Deutschland

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Roman

    Romankritik: Café der Unsichtbaren, von Judith Kuckart (2022) – 6/10 Sterne

    Judith Kuckart erzählt zunächst nicht uninteressant von der Telefonseelsorge in Berlin – von Seelsorgern und Anrufern. Der Roman beginnt annehmbar und baut dann stark ab: Schwächen: Kuckart schildert einzelne Episödchen und Anrufe. Von einer Romanhandlung kann keine Rede sein – ein paar Plot-Spurenelemente begegnen zu Beginn, und dann wartet man lange vergeblich auf Fortsetzung. Kuckart verteilt ihre Aufmerksamkeit auf sieben ehrenamtliche und einen hauptamtlichen Seelsorger sowie auf allerlei Anrufer. Das wirkt unübersichtlich und unfokussiert. Kuckart wechselt zwischen allwissender und Ich-Erzählerin, der Perspektivwechsel erfordert wiederholtes störendes Umschalten beim Leser. Dabei erscheint Ich-Erzählerin Frau von Schrey so selten, dass sie sich mitunter mitten im Buch erst wieder einführen muss. Das Zitat spricht…

  • Bayern,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Historisches Buch,  Roman

    Kritik Kurzroman: Der harte Handel, von Oskar Maria Graf (1832) – 7/10 Sterne

    Oskar Maria Graf erzählt spannend und unidyllisch vom Leben auf dem Dorf mit Versicherungsbetrug, Ausbeutung, Hinterfotzigkeit und kalkuliertem Sex unter Unsympathen. Der Titel „Der harte Handel“ passt perfekt zu Atmosphäre, Intrigen und Geschacher im Roman. Die Figuren werden äußerst lebendig, aber nicht liebenswert. Das Herz erwärmt nichts, zumal die Geschichte gutteils im Winter spielt. Nebenbei lernen wir einiges über Landwirtschaft, Gesetzgebung und Justizvollzug; Graf nahm die Handlung offenbar aus der Zeitung. Amazon-Werbelinks: Bayern-Bücher | Gerhard Polt | Oskar Maria Graf | Ludwig Thoma | Lena Christ Adjektivselig: Ironisch kredenzt Oskar Maria Graf (1894 – 1967) derbes Bairisch – schon in der Erzählstimme, und erst recht in der wörtlichen Rede. Graf…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Roman

    Romankritik: Daheim, von Judith Hermann (2021) – 7 Sterne

    Judith Hermann schreibt betont achtsam, zart, feminin, spröd, mild wunderlich. Teils pseudo-literarisch-lyrisch wie Seit fast einem Jahr lebe ich auf dem Land, an der östlichen Küste ((…)) an dieser Küste Warum schreibt sie nicht „Ostsee“? Warum nicht einen Ortsnamen? Oder heißt die Gegend Daheim? Für echten, kernigen Dialog ist Judith Hermann zu deutsch, aber ganz verzichten mag sie auch nicht, also kreiert sie einen manirierten Zwitter aus direkter und indirekter Rede, und die Fragen stets fragezeichenfrei (sic): Ich sagte, wie soll ich mich fühlen. ((…)) Wieso fragen Sie mich das. ((…)) Sie würde sagen, und. Wie gefällt dir das. Amazon-Werbelinks: Judith Hermann | Dörte Hansen | Daniela Krien Otis, Mimi,…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Roman

    Romankritik: Mittagsstunde, von Dörte Hansen (2018) – 7 Sterne – mit Video

    Dörte Hansen hat tolles Material an der Hand: Echte Dörfler vom   Alten   platten Land, die prächtig Dialekt reden; interessante Details aus Landwirtschaft und Land-Wirtschaft; drei Generationen. Terroir ohne Ende. Sie verwebt ihre Motive vielfach, alles hängt mit allem zusammen. Was die Autorin nicht hat: Eine knackige Handlung. Und vorhandene Plotspuren versteckt Dörte Hansen noch aufwändig. Da entsteht (auf gut Deutsch) kein Flow, kein Narrativ, kein Storytelling, kein Suspense: Dörte Hansen zerhackt die Geschichte in mindestens zwei häufig wechselnde Zeitebenen (ca. 1960er, ca. 2010er Jahre) und viele Einschübe und Verallgemeinerungen. Jeder Bäcker oder Briefträger bekommt ein Kurzdossier, unentwegt pfeift der Wind, pladdert der Regen, wabert der Nebel, zetern die Krähen. Die…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Roman

    Lese-Eindruck: Die Titanic und Herr Berg, von Kirsten Fuchs (2005)

    Kirsten Fuchs auf Amazon (Werbe-Link) Kirsten Fuchs textet aufdringlich prollig und wortgewaltig: Ich schreibe „Die Welt ist scheiße und kacke“ auf Rosenblätter. Sags durch die Blume. Kirsten Fuchs ist so verliebt in ihre Sprachkreationen und kalkulierten Tabubrüche (Selbstbefriedigung mit brennender Kerze, Selbstbefriedigung mit Tempotuch), dass ihre zwei Ich-Erzähler von Hölzchen auf Stöckchen kommen, die Handlung aus dem Blick verlieren, Hauptsache es klingt cool und anstößig. Sowas preist dann ausgerechnet die FAZ. Und beide Ich-Erzähler klingen weitgehend gleich (prollig wortverliebt), jonglieren sogar mit stets ähnlichen, verkrampften Sprachspielchen wie: Respekt für Eure Spitzfindigkeit. Ihr seid spitz und findet jemand… Da stehta, der Peta! Das klingt eventuell zehn Minuten lang originell auf einer…

  • Afrika,  Bayern,  Belletristik,  Buch,  Gut,  Hot Country Entertainment,  Interkulturell,  Reise,  Roman

    Romankritik. Das kann uns keiner nehmen, von Matthias Politycki (2020) – 7 Sterne

    Zwei Männer-Männer stiefeln angeschlagen, doch breitbeinig durch Ostafrika und diesen Roman. Die Eier schleifen übern Boden, die Verdauung ruckelt. Herb müffelndes Mansplaining. Der Ich-Erzähler deutet früh allerlei Tragödien an, deren Enthüllung der brave Leser gewiss zum Roman-Ende erwarten darf. Schon der Klappentext raunt schwülstig*: Doch der Tod fährt in Afrika immer mit, und nur einer der beiden wird die Heimreise antreten. Weitere Andeutungen folgen (S. 140): „Er hatte nur noch einen ((Tag)). Doch das wußte er natürlich nicht“ nebst enigmatischen Verweisen auf Verflossene. Das ist ein verschwitztes Buddy-Movie. Frauen gibt’s in diesem Buch nur als himmlische Ex oder Haptik-affine Kellnerin. Matthias Politycki bei Amazon (Werbe-Link) Schwer erträglich ist das, und…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Roman

    Buchkritik: Ein Mann der Kunst, von Kristof Magnusson (2020) – 4 Sterne

    Kristof Magnusson liefert hier wieder reizvolle Einblicke in selten literarisierte Bereiche – nicht nur in den Kunstbetrieb, sondern auch in öffentliche Gremien und in Baustellen aus Architektensicht. Der Autor spießt deutsche Sprachmoden hübsch auf: ein E-Zigaretten-Start-up heißt Dampferando, ein Kunstmagazin Visualitäten, die Jungwinzer sind die Weinpiraten. Kristof Magnusson bei Amazon (Werbe-Link) Magnusson liest sich federleicht, doch dabei ist die Sprache so fad wie in der Lokalzeitung, samt Ausdrücken wie „Kunst machen“,  „ein leicht durchgeknatterter Forscher“, „durchgeknatterte Collagen“, „eine Cognacflasche, die von der Form her an ein Dreieck erinnerte“, „Werke im Wert von weit von vielen Millionen Euro“ (sic, S. 218 Hardcover). Die Figuren unterscheiden sich sprachlich nicht, selbst wenn der…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Roman

    Kritik Roman. Daniela Krien: Irgendwann werden wir uns alles erzählen (2011) – 7 Sterne

    Daniela Krien erzählt eine runde, klare Geschichte – Ort, Zeit und (ab dem dritten Kapitel) das Personal sind in sich geschlossen überschaubar. Das Buch endet, wiederum stimmig, mit einer abrundenden Vollbremsung. \᛫/\o/ Auf diesem Bauernhof in der thüringischen Provinz leben drei Generationen unter einem Dach, leicht gepatchworkt. Die Atmosphäre mit harter körperlicher Arbeit, großen Tischrunden und kurzen, intensiv genossenen Freiheiten schildert Daniela Krien knapp, aber eindrücklich. Interessant auch die Ossiperspektive im Wendejahr 1990, samt neuen Gerichten, neuen Berufen, Wessibesuch. Amazon-Werbelinks: Die Liebe im Ernstfall | Irgendwann werden wir uns alles erzählen | Der Brand \᛫/\o/ Die zu Beginn 16jährige Ich-Erzählerin gibt sich gern starken Männern hin, sie folgt ihnen „widerspruchslos“…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Roman

    Kritik Roman. Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall (2019) – 7 Sterne

      Daniela Krien schreibt flüssig in betont einfachem, klarem Deutsch, das nie schwach klingt – stark. Sie verbindet die Leben und Buchabschnitte der fünf Protagonistinnen geschickt und reizvoll. Allerdings kommt die erste Protagonistin, Paula, gegen Ende abhanden, ein Mangel. Die Autorin liefert kaum Verallgemeinerungen, Reminiszenzen und Blabla, sondern jederzeit konkrete Handlung und Dialog. Dabei nicht nur Selbstmitleid in Prenzlberg, sondern detailreiche Einblicke in weniger Roman-übliche Gefilde wie Arztpraxis, Pferdehaltung, Möbelrestauration, Onlinedating, Schwesternbeziehungen, klassische Musik. Schwerpunkte sind freilich serielle Monogamie, serielles Beziehungsunglück, serielle Untreue, Kinderbetreuung und weibliche Psychosomatik = wenn Frauen zu sehr lieben. Ihr Ost-West-Wende-Thema aus früheren Büchern hält Krien im Zaum. Das leichte chronologische Zickzack produziert hier keine Cliffhanger,…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Roman

    Romankritik: Heinrich Grewents Arbeit und Liebe, von Christoph Peters (1996/2007) – 3 Sterne

    Der Leser verbringt den Roman im Kopf des verkniffenen, unsympathischen Angestellten Heinrich Grewent. Der grämt sich über seine untergeordnete Position in der Firma und bei der Ehefrau. Grewent muss plötzlich geschäftlich auf Bahnreise, ohne die Gemahlin selbst benachrichtigen zu können. Hier übermannen ihn seine Dämonen. Schwaden von Geselchtem: Alles ist sehr aufdringlich und müffig: Die spröde Gemahlin ist natürlich erfolgreiche Kakteenzüchterin (S. 22, sehr symbolisch). Protagonist Grewent arbeitet bei einer Klopapierfirma und entwirft Klopapierhalter (sehr anzüglich). Am Bahnhof erschnuppert Grewent Urinpfützen und Essensabfälle. Er riecht unterwegs (S. 57) Schwaden von Geselchtem und Hausmacherwürsten, deren Fett in der menschenwarmen Luft schmolz. Schwere Scheiben Leberwurst lagen grau neben mit glasigem Speck durchzogener…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Roman

    Buchkritik: Arztroman, von Kristof Magnusson (2014) – 7 Sterne – mit Video

    Auweia, vorher nicht gewusst: Der Roman stammt von einem Leipzigabsolventen, er zeigt also volle Leipzigsymptomatik: Schauplatz Berlin; hippes oder semihippes Berlinpersonal; wenig oder blasse Dialoge funkenfrei; blasses Personal und blasses Deutsch, in dem die Erzählstimme Sprödheiten sekretiert wie „Einrichtungsgegenstände“, „Kaffeevollautomat“, „nicht unnormale“, „High-End-Nippes“, „geradezu durchgeknallt beliebt“ oder „die ins Umland fahrenden Regionalexpresse“; unschöne Hilfsverb-Cluster (allein auf S. 63 oben 3x „war“ in drei aufeinanderfolgenden Zeilen, 2x „hatte“ in zwei aufeinanderfolgenden Zeilen; auf S. 208 2x „weil“ in einem 36-Wörter-Satz). (Dass nichtleipzigtrainierte Deutsche kraftvoller schreiben und erfinden, beweisen u.a. Dörte Hansen und Wolfgang Herrndorf.) Die blasse Sprache gleicht Magnusson gelegentlich durch flotte Ironie und viele schöne Details aus. Magnusson schreibt zwar…

  • Bayern,  Belletristik,  Buch,  Gut,  Historisches Buch,  Lustig,  Roman

    Romankritik: Rumplhanni, von Lena Christ (1916) – 8 Sterne – mit Video

    Fazit: Die ersten drei Viertel spielen auf dem Dorf und bereiten Freude: Deftiges Bairisch, scharfzüngige Dialoge und schöne Beobachtungen, wenn „die Bauern ((…)), die Jungen und die Dienstigen“ interagieren, ganz zu schweigen von den Männern und den Frauen. Ich habe oft laut gelacht, wann gibt’s das schon. Das München-Viertel am Ende klingt ganz anders: Die Autorin beklagt wehleidig soziale Kluft und kalte Staatsmacht. Dieses Viertel wirkt angeklebt. Amazon-Werbelinks: Bayern-Bücher | Gerhard Polt | Oskar Maria Graf | Ludwig Thoma | Lena Christ Erzählstimme: Etwas wunderte mich die Erzählperspektive: Als allwissende Erzählerin blickt Autorin Lena Christ mal in diesen, mal in jenen Kopf – nicht nur Hanni begleitet sie, Lena Christ…

  • Bayern,  Belletristik,  Buch,  Gut,  Lustig,  Roman

    Buchkritik: Madam Bäuerin, von Lena Christ (1919) – 7 Sterne – mit Video

    Fazit: Jungbauer Franz und „Stadtmamsell“ Rosalie wollen heiraten. Doch beide Mütter protestieren gegen eine Stadt-Land-Ehe; zudem ist Rosalie einem spröden Assessor versprochen. Aus diesem schlichten Konflikt zimmert Lena Christ (1881 – 1920) eine alpenländische Romkom, einen heiteren Intrigantenstadl mit vielen vergnüglichen Sprüchen in derbem Bairisch. Die Autorin trägt den Humor etwas breit und schenkelklopfend auf – nie peinlich, aber auch nicht so pointiert und sozial aufschlussreich wie in ihrer Rumplhanni. Gelacht habe ich allemal öfter, und das passiert nicht bei allen „lustig“ gemeinten Texten. Amazon-Werbelinks: Bayern-Bücher | Gerhard Polt | Oskar Maria Graf | Ludwig Thoma | Lena Christ Schachern und Pokern um geldige Hochzeiter: Andere Qualitäten wahrt Lena Christ…

  • Bayern,  Belletristik,  Buch,  Gut,  Historisches Buch,  Roman

    Buchkritik: Mathias Bichler, von Lena Christ (1914) – 5 Sterne

    Zwar ist man hier in vertrautem Lena-Christ-Land: auf dem oberbayerischen Dorf, mit all seinen Käuzen; und – bei Lena Christ – natürlich mit unehelichen und Pflegekindern. Doch die Geschichte spielt großteils schon um 1800, rund 100 Jahre früher als andere Christ-Bücher. Amazon-Werbelinks: Bayern-Bücher | Gerhard Polt | Oskar Maria Graf | Ludwig Thoma | Lena Christ Die Irschnermutter: Und auch sonst tönt das Bichlerbuch anders als die andern: Nicht frech und flott, sondern mild märchenhaft und religiös – in den ersten Kapiteln wie ein Kinderbuch für Abergläubische. Da ertränkt die Irschnermutter drei Fledermäuse in Milch und lässt sich dann vom Blitz erschlagen. Seltsame Dinge passieren auch bei der Wallfahrt. Ein…

  • Bayern,  Belletristik,  Buch,  Gut,  Historisches Buch,  Roman

    Buchkritik: Altaich, von Ludwig Thoma (1918) – 7 Sterne

    Die Geschichte kommt langsam in Fahrt, die Dörfler unter sich praktizieren zu viel (so Thoma) „ländliche Wohlhäbigkeit“. Doch sobald die ersten auswärtigen Sommerfrischler im hinterwäldlerischen Altaich aufschlagen, beginnt der interkulturelle Spaß. Da treffen großspurige Kleinbürger und ölige Galane auf verschnarchte Postwirte und gschaftlhuberige Dorfkrämer. Boy meets girl. Die Bayern werden wegen ihres Akzents nicht verstanden, die Berliner wegen ihres Sprechtempos. Thoma schildert das mit süffiger Ironie. Amazon-Werbelinks: Bayern-Bücher | Gerhard Polt | Oskar Maria Graf | Ludwig Thoma | Lena Christ Figuren: Gelegentlich schweift Ludwig Thoma zu weit aus, flicht andere Geschichten in die Haupthandlung. So etwa zu Beginn der Stammbaum der Müllerfamilie des Martin Oßwald – bloß weil Sohn…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Roman

    Romankritik: Schäfchen im Trockenen, von Anke Stelling (2018) – 4 Sterne

    Fazit: Ich-Erzählerin Resi, um 40, lebt mit Mann und vier Kindern in einer zentralen Berliner Mietwohnung, die sie von langjährigen Freunden mieten. Diese Freunde ziehen in einem selbst finanzierten Bauprojekt zusammen. Resis Familie kann und will hier finanziell nicht mithalten. Die Freunde kündigen ihr zudem ihre derzeitige Mietwohnung – und das auf schwierigem Wohnungsmarkt. Zugleich verstimmt Resi ihre Freunde, weil sie öffentlich über die Miet- und Bau-Erfahrungen schreibt. Prenzlberg-Anrainerin Anke Stelling präsentiert die Suada einer selbstmitleidigen Ich-Erzählerin voller Neid, Vulgärem, und sie zerhackt ihre Geschichte mit vielen Zeitsprüngen, so dass Zusammenhänge und Hintergründe erst allmählich aufscheinen. Die mehr oder weniger arrivierte Clique der Berliner Baugruppe und ihre Konflikte sind fein…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Historisches Buch,  Lustig,  Roman

    Romankritik: Emil und die drei Zwillinge, von Erich Kästner (1935) – 5 Sterne

    Friede, Freude & auch Eierkuchen herrschen in Neustadt, Berlin & auch in Korlsbüttel: Penetrant harmonisch geht’s zu zwischen Jung und Alt, zwischen Arm und Reich in diesem Sequel zu „Emil und die Detektive“. Zwei Jahre danach: Die Geschichte spielt zwei Jahre nach „Emil und die Detektive“, versammelt alle Hauptakteure dieses Romans, zeigt aber eine neue Handlung an der Ostsee. Pfiffig startet Autor Emil Erich Kästner (dies der volle Name, 1899 – 1974) die „Zwillinge“ gleich mit zwei pfiffigen Vorworten: Ein Vorwort für Leser, die den „Detektive“-Roman schon lasen und ein zweites für alle, die den „Detektive“-Roman nicht hatten. Laut Kästner in einem der Vorworte kann man die „Zwillinge“ unabhängig von…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Historisches Buch,  Lustig,  Roman

    Romankritik: Emil und die Detektive, von Erich Kästner (1929) – 7 Sterne – mit Video

    Erich Kästner (1899 – 1974) zeigt den betont gutherzigen – heute sagt man: achtsamen –, aber auch pfiffig-ironischen Emil Tischbein und seine betont gutherzige, aber auch pfiffig-ironische Mutter. Immer wieder baut Kästner kleine, fast unauffällige Witze ein wie Die Mutter pfiff sich eins, vermutlich um ihre Sorgen zu ärgern… Die kleinen Cleverle-Einsprengsel unterhalten, kommen aber fast zu regelmäßig und zu penetrant geistreich. Immer wieder auch necken sich die Akteure mit mild frechen, liebgemeinten Rüffeln. Das formuliert Kästner teils zu deutlich aus, etwa hier: „Ihr verfluchten Kerle!“, knurrte der Wachtmeister. Doch das Knurren klang sehr gutmütig. Oder: Die Großmutter ((…)) gab ihm gleichzeitig einen Kuss auf die linke Backe und einen…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Roman

    Romankritik: Ein anständiger Mensch, von Jan Christophersen (2019) – 6 Sterne

    Jan Christophersen konstruiert in den ersten zwei Buchdritteln eine dramatische, intime, fesselnde Geschichte. Zwei intelligente Paare verbringen ein Wochenende in einem entlegenen Ferienhaus. Sofort gibt es ungute wie auch erotische Spannungen in alle Richtungen. Die wenigen Umgebungsdetails und Nebenfiguren fügen sich gut in die Handlung; nichts wirkt an den Haaren herbeigezogen, Dialoge und Figuren scheinen realistisch und geben Stoff zum Nachdenken. Zudem erzählt Jan Christophersen strikt chronologisch und mit eng beschränktem Personal. Das letzte Drittel hat ganz andere Konstellationen und Erzählweisen. Allerdings beginnt die Lektüre mit einem doppelten Schock: Schon im Klappentext des mare-Hardcovers, 2. Auflage, steht offen und ehrlich, der Autor studierte am „Literaturinstitut Leipzig“. Damit verbinde ich: Blutleere…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Roman

    Romankritik: Echo, von Jan Christophersen (2014) – 4 Sterne – mit Video

    Fazit: Aufbau und Figuren des kleinen Romänchens sind überkonstruiert und leblos. Dies ist keine Geschichte, sondern ein Schreibexperiment – gescheitert. Tom schwieg: Jan Christophersen schildert zunächst Gefühle und menschliche Entwicklungen recht genau – einerseits. Doch während die wichtige Nebenfigur Sascha deftig erscheint, bleiben die Protagonisten Tom, Aga und Gesa völlig diffus. Was passiert zwischen Tom und Aga, zwischen Tom und Gesa. Man weiß es nicht genau. Warum Gesa als etwa 17jährige den etwa 15jährigen Tom anziehend findet, weiß man auch nicht. Warum sie Tom nachhängt, sich aber später von Sascha heiraten lässt – keine Erklärung. Das ist alles so wolkig. Und die ganze Unklarheit betont Autor Jan Christophersen wieder und…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Lustig,  Roman

    Romankritik: Das Wetter vor 15 Jahren, von Wolf Haas (2006) – 8 Sterne

    Zwei Kulturmenschen, der österreichische Romanautor „Wolf Haas“ und die deutsche Kritikerin „Literaturbeilage“, unterhalten sich in diesem Dialogroman gewitzt, aber realistisch umgangssprachlich über den Roman des Autors. Sie diskutieren den Romaninhalt, platzieren zwischendurch aber auch ein paar Seitenhiebe auf Christoph Ransmayr, den Zauberberg oder dies: Der Teufel der Plötzlichkeit. Das klingt wie ein Titel von Peter Handke. Dabei lernen wir die Sprecher kennen und den im Meta-Roman diskutierten Roman. So, wie sie den Inhalt auseinanderklamüsern, steigt die Spannung fast ins Fiebrige: Wann enthüllen sie das Ende? Und knistert da was zwischen den Diskutanten? Zur Halbzeit des Romans ist die erste große Frage geklärt – und Wolf Haas baut sogleich eine neue…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Roman

    Romankritik: Altes Land, von Dörte Hansen (2015) – 7 Sterne

    Fazit: Der leicht lesbare Roman schnurrt zunächst gut dahin, bringt eigenwillige, aber nicht zu unrealistische Figuren, interessante Einblicke aus vielen Jahrzehnten sowie unterhaltsame Dialoge oder Einzeiler auf Plattdeutsch. Dörte Hansen wechselt jedoch regelmäßig zwischen zwei und mehr Zeitebenen, vor allem in den ersten zwei Buchfünfteln, so dass mir die Übersicht abhanden kam. Dörte Hansens Spott über Stadthipster und Landlust-Leser, die sich dem Salz der Erde anbiedern, klingt im Roman zu wohlfeil und zu ausführlich. Kapitel 14, Apfeldiplom, enthält gar auf zehn Seiten nur das Räsonnieren des Bauern Dirk zum Felde über die Zugereisten – ohne Handlungsfortschritt. Später kommt das Gegenkapitel mit viel Räsonnieren eines Zugereisten über die Ureinwohner. Der Gegensatz…

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    Romankritik: Heile Welt, von Walter Kempowski (1998) – 7 Sterne

    Walter Kempowski (1929 – 2007) liefert reizvolle, detailreiche Einblicke ins norddeutsche Dorfleben Anfang der 1960er Jahre – teils autobiografisch (auch wenn auf der Impressumseite „Alles frei erfunden!“ steht). Die Hauptfigur trifft als Junglehrer ein und lernt alle Bauern, ihre Beziehungen und Tics kennen, natürlich auch Bürgermeister, Krämer, Pfarrer und viele Kollegen und Oberlehrer. Schatten der Nazizeit reichen in die erzählte Jetztzeit. Amazon-Werbelinks: Dörte Hansen | Walter Kempowski | Ulrike Siegel Gemütliches Platt: Zwar schreibt Kempowski keine Dialoge, er liefert gleichwohl viel O-Ton in gemütlichem Plattdeutsch. Der Autor suhlt sich dabei in geäußerten Banalitäten und gut abgehangenen Sprüchen, die Behaglichkeit herstellen, wie „Das, was es an Ferien gibt, müßte die Schulzeit sein, da war man sich…

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    Romankritik: Uns geht’s ja noch gold, von Walter Kempowski (1972) – 7 Sterne

    Walter Kempowski (1929 – 2007) erzählt tagebuchartig von seiner Zeit als Jugendlicher ab Kriegsende 1945 in Rostock. Die Russen übernehmen die Stadt, Kempowski bekommt einen Job bei der Verwaltung, plündert und wird geplündert, muss sich mit russischen und US-Besatzern arrangieren, auf dem Schwarzmarkt jonglieren, übersteht eiskalte Winter ohne Heiz- oder Beißmaterial. Er haust mit Mutter und Großvater; Bruder und Vater sind zunächst unerreichbar irgendwo, die Schwester lebt mit ihrem dänischen Mann in Dänemark. Die Jahre 1938 bis 1945 hatte Kempowski bereits im Band Tadellöser & Wolff geschildert. Amazon-Werbelinks: Dörte Hansen | Walter Kempowski | Ulrike Siegel Kempowski schreibt seinen etablierten Montage-Collage-Mosaik-Stil voll zeittypischer Details und Ausdrücke, wenn auch deutlich weniger markant als im Vorherbuch Tadelloeser…

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    Romankritik: Tadellöser & Wolff, von Walter Kempowski (1971) – 8 Sterne – mit Video

    Walter Kempowski schreibt ein sehr sinnliches, eigenwilliges und altmodisches Deutsch, das jedoch stets kraftvoll und in der direkten Rede teils verspielt und/oder falsch tönt: „Entpörend… konfortabel… Immerhinque… vom Stamme Nimm… allerhandlei… Verstahne vous?… zu und zu schön“ Manche Sprüche erklingen wieder und wieder, wie altvertraute Möbelstücke. All die sprachliche Finesse bringt meine btb-Ausgabe 3. Auflage 1996 über lange Strecken ohne jeden Tippfehler, dann passiert’s aber doch: „mach Hause“ (sic) heißt’s auf S. 391, dort m.E. kein Sprachtic des Sprechers. Amazon-Werbelinks: Dörte Hansen | Walter Kempowski | Ulrike Siegel Walter Kempowski (1929 – 2007) archiviert neben sprachlichen Antiquitäten auch Sitten und Objekte der 1930er, 1940er Jahre, darunter Butterrosen, ans Jacket geklammerte Hüte und Lehrer mit Kasernenhofton.…

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    Romankritik: Katz und Maus, von Günter Grass (1961) – 7 Sterne – mit 1 Video

    Günter Grass schreibt teils enorm lange, unübersichtliche Sätze. Auf die Hauptfigur Mahlke bezieht er sich mal in der dritten, mal in der zweiten Person. Gelegentlich fand ich die Grammatik anfechtbar, auch einzelne Textstellen (so grübelt der Ich-Erzähler, ob Mahlke in der Oster- oder Westerzeile wohnte, doch der Ich-Erzähler wohnte selbst in der Westerzeile, besuchte das Mahlke-Haus in der Osterzeile, da müsste er die Lage kennen). Manchmal erzählt Grass die Hauptsache undeutlich, sie muss aus ihren Folgen oder Nebenaspekten erschlossen werden. Wegen dieses Springens zwischen „Du“ und „er“ und der unübersichtlichen Erzählweise dachte ich manchmal an verschachtelte kubistische Bilder. Wegen dieser Erzählweise konnte ich auch nicht allen Aspekten der Handlung folgen.…

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    Romankritik: Justizpalast, von Petra Morsbach (2017) – 7 Sterne

    Hauptfigur Thirza Zorniger arbeitet jahrzehntelang in der Münchener Justiz, überwiegend als Richterin. Aber Autorin Petra Morsbach (*1956) hospitierte in München und Münster, redete mit „etwa 50 Jurist*innen… aus fünf Bundesländern“ – und überfrachtet ihren Roman mit immer neuen Justizfällen. Die sind für sich interessant, erhellend und voll kniffliger Konflikte; in ihrer Massierung ermüden sie. Eine Anmoderation von Seite 124 der Penguin-TB-Ausgabe: Und weiterer richterlicher Alltag, Fälle über Fälle; drei Beispiele aus Hunderten. Oder Seite 200: Es folgten Beispiele auf Beispiele. Oder Seite 244: An diesem Vormittag waren drei Einzelrichterverhandlungen angesetzt, nachmittags eine Beweisaufnahme. Dem folgen dann jeweils mehrseitig die anmoderierten Fälle. Zeitweise schreibt Morsbach verbfrei wie oben im Telegrammstil, so…

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    Romankritik: Die Schule der Nackten, von Ernst Augustin (2003) – 4 Sterne

    Ein hochgebildeter Mann verbringt einen amüsanten Sommer in einem MünchnerMünchner FKK-Bad und verwertet das Gesehene literarisch. Als es Mitte September zu frisch wird, das gesammelte Material aber für einen Roman noch nicht reicht, besucht der Erzähler ergänzend ein esoterisches Nacktselbstfindungsseminar, das wie erwünscht weiteren kuriosen Stoff liefert. Am Ende folgt noch eine innenarchitektonisch völlig bizarre Mord-Liebes-Fantasie. Zudem streut der Erzähler ein paar indisch-mythische Seiten ein. So liest sich das Romänchen Die Schule der Nackten jedenfalls. Auf den ersten rund 100 von 255 luftig bedruckten Seiten plätschert die Geschichte nur so dahin, wortwörtlich, und sie spielt einzig im Münchner FKK-Bad. Der Ich-Erzähler ist amüsant, nicht sehr gschamig und erzählt mit viel…

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    Romankritik: Bilder deiner großen Liebe, von Wolfgang Herrndorf (2014) – 6 Sterne

    Ein halbwüchsiges Mädchen büchst aus der Anstalt aus, schlägt sich tage- und wochenlang durch die Büsche – das klingt wie, das ist wohl die Vorgeschichte zu Wolfgang Herrndorfs Erfolgsroman Tschick. Und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich: In Bilder deiner großen Liebe beweist Herrndorf (1965 – 2013) wieder seine markante, unaufdringliche und anziehende Erzählstimme mit ungewöhnlichen Einfällen. Doch ausgerechnet Deutschlands bester Dichter seiner Generation starb viel zu früh. Er konnte Bilder deiner großen Liebe nicht mehr fertig stellen. Das Romanende fehlt, es gibt Handlungslücken, Widersprüche und Stichwortsammlungen zwischendurch. Die Herausgeber Marcus Gärtner und Kathrin Passig haben laut Nachwort ein wenig redigiert, Überleitungen eingefügt und zwei Personen zu einer verschmolzen.…

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    Romankritik: So, und jetzt kommst Du, von Arno Frank (2017) – 7 Sterne

    Mehrfach habe ich laut gelacht, das passiert nicht oft, gefällt mir aber sehr. Weiterer Vorteil: Arno Frank garniert die angeblich „wahre Geschichte“ seiner Familie, die aber doch als Roman figuriert, mit vielen packenden Details – Süßigkeiten und Spielzeug der 1980er und 1990er Jahre, extralange Eisenoxid-Musikkassetten, zeitgenössische Fernsehsendungen und Sprüche, Ereignisse wie Space Shuttle und Tschernobyl (sogar die Bauhaus-Schrift für Buchtitel und Kapitelüberschriften erinnert an frühere Jahrzehnte und an circa CorelDraw 6). Zudem klingt die Story, die von Deutschland über Südfrankreich nach Portugal und zurück führt, einigermaßen spannend, selbst wenn die Hauptfiguren meist nur rumsitzen – in der Pfalz, in Golfe Juan, in Lissabon. Der Ich-Erzähler ist ein Teenager mit unschuldig…