Rezension Text-Bild-Band: Sindh Revisited – A Journey in the Footsteps of Captain Sir Richard Francis Burton, von Christopher Ondaatje (1996) – 5 Sterne

Fotograf und Autor Christopher Ondaatje (Bruder von Michael Ondaatje) folgt in Indien und Pakistan den Spuren des viktorianischen Entdeckers Richard Francis Burton (1821 – 1890) – so in Mumbai, in Baroda und Surat in Gujarat, in Karachi, in Goa und Ooty. Mit Ondaatje reist Haroon Siddiqui, kanadischer Redakteur, der südasiatische Sprachen und Religionen besser kennt als Ondaatje.

Ondaatje erzählt sehr schlichte Reiseerlebnisse – immer wieder mit Ausrufezeichnen -, die kaum bis gar nicht interessieren. In Pakistan reist Ondaatje meist unter Militärschutz. Er trifft zahlreiche örtliche Autoren, Professoren, Nachfahren alter Herrscher und Sex-Berater. Hier gibt es interessante Begegnungen, aus denen der Autor aber nicht immer viel herausholt, und zum Teil bildet er seine Gesprächspartner nicht ab.

Rabiater Fotograf:

Einfache Leute spricht Ondaatje kaum, abgesehen von Rotlichtfiguren und Transvestiten in Städten (weil das Burtons Milieu gewesen sei). Zwar redet Ondaatje kaum mit Menschen auf der Straße (nicht mal Taxifahrer), aber er zeigt sie auf teils attraktiven, ganzseitigen Bildern, einschließlich der Rotlichttänzerinnen.

Die Fotos entstanden auf mitunter rabiate Art (S. 230):

Though i was somewhat embarrassed at our audacity, I nevertheless continued to take photographs. Seeing our armed guards and only too aware of their own lowly station in life, the people said nothing. The imbalance of class was right out of another century.

Zu den großformatigen Aufnahmen liefert Ondaatje mitunter keine üblichen Bildtexte, vielmehr garniert er einige Bilder nur mit Zitaten der Entdecker (wie auch in seinem Afrika-Entdecker-Buch, Journey to the Source of the Nile); so bleiben Fragen offen und manchmal entsteht der Eindruck, seit 130 Jahren habe sich nichts geändert. Einige Text-Doppelseiten erhalten ein einziges sehr kleinformatiges Bild, was merkwürdig aussieht.

Burtons Sindh-Vermächtnis:

Ondaatje berichtet, dass Burtons erstes Sindh-Buch erst neulich nach Sindhi übersetzt wurde (vermutlich in arabischer Schrift, die einst auf Burtons Anregung eingeführt wurde). Das Buch ist im Sindh heute auch Schullekktüre, wie Ondaatje ermittelte. Ondaatje stolz: “It is a new point that none of Burton’s biographers seem to have written about” (S. 149; später zitiert Mary S. Lovell Ondaatje mit dieser Entdeckung in ihrer 1998er-Burton-Biografie).

Allerdings: Ondaatje hört von dem Buch von einem Professor in Karachi und gibt dessen Aussage wieder. Er sucht das Burton-Buch nicht in einem echten pakistanischen Klassenzimmer oder Studiensaal, und er fotografiert es nicht – das wäre echter Reportage-Geist gewesen. Stattdessen fahndet Ondaatje nach besonderen Messern für seine Sammlung und berichtet uns beglückt, wenn er wieder ein feines Stück auftut. Die Skizze eines Messers dient sogar als grafisches Element auf vielen Buchseiten.

Ondaatje meint, dass Burtons spätere afrikanische Reisen “mostly a physical journey” waren; mehr Prägung habe Burton in jungen Jahren in Südasien erfahren (Seite 19 in meiner HarperCollins-Hardcover-Ausgabe). Tatsächlich ist Ondaatjes Burton-in-Indien-Buch interessanter zu lesen und anzusehen als sein sehr ähnlich konzipiertes, aber deutlich schwächeres Burton-und-andere-in-Afrika-Buch von 1998.

Ich habe nur eine unabhängige Kritik gefunden:

Quill & Quire:

Ondaatje does have one thing in common with his hero – while Burton had an astonishing array of talents and interests, he wasn’t a particularly polished writer. The stories Ondaatje finds, however, are interesting enough to make struggling through rewarding, and much of the photography is compelling. If one treats the book simply as a pilgrimage in the footsteps of a personal hero, it does its job.

Über Richard Francis Burton:

Richard Francis Burton ist besonders bekannt für die ostafrikanische Suche nach den Nilquellen, für seine Mekka-Reise und für seine Übersetzungen von Kama Sutra, 1001 Nacht und anderen östlichen Erotika. Burton lohnt die Lektüre aber nicht nur als Entdecker und Literat, sondern weit darüber hinaus - er ist kein ruhm- und geltungssüchtig übertreibender Scoopjäger (wie Henry Morton Stanley) und kein verbissener Missionar (wie David Livingstone), kein Kolonialist und kein Entdecker aus Langeweile und zumindest weit amüsanter als Samuel Baker. Burton war so vielseitig und offen, dass ihm wohl mehr Biografien als T.E. Lawrence von Arabien gewidmet wurden (Übersichten und Links unten). Burtons Besonderheiten:
  • hochintelligent, ohne je Elfenbeinturm-Allüren zu zeigen, beherrschte Burton Dutzende Sprachen einschließlich Persisch, Hindi, Arabisch, Deutsch, Swahili, Italienisch, Griechisch, Latein, Punjabi, Telugu, Marathi und Gujarati
  • schlief laut Biograf Rice mit Hunderten oder Tausenden Frauen, während es ihm zehn Jahre lang nicht gelang, die angebetete Isabel zu heiraten (Biografin Brodie sieht Burton weniger viril)
  • redete nüchtern, sehr ehrlich und oft fortschrittlich, aber gut und oft unterhaltsam sarkastisch formulierend, immer an beschreibender Wahrheit interessiert, auch über Politik, Kolonialismus, Gesellschaft und Sex
  • beobachtete und beschrieb unentwegt Land und Leute um ihn herum
  • Burton war erst hochgelehrter geweihter Hindu und dann hochgelehrter geweihter Moslem
  • produzierte über 40 Bücher und hunderte Artikel in teils packendem Englisch und
  • hatte - je nach Biograf - Momente von Rassismus und Antisemitismus

Richard Francis Burton: Links, Bücher und DVDs

3 neuere Burton-Biografien im Vergleich:

Fawn Brodie Edward Rice Mary S. Lovell
The Devil Drives Sir Captain Richard Francis Burton A Rage to Live
1967 1990 1998
Seitenzahl Haupttext* 322 enge 620 804
Bildseiten** 16 16 16
SW-Landkarten 1 Seite, 1 Karte nur für Zentralafrika 2 Seiten, 2 Karten für Sindh, Zentralafrika; nicht Arabien 2 Seite, 2 Karten a) für alle Regionen einschl. Tansania, Arabien, Indien, b) Zentralafrika & 1 Handskizze Burtons
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Urteil bei sirrichard-francis-burton.org the first to use the controversial technique of “psychobiography” on Burton, with results that are still debated today considered flawed because of the great amount of supposition and questionable “fill-in” material because she struggles to take a balanced viewpoint and had access to several large collections of material overlooked by prior biographers, this stands as the best working biography yet
Urteil bei burtonia.org Psychobiography, based on extensive research combined with speculation. Very well written. See important corrections in Lovell, 1998. Highly imaginative but dubious.  Sold well, but seems to have used an interpolation technique to deduce 'facts' The best archival biography.  Considerable fresh material.  An attempt to rehabilitate Isabel (this part fails to convince)
Erzählstil erzählt teils mit grobem Strich, mitunter nicht chronologisch, analysiert dann; gut lesbar erzählt Fakten der Reihe nach detailliert; angenehm lesbar  ordentlich lesbar, aber weniger ansprechend als Brodie, Rice; teils wertende Adjektive und Angriffe auf frühere Biografen; verteidigt beide Burtons teils eifernd gegen Kritiker; bietet mitunter Spekulationen an
Schwerpunkte
  • ausführlicher über ernste Liebesbeziehungen, Persönlichkeit, deutet Homosexualität und Impotenz an
  • Lovell weist ihr Fehldeutungen nach
  • weniger Interesse an Geografie, Kolonialpolitik, Ethnologie, Reiselogistik, heißen Ländern
  • Krimkrieg detailliert
  • Mormonen in Salt Lake City detailliert, restliches Nord- und Südamerika dieser Reise minimal
  • zitiert ausführlich aus Büchern, Gedichten, Korrespondenz, Rezensionen
  • sehr genaue Quellenhinweise
  • ausführlicher über Leben in Indien, indische Kolonialpolitik
  • ausführlicher allg. über Reisedetails und -strapazen (evtl. erfunden, s.o.)
  • zeigt Burton als unternehmungslustigen Liebhaber der Frauen
  • ausführlicher über kurze Affären, Drogenerfahrungen
  • ausführlicher über Nord- und Südamerikareise
  • zitiert knapp, gibt keine Rezensionen der Burton-Bücher wieder, nur seine eigene Meinung
  • flüchtige Quellenhinweise
  • betont Burtons Religiosität stärker, v.a. Hinduismus
  • sieht L. Oliphant als Motivator hinter Spekes Absetzen von Burton
  • nur hier Zeittafel (3 Seiten)
  • teils ausführlich auch über Nebenfiguren und Isabel Burton
  • sichtete viele neue Quellen
  • die meisten Episoden detaillierter als andere Biografen, z.B. Korrespondenzen insgesamt, Annäherung Burton-Isabel vor Zentralafrika-Expedition, Überfall in Berbera, Zentralafrika-Expedition
  • erwähnt Burtons Bücher sehr knapp, ohne zeitgen. Rezensionen
  • weniger detailliert über Mekka-Reise einschl. Alexandria, Kairo, Medina
  • sieht L. Oliphant nicht als treibende Kraft hinter Spekes Absetzen von Burton
*ohne Anhänge, Fußnoten, Bibliografie, Fotos, **nur Lovell mit gestrichenem Papier

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