Belletristik
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Romankritik: Welcome to Lagos, von Chibundu Onuzo (2016) – 4/10 Sterne
Fünf Nigerianer aus allen Regionen und Gesellschaftsschichten machen sich nach Lagos auf – Deserteure, Minister, Journalisten, Dörfler. Doch im ersten Drittel verbindet Chibundu Onuzo (*1991) ihre Geschichten zu wenig und beleuchtet sogar noch Nebenfigurenschicksale. Später leben alle gemeinsam in einer absurden, unterirdischen WG. Die hochgelehrte Autorin überfrachtet ihren Roman mit zu viel Material. Sie schreibt selbst im Nachwort: It takes a dossier of interviews to write a second book. Dem folgen zweieinhalb Seiten Danksagung. Und sie hatte ursprünglich noch mehr Protagonisten, die sie dann wieder herauskegelte (Quelle): at one point I had eighteen characters and the story had kind of lost all shape and momentum, so I had to kill…
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Romankritik. Einer von uns, von Chinua Achebe (1966, engl. A Man of the People) – 5 Sterne
Ich-Erzähler Odili Samalu ist zunächst ein kleiner Lehrer in einer privaten Dorfschule – gut gebildet zwar, doch er will mit der korrupten Staatsbürokratie im postkolonialen Nigeria nichts zu tun haben. Dann gerät Odili ins Umfeld des mächtigen, brunzdummen Kulturministers Chief the Honourable M. A. Nanga, M.P.; dessen Umtriebe, Eitelkeiten und hohlen Sprüche schildert der Ich-Erzähler delektabel vollmundig, deftig satirisch – nicht subtil, aber meist auch nicht schrill oder anklagend. Ich-Erzähler Odili verulkt weitere Speichellecker, Karrieristen, weiße Berater, die opportunistische Journaille und nicht zuletzt sich selbst als Schürzenjäger. Amazon-Werbelinks: Chinua Achebe | ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Handlungsbogen: Einen Handlungsbogen hat das Romänchen bis zur Hälfte nicht: Der…
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Romankritik. Das kann uns keiner nehmen, von Matthias Politycki (2020) – 7 Sterne
Zwei Männer-Männer stiefeln angeschlagen, doch breitbeinig durch Ostafrika und diesen Roman. Die Eier schleifen übern Boden, die Verdauung ruckelt. Herb müffelndes Mansplaining. Der Ich-Erzähler deutet früh allerlei Tragödien an, deren Enthüllung der brave Leser gewiss zum Roman-Ende erwarten darf. Schon der Klappentext raunt schwülstig*: Doch der Tod fährt in Afrika immer mit, und nur einer der beiden wird die Heimreise antreten. Weitere Andeutungen folgen (S. 140): „Er hatte nur noch einen ((Tag)). Doch das wußte er natürlich nicht“ nebst enigmatischen Verweisen auf Verflossene. Das ist ein verschwitztes Buddy-Movie. Frauen gibt’s in diesem Buch nur als himmlische Ex oder Haptik-affine Kellnerin. Matthias Politycki bei Amazon (Werbe-Link) Schwer erträglich ist das, und…
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Romankritik: The Lower River, von Paul Theroux 2012) – 6 Sterne
Hauptfigur Ellis Hock, US-Amerikaner, kehrt nach 40 Jahren als Herrenausstatter zurück in ein entlegenes, trostloses Malawi-Dorf, in dem er als Jugendlicher vier Jahre arbeitete. Scheidung und schlechtgehende Geschäfte brachten ihn dazu. Bei Einheimischen, die ihn vage kennen, lässt Hock sich nieder – Zukunft unklar. Paul Theroux schreibt sehr flüssig, leicht lesbar in leichtem Englisch. Nur gelegentlich schlagen seine Adjektive über die Stränge („her bulgy features fixed on him in a purplish putty-like face of rage“, S. 4; „their general glum strangeness“, S. 107; auch im zweiten Teil wird er manchmal zu wortreich). Theroux‘ Beobachtung scheint in den USA-Passagen deutlich schärfer und interessanter als in den Malawi-Abschnitten. Dort schreibt Theroux vor…
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Romankritik: Alle die du liebst, von Georg M. Oswald (2017) – 3 Sterne
Oswalds Ich-Erzähler redet in schmucklosem bis fadem Deutsch. Die Dialoge klingen teils ausgesprochen hölzern und leblos. Vor diesem Buch hatte ich Herrndorfs Tschick gelesen, das ist um Klassen besser geschrieben. Oswalds Hauptfiguren verhalten sich angesichts des Umfelds teils ziemlich unklug und reden sehr unglaubwürdig. Von Anfang an hängen Bedrohungen aus allen Richtungen über dem Ich-Erzähler Wilke, einem reichen Wirtschaftsanwalt: In Afrika legt er sich dümmlich mit großen und kleinen Autoritäten an, seine Ex-Frau will ihn per Scheidung ruinieren, eine ehrgeizige Staatsanwältin will gegen sein Geschäftsmodell klagen, die 25 Jahre jüngere Freundin denkt scheint’s auch manchmal an den Absprung das Verhältnis zum Sohn ist gestört Nur eine heimtückische tödliche Krankheit hat…
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Rezension Afrika-Roman: An der Biegung des großen Flusses, von V.S. Naipaul (1979) – 9 Sterne
Fremde in der Fremde, das ist das Thema dieses behäbigen, ruhig dahin fließenden Buchs, wie so oft bei V.S. Naipaul. Der Ich-Erzähler Salim fremdelt gleich mehrfach: Als Inder wächst er an der Ostküste Afrikas auf (wohl in Dar es Salaam oder Sansibar), dann jedoch wechselt er in ein anderes afrikanisches Land tief im Innern (wohl nach Kisangani in Zaire, heute Demokratische Republik Kongo; Orts- und Ländernamen in Afrika bleiben ungenannt). Dazu kommen Besuche in London. Sämtliche anderen Protagonisten fremdeln auf ihre Art: Die Europäer in Afrika, die Dörfler in der Stadt, die Ex-Sklaven in der Freiheit, die Arrivierten im Armenviertel, Stammesangehörige im falschen Stammesgebiet. Ein Inder aus Afrika bewirbt sich…
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Rezension Erzählungen: In einem freien Land, von V.S. Naipaul (1971) – 9 Sterne
Das schmale Bändchen (engl. „In a Free State“) enthält fünf Geschichten, die inhaltlich nicht verbunden sind: Die Titelgeschichte „In einem freien Land“ spielt in Afrika, umfassst rund 120 Seiten und wirkt wie ein kurzer Roman. Zwei weitere Erzählungen belegen je rund 40 Seiten. Dazu kommen zwei sehr kurze Stücke von je rund fünf bis sieben Seiten (ich hab‘ die englische Ausgabe gelesen). Typische Naipaul-Figuren: Inhaltlich und regional kaum verbunden – doch die übergeordneten Themen kennt man schon aus Naipauland: entwurzelte Figuren, so etwa indischstämmige Trinidadians in London, Weiße in Afrika, ein schockierter Inder in Washington DC. Besonders kurios: Mexikaner mit indischem Turban kellnern in Washington, schwarze und weiße Hippies im…
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Rezension: Ein ausgebrannter Fall, von Graham Greene (Roman 1960, engl. A Burnt-Out Case) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Ein berühmter Architekt verbringt anonym einige Wochen auf einer Lepra-Station in Belgisch-Kongo (später Zaire, heute Demokratische Republik Kongo). Er fühlt sich ausgebrannt und ohne Lebenslust, jenseits von Liebe, Gott und Karriere; aber „ausgebrannt“ hat in der Lepra-Behandlung noch eine andere, interessante Bedeutung. Graham Greene (1904 –1991) schreibt knapp, präzise und sehr stimmungsvoll, unaufdringlich genau, reduziert – meisterlich. Das schwüle, drückende Äquatorland wird lebendig, ohne dass Greene mit Adjektiven oder Drama auftrumpft oder seine Vor-Ort-Recherchen überbetont (ich kenne nur das englische Original und kann die Eindeutschung von Dietlind Kaiser nicht beurteilen). Allerdings: Der Autor konstruiert sprachlich überzeugend einen eher schwachen Inhalt. Graham Greene, der zweifelnde Christ, der nie als „katholischer Autor“ bezeichnet…
- Afrika, Belletristik, Buch, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Roman
Rezension: Tropenkoller, von Georges Simenon (1933, auch Tropenfieber) – 7 Sterne – mit Video
Der junge Joseph Timar kommt in einem afrikanischen schwülheißen Kaff mit der ebensolchen französischen Wirtin Adèle zusammen, die schon mehrere Liebhaber vor ihm hatte. Adèle könnte für einen Mord verantwortlich sein. Flussaufwärts starten sie ein Holzunternehmen in der Wildnis (frz. Buchtitel Le Coup de lune, frei verfilmt 1982 als Équateur von Serge Gainsbourg u.a. mit Barbara Sukowa, Francis Huster). Das heiße afrikanische Nest Libreville mit seinen weißen Desperados beschreibt Georges Simenon (1903 – 1989) sehr stimmungsvoll, samt abstoßendem Rassismus. Der Nicht-Maigret-Roman erinnert momentweise deutlich an Joseph Conrads berühmtes Herz der Finsternis – wegen der rätselhaften Umgebung, der Bootsreise ins Landesinnere und wegen des womöglich verrückten Statthalters im Dschungel. Auf Amazon:…
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Romankritik: Hummer zum Dinner, von Helen Fielding (1994, engl. Cause Celeb) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Noch vor ihrem ersten Bridget-Jones-Band brachte Helen Fielding den Roman Hummer zum Dinner (engl. Cause Celeb) heraus. Die Ich-Erzählerin hier ist zunächst PR-Agentin und zeitweise Geliebte eines egozentrischen TV-Stars in London. So gelangt sie auf Schickeria-Parties und TV-Galas, die sie sehr satirisch beschreibt. Nach einem Kurzbesuch in Afrika verlässt die Ich-Erzählerin Freund und Job in London und leitet ein Flüchtlingslager in Afrika (ein fiktionalisierter Sudan). Als im Camp die Lebensmittel ausgehen, will die Hauptfigur Londoner Promis für ein TV-Spektakel einfliegen. Hier wird das Buch zur bösen Mediensatire. Die Berichte aus der Londoner Promi-Welt wie auch aus Afrika klingen realistisch. Immerhin arbeitete Helen Fielding einst als TV-Produzentin, und sie berichtete in…
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Rezension: Das Testament des Herrn Napumoceno, von Germano Almeida (Roman 1991) – 7 Sterne – mit Film
Die Titelfigur war angesehener, alleinstehender Großhändler auf einer Kapverden-Insel. Nun wird Napumocenos Testament verlesen, und da erzählt er sein ganzes Leben – mit überraschend deftigen Details, die man dem drögen Kaufmann gar nicht zugetraut hätte. Die Hauptfiguren sind milde Käuze mit ein paar Eigenwilligkeiten, hier und da wird es humorig. Das Fremdartige, Multikulturelle, Tropische der Kapverden spielt keine Rolle, auch gibt es kaum Einblicke in den Lebensalltag. Ethnizität oder Hautfarbe der Hauptfiguren werden nie genannt, doch es sind wohl Portugiesen mit etwas afrikanischem Blut (in der Verfilmung von 1997 haben sie sehr helle Haut; s.u.). Die Geschichte könnte ebenso gut in Mediterranien spielen, in Finnland oder vielleicht Südamerika. Dies ist…
- Afrika, Annehmbar, Belletristik, Buch, Deutschland, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Reise, Roman
Roman-Kritik: Der Sandmann, von Bodo Kirchhoff (1992) – 6 Sterne
Die Geschichte ist hübsch, wenn auch unrealistisch konstruiert: Ein 50jähriger Frankfurter und sein vierjähriger Sohn suchen ihr junges Kindermädchen im Gassengewirr der tunesischen Hauptstadt. Die Frau des Frankfurters, eine Pensionswirtin und ein weiterer Pensionsgast spielen wichtige Nebenrollen. Alle sind irgendwie miteinander verbandelt, und erzählt wird recht widersprüchlich aus zwei verschiedenen Perspektiven. Mehrfach entstehen spannende Situationen, und Zurückliegendes erscheint immer wieder in neuem Licht. Bodo Kirchhoff schreibt hier ein ruhiges, klares Deutsch, das allerdings zwischen den beiden Ich-Erzählern kaum unterscheidet (allemal besser als im Schnellschuss Erinnerungen an meinen Porsche). Er liefert interessante, lebendige Details – die wesentlichen Figuren werden sehr plastisch, die Altstadt von Tunis allerdings nicht. Gegen Ende überfrachtet Kirchhoff die…
- Afrika, Annehmbar, Belletristik, Biographie, Buch, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Reise, Roman
Rezension fiktionalisierter Abenteurer-Bericht: Burton and Speke bzw. Mountains of the Moon, von William Harrison (1982) – 6 Sterne – mit Video und Kritiken
Der Roman fiktionalisiert die Jahre 1854 bis 1864 der Entdecker Richard Francis Burton und John Speke mit Hauptschauplatz Afrika: Burtons Alleingang in die verbotene Stadt Harar, der Somali-Überfall auf das englische Camp in Berbera, die haarsträubend strapaziöse Burton-Speke-Nilquellen-Expedition, die Londoner Auseinandersetzungen um Entdecker-Ehren mit einem spektakulären Todesfall, Burtons Beziehung zu Isabel Arundell und die Heirat nach langem Warten (knapp), Burtons USA-Reise und das Westafrika-Konsulat samt Besuch bei einem verrückten König sowie die Speke-Grant-Expedition 1860/61. Das Buch erschien zuerst 1982 als Burton and Speke, wurde 1990 als Mountains of the Moon/Land der schwarzen Sonne verfilmt und erschien dann erneut unter dem englischen Filmtitel. Der Haupttext umfasst 494 englische Seiten. Dem folgen…
- Afrika, Asien, Belletristik, Buch, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Indien, Interkulturell, Roman
Presse-Links zur fiktionalisierten Richard-Francis-Burton-Biografie Der Weltensammler von Ilija Trojanow (2006)
Im Vorwort des 500-Seiten-Buchs heißt es: Obwohl einige Äußerungen und Formulierungen von Burton in den Text eingeflochten wurden, sind die Romanfiguren sowie die Handlung überwiegend ein Produkt der Fantasie des Autors… Als ich Der Weltensammler anfing, kannte ich schon drei englische Biografien zu Richard Francis Burton, außerdem den Burton-Film Mountains of the Moon/Land der schwarzen Sonne und Teile des fiktionalisierten Berichts Speke & Burton, der dem Film zugrunde liegt (Übersichten und Links unten). Mit dem Weltensammler wurde ich nicht warm. Die Sprache wirkt elegisch, Dialog wächsern, Dialogsätze beginnen mit Spiegelstrich und ohne Anführungszeichen, erscheinen gelegentlich aber auch wie ein Theaterstück gesetzt. Auch Stichproben im Buchinnern besserten den Eindruck nicht –…
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Rezension Lustiger Nigeria-Spammer-Roman: Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy, von Adaobi Tricia Nwaubani (2009) – mit Video – 9 Sterne
Spannend, unterhaltsam, informativ, teils witzig. Oft pfiffig getextet, immer flüssig: Nwaubanis Erstlingsroman habe ich vergnügt fast in einem Rutsch gelesen (dt. Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy, engl. I Do Not Come to You by Chance). Es geht nicht nur um Spanner, auch wenn der Roman so vermarktet wird: Die erste Buchhälfte handelt kurzweilig von den Problemen einer Mittelschichtfamilie in Nigeria, von Teenager-Liebe, Geldsorgen, Korruption und Krankheit. Auch der zweite Teil ist nicht nur eine Beschreibung der Spamwelt: Hier geht es weiter um packende Familien- und Gewissenskonflikte. Lieber ehrlich und bettelarm oder skrupellos und bessergestellt? Nach dem Tod des Vaters muss der Erstgeborene für die Familie sorgen – aber auch…
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Rezension Nigeria-Roman: Sag allen, es wird gut, von Sefi Atta (2005) – 8 Sterne
Mit viel Überzeugungskraft und Zeilen schildert Sefi Atta die alltäglichen drastischen Zumutungen in der nigerianischen Metropole Lagos: Dreck, Raub, Polizeiwillkür, Bürgerkrieg, völlig verwahrloste Gefängnisse, schmutzige Lebensmittel, Dauerstaus, korrupte verbrecherische Diktatoren, Vergewaltigung, stundenlanger Stromausfall, Benzinmangel, versiffte Umwelt – Elend ohne Ende. Besonders Frauenschicksale werden vorgeführt: Frauen müssen kuschen, kochen und Kinder kriegen, vor allem Söhne gebären, sonst geht’s mit der Achtung bergab. Männer betrügen und quälen Frauen, lassen sich bedienen und reden Käse in der Kirche. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Stark geschrieben: Sag allen, es wird gut ist Sefi Attas erster Roman (2005, englischer Titel Everything Good Will Come). Atta, die seit der Jugend meist in…
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Rezension Nigeria-Roman: It’s my Turn (engl. Swallow), von Sefi Atta (2008) – 8 Sterne
Den meisten Figuren geht es meist elend, doch sie kämpfen verbissen und der Buchton ist heiter-gefasst bis unterhaltsam (dt. Titel It’s my turn beim Peter Hammer-Verlag, engl. Titel Swallow). Anstrengende Umgebung: Nigerias einstige Hauptstadt Lagos hat in diesem Buch stinkende offene Kanäle, Straßen voller Bettler und nackter Verrückter, aggressive Autofahrer, überfüllte Busse und grundlos peitschende Polizisten. Männer sind lüsterne Betrüger, abergläubische Weicheier, Eheverweigerer und/oder erbärmliche Machos mit unfassbaren Schlips-Hemd-Kombinationen. Die Frauen bleiben (darum?) oft ohne Mann und kämpfen sich erfolgreich, aber nicht immer glücklich allein durch (ähnlich wie in Attas Erstlingsroman Everything Good Will Come). Redet irgendwo mal einer ein nettes Wort? Ich erinnere mich nicht. Die Hauptgeschichte spielt in…
- Afrika, Asien, Belletristik, Buch, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Kurzgeschichten, Reise, Reisebuch, Südostasien
Rezension Reise-Geschichten: Mein anderes Leben, von Paul Theroux (1996, engl. My Other Life) – 8 Sterne
Der Mann kann schreiben. Handlungen und Dialoge sind wohlkonstruiert, gefällig und intelligent. Kubikmeterweise Fakten und Kunde verstaut Theroux auf leicht genießbare Weise. Er beobachtet sich und seine Mitmenschen brennend genau. Episoden: Wissen sollte man: Zu lesen gibt es hier längere Kurzgeschichten, die nur sehr lose miteinander verbunden sind. Man kann sie als einzelne Episoden eines Lebens auffassen (wenn man es nicht für Fiktion hält), es ist aber keine durchgehende Schilderung. Und: Der ganz überwiegende Teil des Buchs ereignet sich in England und USA, nur wenige Kapitel spielen in Singapur und Malawi. (Eigentümlich: Die Kombination aus vergangenen Tagen in Singapur, „very british“ England und einem Aufenthalt in Afrika erinnerte mich an…
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Westafrika-Kindheit: The Dark Child bzw. L’enfant noir, von Camara Laye (1953) – 8 Sterne
Haarsträubender Aberglaube, gefährliche Riten – Laye tischt knüppeldick auf. Gleichzeitig taucht er seine Jugend im westafrikanischen Guinea der 50er Jahre in ein güldenes Licht (auf Deutsch als „Einer aus Kurussa“ erschienen). Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Trotz all der irrationalen Gebräuche und Denkweisen lächelt man verklärt mit dem Autor: Die Menschen sind sich zumeist wohlgesonnen, helfen sich bei der Ernte. Die Familie hält strikt zusammen, fast immer gibt es etwas zu feiern. Der Bericht ist talentiert naiv-schön geschrieben und hier in ein altmodisches Englisch übersetzt, das gut passt (das Translation Journal lobt Kirkups Übersetzung in einer detaillierten Analyse). Der größere Buchteil spielt in der Kleinstadt und…
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Rezension Lagos-Roman: Heimkehr in ein fremdes Land, von Chinua Achebe (1960, engl. No Longer at Ease) – 8 Sterne
Nigeria in den 50ern. Ein junger Englandheimkehrer steigt in den Staatsdienst ein, verliebt sich, besucht mal die Eltern auf dem Dorf, bekommt Probleme mit den Finanzen, seiner Freundin, der Tradition. Der Roman spielt zum größten Teil im Lagos der 50er Jahre, doch die dörfliche Herkunft bleibt stets präsent. Amazon-Werbelinks: Chinua Achebe | ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Achebe schreibt sehr eindrücklich: Man ist fast mittendrin statt nur dabei. Dazu gehören auch skurriles Pidgin-Englisch (ich hatte das englische Original) und – typisch für Chinua Achebe – amüsante Sprichwörter, Weisheiten und Metaphern. Die kräftige, erdige Würze der 30 bzw. 60 Jahre früher angesiedelten Ibo-Dorf-Romane Things Fall Apart oder Der…
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Rezension Erzählungen: Mein geheimes Leben, von Paul Theroux (1989, engl. My Secret History) – 8 Sterne
Vieles erinnert an Paul Theroux‘ späteres Buch Mein anderes Leben (1996, engl. My Other Life): die Stationen Afrika, USA, London mit Schriftstellerbesuch, die haargenaue Beobachtung, die unaufdringliche Belesenheit, der ruhige, aber nie langweilige Ton, die dichte Atmosphäre, die perfekte Konstruktion. Man könnte meinen, Theroux habe erst einen langen Text geschrieben und diesen dann in zwei Bücher aufgeteilt. Auf Amazon: Bücher von Paul Theroux Noch etwas besser als der Nachfolger: Dieses hier, „Mein geheimes Leben“ (engl. My Secret History) gefällt mir noch geringfügig besser als der Nachfolge-Band: Die einzelnen Stationen sind besser verwoben, der Grundton wirkt etwas weniger säuerlich. Im Englischen unterscheiden sich die Buchtitel übrigens deutlicher als auf Deutsch: „My…
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Rezension Multikultur-Afrika-Roman: Fong and the Indians, von Paul Theroux (1968) – 7 Sterne
Kramladeninhaber Fong und seine Frau stammen aus China und sind Christen; Fongs Vermieter und Lieferant Fakhru stammt aus Indien und ist Moslem; dann gibt es noch ein paar lautmaulige Amerikaner. Und sie alle agieren in Ostafrika, in der Fremde. Schwarzafrikaner spielen in diesem Roman dennoch nur eine geringe Rolle; sie kaufen schonmal eine einzelne Zigarette ohne Filter bei Fong oder wirtschaften das Land in den Abgrund. Satirisch gutgelaunt spießt Paul Theroux ethnische Besonderheiten auf. Vor allem die ersten 40 Seiten laufen abwechslungsreich mit viel trockenem Humor durch. So anders als der spätere Theroux, ab seinem Eisenbahnreport The Great Railway Bazaar. Auf Amazon: Bücher von Paul Theroux Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika |…
- Afrika, Belletristik, Buch, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Roman
Rezension Sklaverei-Roman: Der Vizekönig von Ouidah, von Bruce Chatwin (1980) – 7 Sterne
Chatwin beschreibt sehr unterschiedliche Zeiten und Räume: Benin im 20. Jahrhundert (da hieß es noch Dahomey), Benin im 19. Jahrhundert, brasilianisches Hinterland im 19. Jahrhundert – und das teils nicht chronologisch. Das erratische Verhalten der Hauptakteure führt zu weiteren eigentümlichen Handlungssprüngen, man könnte fast sagen -brüchen. Der kurze Roman hat vor allem im ersten Teil wenig Zusammenhalt. Dazu kommt: Das Buch beschreibt zwar immer im weitesten Sinn die Hauptperson; die jedoch hat 63 Söhne, ungezählte Töchter und hunderte weitere Nachfahren. Da geht der Stoff nicht aus und man hört oft über viele Seiten lang nichts von Francisco Manoel da Silva selbst. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko…
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Historischer Afrika-England-Roman rezensiert: Der Eiskrem-Krieg, von William Boyd (1982) – 7 Sterne
Gut erzählt mit vielen kleinen Details, die das räumlich und zeitlich ferne Szenario fast in Vergrößerung zeigen. Dabei präsentiert William Boyd seine präzisen Einblicke so en passant, dass er nie angeberisch faktenhubernd klingt. Ebenso knapp, aber sehr detailliert schildert Boyd auch männliche Sexualität und Kriegsgreuel, mmmhh. Boyd schreibt unterhaltsam, aber mit reichem Wortschatz und viel Umgangssprache, so dass ich – im englischen Original The Ice-Cream War – geringfügig weniger verstand als bei anderen englischen Romanen. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Boyds Schreibtechnik: Die verschiedenen Handlungsstränge und Hauptpersonen führt Boyd gekonnt ein und dann zusammen; Überblick und Interesse bleiben stets erhalten. Tatsächlich wirkt der Roman recht spannend.…
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Satirischer Diplomaten-Roman rezensiert: Unser Mann in Afrika, von William Boyd (1981) – 7 Sterne
Zeitweise war ich mir nicht sicher: Ist der Autor so pubertär, oder nur seine Hauptfigur? Die niederen Gelüste des Morgan Leafy bekommen viele Zeilen in diesem Westafrika-Roman, unangenehm viele, und gelegentlich geht es sogar saftig ins Urologische – kein guter Lesestoff beim Frühstück, aber ein Anlass, bestimmte venerische Komplikationen einmal nachzuschlagen. Dann noch derbe, schnell ausgestoßene Flüche. Und bald wieder: Weibliche Oberweiten, weibliche Hinterteile, Schürzenjagd in Afrika. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Die Hormone kochen hoch: William Boyd schreibt in der Artikelsammlung Bamboo, wie sexbesessen die Insassen in seinem schottischem Jungsinternat waren und dass er damals enorme fünf Pfund für das Foto einer aufregenden Frau im…
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Rezension Kurzgeschichten: At the Yankee Station, von William Boyd (1981) – 7 Sterne
Die Geschichten handeln meist von kleinen Leuten, langweiligen Verlierertypen, in England, USA, Südfrankreich, Afrika, im Jungeninternat oder auf dem Flugzeugträger im Vietnamkrieg. In zwei oder drei Fällen verarbeitet William Boyd offenbar Jugenderinnerungen (ganz ähnliche Themen gibt es auch in Boyds Artikelsammlung Bamboo). Hormongesteuerte Akteure: Die meist männlichen Hauptdarsteller leiden schwer an chronischem Rammeltrieb – dies erinnert deutlich an Boyds ersten, testosterontriefenden Roman Unser Mann in Afrika, engl. A Good Man in Africa, der wie Yankee Station 1981 erschien und insgesamt satirischer und schriller als diese Kurzgeschichten erscheint. Zwei Kurzgeschichten entstanden offenbar als Teil von A Good Man in Africa, Boyds satirischem Afrikaroman aus dem selben Jahr. Sie spielen zum tieferen…
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Roman-Kritik Ruanda-Genozid: Hundert Tage, von Lukas Bärfuss (2010) – 7 Sterne
Eine explosive Mischung aus Völkermord, körperlicher Liebe, Entwicklungspolitik, Obsession, Afrika, Schuld, innerafrikanischem Rassismus, Gräueln, Blut, Verantwortung, Tierliebe, Gewissenskonflikten, Aids: Sex & Crime maximal, und den zweiten Buchteil sollten Sensible nicht beim Essen lesen. Im Absurdistan der Entwicklungshilfe: Gleich am Anfang wird erwähnt, dass dieser Roman in die Katastrophe schlittert, dass Hauptfiguren leiden werden, aber es entwickelt sich ganz langsam. Zur Überbrückung liefert Bärfuss reizvolle Einblicke ins Absurdistan der Entwicklungshilfe, in Ruanda gab es „nicht einen Hügel ohne Entwicklungsprojekt“ und letztlich hilft die Hilfe auch beim Völkermord – wie Bärfuss immer wieder betont. Man mag das Buch nicht weglegen, denn man will wissen, wann der Sturm losbricht, wie der Erzähler schließlich…
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Romankritik Westafrika-Krimi: Instruments of Darkness, von Robert Wilson (1995, Teil 1 der Bruce Medway-Reihe) – 7 Sterne
Robert Wilson ist besonders bekannt für seine Javier Falcón-Krimis aus Südeuropa, die ab 1999 erschienen und auch ins Deutsche übersetzt wurden. Zuvor schrieb Wilson allerdings vier Krimis über Bruce Medway in Westafrika, die weniger Leser haben. Diese Westafrika-Reihe beginnt mit Instruments of Darkness. Was mir an Instruments of Darkness gefiel: Hochatmosphärisch. Jeder stinkende Hinterhof, jede Bankerresidenz und jeder Hafen werden lebendig. Das schwüle Wetter, die Schmerzen nach Gewalt – man spürt es körperlich viele supercoole Dialoge zahlreiche coole Figuren, auch die wenigen Frauen sind alle cool fulminantes letztes Viertel mit haarsträubenden Wendungen leichtes Englisch Allerdings: Wilson übertreibt mit allem. Er beschreibt das schwüle Wetter, Alkohol, Qualm, Gewalt und Schmerzen nach…
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Rezension Sierra-Leone-Roman: Das Herz aller Dinge, von Graham Greene (1948) – 7 Sterne
Dichte, intensive Geschichte um einen ehrlichen, englischen, katholischen Polizisten im Sierra Leone der Kolonialzeit. Er gerät in Gewissensnöte und weiß keinen Ausweg mehr. Gut konstruiert – oder schon zu ausgedacht? Dazu ein paar sehr trockene, coole Dialoge. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Der katholische Aspekt wird mir gegen Ende zu stark; möglicherweise gibt es nicht viele Menschen, die die Rituale so ernst nehmen. Greene hielt das Religiöse später wohl selbst für übertrieben. Das Buch spielt in Sierra Leone, Westafrika. Die Schwüle trieft aus allen Zeilen, Ratten und Geier belagern die Hauptakteure. Das drückende Klima korrespondiert mit Gewissensnöten und drängenden Problemen. Letztlich könnte die Geschichte aber auch…
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Nigeria-Roman: A Squatter’s Tale, von Ike Oguine (2000) – 6 Sterne
Squatter’s Tale wirkt nicht so sehr wie ein bündiger Roman: Es zerfällt in mehrere längere Episoden: das schnelle protzige Bankerleben in Nigeria, der ärmliche Einstieg in USA, die Romanze. Vor allem wirkt Squatter’s Tale wie eine Ansammlung von Begegnungen, teilweise in Rückblenden erzählt. Anekdoten in der Rahmenhandlung: In eine Rahmenhandlung packt der Autor zahlreiche kleinere und größere Portraits von Menschen, die im weiteren Buch dann keine Rolle mehr spielen – als ob er seinen privaten Anekdotenschatz ausweidet. Dabei gibt es kaum direkte Rede und diverse nicht jugendfreie Abschnitte. Man würde gern wissen, wieviel persönliche Erfahrung drinsteckt. Nicht nur in Nigeria, auch in Kalifornien und England hat der Ich-Erzähler meist mit…
- Afrika, Annehmbar, Belletristik, Black Music, Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Musik, Musikbuch, Reise, Roman, Senegal
Dakar-Youssou-N’Dour-Roman: The Music in My Head, von Mark Hudson (1998) – 6 Sterne
Fazit: Mark Hudson ließ sich von seiner Musik- und Afrikabesessenheit fortreißen, als Roman hält Music in my Head kaum zusammen. Als In-Schilderung aus der Musikszene Dakars ist der Roman, oder sagen wir: das Buch, aber vielleicht einmalig. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Atmo: Über Seiten schildert Mark Hudson die Atmosphäre in Musikclubs, Hotels oder Märkten in Dakar, Senegal. Sehr dicht, sehr lebendig, sehr fremdartig und teils beängstigend. Eindrucksvoll. Hier ist einer wirklich eingetaucht. Weitere Seiten füllt Autor Mark Hudson zum Lob der afrikanischen oder allgemeiner schwarzen Musik mit sehr genauen Beschreibungen von Stimmen, Klängen und Rhythmen einzelner Lieder. Alles interessant, wenn man sich für Senegal und…