  England,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Teil-Biografie: Young Titan, The Making of Winston Churchill, von Michael Shelden (2013) – 8 Sterne

    Michael Shelden behandelt nur den jungen Churchill zu Beginn seiner politischen Karriere: die Jahre 1901 bis 1915, als Churchill 26 bis 40 Jahre alt war. Churchills frühe Kriegsabenteuer in Indien, Sudan, Kuba und Südafrika fehlen ebenso wie seine Zeit als Premierminister im zweiten Weltkrieg. Zwar endet Shelden kurz nach der Gallipoli-Dardanellen-Katastrophe 1915, doch mit dem Krieg befasst er sich auch hier kaum (er liefert auch keine Karten, das interessiert ihn nicht). Amazon-Werbelinks: Winston Churchill | Michael Shelden Michael Shelden (*1951) schreibt stimmungsvoll evokativ, ohne zu sülzen, sehr flüssig, fast fühlt man sich mittendrin statt nur dabei. Ziel der Biografie, sagt Sheldon, sei „exploring the heart of that personality“ (S. 12).…

  • Buch,  England,  Gut,  Lustig,  Sachbuch

    Kritik Arzt-Geschichten: Jetzt tut es gleich ein bisschen weh, von Adam Kay (2017, engl. This Is Going to Hurt) – 7 Sterne

    Ex-Arzt Adam Kay (*1980) schreibt bitter, zynisch, trocken, derb, selbstironisch – so Fulminantes liest man selten. Humor, Tragik und Blutgefäße explodieren in diesem UK-Bestseller zugleich. Kay karikiert hart die Idiotie vieler Krankenhausbediensteter die Idiotie vieler Krankenhausbesucher die idiotischen Arbeitsbedingungen im NHS, dem englischen Gesundheitssystem und betont im Gegenzug immer wieder die eigene Empathie und Aufopferungsbereitschaft, trotz allem. Ich habe laut gelacht, das gibt’s selten, und oft schockiert die Augen aufgerissen. Tod sowie allerlei Körperflüssigkeiten und -öffnungen begegnen unentwegt. Weil Kay überwiegend als Gynäkologe und Geburtsarzt arbeitet, sammelt er unterhaltsameres Material als sagen wir ein Onkologe. Dass Kay in England auch erfolgreicher Drehbuchautor und Komiker ist, erstaunt nicht. Sein Arztbuch verfilmte…

  • Belletristik,  Buch,  Gut,  Sachbuch,  USA

    Kritik Psychologie-Liebe-Geschichten: Die Liebe und ihr Henker, von Irvin D. Yalom (1989, engl. Love’s Executioner) – 8 Sterne

    Die fiktionalisierten Fallgeschichten sind mal 15, mal 50 Seiten lang (ich kenne nur das engl. Original, nicht die Eindeutschung von Hans J. Heckler). Ein Highlight ist wohl die Geschichte der „Fat Lady“ Betty: Yalom beschreibt ihre Diäterfolge mitreißend wie einen Sportwettkampf und zieht Parallelen zu ihrer Jugend, als sie zuletzt ähnlich wenig wog, und er ändert dabei zugleich seine Haltung zur Patientin. Hier gibt es – ungewöhnlich – eine kleine Querverbindung zu einer anderen Geschichte im Buch. Psychiatrie-Professor Irvin D. Yalom hält in der Psychotherapie diese Grundgegebenheiten für wichtig: wir und unsere Liebsten müssen sterben; wir gestalten unser Leben selbst; wir sind letztlich allein; das Leben hat keinen klar erkennbaren…

  • Biographie,  Buch,  Gut,  Sachbuch,  USA

    Kritik Biografie. John Updike, von Adam Begley (2014) – 7 Sterne

    Biograf Begley betont, dass er Updike mag, bewundert, dass er ihn posthum weiter fördern will. Mehr noch: Als Literaturjournalist traf er John Updike (1932 – 2009) ein paar Mal und erlebte ihn als professionell freundlich; und Begleys Eltern waren mit Updike kurz befreundet – Updike bespaßte den ca. 2jährigen Adam Begley (*1959) mit Jongliertricks. Amazon-Werbelinks: Adam Begleys Updike-Biografie | John Updike Romane | John Updike Kurzgeschichten | John Updike Englisch | John Updike insgesamt Freundlich: Begley betrachtet John Updike (deswegen?) sehr freundlich, kritisiert nur einzelne Werke, lobt viel und übergeht das schwache Spätwerk freundlich schweigend: „Updike’s virtuosity“, „this ambitious, formidably intelligent novel“, aber auch mal „thin and stretched and uncomfortably…

  • Bayern,  Biographie,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Buchkritik: Eine Kindheit in Niederbayern, von Wolfgang Schmidbauer (1987) – 8 Sterne

    In der ersten Hälfte beschreibt Wolfgang Schmidbauer frühe Kindheitsjahre gleich nach dem 2. Weltkrieg im niederbayerischen Weiler Deindorf, dann die weitere Kindheit in Passau mit ähnlicher Atmosphäre. Wolfgang Schmidbauer bei Amazon (Werbe-Link) Schmidbauer liefert sehr genaue Eindrücke: die Rivalität unter Brüdern und unter den Dorfjungs, das Wirtschaften auf dem Hof, das schlichte Leben der bäuerlichen Großeltern väterlicherseits und (weniger detailliert) die bildungsbürgerlichen Großeltern mütterlicherseits. Allerdings sagt Wolfgang Schmidbauer fast nichts über die eine Konstante seiner Jugend, seine Mutter: Ihr Mann, Schmidbauers Vater, fiel 1944 im Krieg; sie zieht mit den Kindern erst zu den Schwiegereltern nach Deindorf, später zu den Eltern nach Passau, blieb allein. Über die gebildete, eigenwillige, gestrenge,…

  • Bayern,  Biographie,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Italien,  Sachbuch

    Buchkritik: Mit dem Moped nach Ravenna, von Wolfgang Schmidbauer (1994) – 7 Sterne

    Dieses Pubertier dampft, tropft, mieft. Schonungslos psychoanalysiert Wolfgang Schmidbauer sein Jungmann-Ich, mit viel Bipfi, Onanie, fernem Schmachten, Frauenfantasien, Verwirrung, Straßendirne, Führerscheinprüfung, katholischen Konflikten, Jungsrivalität, Fiesheit und Geltungssucht sowie stürmischem Drang zu „Kunst…, zu der ich unverfroren meine Gedichte rechnete“. Ergüsse triefen saft- und versförmig. Schmidbauer beschreibt sich äußerst unschmeichelhaft, ist aber womöglich realistisch. „Sehnsucht, Weltschmerz“ hieß die Befindlichkeit laut Schmidbauer einst, und ich glaube, heute würde man von teenage ängst reden. Ich fand’s packend und erinnere mich an keine ähnlich durchdringende Schilderung, weder als Belletristik noch Biografie. Wolfgang Schmidbauer bei Amazon (Werbe-Link) Nach Ravenna nur kurz: Der titelgebende Moped-Trip nach Ravenna und eine weitere Moped-Italientour erhalten nur ein kurzes, schlechtes…

  • Auswandern,  Bayern,  Biographie,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Italien,  Sachbuch

    Buchkritik: Die Seele des Psychologen, von Wolfgang Schmidbauer (1994) – 7 Sterne

    Wolfgang Schmidbauer (*1944) schreibt unaffektiert bildhaft. Etwa: Mir fehlte die Begabung meines Bruders. Er konnte aus einem Gewimmel von Widerständen, Kondensatoren und Röhren ein funktionierendes Radio bauen. „Autobiografisch“ oder „autofiktional“ dürfen m.E. nur Wolfgang Schmidbauer und John Updike schreiben, bei anderen wird’s Geseiche. Auch Dativ-e ist kein Thema („im Land“). Affektiert klingt Schmidbauer jedoch eventuell bei den vielen Bezügen auf klassische Literatur und Mythen. Außerdem hat Silke zu dicke Beine. Sie wusste das auch selber. Wolfgang Schmidbauer bei Amazon (Werbe-Link) Im ersten Buchteil findet Schmidbauer seine erste Frau Silke, die Toskana und ein Haus dort. Schmidbauer beschreibt die Annäherung mit der Studentin Silke nachvollziehbar und stellt sich selbst keinesfalls ins…

  • Auswandern,  Biographie,  Buch,  Gut,  Interkulturell,  Italien,  Sachbuch

    Besprechung: Ein Haus in der Toskana, von Wolfgang Schmidbauer (1990, erw. 1995) – 7 Sterne

    Rund 70 von rund 188 Seiten* füllt Wolfgang Schmidbauer mit Text-Portraits seiner Nachbarn in der Toskana – die Überschriften heißen „Gino und die Kühe“, „Consilio und Maria“ oder „Dario der Hirte“, alle jeweils rund sechs bis acht Seiten lang, fast wie ein feststehendes Zeitschriftenformat. Wolfgang Schmidbauer bei Amazon (Werbe-Link) Portraits und Beschauliches: Dazu kommen lyrische Betrachtungen, an denen ich teilweise abglitt, mit Überschriften wie „Die Lichter der Ebene“, „Ein hohler Baum“ oder „Zurück über den Apennin“. Womöglich ist das Nature Writing, ich brauche aber Dialog, Handlung, Konflikt, Human Interest, Interkultur. Immerhin gibt es hier auch Abhandlungen über Veränderungen im Eisenwarenladen, über ein Dorffest, „Schlangengeschichten“ sowie „alle intimen Entleerungen und Reinigungen“.…

  • Buch,  Deutschland,  Gut,  Sachbuch

    Kritik Sachbuch: Wann sind wir wirklich zufrieden, von Martin Schröder (2020) – 7 Sterne

    Nur Statistik, Empirie, Zahlen und Fakten, Fakten, Fakten – statt Esoterik, Pycho- und Philosophiegedöhns, und das in einfacher Sprache: dies Sachbuch ist nach meinem Geschmack. Mit dem Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) hat Soziologieprofessor Martin Schröder fantastische Daten von 1984 bis 2017, die er nach vielen Kriterien auswertet: Wie bestimmen die großen Lebenskalamitäten – Familie, Arbeit, Wohnen – unsere Zufriedenheit? Teils betrachtet Schröder separat die Erkenntnisse erst ab 2005, um Veränderungen aufzuspüren; teils konzentriert er sich auf eine Person oder rechnet andere schwankende Einflüsse heraus. Besonders wichtig: Über Jahrzehnte wurden die selben Personen befragt, so erkennt man Langzeiteffekte. Am Ende wissen wir, was den Durchschnittsdeutschen zufrieden macht – aber vielleicht nicht uns…

  • Biographie,  Buch,  Deutschland,  Frankreich,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Biografie. Heinrich Heine, von Christian Liedtke (1997, 2006, rororo Monografie) – 7 Sterne

    Christian Liedtke (*1964) schreibt ruhig und flüssig, unprofessoral und uneitel. Er baut viele kursivierte Heine-Zitate ein, die generell pfiffig, frech und liebenswert klingen –  Heinrich Heine (1797 – 1854) hatte hörbar Herz, Hirn und Hormone am rechten (linken) Fleck. Liedtke zitiert vor allem die Briefe Heines und seiner Zeitgenossen (es gibt 862 Endnoten mit Quellenangaben), dazu etwas Lyrik, aber kaum Prosa. Amazon-Werbelinks: Heinrich Heine | Heinrich Heine Biografie | Deutsche Geschichte 19. Jahrhundert Weder Zweck noch Mittel: Die Biografie legt keinen Wert auf Live-Charakter und Zeitkolorit, sondern auf geisteswissenschaftliche Entwicklungen: „Der plaudernde, anekdotenreiche Stil“ seines Sujets könne in die Irre führen, versichert Liedtke: Heine lieferte „ohne Frage eine philosphische Leistung,…

  • Buch,  England,  Frankreich,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch,  USA

    [Kritik Sachbuch] Noah Charney: Original Meisterfälscher, Ego, Geld & Größenwahn, von (2015) – 7 Sterne

    Noah Charney portraitiert viele engagierte Kunstfälscher – manche qualitativ, quantitativ und medial auf einem Niveau mit Wolfgang Beltracchi, der deshalb auch nur wenige Seiten bekommt. Insgesamt spielt Deutschland nur eine kleine Rolle, die meisten Fälle im Buch stammen aus England, Frankreich, USA. Nebenbei lernen wir ein paar Kunstexperten und Ermittler kennen (jedoch nicht den Berliner René Allonge und Autor Charney nur in Endnoten und Klappentext); dazu gibt’s Tipps für angehende Meisterfälscher: Er empfahl Alkohol während des Fälschens, da er entspannt und fließende Linien begünstigt. (S. 104) …buk seine Gemälde zwei bis drei Stunden bei einer konstanten Temperatur von 100 bis 105°C. (S. 107) Kunstfälschung auf Amazon Genie, Stolz, Rache, Ruhm:…

  • Biographie,  Buch,  England,  Frankreich,  Gut,  Historisches Buch,  Mediterran,  Sachbuch

    Kritik Biografie. Selina Hastings: The Secret Lives of W. Somerset Maugham (2009) – 8 Sterne

    Selina Hastings erzählt sehr flüssig, ohne aufzutrumpfen oder die Zeit literarisch zu pimpen – sie textet eher distanziert*. Elegant, fast anmutig schwebt sie von Recherche zu Zitat, vom Allgemeinen zum Konkreten, von Liebe zu Literatur. Das liest sich hervorragend und spannender als erwartet – von Profikritikern gab’s viel Lob. Natürlich liefert Hastings Bezüge zwischen Maughams Leben und seinen autobiografisch grundierten Erzählungen. Zu vielen Maugham-Veröffentlichungen bringt Hastings lange Inhaltsangaben, Interpretation und Pressestimmen, teils auch Meinung aus dem Lektorat (als er noch lektoriert wurde). Schön auch, dass sie französische Sätze zugleich im Original und übersetzt wiedergibt. Gelegentlich klingt sie so trocken wie ein Romancier. So über Maughams Frau (S. 249): Syrie had…

  • Bayern,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Sachbuch: Die Schönheitsgalerie König Ludwigs I., von Gerhard Hojer (1979) – 7 Sterne

    Die sehr faktenreiche, dichte Einführung erklärt die ursprüngliche Hängung der Bilder im Festsaalbau der Münchner Residenz, zeigt ein Foto von 1937 und zum Vergleich eine Schönheitengalerie aus Versailles. Der Autor nennt andere Portraitsammlungen Ludwigs (Künstler, Wissenschaftler, teutsche Helden) und andere Schönheiten- und „Mätressengalerien“ seit der Antike, zum Teil vielleicht Inspiration für Ludwig I. Auf Amazon: Bücher zu Bayern, Ludwig I., Schönheitengalerie Schönheit und Geist: Fast schon grimmig unterstreicht Autor Gerhard Hojer, an den Portraits habe nicht „der haut gout biographischer Details“ zu interessieren: Die oft verworrene, oft tragische, manchmal skandalöse Einzelbiographie der Dargestellten ist für die Galerie ohne Bedeutung Schließlich sei die Schönheitsgalerie kein (wie Heinrich Heine lt. Hojer spottete)…

  • Biographie,  Buch,  Deutschland,  Frankreich,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Biografie. Günter Müchler: Napoleon, Revolutionär auf dem Kaiserthron (2019) – 8 Sterne

    Günter Müchler erzählt fast atemlos, wie ein Freund, der aufgeregt Erlebtes berichtet, gelegentlich mit sprunghafter Chronologie, wie ein Formel-1-Reporter im Radio (nicht im TV). Dabei klingt Müchler meist gut lesbar, gelegentlich salopp-umgangssprachlich, aber nie anbiedernd; momentweise dachte ich an Spiegel-Artikel in den 1980er Jahren. Die Verlagswerbung „fesselnder Geschichtskrimi“ wirkt nicht völlig abwegig. Wie ein Reporter: Ex-Radio-Mann Müchler produziert kurze  Schüsse  Sätze in kurzen  Salven  Kapiteln. Zackzack feuert der Autor einen Satz nach dem andern ab: Murat requiriert die dort gelagerten Geschütze und bringt sie in die Stadt. Das schnelle Handeln ist entscheidend. Noch eine wichtige Maßnahme geht auf Napoleons Konto. Er überzeugt Barras davon, dass ((…)) Ein weiteres Beispiel für…

  • Biographie,  Buch,  Frankreich,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Biografie. Johannes Willms: Napoleon. Eine Biographie (2005) – 6 Sterne

    Fazit: Johannes Willms schreibt recht flüssig und eingängig, ohne professorales, verschachteltes Gehuber, häufig aber in der Wortwahl zu elitär gebildet und mit gelegentlich doch zu langen Sätzen (Beispiele unten). Willms konzentriert sich auf den Schlachtenlenker und Politingenieur Napoleon; er liefert keine Alltagsszenen, kein Psychogramm, keine Familiengeschichte, keine allgemeine Geschichte Frankreichs oder Europas. Die Buchrückseite verspricht eine „Fülle von Anekdoten“ und „das Panorama eines turbulenten Zeitalters“. Das klingt lecker, stimmt aber nicht – nur den Militär und Politiker Napoleon Bonaparte stellt Willms hochdetailliert vor, er sichtete offenkundig immense Literatur und Archive. Der Landkartenschatz dieser Biografie wurde denkbar lieblos eingebunden (in meiner TB-Ausgabe). Strukturen: Zu dieser Napoleon-Biografie von Johannes Willms sagt Napoleograf…

  • Biographie,  Buch,  Frankreich,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Biografie. Volker Ullrich: Napoleon (2006) – 8 Sterne

    Fazit: Volker Ullrich schreibt angenehm flüssig – jederzeit gut lesbar, ohne professorales Blabla. Ullrich verzichtet gänzlich auf majestätisches Passivieren und Substantivieren, Sensationsheischen oder Romancierallüren. Auch mit Wertung hält sich Ullrich zurück. So gut geschrieben war wohl selten eine Biografie, sie stammt von einem vormaligen Zeit-Redakteur. Das Buch schafft insgesamt einen guten ersten Eindruck, mehr will es nicht. Nur auf das stete Dativ-e könnte ich verzichten. Textkästen, Zeitleiste, Farbbilder: Ullrich (*1943) macht hier und dort auf typische Eigenschaften Napoleons aufmerksam, etwa seine gerühmten Schlachtenpläne oder Aufbrausen als Verhandlungsmittel. Ein oder zwei Kapitel gehen ausführlicher auf Napoleons Wesen ein. Leben bringen immer wieder rot gedruckte Textkästen, die Zeitleiste auf jeder Seite, zahlreiche…

  • Biographie,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Sachbuch. Gustav Seibt: Napoleon und Goethe (2008/2010) – 7 Sterne

    Napoleon und Goethe trafen sich nur zweimal kurz für „ein paar Viertelstunden“ 1808, so Autor Gustav Seibt im Einstieg. Und laut Nachwort S. 252 ist das „eigentlich gar nichts“. Damit daraus trotzdem ein Buch wird, muss Seibt tief wühlen und weit ausholen: So schildert er den Überfall französischer Soldaten auf Goethes Weimarer Heim zwei Jahre zuvor; Napoleon war nicht präsent, nur seine Soldaten. Dieses Erlebnis trieb Goethe zur Heirat mit Christiane Vulpius und zur Neuordnung seiner Vermögensverhältnisse – das sagt jedenfalls Biograf Gustav Seibt, und er schildert Goethes Maßnahmen und die Reaktion der Weimarer Bubble sehr ausführlich. Auf Amazon: Gustav Seibt über Napoleon | Napoleon-Bücher allg. Hat er oder hat…

  • Bayern,  Biographie,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Biografie: Ludwig I. von Bayern, Ein Ringen um Freiheit, Schönheit und Liebe, von Egon Caesar Conte Corti (ungek. Ausgabe 1937) – 7 Sterne – mit Vergleich

    Schon auf Seite 13 der ungekürzten 1937er-Ausgabe beklagt Ludwigs Leibarzt bei seinem Schützling die „unmäßige Neigung zum Frauenzimmer“. Egon Caesar Conte Corti (1886 – 1953) spickt seine dicke, eingängige Ludwigbiografie mit vielen pikant/pikierten Zitaten, die Ludwig und seine Umgebung sehr präsent machen. Die menschliche Figur: Der Biograf interessiert sich für das Menschlich-Allzumenschliche. Auch heiteren Volksmund zitiert er gern, und Ludwigs lyrische Ergysse. Zum Schwerpunkt dieser Biografie schreibt Corti (S. 4, Hervorhebung wie im Buch): Das Hauptgewicht aber ist bei Vernachlässigung weniger bedeutsamer innenpolitischer Angelegenheiten auf die menschliche Figur des Königs gelegt. Dass Ludwig I. schon als Teen alles Schöne liebte – auf der Leinwand und auf zwei Beinen -, das…

  • Bayern,  Biographie,  Buch,  Gut,  Historisches Buch,  Sachbuch

    Kritik Sachbuch: Therese von Bayern. Eine Königin zwischen Liebe, Pflicht und Widerstand, von Carolin Philipps (2015) – 7 Sterne

    Carolin Philipps schreibt pep- und schwunglos, aber auch unprofessoral leicht lesbar (sie schreibt auch Jugendbücher). Philipps verzichtet gänzlich auf hohles Blabla oder Verallgemeinerungen, macht Therese und die ihren durch Briefauszüge zeitweise lebendig – ihr Bild wird viel klarer als in Ludwigografien. Die Autorin rühmt sich im Vorwort der „Auswertung von Tausenden von Briefen Thereses“, und ihr Quellenverzeichnis listet einige weitere Archive sowie zahllose Sekundärliteratur (einen Recherchebericht gibt es nicht). Mein Piper-TB („Originalausgabe“ 2015, 392 Seiten) hat jedoch innen kein einziges Bild, keinen Stammbaum, keine Zeittafel, keine Landkarte, keine Autografen. So klingt speziell die geraffte Geschichte von Thereses Vorfahren unübersichtlich. Nach Biografenunsitte nennt Philipps nicht bei allen Zitaten den Urheber im…

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    Rezension Land-Memoiren: Und plötzlich war ich Bäuerin, von Ulrike Siegel (Hg., 2010) – 7 Sterne

    Vor der detaillierten Begründung das Fazit: Das Buch ist schlecht getextet, die Geschichten wirken oberflächlich und wiederholen sich, und größere Teile Deutschlands kommen gar nicht vor. Gleichwohl liefert Herausgeberin Ulrike Siegel reizvolle Einblicke ins wahre Leben – jedenfalls mit den Texten, nicht mit den belanglosen Fotos. Amazon-Werbelinks: Dörte Hansen | Walter Kempowski | Ulrike Siegel Kurze Protokolle: 18 Frauen erzählen auf meist sechs bis zehn Seiten, wie sie als junge Erwachsene in die Landwirtschaft kamen und im ungewohnten Umfeld Fuß fassten – teils durch Liebesheirat und gegen alle Warnungen vor einem Leben als Bäuerin, andere dagegen gezielt aus Freude an Landleben und Tieren. Neun der 18 Berichte kommen aus Niedersachsen, zwei aus Schleswig-Holstein, sechs aus…