Roman

  • Belletristik,  Buch,  England,  Gut,  Roman

    Romankritik: Die einzige Geschichte, von Julian Barnes (2018, engl. The Only Story) – 7/10 Sterne

    A nineteen-year-old boy, or nearly-man, and a forty-eight-year-old woman? Das fragt der Ich-Erzähler zu Beginn verblüfft – doch es funktioniert in diesem Roman über viele Jahre, jedenfalls für die zwei Hauptfiguren, weniger für die Familien und den Tennisclub, in dem sie sich begegneten (ich kenne nur die engl. Fassung und kann die Eindeutschung der langjährigen Barnes-Übersetzerin Gertraude Krueger nicht beurteilen). Amazon-Werbelinks: Die einzige Geschichte | Julian Barnes allg. | Darüber reden | Liebe usw.  Erinnerungsfetzen: Julian Barnes (*1944) textet zunächst überaus einfühlsam, erwachsen und mit scharfen Dialogen – ein Genuss. Allerdings schreibt der Ich-Erzähler mit 50 Jahren Abstand, er berichtet explizit nur einzelne, unzuverlässige Erinnerungsfetzen und kredenzt immer wieder ganze…

  • Belletristik,  Buch,  Gut,  Historisches Buch,  Roman,  USA

    Romankritik: Washington Square, von Henry James (1880) – 8/10 Sterne – mit 2 Videos

    Naive, zukünftige Erbin in New York wird von attraktivem Nichtsnutz umworben. Der Tochtervater, gutverdienender Arzt, ahnt den Braten und will den Bewerber blocken. Der jedoch wanzt sich unerschrocken an das Jungfräulein und ihre charmierte Tante heran. Henry James (1843 – 1916) erzählt mit feiner Ironie und psychologischer Einfühlung. Er verwendet kurzweilige Plot- und Stilelemente, die bei HansBlog gern gesehen werden: Reichlich vielsagender Dialog Kurze Kapitel Humor Chronologischer Bericht Liebe, Gewissenskonflikt, Betrug Ausgang lange Zeit nicht absehbar Verzicht auf Unrealistisches wie unpassendes Verhalten, krasse Zufälle Verzicht auf Gewalt Vielleicht malt Henry James die Positionen der Akteure etwas zu deutlich aus, zeichnet speziell die eingebildete Mrs Penniman etwas zu satirisch, den Tochtervater…

  • Belletristik,  Buch,  Gut,  Historisches Buch,  Italien,  Roman

    Romankritik: Daisy Miller, von Henry James (1878, 1909) – 7/10 Sterne – mit Video

    Henry James (1843 – 1916) liefert brillante Dialoge und einen kultiviert-ironischen auktorialen Erzähler, der ständig halb amüsiert, halb schockiert die Stirn zu runzeln scheint. Doch schildert Henry James die Gegensätze Europa/USA und steife Konvention/Freizügigkeit zu zaunpfahl. Das Ende konstruiert Henry James zu deutlich als Moral von der Geschicht‘ und nicht ganz glaubhaft. Seinen frühen Erfolgstext Daisy Miller von 1878 überarbeitete Henry James für die New York Edition 1909, und ich kenne nur diese spätere Fassung. Sie gilt jedoch Kritikern als verkopfter. Bei kurzen Stichproben präsentiert die zweite Fassung teils seltenere Ausdrücke – so etwa „coxcombical“ (sic), ein Wort, das dict.cc bekannt ist, Google Translate jedoch nicht wirklich („coxcombisch“). Es gibt…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Hot Country Entertainment,  Nigeria,  Roman

    Romankritik: Welcome to Lagos, von Chibundu Onuzo (2016) – 4/10 Sterne

    Fünf Nigerianer aus allen Regionen und Gesellschaftsschichten machen sich nach Lagos auf – Deserteure, Minister, Journalisten, Dörfler. Doch im ersten Drittel verbindet Chibundu Onuzo (*1991) ihre Geschichten zu wenig und beleuchtet sogar noch Nebenfigurenschicksale. Später leben alle gemeinsam in einer absurden, unterirdischen WG. Die hochgelehrte Autorin überfrachtet ihren Roman mit zu viel Material. Sie schreibt selbst im Nachwort: It takes a dossier of interviews to write a second book. Dem folgen zweieinhalb Seiten Danksagung. Und sie hatte ursprünglich noch mehr Protagonisten, die sie dann wieder herauskegelte (Quelle): at one point I had eighteen characters and the story had kind of lost all shape and momentum, so I had to kill…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  England,  Roman

    Romankritik: Liebe usw., von Julian Barnes (2000, engl. Love etc) – 5/10 Sterne

    Nach einigem Vorgeplänkel schließt der Roman Love etc. nahtlos an den Vorgänger Darüber reden (engl. Talking It Over, 1991) an. Das heißt auch: Es gibt wieder endlose Schwafelei von Oliver/Ollie. Ich hätte gewettet, dass Autor Julian Barnes die Logorrhoe seines evtl. Alter ego im zweiten Band zügelt. Aber nein, Ollie muss wieder obsolete  Betrachtungen und hintervorletzte Fremdwörter sekretieren und die Handlung ausbremsen, noch störender als im ersten Buch. Kostprobe:  In the years since we returned to Londinium Vetus from the Land which knoweth not the Brussels Sprout… a rather mastubatory implication… I’m merely a binoculared student of the passing caravanserai of life Nicht nur dieser Protagonist ist beschämend selbstverliebt, auch…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  England,  Roman

    Romankritik: Darüber reden, von Julian Barnes (1991, engl. Talking It Over) – 6/10 Sterne – mit Video

    Drei Personen reden abwechselnd direkt zum Leser und schildern jeweils ihre Sicht eines sich anbahnenden Liebesdreiecks; teils erzählen sie ihre Geschichte fortlaufend, ohne Überlappung. Diese interessante Konstruktion schwächt Julian Barnes durch die Geschwätzigkeit und Blasiertheit der Figur Oliver/Ollie samt Angeber-Fremdwörtern („Gillian’s rebarbatively quotidian motor-car“) und anlasslosem Deutsch oder Französisch mitten im englischen Satz (ich kenne nur das engl. Original und kann die Eindeutschung von Gertraude Krueger nicht beurteilen). Autor Julian Barnes schnitzte sich mit Ollie ein Vehikel für alle Bildungsvokabeln und Randbemerkungen, die er schon immer mal im Druck sehen wollte; dazu gehört auch eine peinsame Schilderung vom Herrenurinal. Immerhin, so hebt sich Oliver deutlich von den anderen zwei Sprechern…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Roman

    Romankritik: Café der Unsichtbaren, von Judith Kuckart (2022) – 6/10 Sterne

    Judith Kuckart erzählt zunächst nicht uninteressant von der Telefonseelsorge in Berlin – von Seelsorgern und Anrufern. Der Roman beginnt annehmbar und baut dann stark ab: Schwächen: Kuckart schildert einzelne Episödchen und Anrufe. Von einer Romanhandlung kann keine Rede sein – ein paar Plot-Spurenelemente begegnen zu Beginn, und dann wartet man lange vergeblich auf Fortsetzung. Kuckart verteilt ihre Aufmerksamkeit auf sieben ehrenamtliche und einen hauptamtlichen Seelsorger sowie auf allerlei Anrufer. Das wirkt unübersichtlich und unfokussiert. Kuckart wechselt zwischen allwissender und Ich-Erzählerin, der Perspektivwechsel erfordert wiederholtes störendes Umschalten beim Leser. Dabei erscheint Ich-Erzählerin Frau von Schrey so selten, dass sie sich mitunter mitten im Buch erst wieder einführen muss. Das Zitat spricht…

  • Belletristik,  Buch,  Gut,  Hot Country Entertainment,  Kurzgeschichten,  Roman

    Romane mit Pidgin-Englisch

    Vergnügliches Pidgin-Englisch liefern u.a. die folgenden Romane und Kurzgeschichten im englischen Original: die frühen Geschichten von V.S. Naipaul, sie spielen ca. 1950 unter eingewanderten Indern auf Trinidad, bekannt v.a. Ein Haus für Herrn Biswas und Der mystische Masseur, in dem eine Frau schnöseliges Neureichen-Pidgin intoniert die Bücher von Naipauls Bruder Shiva und seinem Vater Seepersad die Kurzgeschichten von Eudora Welty aus den US-Südstaaten, Highlights für mich Petrified Man und Why I Live at the P.O. Chinua Achebe wie auch Vincent Chukwuemeka Ike (nigerianisches Englisch) William Faulkner (schwer verständlich für mich) Zorah Nelly-Hurst in den Kurzgeschichten Sweat (Volltext), Spunk (Volltext), John Redding Goes to Sea und The Gilded Six-Bits (Volltext). Die…

  • Bayern,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Historisches Buch,  Roman

    Kritik Kurzroman: Der harte Handel, von Oskar Maria Graf (1832) – 7/10 Sterne

    Oskar Maria Graf erzählt spannend und unidyllisch vom Leben auf dem Dorf mit Versicherungsbetrug, Ausbeutung, Hinterfotzigkeit und kalkuliertem Sex unter Unsympathen. Der Titel „Der harte Handel“ passt perfekt zu Atmosphäre, Intrigen und Geschacher im Roman. Die Figuren werden äußerst lebendig, aber nicht liebenswert. Das Herz erwärmt nichts, zumal die Geschichte gutteils im Winter spielt. Nebenbei lernen wir einiges über Landwirtschaft, Gesetzgebung und Justizvollzug; Graf nahm die Handlung offenbar aus der Zeitung. Amazon-Werbelinks: Bayern-Bücher | Gerhard Polt | Oskar Maria Graf | Ludwig Thoma | Lena Christ Adjektivselig: Ironisch kredenzt Oskar Maria Graf (1894 – 1967) derbes Bairisch – schon in der Erzählstimme, und erst recht in der wörtlichen Rede. Graf…

  • Auswandern,  Belletristik,  Buch,  Interkulturell,  Roman

    Lese-Eindruck: Europastraße 5, von Güney Dal (1981)

    Güney Dal beschreibt zunächst detailliert und plastisch Gefühle und Lebensumstände kleiner türkischer Gastarbeiter im Vorwende-Westberlin. Allerdings stören mich persönlich Dinge: Vater Hasan, solange er noch lebt und in Rückblenden, erzählt weitschweifend vom Krieg. Damit ermüdet er seine Familie – und den Leser. Und Sünbül, die Frau der Hauptfigur Salim, war in der Psychiatrischen und verhält sich wunderlich, glaubt an Derwische etc., ausführlich von Autor Güney Dal geschildert: Wenn ihr nicht die Augen auf den Boden gefallen und schmutzig geworden wären… Und dann muss man natürlich das Hauptmotiv des Romans verkraften: Vater Hasan, ohne Aufenthaltserlaubnis in Berlin gestorben, wird in einem Karton von Berlin nach Anatolien gefahren: Salim zeigte sich sehr…

  • Belletristik,  Buch,  Frankreich,  Gut,  Roman

    Romankritik: Striptease, von Georges Simenon (1958) – 7/10 Sterne

    Eine kleine Stripteasebar in Cannes: Die alternden Tanzdamen fürchten die Konkurrenz der blutjungen Neuen. Ein oder zwei wollen zudem den Besitzer erobern. Doch der ist schon verheiratet und polyamor; seine Frau sitzt krank an der Kaschemmenkasse, sie ahnt die Konkurrenz. Amazon-Werbelink: Bücher Georges Simenon Unglamourös, nicht dramatisierend: Georges Simenon (1903 – 1989) recherchierte selbstlos für uns im Rotlichtmilieu und schildert scheinbar realistisch, unglamourös, nicht dramatisierend oder eifernd me-too. Er zeigt vor allem die Rivalitäten der Tänzerinnen – Hauptfigur Célita ist schon 32 und hat ohne Perspektive, die anderen sind teils fett, bettelarm oder jung und zum Anbeißen. Simenon erzählt federleicht, mit vielen kurzen Absätzen, Dialog und kleinen Rückblenden, die nie…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Lustig,  Roman

    Romankritik: Blasmusikpop, von Vea Kaiser (2012) – 4/10 Sterne

    Die Schnurre beginnt 1959: Das österreichische 400-EW-Dorf St. Peter am Anger auf 1200 Meter Höhe hat noch 1969 keinen Fernsehempfang und staunt erst 1974 über den ersten Fernseher. Allerdings törnt der Roman inhaltlich und sprachlich ab: Vea Kaiser setzt auf Klamauk statt Plausibilität und Realismus hat zunächst eine trocken-lässige Stimme, schreibt markantes, aber nicht deftiges und oft unterhaltsames Deutsch. Ihr Deutsch hält aber nicht über die Langstrecke des 469-Seiten-Romans. Sie klingt auf Dauer flach flapsig, anbiedernd oder schlicht desinteressiert, nicht wirklich charakterstark, wenn auch nie völlig spröd. Nicht ihr Business: Nur momentweise ist es witzig. In der zweiten Hälfte Ende wirkt die Handlung pubertär – sie spielt unter 17jährigen, und…

  • Belletristik,  Buch,  Gut,  Hot Country Entertainment,  Indien,  Roman

    Kritik Indien-Roman: Ghachar Ghochar, von Vivek Shanbhag (2013) – 7/10 Sterne

    Vivek Shanbagh (*1962) liefert interessante Einblicke in indisches Alltagsleben heute, ingesamt stimmig erzählt. Eine Zwei-Generationen-Familie scheint vor dem Abgrund zu stehen, als der Familienvater und Ernährer den Job verliert. Doch sein jüngerer Bruder hat eine erfolgreiche Geschäftsidee, und kurzum bewohnt die Familie sogar ein besseres Haus in einem teuren Viertel. Die Beziehungen zwischen den Akteuren ändern sich. Vivek Shanbaghs Ich-Erzähler klingt ruhig bis souverän, man folgt ihm gern. Er bringt interessante Alltagsdetails etwa über Dampfdruckkocher oder arrangierte Ehen. Der Ich-Erzähler berichtet im Rückblick, mit Zeitsprüngen und vielen Verallgemeinerungen. Darum gibt es nicht viele Dialoge; die wenigen Wortwechsel klingen jedoch reizvoll, oft spannungsreich bis zänkisch. Kellner Vincent tönt fast wie das…

  • Annehmbar,  Auswandern,  Belletristik,  Buch,  Roman

    Kritik Schweizer Kuhroman: Blösch, von Beat Sterchi (1983) – 6/10 Sterne

    Fazit: Beat Sterchi berserkert mit Sprache und Inhalt, dass es spritzt. Hochdetailliert und wortgewaltig beschreibt er Abläufe auf einem sehr altmodischen Milchviehbauernhof und im Schlachthof. Wie die Kuh Blösch bestiegen und schließlich geschlachtet wird, schildert Sterchi über jeweils mehrere Seiten und ohne Rücksicht auf Sensibilitäten. Amazon-Werbelinks: Beat Sterchi In den Zisternen: Sehr viel Plot gibt es nicht, Autor Sterchi (*1949) ergeht sich in Alltagshandlung: Der einfache Spanier Ambrosio kommt als Stallknecht zum  Knuchelbauern in die Deutschschweiz. Das eigentliche Ereignis sind Beat Sterchis Einblicke in archaische Landwirtschaft, später in den Schlachthausbetrieb, und sein ebenso mächtiger Ton: Er hörte die Milchbläschen in Meyes Drüsengewebe platzen… hörte er die Milch durch die Kanälchen…

  • Belletristik,  Buch,  Gut,  Roman,  USA

    Krimikritik: Der Fall Galton, von Ross MacDonald (1959, engl. The Galton Case) – 7 Sterne

    Fazit: Die Handlung schnurrt gut konstruiert und gut geölt herunter, und Ross MacDonald erzählt ebenso elegant und gut geölt – zu gut: Dialoge klingen geschriftstellert, hübsche Zufälle helfen weiter. Amazon-Werbelinks: Buch Der Fall Galton | Ross MacDonald allg. auf Deutsch | Krimis insgesamt Kultiviert: Der Krimi beginnt genre-typisch: Privatdetektiv Archer betritt eine Anwaltskanzlei, ein Fall-Hintergrund wird erzählt. Das funktioniert alles dialogisch. Bald gibt’s die erste Leiche. Die hat scheint’s nicht mit dem diskutierten Geschehen zu tun und lässt unerwünschte Zufälle befürchten. Ross MacDonald (1915 – 1983) schreibt kultiviert über kultivierte oder zumindest gutbürgerliche Menschen. Alles ist gepflegt, ziseliert, geldig, nonchalant. Der Autor betont die Besonderheiten seiner Figuren fast zu stark,…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Roman,  USA

    Romankritik: Schmidt, von Louis Begley (1996, engl. About Schmidt, Teil 1 von 3 der Reihe) – 6 Sterne – mit Video

    Im ersten Teil passiert wenig: Hauptfigur Schmidt grübelt langwierig über Kindheit und Ehe-Vergangenheit und über eine juristisch-fiskalisch komplizierte Erbregelung. Es zieht sich. Gelegentlich gibt’s affektierte Fremdwörter, dazu Italienisch und Französisch unübersetzt („tiers incommode“). Und was der zähe Gedankenstrom längst nahelegte, äußert diese Figur dann explizit und bezeichnet sich als „single sixty-year-old codger with no dependents“*. Amazon-Werbelinks: Louis Begley Schmidt | Louis Begley allgemein Genüsslich walzt Louis Begley (*1933, Vater von Adam Begley) Frauen- und Judenverachtendes aus („that circumcised prick“), dazu schmierigen Altherrensex: she is available and is being used outside the marriage… He would pry open her legs. But she wanted him to be able to see. Before he had…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Historisches Buch,  Roman,  USA

    Romankritik: Selig & Boggs, von Christine Wunnicke (2013) – 5/10 Sterne

    Christine Wunnicke erzählt mit verwirrenden Zeit- und Kulissenwechseln. Hubert Winkels in der SZ lobte, dass Wunnicke von Nahaufnahme zu Nahaufnahm springt, mit aberwitzig frechen Schnitten ((zitiert aus Buecher.de, kein Werbelink)). Ich fand Wunnickes Szenen-Hopping nur unübersichtlich. Gelegentlich springt sie über zwei Generationen hinweg zwischen Hauptfigur Boggs und dessen Großvater. Nachdem ich hörte, dass Wunnicke ihre Manuskripte stark kürzt – eigentlich lobenswert -, mutmaßte ich, sie habe Selig & Boggs zu stark gekürzt, dabei auch Essentielles massakriert, und das Lektorat hat’s nicht gepeilt. Amazon-Werbelinks: Christine Wunnicke | Geschichte Hollywoods Umgekehrt geht’s auch zu geschwätzig. Einmal erzählt Wunnicke von der unwichtigen Frau des „Spielleiters“ Boggs im Zug und berichtet unwichtig: Es gab…

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Roman

    Romankritik: Daheim, von Judith Hermann (2021) – 7 Sterne

    Judith Hermann schreibt betont achtsam, zart, feminin, spröd, mild wunderlich. Teils pseudo-literarisch-lyrisch wie Seit fast einem Jahr lebe ich auf dem Land, an der östlichen Küste ((…)) an dieser Küste Warum schreibt sie nicht „Ostsee“? Warum nicht einen Ortsnamen? Oder heißt die Gegend Daheim? Für echten, kernigen Dialog ist Judith Hermann zu deutsch, aber ganz verzichten mag sie auch nicht, also kreiert sie einen manirierten Zwitter aus direkter und indirekter Rede, und die Fragen stets fragezeichenfrei (sic): Ich sagte, wie soll ich mich fühlen. ((…)) Wieso fragen Sie mich das. ((…)) Sie würde sagen, und. Wie gefällt dir das. Amazon-Werbelinks: Judith Hermann | Dörte Hansen | Daniela Krien Otis, Mimi,…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  England,  Interkulturell,  Lustig,  Roman

    Kritik Roman: Queenie, von Candice Carty-Williams (2020) – 5/10 Sterne

    Candice Carty-Williams schreibt ein paar witzige Dialoge und Chat-Verläufe, aber letztlich eine Zeitgeist-Soap mit dümmlicher Ich-Erzählerin, gegen Ende sehr unrealistisch. Warum das Buch Preis und Preise von Qualitätsmedien wie Time oder Guardian erhielt, weiß ich nicht. Die junge schwarze Londonerin Queenie, 25, jiepert dümmlich Männern hinterher, u.a. ihrem weißen Ex-Freund Tom, trifft sich mit Freundinnen, hat Trost-Sex mit Arschlöchern, erträgt Alltagsrassismus und Frauenfeindlichkeit, streut BLM und MeToo ein, nur LGBTQXY fehlt. Starke, ruhige Männer: Queenie genießt immer wieder starke, ruhige Männer*: It was so nice to be physically supported by someone und präsentiert sich schmachtend den Herren der Schöpfung: I ran around the office asking different colleagues for various make-up…

  • Belletristik,  Buch,  England,  Gut,  Historisches Buch,  Roman

    Kritik Roman: Stolz und Vorurteil, von Jane Austen (1813, engl. Pride and Prejudice) – 7 Sterne – mit Videos

    Um Seite 50 herum wollte ich das Buch fast rauswerfen. Ich überblickte das zahlreiche Personal nicht ganz – nicht mal mit den Personenlisten und kernkraftwerkschaltplangleichen Organigrammen aus der Wikipedia. Außerdem erschien mir das Gedankengut vieler Protagnisten allzu hohl, nur auf Konvention, Geld und bella figura gerichtet: Mr. Bingleys stattliches Vermögen, bei dessen Erwähnung ihre Mutter immer ganz munter wurde, erschien in ihren Augen wertlos, verglichen mit der Uniform eines Fähnrichs. Zudem trägt Jane Austen (1775 – 1817) die Satire dick auf, die unsympathischen Figuren reden allzu krass unsympathisch. Die Hauptfigur Elizabeth Benneth strahlt zu sehr in ihrer abgeklärten, vernunftorientierten Art, die sich auch nicht von hochmögenden Adelsnasen einschüchtern lässt. Ein…

  • Belletristik,  Buch,  England,  Lustig,  Roman

    Lese-Eindruck: Ein Mann fürs Haus, von Nina Stibbe (2014, engl. Man at the Helm)

    Gleich auf den ersten Seiten hatte ich Bauchschmerzen vor Kichern und Lachen, das gibt’s ganz selten. Die Szenen sind teils zu cartoonhaft, aber es gibt drollige Einzeiler. Das Vergnügen legte sich schnell. Ich brach ab etwa auf Seite 70, das tue ich sonst nicht, aber YOLO. Warum feiern Profikritiker das Buch als Spaßkanone – haben sie nur die ersten Seiten gelesen? Amazon-Werbelinks: Nina Stibbe | Nick Hornby | Sue Townsends Adrian Mole Unrealistische Kinder: Es ist ein alter Kniff, eine Neunjährige altklug brabbeln zu lassen, schon wird’s lustig. Doch die Kinder hier reden so weit über ihren Altershorizont hinaus, dass Stibbe besser in der dritten Person erzählt hätte, oder sie…

  • Thailand
    Auswandern,  Belletristik,  Buch,  England,  Gut,  Hongkong,  Hot Country Entertainment,  Interkulturell,  Roman

    Romankritik: Aufregende Zeiten, von Naoise Dolan (2020, engl. Exciting Times) – 8 Sterne

    In Hongkong hat der reiche Banker Julian, 28, Brite, eine WG+ mit der armen irischen Englischlehrerin Ava, 22: Sie lebt gratis bei ihm, packt seine Koffer, erledigt den Müll und erträgt seine billigen chinesischen Zigaretten; nachts geht’s manchmal in die Kiste, zumindest oral. Aushälter und Haushälterin betonen das Unverbindliche, letztere etwas zähneknirschend. Ihre Sicht zu Romanbeginn: I am glad Julian does not demand intimacy, and annoyed at him for not offering it. (Ich kenne nur das engl. Original und kann die Eindeutschung von Anne-Kristin Mittag nicht beurteilen.) Allmählich äußert sich in flapsigen Randbemerkungen, im Abholen am Flughafen, auch Sympathie. Er nennt sie, so die Ich-Erzählerin, a tiger cub, and I…

  • Belletristik,  Buch,  Gut,  Roman,  USA

    Romankritik: Meine dunkle Vanessa, von Kate Elizabeth Russell (2020, engl. My Dark Vanessa) – 8 Sterne

    Kate Elizabeth Russell beschreibt die Annäherung des etwa 42jährigen Englischlehrers Strane an seine verhuschte, 15jährige Schülerin Vanessa atemraubend genau: Worte, Gesten, Berührungen, nur leicht übergriffig, sensibel rückversichernd, gleichwohl zielorientiert. Die Literatur-affine Vanessa ist verwirrt, bald ergeben. Das liest sich oft sehr gut, auch dialogreich. Wie andere US-Autoren, die literarisches Schreiben studierten (John Irving, T.C. Boyle) klingt Russell momentweise zu perfekt, zu ausgefeilt; sie verzichtet aber auf wilde Vergleiche und Wortgeklingel. Zumeist wirkt das Buch beunruhigend realistisch. Nur ganz vereinzelt hielt ich etwas für klar unplausibel (s.u.). Meine dunkle Faszination: Der Roman mit seinen 368 engbedruckten englischen Seiten ist überaus spannend – auf dunkle, verstörende Art, nie heiter, immer bedrohlich. Das…

  • Belletristik,  Buch,  Frankreich,  Roman

    Romankritik: Rose Royal, von Nicolas Mathieu (2019) – 3 Sterne

    Das ist gutteils eine unrealistische Räuberpistole: Französische Angestellte ordert Feuerwaffe aus USA, spaziert damit wochenlang durch Paris, dann wird die Waffe zweimal geplant ausgerechnet in Kneipe und Luxushotel abgefeuert. Sonst noch? Auch im übrigen Romänlein bleiben Mathieus wenige Figuren unplausibel, außerdem wenig konturiert (abgesehen von Lucs vielgelobtem kantigem Gesicht). Dazu kommen Altklugscheißereien: Aus Isolation und Seelennot schlugen Google-Apple-Facebook-Amazon ihren Profit. Milliarden Dollar… Und Schmonz: Bei Luc spürte sie gleich von Anfang an mehr. Amazon-Werbelink: Nicolas Mathieu Wenn Männer zu sehr schreiben: Es wirkt oft fremdpeinlich, wenn Männer sich Frauen ausdenken, auch bei Nicolas Mathieu (*1978). Er kreiert den alternden Semi-Vamp Rose, hübsch, hübsch filmi, hübsch männerfantasiert, aber kaum nachvollziehbar. Hier…

  • Belletristik,  Buch,  England,  Gut,  Historisches Buch,  Roman

    Kritik Roman und 2 Verfilmungen: Überredung, von Jane Austen (1817, engl. Persuasion) – 7 Sterne – mit Videos

    Der Roman: Jane Austen plaudert elegant, markant und flüssig (im englischen Original; nicht in meiner mittelprächtigen Eindeutschung; s.u.). Sie schafft spannende soziale Situationen, lebhafte Dialoge und plastische Kulissen, ohne unrealistisch, melodramatisch oder aufdringlich symbolisch zu werden – es klingt fast wie genau beobachtete Gesellschaftsreportage oder nüchternes Tagebuch. Die Geschichte ist „erwachsener“ und weniger satirisch als andere bekannte Austen-Bücher, weil die Hauptfigur schon um 28 Jahre zählt und vielleicht, weil Austen bei der Niederschrift älter war. Freilich: Austen beginnt mit seitenlang dialogfrei referierter Familiengeschichte. Dem folgen viele gelungene Dialoge, Abläufe und Gruppenaufstellungen voll Entwicklung und Interaktion. Gegen Ende gibt’s wieder ein Kapitel, in dem eine Frau einer anderen langwierig das Vorleben…

  • Belletristik,  Buch,  England,  Historisches Buch,  Roman

    Lese-Eindruck: Jane Austen, A Reader, Ein Lesebuch, Hg. Eva Leipprand (2001, dtv 2012)

    Herausgeberin und Übersetzerin Eva Leipprand bringt zweisprachige Auszüge aus Janes Austens bekannten Romanen wie Emma, Überredung, Verstand und Gefühl, Stolz und Vorurteil. Weitere Auszüge stammen aus Jane Austens weniger bekannten Werken und aus Austens Briefen, u.a. an ihre Schwester Cassandra. Leipprand bringt rund 25 bis 35 Seiten pro Roman. Die aus dem Zusammenhang gerissenen Passagen moderiert Leipprand kurz an. Ich weiß nicht, nach welchen Kriterien Leipprand die Ausschnitte wählt: Die passiv-aggressive Konfrontation zwischen Elizabeth Bennet und Lady de Bourgh in Stolz und Vorurteil wirkt spannend wie ein Krimi. Hier erscheinen mehrere Ausschnitte. Bei Überredung/Persuasion ist es ein einziger längerer Auszug, der ebenfalls viel Spannung erzeugt – das Herzschlag-Finale. Englisch-Deutsch mit…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Film,  Komödie,  Lustig,  Roman,  USA

    Romankritik, Filmkritik: Der Liebesbrief, von Cathleen Schine (1995, 1999, engl. The Love Letter) – 6 Sterne – mit Video

    Der Roman (1995, 6 Sterne): Fazit: Cathleen Schine schreibt eine gedruckte romantische Komödie, fluffig, lustig, unrealistisch, etwas belanglos. Die Hauptfigur, Buchhändlerin Helen, ist Ü40, lässig, attraktiv, unliiert und produziert ebenso wie das andere Buchpersonal unentwegt coole Einzeiler – unplausibel, aber vergnüglich. Ein Beispiel (ich kenne nur das engl. Original): You read my mind even when there’s nothing in it. Autorin Cathleen Schine ist zu verliebt in ihre Figur: Schine beginnt den Roman zwar mit einer kurzen Szene in der erzählten Jetztzeit, dann aber lässt sie ihre Buchhändlerin die Vergangenheit reminiszieren und müßig spekulieren. Sie beschreibt unermüdlich ihr fantastisches Aussehen. Und im Bett ein Feger. Bis die Handlung in Fahrt kommt,…

  • Belletristik,  Buch,  Japan,  Ostasien,  Roman

    Romankritik: Die Ladenhüterin, von Sayaka Murata (2018) – 3 Sterne

    Ich-Erzählerin Keiko Furukura hat ihr Studium abgeschlossen, bleibt aber weiter kleine Angestellte in einem Tokioter Minimarkt (einem Konbini). Sie redet bewusst wie ihre Kollegen, kleidet sich wie ihre Kollegen, isst nur den Fraß aus dem Minimarkt, oft im Hinterzimmer des Minimarkts. Sie pflegt wenig Kontakte außerhalb des Ladens. Aufdringlich betont sie, wie sie im System aufgeht: Für mich war es das Wichtigste, ein funktionierendes Mitglied des Konbini zu sein… in Uniform waren wir alle gleich… Natürlich wünschte ich mir, ein brauchbares, funktionierendes Werkzeug zu sein. Subtil geht anders. Die Ich-Erzählerin denkt nicht an Beziehung oder Kinderkriegen, hält Babys und streunende Katzen für ähnlich, hat kaum menschliche Empfindungen, Essen ist für…

  • Belletristik,  Buch,  Roman,  Spanien

    Lese-Eindruck: Glückliches Ende, Roman von Isaac Rosa (2018, sp. Feliz final)

    Das Buch beginnt mit einer nicht enden wollenden, wehleidigen Wohnungsräumung Mehrseitige Passagen erscheinen durchgehend kursiv, nicht lesefreundlich* Mehrseitige Passagen erscheinen ohne Absatz, nicht lesefreundlich; z.B. S. 58 – 61 und S. 73 – 114 durchgehend ohne Absatz, dito S. 224 – 226 Tippfehler „norjdeuropäischem“, sic, schon S. 15 Die Übersetzung überzeugt mich nicht, einerseits soll wegen mit Dativ wohl umgangssprachlich klingen („wegen dem“, S. 13), andererseits sagt man umgangssprachlich nicht „Erotikspielzeug“ (S. 14) *ich hatte das Hard core cover aus dem liebeskind-Verlag, 2021 Amazon-Werbelink zum Buch

  • Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Gut,  Roman

    Romankritik: Mittagsstunde, von Dörte Hansen (2018) – 7 Sterne – mit Video

    Dörte Hansen hat tolles Material an der Hand: Echte Dörfler vom   Alten   platten Land, die prächtig Dialekt reden; interessante Details aus Landwirtschaft und Land-Wirtschaft; drei Generationen. Terroir ohne Ende. Sie verwebt ihre Motive vielfach, alles hängt mit allem zusammen. Was die Autorin nicht hat: Eine knackige Handlung. Und vorhandene Plotspuren versteckt Dörte Hansen noch aufwändig. Da entsteht (auf gut Deutsch) kein Flow, kein Narrativ, kein Storytelling, kein Suspense: Dörte Hansen zerhackt die Geschichte in mindestens zwei häufig wechselnde Zeitebenen (ca. 1960er, ca. 2010er Jahre) und viele Einschübe und Verallgemeinerungen. Jeder Bäcker oder Briefträger bekommt ein Kurzdossier, unentwegt pfeift der Wind, pladdert der Regen, wabert der Nebel, zetern die Krähen. Die…