Rezension fiktionalisierter Abenteurer-Bericht: Burton and Speke bzw. Mountains of the Moon, von William Harrison (1982) – 6 Sterne – mit Video und Kritiken

Der Roman fiktionalisiert die Jahre 1854 bis 1864 der Entdecker Richard Francis Burton und John Speke mit Hauptschauplatz Afrika: Burtons Alleingang in die verbotene Stadt Harar, der Somali-Überfall auf das englische Camp in Berbera, die haarsträubend strapaziöse Burton-Speke-Nilquellen-Expedition, die Londoner Auseinandersetzungen um Entdecker-Ehren mit einem spektakulären Todesfall, Burtons Beziehung zu Isabel Arundell und die Heirat nach langem Warten (knapp), Burtons USA-Reise und das Westafrika-Konsulat samt Besuch bei einem verrückten König sowie die Speke-Grant-Expedition 1860/61.

Das Buch erschien zuerst 1982 als Burton and Speke, wurde 1990 als Mountains of the Moon/Land der schwarzen Sonne verfilmt und erschien dann erneut unter dem englischen Filmtitel. Der Haupttext umfasst 494 englische Seiten. Dem folgen dreieinhalb Seiten biografische Anmerkungen zum weiteren Leben von 20 Akteuren. Es gibt keine Zeittafel, Organigramme, auch keine Landkarte – ein großes Versäumnis meiner billigen Star Books-Ausgabe.

Fazit:

Harrison schreibt flüssig, oft spannend, immer an historischen Tatsachen orientiert ohne wesentliche Abweichungen von der Historie. Doch gelegentliches Raunen und das Herumreiten auf dunklen sexuellen Neigungen geben dem Text eine unangenehme Note.

Burtons beträchtlicher Wortwitz kommt kaum zum Vorschein. Die Afrika-Abenteuer klingen auch in den echten Biografien spannend, relativ aktuell und ausführlich zum Beispiel in Mary S. Lovells Burton-Buch.

Dichtung und Wahrheit:

Autor Harrison bedankt sich schon im knappen Vorwort bei vielen Gelehrten, Archivaren und Biografen, u.a. bei Fawn Brodie. Er packt viel Biografie und bekannte Zitate in seine Dialoge, die darum teils aufdringlich didaktisch wirken, vor allem bei der Einführung der Akteure im ersten Kapitel und in Burtons Traum, bei dem seine ganze Jugend abläuft (später folgt auch seine Mekka-Expedition im Zeitraffer).

Genauer erklärt Harrison das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit jedoch nicht. Alle markanten Burton-Zitate, die in den Biografien erscheinen, tauchen auch bei Harrison auf. Harrison scheint sich weitgehend an die bekannten Fakten zu halten und füllt nur Leerstellen mit Fiktion auf – Gedanken, Sehnsüchte, Hoffnungen, Sex.

Texte aus Briefen, Tagebüchern und Veröffentlichungen werden bei Harrison teils zu wörtlicher Rede. (Mit Der Weltensammler hat auch Ilja Trojanow Burtons Leben fiktionalisiert, sich dabei aber nicht auf Afrika und lineares Erzählen beschränkt und offenbar weit mehr erzählerische Freiheit genommen als Harrison.)

Gelegentlich wunderten mich einige Ausdrücke, so “home-cooked bread” und “Harmattan: the deadly hot wind from the north” (S. 460; der Harmattan ist kalt, s.a. englische Wikipedia). Autor Harrison war Schreibprofessor, liebte Fernreisen und weitgereiste Hot Country-Autoren wie Joseph Conrad und Ernest Hemingway (engl. Wikipedia). Er war an mehreren Drehbüchern beteiligt.

Stil:

Harrison schreibt als allwissender Erzähler abwechselnd aus Burtons und Spekes Perspektive, Burton bekommt mehr Gewicht (er war ja auch interessanter, hat mehr Biografen und schriftlichen Nachlass, weitere Links zu Burton unten). So recht näher kommt man keinem der beiden Hauptakteure, doch abgesehen von ein, zwei zähen Grübeleien erzeugt das Buch einen Sog, der weiterlesen lässt.

Innerhalb der Kapitel reiht Harrison kurze, ein bis zwei Seiten lange Episoden aneinander, die durch eine Leerzeile voneinander getrennt werden. So lässt sich das Buch leicht lesen und wieder ablegen. Allerdings wechselt Harrison im Kapitel 1860 – 1861 alle zwei Seiten zwischen Burton in USA und Speke in Ostafrika.

Die Sprache ist nüchtern, gelegentlich raunend, Harrison beendet die Episoden oft mit bedeutungsvoll klingenden Dialogzeilen. Doch sein Stil hinterlässt keinen besonderen Eindruck – er klingt vielmehr bald etwas repetitiv und allenfalls gekünstelt männlich. T.C. Boyles Wassermusik, ein fiktiver Bericht über den frühen Afrika-Entdecker Mungo Park, ist ein völlig anderes Kaliber.

Sex sells:

Burton erscheint als vulgärer sexueller Nimmersatt, war jedoch nach allen Biografien deutlich subtiler als von Harrison gezeichnet. Aber vielleicht gehören die deftigen Worte zum Marketingkonzept – mein Buchtitel einer billigen Burton and Speke-TB-Ausgabe von Star Books zeigt in einem Personen-Tableau auch eine barbrüstige Afrikanerin, daneben ein Lob des literarischen Fachblatts Playboy, die Rückseite verspricht hechelnd “voluptuous young Englishwomen”, die jedoch im Buch kaum vorkommen.

Harrison schildert Speke als Muttersöhnchen und gehemmten Homosexuellen, der sich immer zurücknimmt, ohne intellektuellen Ehrgeiz, aber mit hinterlistigen Karriereplänen. Rülpsen und Flatulenz werden geschildert.

Vergleich mit der Verfilmung:

Die Buch-Verfilmung Mountains of the Moon/dt. Land der schwarzen Sonne (Video unten) konzentriert sich auf drei Hauptmotive in den abgehandelten Jahren: Burton und Speke in Afrika, Burtons Beziehung zu Isabel, die Burton-Speke-Kontroverse in London und Bath. Andere Motive tauchen nur im zugrundeliegenden Roman, nicht aber im Film auf: Die spätere Speke-Grant-Expedition wird übersprungen, mit einzelnen Episoden aber in die erste Expedition eingearbeitet, so Spekes Verarzten einer liebeskranken Dorfadligen und Spekes erzwungener Alleingang kurz vor einer erhofften Entdeckung. Ebenfalls übergangen werden Burtons Zeit in Westafrika, Harare und USA.

Der Film zeigt anders als das Buch wenig von Spekes Unterlegenheitsgefühl, seine Intrigen, seine unterdrückte Homosexualität (umgekehrt erscheint der fiebrige Speke-Burton-Kuss nicht im Buch). Ebenso nur im Buch tritt Isabel Burton als missgünstige Kontrollmamsell auf, im Film ist sie viel männerfreundlicher (noch einmal anders zeigt sie die Biografie von Mary S. Lovell).

Gegenüber dem Roman – und der Historie – ändert der Film einige kleine Abläufe, wohl um zu straffen, so die erste Begegnung Richard Francis Burtons mit Isabel. Zusätzlich erfindet das Drehbuch ein paar filmi Szenen dazu: Burton rettet einen Sklaven vor Löwen, Speke rettet Burton vor Löwen, Burton will Sklave vor Peiniger retten, Burton verliert Isabels Medallion und erhält es wieder, als er seinen Tod erwartet. Romanautor Harrison war auch am Buch zur Verfilmung beteiligt.

Kritiken:

Kirkus Reviews:

a surprisingly sober historical novel… repetition, a slow pace, and a lack of dramatic shaping… reasonably convincing…

sirrichardfrancisburton.org:

Although parts show close attention to biographical fact and detail, the novel overall hews but loosely to the facts

Richard Francis Burton: Links, Bücher und DVDs

3 neuere Burton-Biografien im Vergleich:

Fawn Brodie Edward Rice Mary S. Lovell
The Devil Drives Sir Captain Richard Francis Burton A Rage to Live
1967 1990 1998
Seitenzahl Haupttext* 322 enge 620 804
Bildseiten** 16 16 16
SW-Landkarten 1 Seite, 1 Karte nur für Zentralafrika 2 Seiten, 2 Karten für Sindh, Zentralafrika; nicht Arabien 2 Seite, 2 Karten a) für alle Regionen einschl. Tansania, Arabien, Indien, b) Zentralafrika & 1 Handskizze Burtons
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Urteil bei sirrichard-francis-burton.org the first to use the controversial technique of “psychobiography” on Burton, with results that are still debated today considered flawed because of the great amount of supposition and questionable “fill-in” material because she struggles to take a balanced viewpoint and had access to several large collections of material overlooked by prior biographers, this stands as the best working biography yet
Urteil bei burtonia.org Psychobiography, based on extensive research combined with speculation. Very well written. See important corrections in Lovell, 1998. Highly imaginative but dubious.  Sold well, but seems to have used an interpolation technique to deduce 'facts' The best archival biography.  Considerable fresh material.  An attempt to rehabilitate Isabel (this part fails to convince)
Erzählstil erzählt teils mit grobem Strich, mitunter nicht chronologisch, analysiert dann; gut lesbar erzählt Fakten der Reihe nach detailliert; angenehm lesbar  ordentlich lesbar, aber weniger ansprechend als Brodie, Rice; teils wertende Adjektive und Angriffe auf frühere Biografen; verteidigt beide Burtons teils eifernd gegen Kritiker; bietet mitunter Spekulationen an
Schwerpunkte
  • ausführlicher über ernste Liebesbeziehungen, Persönlichkeit, deutet Homosexualität und Impotenz an
  • Lovell weist ihr Fehldeutungen nach
  • weniger Interesse an Geografie, Kolonialpolitik, Ethnologie, Reiselogistik, heißen Ländern
  • Krimkrieg detailliert
  • Mormonen in Salt Lake City detailliert, restliches Nord- und Südamerika dieser Reise minimal
  • zitiert ausführlich aus Büchern, Gedichten, Korrespondenz, Rezensionen
  • sehr genaue Quellenhinweise
  • ausführlicher über Leben in Indien, indische Kolonialpolitik
  • ausführlicher allg. über Reisedetails und -strapazen (evtl. erfunden, s.o.)
  • zeigt Burton als unternehmungslustigen Liebhaber der Frauen
  • ausführlicher über kurze Affären, Drogenerfahrungen
  • ausführlicher über Nord- und Südamerikareise
  • zitiert knapp, gibt keine Rezensionen der Burton-Bücher wieder, nur seine eigene Meinung
  • flüchtige Quellenhinweise
  • betont Burtons Religiosität stärker, v.a. Hinduismus
  • sieht L. Oliphant als Motivator hinter Spekes Absetzen von Burton
  • nur hier Zeittafel (3 Seiten)
  • teils ausführlich auch über Nebenfiguren und Isabel Burton
  • sichtete viele neue Quellen
  • die meisten Episoden detaillierter als andere Biografen, z.B. Korrespondenzen insgesamt, Annäherung Burton-Isabel vor Zentralafrika-Expedition, Überfall in Berbera, Zentralafrika-Expedition
  • erwähnt Burtons Bücher sehr knapp, ohne zeitgen. Rezensionen
  • weniger detailliert über Mekka-Reise einschl. Alexandria, Kairo, Medina
  • sieht L. Oliphant nicht als treibende Kraft hinter Spekes Absetzen von Burton
*ohne Anhänge, Fußnoten, Bibliografie, Fotos, **nur Lovell mit gestrichenem Papier

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