Romankritik: Der Aufbruch des Erik Jansen, von Sylvie Schenk (2012) – 7/10

Fazit:

Sylvie Schenk, Männerversteherin! Sie schreibt einfühlsam über einen verschwurbelten Akademiker, der einer Versuchung nicht professionell widerstand. Die reizvollen Konflikte sind nachvollziehbar, wenn auch unfeministisch, und die Frauen im Leben der Hauptfigur Erik Jansen wirken unrealistisch. Trotzdem hat die Schülerin Johanna etwas Verführerisches.

Sylvie Schenk presst dabei zu viel Reisebericht, Kafka, Latein und klassische Geschichte in den kurzen Roman (wäre er sonst zu dünn geworden?). Im letzten Viertel liest sich das sehr spannend, weil mehrere Handlungsstränge aufgelöst werden und zusammenlaufen.

Handlung:

Ich-Erzähler Erik Jansen war Lehrer an einer Privatschule. Jansens Exfrau Viola lief zu seinem Kollegen Ingo über. Und da war was mit der Schülerin Johanna, deshalb gibt er den Job auf und bucht eine Gruppenreise nach Jordanien; die Reise ist die erzählte Jetzt-Zeit.

Schöner Plot? Die Autorin verquirlt ihn noch mit schwermütigen Grübeleien des Ich-Erzählers und packt viele Rückblenden oder Erinnerungen in das dünne Romänchen:

  • Schulalltag des Lehrers Erik Jansen
  • alltägliche Reisebeobachtungen aus Jordanien samt Belagerung durch Mit-Touristin Monique
  • des Ich-Erzählers Beziehung zur Schülerin Johanna
  • gut neun kursivierte Seiten Johannas Schulaufsätze
  • die Beziehung des Ich-Erzählers zur abtrünnigen Viola
  • antike Sagen und Geschichte von Herkules bis Byzanz
  • Kafkakunde
  • Redensarten der alten Lateiner

Diese Erzählstränge bleiben lange offen, erst im letzten Buchdrittel entsteht Dramatik, natürlich immer wieder cliffhangertechnisch unterbrochen durch Wechsel von Zeit und Ort, die dramatische Schülerin-Lehrer-Annäherung wechselt mit langweiligen Reiseberichten von antiken Stätten und der vordergründig banalen Monique.

Ein Mann von einer Frau:

Sylvie Schenk beschreibt die Annäherung zwischen Schülerin und Lehrer nachvollziehbar und intim ohne Sensationslust. Lehrer Erik Jansen ist zerrissen zwischen Vernunft und Begehren, quasi ein Opfer, die Schülerin wirkt etwas unrealistisch selbstbewusst und zugleich verführerisch. So etwas darf aber nur eine Frau schreiben, ein männlicher Autor würde im DLF gelyncht.

Sylvie Schenk schreibt gut aus Männersicht. (Schreiben Männer aus Frauensicht, ist es mir generell unangenehm; hier beim Buch einer Frau mit einem männlichen Ich-Erzähler habe ich kein Problem, eher scheinen mir Schülerin Johanna und Schwätzblase Monique unrealistisch. Zudem sind die Frauen im Buch allesamt noch unsympathischer und in der Mehrzahl verlogener sind als der vergrübelte Titelheld.)

Vakuum:

Ich-Erzähler Erik Jansen ödet dennoch mit seiner selbst beschworenen Ödnis an:

Meine Augen ruhten auf jedem Gesicht und trotz meines guten Willens sah ich nichts, eine Leere, die aus meinem eigenen Vakuum entstand… Felder mit hängen gebliebenen Plastiktüten. Und in mir hingen jede Menge Gefühlsfetzen… ich folgte phlegmatisch meinen Mitmenschen zur Toilette.

Das in der Leserbirne entstehende Vakuum schwillt schmerzhaft bei Sätzen, die mich überfordern:

Mein Leben wurde unabsichtlich von einer literarischen Miniatur radikal umgemünzt, oder vielmehr von deren Kommentatorin

Wunderlich:

Die schwatzhafte und betont ungebildete Monique wirkt unrealistisch, wie ein überkonstruierter Gegenpol zum belesenen, in sich gekehrten Erik Jansen. Sie muss sich alles und jedes erklären lassen, redet jedoch aus heiterem Himmel korrekt und originell von einer “Metapher” (S. 61).

Dass der Lehrer seine anziehende Schülerin Johanna per E-Mail zum Einzelgespräch bittet, wirkt sehr unrealistisch, mehr noch, weil er sonst E-Mails vermeidet. Ganz zu schweigen von seinen späteren Aktionen. Ebenso unrealistisch erscheinen die “Ermittlungen” des Direktors Wittkopf gegen Jansen. Johannas Kafka- Aufsätze – kursiviert zitiert über rund neun Seiten – klingen weder nach einer 17-jährigen noch nach einer Schul-Arbeit; aber sie klingen reizvoll und verführerisch.

Sprachlich:

… weil ich mir ((sic)) mit den digitalen Kommunikationsmitteln der Zeit schwer tat

Sylvie Schenk schreibt ellenlange Absätze, und das auf eher eng gesetzten Seiten. Z.B. gibt es auf den Doppelseite 82/83 und 120f keinen einzigen Absatz, viele weitere Doppelseiten zeigen nur einen Absatz, und das in einem eher eingesetzten Schriftbild. Dialoge gehen in dieser Bleiwüste unbemerkt  unter, denn in direkte Rede investiert die Autorin weder Zeilenschaltung noch Gänsefüße. Dabei sind die Wortwechsel teils nicht schlecht, mit Anspannung und Doppeldeutigkeit; sie werden durch die typografische Indifferenz verschenkt.

Bitte canceln:

Die Autorin textet offen und ohne Triggerwarnung völkerrechtswidrig antisemitisch:

Jede Untat Israels… weil die Israelis zu viel Wasser aus dem Jordan abzweigen

Der Roman endet scheinbar leicht unrund, quasi auf einer blue note. Dann folgt jedoch eine Seite “Epilog”, ein “Was aus ihnen wurde”. Ich hätte darauf verzichtet und den Roman in der halben Schwebe enden lassen.

Assoziation:

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