Kritik Roman: Nationaldenkmal, von Julia Deck – 3/10

Fazit:

Julia Deck zimmert eine sehr grobe, willkürliche Satire, jedoch nie lustig. Krasse Übertreibungen, wilde Schwenks in der Handlung nach Bedarf nehmen der Story jede Relevanz. Die Übersetzung unterwältigt. Das gesamte deutschsprachige Feuilleton applaudiert.

Modern und altmodisch:

Die Autorin springt in der ersten Buchhälfte alle paar Seiten zwischen völlig unterschiedlichen Milieus und Personen hin und her – einige Akteure leben auf dem Schloss, andere arbeiten an der Supermarktkasse oder shoppen auf dem Rodeo Drive. Zaunpfähle deuten bald aufdringlich Überschneidungen an.

Julia Deck flutet ihren Roman mit Modernem, samt Wikipedia, rote Linien überschreiten, Spionage im Browserverlauf, privaten Browser-Sitzungen, Gelbwesten, Candy Crush, den Macrons, besessenen Instagrammern, Coronalockdown, Islamisten, Spielekonsolen, Zoom-Meetings, “divers”,  Salafisten, YouTube, Glyphosat und Energiegesöffen.

Zugleich erscheint das Geschichtchen im roten Wagenbach-Sɐlto-Eingewand altmodisch und anödend unrealistisch: das gilt nicht nur für den märchenhaften Reichtum der Hauptfiguren mit Schloss, Bediensteten, Ponys, erfolgreicher Tochter in LA, Präsidentenbesuch usw. usf., sondern auch für die Kassiererin Aminata, die zwar Geldknappheit beklagt, doch mit unentwegt neuen Klamotten Männer jagt. Und das superreiche Ehepaar stellt ein unbekanntes Kindermädchen ein, ohne es je gesprochen zu haben, nur auf Empfehlung.

Auf den letzten Seiten wird eine lange zurückliegende Räuberpistole erzählt, danach stellt sich alles wieder anders dar. Und Zufälle und noch mehr Unerwartbares – Julia Deck schiebt Figuren und Handlung so willkürlich hin- und her wie in einer  Schülerzeitungssatire.

Tonfall:

Der ironisch spöttische Ton und die milden Tabu-Überschreitungen ermüden. Ein anstrengendes Beispiel, sie redet über neu einzustellende Kindermädchen:

Es gab unzählige Ehemänner, die von kaum heiratsfähigen Sirenen, ins Haus geholt von zu vertrauensseligen Müttern, korrumpiert worden waren.

Drama, ich hör dir tapsen:

Unverzeihlich eine dräuende Dramatisierung auf den ersten Seiten:

Sie genossen die glückliche Ignoranz der letzten Sekunden, bevor das Fallbeil niedergeht.

(Das Fallbeil geht natürlich erst Dutzende Seiten später nieder. Und ist man in diesen letzten Sekunden wirklich ignorant?)

Dem folgt in der Buchmitte das ähnlich penetrant Dräuende:

Im Nachhinein ging mir auf, dass zu diesem Zeitpunkt alle Ärgernisse, die uns bevorstanden, bereits auf der Bildfläche waren.

Welche Ärgernisse das sind, erfährt der Leser erst später, aber die Autorin muss unbedingt die Spannung noch einmal anheizen. Weil sie zu Recht annimmt, dass der Leser das Buch selbst 20 vor Seiten vor Schluss noch weglegen könnte, droht Julia Deck noch einmal gar spannungsvoll:

Sie hatte noch drei Tage zu leben.

🥱

Casting-Leiter:

Die Übersetzung von Sina de Malafosse (sic)  klingt überwiegend passabel, nie löblich (s.a.o.). Zwar widersteht sie der Versuchung zum Dativ-e (“am Rand des Waldes”, ein willkommenes Statement gleich auf Seite 5, obwohl “Waldrand” vielleicht besser wäre); doch die Übersetzerin bringt Wunderlichkeiten wie “Casting-Leiter”, “wahre Kriminalgeschichten” (wohl true crime) oder “oft mit Männern auf Tuchfühlung gegangen” – man versteht das im Zusammenhang, applaudiert aber nicht; das gilt auch hier:

Die Kinder des Volkes zogen keine Samthandschuhe an, wenn sie mich zu dem Skandal ausfragten

Und der übernächste Satz beginnt schon wieder mit “Die Kinder des Volkes”. Im frz. Original klingt es vielleicht besser, ich weiß nicht. Ein schiefes Bild auch hier:

Das System stürzte in dem Moment ein, als wir unseren Stein aus dem Gebäude zogen, und die Millionen verpufften.

Den Titel des französischen Originals verschweigt der Verlag im Buch.

Hart widersprüchlich klingt für mich dies:

Madame Eva war, bevor sie zu uns kam, noch nie in den Diensten von irgendjemandem gewesen. Sie und ihr Mann Charles hatten einst gute Stellen und ein eigenes Haus gehabt.

Mir unverständlich auch dies:

…setzte sie mit den Fingern unsichtbare Anführungszeichen, um zu verstehen zu geben…

Unsichtbar?

Oder hier:

Es bestanden Zweifel daran, ob dies der wahre Grund war, warum unser Chauffeur…

“ob”?

Assoziation:

  • Der mild frivole Ton, der Sexuelles und  Untreue inkludiert, erinnert an Colette.
  • Das Buch Privateigentum von Julia Deck ist auf den ersten zwei Dritteln realistischer und mündet auch in einen Kriminalfall.
  • Rezensionsnotizen beim Perlentaucher (weitere Lobeshymnen auch bei DLF, Berliner Zeitung)

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