Kritik Psycho-Sachbuch: Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden, von Lori Gottlieb (2019) – 7/10

Psychologin Lori Gottlieb mixt eigenes Liebesunglück und den resultierenden Psychologenbesuch mit den Psychologiepatienten, die zu ihr kommen – zur Psychologin, die selber zum Psychologen geht. Dazu erzählt sie von ihren verschiedenen Ausbildungen und Berufen und streut ein bisschen Theorie ein.

Fazit:

Lorie Gottlieb schreibt unterhaltsam, mit viel Dialog, schnellen Sprüngen, Drama, kurzen Kapitelchen, gelegentlich verblüffendem Humor und Vulgarität. Man kann’s kaum weglegen.

Und das wundert nicht, denn Erfolgsautorin und -journalistin Lori Gottlieb arbeitete vor ihrer Psychologenzeit für Hollywood und in der TV-Serienentwicklung, wie sie selbst eingangs schildert. Zudem liefert sie Skizzen mehrerer Gesprächszimmer, um die Konstellationen zu verdeutlichen – sehr anschaulich. Drollig auch ihre Liste von “things you can’t do in public as a therapist”. Die wiederkehrenden Begegnungen mit der unheilbar Krebskranken wirken dagegen nicht stimmungsaufhellend.

Die Fallgeschichten ihrer Patienten verflicht Lori Gottlieb schön mit  eigenen früheren Erfahrungen, mit ihrer zerbrochenen Verlobung und der anschließenden eigenen Therapie in der erzählten Jetztzeit. Hinein webt Gottlieb hier und da ein paar Absätze mit psychologischen Theorien etwa von Irvin Yalom, Jung, Freud oder  Kübler-Ross sowie den Tipps verschiedener Ausbilder; die verdeutlicht sie mit nachvollziehbaren Beispielen.

Glückliche Zufälle:

Alle Fallgeschichten runden sich gefällig zum Buchende hin. Mit einer Ausnahme, und das ist eine neue Situation in Lori Gottliebs Leben. Mein Verdacht: Daraus wird das nächste Buch. Und von gescheiterten Therapien erzählt Lorie Gottlieb so wenig wie von Kosten und Versicherungsleistungen – dass jedes einzelne Gespräch viel Geld kostet, will sie scheint’s vergessen machen.

Manche Abschnitte bei Gottlieb klingen auch zu geschriftstellert, zu sehr auf Botschaft oder Pointe hingebogen. So etwa die Reaktion ihres Sohnes auf das Ende ihrer bisherigen Beziehung oder das allzu leicht und wortwörtlich gebrochene menschliche Herz in der Anatomiestunde.

Dazu kommen verblüffende Zufälle wie in einer romantischen Komödie, vor allem die Querbeziehungen zwischen zwei Psychologen und zwei Patienten – und das im Riesenmoloch Los Angeles?

Gelegentlich gibt’s nettes Englisch, hier vom Klinikpersonal:

lunch was always eaten “al desco”

Sie verwendet aber auch Ausdrücke wie Deathzilla oder Bridezillas.

Nie sagt Lori Gottlieb auch nur einen Ton darüber, was diese Sitzungen kosten und ob Versicherungen so etwas bezahlen. Es klingt immer nach buchbaren, getakteten 45- oder 50-Minuten-Gesprächen mit verständnisvollen Menschen, obwohl sicher jede Minute eine Handvoll Dollars kostet.

Strickware:

Teils gerät Gottliebs locker-flockiges Parlando zur Masche, etwa das lässige “sich selbst widersprechen” (formatiert wie im engl. Buch):

((S. 20:)) “I know,” I say, except that in a strange way, I don’t.

((S. 22:)) I’m going to be fine. Except that I’m not.

((S. 26:)) I got promoted. It was a promotion I’d worked hard for and wanted very badly. Until I actually got it.

((S. 65:)) I hear him and I don’t.

Dazu kommen allzu coole und wortreiche Phrasen wie

So let me fill you in on the Boyfriend Incident.

Everyone has demons – big, small, old, new, quiet, loud, whatever.

Das klingt anbiedernd, fraternisierend, banal. (Ich kenne nur die engl. Ausgabe, Maybe You Should Talk to Someone).

Auf dem Parkplatz:

Und manchmal klingt Beverly-Hills-Gewächs Gottlieb, die schon über ihre Teenager-Anorexie schrieb (“Stick Figure”) einfach wie eine dumme “L.A. Blonde”, so beim ersten Psychologenbesuch nach Schluss mit dem Verlobten:

I realize that my bikini-wax place happens to be on the same street (Not that I’ll be needing those services for the foreseeable future, I think, which makes me start crying again).

Dazu passt, dass Gottlieb ihren Formulierungen nicht traut und sie mit Formatierung überfrachtet (formatiert wie im Buch):

isn’t what Boyfriend did the most confusing and bizarre and… UNETHICAL thing

Wiederholt sagt Gottlieb Dinge, die sie nicht als Psychologin empfehlen, wie etwa ihr dauerndes Nachdenken über einen Patienten

at the most random of moments, especially at bedtime.

Einmal schreibt sie über eine Patientin, mit Bezug auf eine Autowerbung mit Hunden,

I felt protective, like the mommy dog

Zudem sei ihr eigener Therapeut mutmaßlich “a more competent human being than I am”.

Assoziation:

  • Psycho-Autor Irvin Yalom liefert ein dickes Lob auf dem Rückumschlag und wird innen eine Seite lang nacherzählt
  • Die Figuren bei Gottlieb wirken geringfügig weniger schrill als bei Yalom und Frank Tallis
  • Amazon-Werbelinks: Lorie Gottlieb| Liebe | Psychologie

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