Rezension Text-Bild-Band: Journey to the Source of the Nile, von Christopher Ondaatje (1998) – 2 Sterne

Fotograf und Autor Christopher Ondaatje (Bruder von Michael Ondaatje) folgt in Ost- und Zentralafrika den Wegen der Nil-Sucher und Nil-Entdecker des 19. Jahrhunderts, unter ihnen Richard Francis Burton, John Hanning Speke, Samuel Baker, Henry Morton Stanley und David Livingstone.

Die HarperCollins-Ausgabe mit weichem Einband hat 384 Seiten im Format 19×26,5 Zentimeter (also nicht ganz A4) mit vielen großen Farbbildern. Sie wiegt rund 1,2 Kilo; geöffnet aufgeschlagen bleibt das Buch meist nur liegen, wenn man die Seiten festhält.

Fazit:

Ondaatjes Texte zu Afrika damals und heute und Ondaatjes Bilder zu Afrika heute sind alle mittelmäßig. Er liefert kaum neue Erkenntnisse, weckt keine Faszination, hat keine interessanten Begegnungen oder Unternehmungen, schreibt und fotografiert banal, druckt in schlechter Qualität.

Auch die Landkarten bleiben hinter den Erwartungen zurück. Mit am interessantesten sind die vielen historischen Zitate. Hier hat sich ein reicher Geschäftsmann ein Denkmal drucken lassen – vielleicht, weil renommierte Magazine oder Verlage es nicht wollten.

In vielem erinnert das Buch sehr deutlich an Ondaatjes Burton-in-Indien-Buch Sindh Revisited (1996) – so in Konzept, Layout, Textstil und allgemeiner Qualität. Das Afrika-Buch ist jedoch deutlich schlechter in den Kategorien Text, Bildgestaltung und Druckqualität.

Langweiliger Text:

Ondaatje stellt sich drei Aufgaben:

  • Nacherzählung der Entdeckungen im 19. Jahrhundert
  • Bericht über Ondaatjes Reise ca. 1996 auf den Spuren der Entdecker
  • Bilder zu Ondaatjes Reise 1996

Er scheitert drei Mal.

Ondaatje folgt zunächst Richard Burtons Spuren mit vier afrikanischen Safari-Spezialisten in zwei Jeeps über mehr als 10.000 Kilometer. Sie bleiben immer auf der Straße und zelten am Waldrand – eine Reise mit “rushed quality”, wie Ondaatje auf S. 344 selbst sagt.

Das ist ohnehin langweilig, und dann erzählt Ondaatje noch in langweiligem Ton von langweiligen Alltagsdingen, banalen Reise-Ephemera, humor- und erkenntnisfrei.

In seinem Burton-in-Indien-Buch Sindh Revisited (1996) schreibt Ondaatje über Burton in Afrika:

I came to a disappointing conclusion. Burton’s African journey… was mostly a physical journey.

Auch Ondaatjes afrikanisches Buch ist enttäuschend und oberflächlich.

Im Afrika-Buch zeigt Ondaatje schon bald ein ganzseitiges Foto seiner selbst, weitere folgen. Im Sindh-Buch hält er es nicht anders.

Die Reisebegleiter werden dagegen nicht richtig vorgestellt und bleiben Randfiguren. Erstmals auf Seite 193 erscheint ein Reisebegleiter samt Name in der Bildunterschrift, später folgen wenige weitere Bilder, u.a. bei einer Katzendusche am Fluss. Erst zum Ausklang der Reise, nach zwei Monaten, meint Ondaatje über seine täglichen Gefährten (Seite 344f):

Now the rush was over, and i relished the thought of having time to talk to Thad Peterson… I also relished the time I would now have to talk to Joshua, Pollangyo, and Ali.

Eingeschränkte Perspektive:

Ondaatje hört von Einheimischen, dass Flugzeuge und öffentliche Boote interessante Einblicke in den Lauf des Nil und wesentliche Zuflüsse geben. Doch diese Erfahrungen interessieren ihn nicht persönlich – er reißt weiter seine Meilen im Jeep runter, statt mal das Transportmittel zu wechseln. Gelegentlich fährt er furchtsam in Rebellengebiet, erwähnt die Pistolen in seinem Reisegepäck.

Den Nil selbst erreicht zu haben, bewegt Ondaatje zunächst auch nicht sonderlich:

Seeing the Nile first at Owen Falls had not been particularly exciting. The real thrill was speculating where Speke might have first seen the falls.

Immer wieder die falsche Priorität.

Menschenarm:

Im Text vorgestellt werden Menschen erstmals auf Seite 178 – europäische Auswanderer, die Ondaatje in ihrer netten Kolonialherberge aufnehmen. Gelegentlich hat Ondaatje Sicherheitsleute oder Beamte im Wagen; auch über ihr Alltagsleben berichtet er nichts. Ondaatje sagt sogar selbst, dass ihm Burtons obsessives Interesse an Menschen und örtlicher Kultur nicht behagt (Seite 189).

Einmal trifft Ondaatje den Nachfahren eines kleinen Königs am Ort des einstigen Palasts und lobt: “a marvellous view over the countryside” (S. 199). Ondaatje berichtet tatsächlich eineinhalb Seiten über diesen Nachfahren. Fotos des Mannes oder der gelobten Landschaft sehen wir indes nicht. Ab S. 278 erwähnt Ondaatje eine interessante Dorfvorsteher-Familie, auf deren Land seine Gruppe zelten darf – ein Foto der Einheimischen gibt es wieder nicht.

Ondaatje wuchs auf Sri Lanka auf, und ab S. 284 sagt er über einfache Teepflücker dort:

I used… to talk to the tea workers and see how they lived… Their lives fascinated me then, and i have never been able to suppress this side of my nature for long. I love meeting people in many different environments…

Schön wäre es. Ondaatje erzählt kaum von Menschen und fotografiert nur banale Zufallsbekanntschaften auf Märkten und am Randstein. Einmal in einem Unruhegebiet fährt er mit Einheimischen raus zum Angeln und verrät (S. 270):

We talked freely… Theirs is a simple life. They know what is going on, but keep to their daily routine and to themselves…

Wie aufschlussreich.

Ondaatje auf Seite 346:

Although still a keen wildlife photographer, I am now just as interested in the drama and character of the human face.

Das Nil-Buch zeigt kein einziges gelungenes Beispiel für diese Interessen.

Entdecker:

Generell wirkt Ondaatje lebhafter, wenn er über die alten Entdecker schreibt – und spek(e)uliert – als beim Bericht über seine eigene Reise. Erst später bei den Murchison-Fällen schwärmt er vom Fluss. (Noch später schrieb Ondaatje sein Buch Hemingway in Africa.)

Im Vergleich zu den Burton-Biografien, die ich kenne, erscheint der Entdecker Richard Francis Burton bei Ondaatje als relativ unangenehm. Ondaatje bevorzugt und schont Burtons Begleiter John Hanning Speke weitgehend – eine Figur, die in anderen Darstellungen überwiegend negativ erscheint. Ondaatje freut sich, dass er ab dem Viktoriasee nicht mehr auf Burtons, sondern auf Spekes Spuren reist, der ihm zupackender und zielorientierter erscheint (wieder Seite 189) (zwei Jahre zuvor hatte sich Ondaatje in Sindh Revisited ja bereits völlig auf Burton konzentriert).

Langweilige Bilder:

Viele ganzseitige Farbbilder auf gestrichenem Kunstruckpapier zeigen vor allem einfache Menschen, die Ondaatje scheinbar am Straßenrand getroffen hat, jedenfalls generell in uninteressanter Umgebung. Die Menschen gucken ausdruckslos in oder neben die Kamera – wie von Bustouristen abgeschossen, kein Magazin würde es drucken. Die Fotos sind lieblos bis mangelhaft gestaltet. Die Landschaft lernt man gar nicht kennen.

Tatsächlich hat man den Eindruck, dass Ondaatje die Menschen ohne viel Kontakt abschoss, so wie er es in seinem Burton-in-Indien-Buch von 1996 beschreibt (S. 230):

Though i was somewhat embarrassed at our audacity, I nevertheless continued to take photographs. Seeing our armed guards and only too aware of their own lowly station in life, the people said nothing. The imbalance of class was right out of another century.

Die meisten Bilder im Afrika-Band sind zu dunkel, so dass dunkle Zonen oft in Schwarz versinken. Einige Aufnahmen erscheinen körnig oder bleich, viele mit ungesunden Farben, zum Beispiel Magentastich. Für das Titelbild wurde eine barbrüstige Afrikanerin grob vor einen Wasserfall montiert (Photoshop 5.0?), innen im Buch erscheint sie erneut in der ursprünglichen Umgebung.

Oft gibt es ganze Doppelseiten nur mit Text – fast nur. Wohl damit sie nicht zur Bleiwüste verkommen, erscheint pro Doppelseite doch ein einzelnes kleines Bild, auf Seite 230f z.B. 4×7,2 cm groß – auf einer Doppelseite von insgesamt 38×26,5 Zentimeter.

Besonders überraschend wirken diese Mini-Bildchen, wenn Ondaatje Kampalas Grand Imperial Hotel lobt – und die Text-Doppelseite zeigt das pompös benannte Hotel pompöse 4×5,3 Zentimeterchen hoch (S. 222).

In dieser Unterkunft gönnt sich Ondaatje nach langen Überland-Strapazen erstmals ein Bad – “for at least forty-five minutes”, für ihn offenbar eine epische Dauer.

Eigentümliche Bildtexte:

Zu den ganzseitigen Fotos, wie gesagt oft Straßendrand-Portraits, liefert Ondaatje häufig keine üblichen Bildtexte, vielmehr garniert er viele Bilder nur mit Zitaten der Entdecker (wie auch in seinem Burton-in-Indien-Buch, Sindh Revisited); so bleiben Fragen offen und manchmal entsteht der Eindruck, seit 130 Jahren habe sich nichts geändert.

Gestutzt habe ich bei diesem Burton-Zitat, das auch zu einem Bild erscheint:

To judge from their dialect they are, like the Wakwafi, a tribe or a subtribe of the…

Dies ist die erste von acht Zeilen des Zitats (S. 94). Im ganzen Zitat wird nicht deutlich, wer mit “they” und “their” gemeint ist – also worüber eigentlich geredet wird. Ondaatje lobt im Vorwort überschwänglich seine Lektoren, Grafiker und Rechercheure, doch viel Anlass besteht dazu nicht.

Schlechte Karten:

Ondaatje zeigt mehrere kleinere Landkarten, u.a. mit den eingezeichneten Wegen der viktorianischen Entdecker – allerdings verteilt auf zwei verschiedene Abbildungen. Genauso groß zeigt Ondaatje zu jedem Abschnitt seiner Jeepreise eine Landkarte mit Fahrtrichtung, er nimmt sich offenbar genauso wichtig wie die Männer, auf deren Spuren er reist. Keine der aktuellen Landkarten hat einen Maßstab, Topografie wird nur vage erkennbar.

Jedes Kapitel zeigt dabei denselben Kartenausschnitt mit derselben Route, nur die aktuell behandelte Etappe erscheint anders (schlechter erkennbar). Jede dieser Karten zeigt überflüssig das gesamte östlichste Afrika mit Sansibar und Daressalam – statt den Schauplatz der meisten Kapitel, die nördlichen Seen, herauszuvergrößern. Flüsse, die Ondaatje im Lauftext nennt, erscheinen so nicht auf der Karte, weil sie im Maßstab untergehen.

Einige wenige Landkarten erscheinen ganzseitig – aber es sind generell historische Landkarten voller Fehler und Lücken, zum Beispiel Afrika Stand 1820. Dringend benötigt, aber nicht geliefert wird eine aktuelle ganzseitige Landkarte, die Afrika mindestens von Sansibar bis zur Nilmündung zeigt – doch alle aktuellen Landkarten im Buch liefern immer nur Ausschnitte; dazu braucht das Buch eine ganzseitige Karte der nördlichen zentralafrikanischen Seenplatte. Ein Verzeichnis der Landkarten fehlt.

Die Kritiker:

Ondaatjes Nil-Buch verkaufte sich mindestens 70.000 mal (laut The Telegraph). Während sein Band über Hemingway in Afrika einige Rezensionen auslöste, finden sich online kaum ernstzunehmende Kritiken über das Nil-Entdecker-Buch, nur seltsame Lobreden. Ich gebe eine Kritik wieder:

Paul Williams Roberts, The Globe and Mail:

I found the prose of the Sindh book overly effusive yet also somewhat characterless… one of the delights of the current work is its spare, urgent, ad hoc style.

Richard Francis Burton: Links, Bücher und DVDs

3 neuere Burton-Biografien im Vergleich:

Fawn Brodie Edward Rice Mary S. Lovell
The Devil Drives Sir Captain Richard Francis Burton A Rage to Live
1967 1990 1998
Seitenzahl Haupttext* 322 enge 620 804
Bildseiten** 16 16 16
SW-Landkarten 1 Seite, 1 Karte nur für Zentralafrika 2 Seiten, 2 Karten für Sindh, Zentralafrika; nicht Arabien 2 Seite, 2 Karten a) für alle Regionen einschl. Tansania, Arabien, Indien, b) Zentralafrika & 1 Handskizze Burtons
bei HansBlog.de  6 Sterne, klick 7 Sterne, klick  7 Sterne, klick
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Urteil bei sirrichard-francis-burton.org the first to use the controversial technique of “psychobiography” on Burton, with results that are still debated today considered flawed because of the great amount of supposition and questionable “fill-in” material because she struggles to take a balanced viewpoint and had access to several large collections of material overlooked by prior biographers, this stands as the best working biography yet
Urteil bei burtonia.org Psychobiography, based on extensive research combined with speculation. Very well written. See important corrections in Lovell, 1998. Highly imaginative but dubious.  Sold well, but seems to have used an interpolation technique to deduce 'facts' The best archival biography.  Considerable fresh material.  An attempt to rehabilitate Isabel (this part fails to convince)
Erzählstil erzählt teils mit grobem Strich, mitunter nicht chronologisch, analysiert dann; gut lesbar erzählt Fakten der Reihe nach detailliert; angenehm lesbar  ordentlich lesbar, aber weniger ansprechend als Brodie, Rice; teils wertende Adjektive und Angriffe auf frühere Biografen; verteidigt beide Burtons teils eifernd gegen Kritiker; bietet mitunter Spekulationen an
Schwerpunkte
  • ausführlicher über ernste Liebesbeziehungen, Persönlichkeit, deutet Homosexualität und Impotenz an
  • Lovell weist ihr Fehldeutungen nach
  • weniger Interesse an Geografie, Kolonialpolitik, Ethnologie, Reiselogistik, heißen Ländern
  • Krimkrieg detailliert
  • Mormonen in Salt Lake City detailliert, restliches Nord- und Südamerika dieser Reise minimal
  • zitiert ausführlich aus Büchern, Gedichten, Korrespondenz, Rezensionen
  • sehr genaue Quellenhinweise
  • ausführlicher über Leben in Indien, indische Kolonialpolitik
  • ausführlicher allg. über Reisedetails und -strapazen (evtl. erfunden, s.o.)
  • zeigt Burton als unternehmungslustigen Liebhaber der Frauen
  • ausführlicher über kurze Affären, Drogenerfahrungen
  • ausführlicher über Nord- und Südamerikareise
  • zitiert knapp, gibt keine Rezensionen der Burton-Bücher wieder, nur seine eigene Meinung
  • flüchtige Quellenhinweise
  • betont Burtons Religiosität stärker, v.a. Hinduismus
  • sieht L. Oliphant als Motivator hinter Spekes Absetzen von Burton
  • nur hier Zeittafel (3 Seiten)
  • teils ausführlich auch über Nebenfiguren und Isabel Burton
  • sichtete viele neue Quellen
  • die meisten Episoden detaillierter als andere Biografen, z.B. Korrespondenzen insgesamt, Annäherung Burton-Isabel vor Zentralafrika-Expedition, Überfall in Berbera, Zentralafrika-Expedition
  • erwähnt Burtons Bücher sehr knapp, ohne zeitgen. Rezensionen
  • weniger detailliert über Mekka-Reise einschl. Alexandria, Kairo, Medina
  • sieht L. Oliphant nicht als treibende Kraft hinter Spekes Absetzen von Burton
*ohne Anhänge, Fußnoten, Bibliografie, Fotos, **nur Lovell mit gestrichenem Papier

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