Romankritik: das Liebespaar des Jahrhunderts, von Julia Schoch (2023) – 7/10

Wenn Frauen zu sehr lieben, dann nennen sie ihre Selbstanamnese: Das Liebespaar des Jahrhunderts; heißen müsste die erste Buchhälfte: Die Liebesglucke des Jahrhunderts. Den späteren Zerfall der Beziehung beschreibt Julia Schoch dagegen stimmig. Und gegen Ende beleuchtet sie Ereignisse der ersten Buchhälfte in anderem Licht.

Julia Schoch nimmt mich zunächst punktgenau gegen ihren Roman ein:

  • sie verzichtet auf Dialog
  • sie erzählt das vermeintliche Ende zu Beginn und dann fast chronologisch die 30-Jährige Vorgeschichte, die das dem Leser bekannte, vermeintliche Ende zumindest im ersten Drittel nicht erwarten lässt; man liest also in Erwartung einer Handlungswende immer weiter – ein billiger Trick, die Spannung hochzuhalten
  • die Geschichte steht unter Autofiktionsverdacht, weil die Ich-Erzählerin des Romans Belletristik, Übersetzungen und Verlagsgutachten schreibt
  • sie erzählt in säuselndem, leicht beliebigen Ton ohne Konkretes (sie sagt, “es gefällt mir nicht, genau zu sein”), der Angehimmelte erscheint als “du”, ihre Kinder ohne Namen und Geschlecht
  • der Verlag bewirbt das Buch brutalstmöglich aufdringlich mit einem unmaßgeblichen Zitat von, Entschuldigung, l.ke.hei.denn.reich.

Auf den ersten Blick banal:

In ihrem Säuselton kredenzt Schoch wiederholt Pseudophilosophisches, das vielleicht bei der ZG verfängt, wie:

Heute wünschte ich, Erzählen würde nicht automatisch bedeuten, alles liegt in der Vergangenheit.

Oder:

Morgens aus dem Haus zu gehen, sich abends wieder einzufinden, dem anderen von seinem Tag zu erzählen – dieser Ablauf kam mir vor wie das Leben in einer Dreiecksbeziehung.

Oder:

Ich fand es immer bemerkenswert, dass es ein Leichtes ist, Dinge zu zerbrechen, eine Tasse oder einen Stock, aber ungleich schwieriger, ja in den meisten Fällen sogar unmöglich, sie wieder zusammenzufügen. Um diese auf den ersten Blick banale Erkenntnis ganz zu erfassen, muss man sich nur…

Oder:

…unser Vorrat an zukünftigen Erinnerungen noch nicht vollständig aufgebraucht.

Auch inhaltlich nervt Einiges an dieser Ich-Erzählerin:

  • Sie löst sich im ersten Buchdrittel auf in Anbetung ihres Angehimmelten:

Nie im Leben hätte ich akzeptiert, mehr Zeit mit einer Arbeit als mit dir zu verbringen … es kam mir logisch vor, alles aufzugeben für dich… Alle Bücher, die ich schreiben würde, würden von dir handeln.

(Auf den letzten Seiten beschreibt sie sich als damals

blind vor Liebe…abhängig von dir…)

  • Konkretes gibt es nicht, Nebenrollen gibt es nicht. Die Kinder der Ich-Erzählerin tauchen in den endlosen Trennungsgrübeleien nicht auf, bleiben geschlechts- und namenlos:

… sagte das Jüngere und… bat mich das ältere Kind, das…

(Julia Schoch liefert nur eine Kette zeitgeistiger Mitschülernamen, und dort wirkt der Roman momentweise konkreter, geerdeter)

Inhaltlich ärgerlich auch:

Ich fuhr mit dem Fahrrad quer durch die Stadt…auf dem Weg hörte ich mit Kopfhörern übers Handy den Nachrichtensender

Und doch, und doch: ich ließ mich einspinnen von diesem Ton. Das Wort Liebe erscheint nach meiner Übersicht erstmals im zweiten Romandrittel, wenn bereits Missstimmigkeiten (“Kristalle der Ernüchterung”) die Idylle trüben.

Zu gern wüsste ich, ob das “Hinterweltlertum” in Skandinavien (sic, S. 145) absichtlich oder aus Versehen so geschrieben wurde. Weitere Tippfehler gibt es nicht, auch keine unkommentierten Wortspiele, sie würden auch nicht in diesen spröden bis sauertöpfischen, komplett originalitätfreien Text passen.

Ob das Ende aus Sicht der Ich-Erzählerin klug ist, weiß ich nicht. Aus Sicht der Erzählerin erscheint es klug.

Assoziation:

  • Julia Schochs sensibles Säuseln und die ostdeutschen Hintergründe erinnern mich an Daniela Krien (die ich auch entgegen meiner üblichen Vorlieben las, die aber mehr Leben und Konkretes einflicht)
  • John Updikes Kurzgeschichten um bröckelnde Beziehungen und Untreue; er schreibt aber konkreter, weit dialoghaltiger, witziger und auch sonst besser als Julia Schoch
  • Auch Anna Brüggemanns Trennungsroman steuert über viele Seiten auf eine angekündigte Trennung zu
  • Svende Merians Roman Der Tod des Märchenprinzen erzählt eine Paarbeziehung aus Frauensicht, und später lieferte der Gegenroman Ich war der Märchenprinz von Arne Piewitz/Henning Venske dieselbe Geschichte aus Sicht des Mannes – solch eine Gegendarstellung wünscht man sich auch beim Liebespaar des Jahrhunderts
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