Tag Archive for Roman

Romankritik: Welcome to Lagos, von Chibundu Onuzo (2016) – 4/10 Sterne

Fünf Nigerianer aus allen Regionen und Gesellschaftsschichten machen sich nach Lagos auf – Deserteure, Minister, Journalisten, Dörfler. Doch im ersten Drittel verbindet Chibundu Onuzo (*1991) ihre Geschichten zu wenig und beleuchtet sogar noch Nebenfigurenschicksale. Später leben alle gemeinsam in einer absurden, unterirdischen WG. Die hochgelehrte Autorin überfrachtet ihren Roman mit zu viel Material. Sie schreibt…

Romankritik: Liebe usw., von Julian Barnes (2000, engl. Love etc) – 5/10 Sterne

Nach einigem Vorgeplänkel schließt der Roman Love etc. nahtlos an den Vorgänger Darüber reden (engl. Talking It Over, 1991) an. Das heißt auch: Es gibt wieder endlose Schwafelei von Oliver/Ollie. Ich hätte gewettet, dass Autor Julian Barnes die Logorrhoe seines evtl. Alter ego im zweiten Band zügelt. Aber nein, Ollie muss wieder obsolete  Betrachtungen und…

Romankritik: Darüber reden, von Julian Barnes (1991, engl. Talking It Over) – 6/10 Sterne – mit Video

Drei Personen reden abwechselnd direkt zum Leser und schildern jeweils ihre Sicht eines sich anbahnenden Liebesdreiecks; teils erzählen sie ihre Geschichte fortlaufend, ohne Überlappung. Diese interessante Konstruktion schwächt Julian Barnes durch die Geschwätzigkeit und Blasiertheit der Figur Oliver/Ollie samt Angeber-Fremdwörtern („Gillian’s rebarbatively quotidian motor-car“) und anlasslosem Deutsch oder Französisch mitten im englischen Satz (ich kenne…

Romankritik: Café der Unsichtbaren, von Judith Kuckart (2022) – 6/10 Sterne

Judith Kuckart erzählt zunächst nicht uninteressant von der Telefonseelsorge in Berlin – von Seelsorgern und Anrufern. Der Roman beginnt annehmbar und baut dann stark ab: Schwächen: Kuckart schildert einzelne Episödchen und Anrufe. Von einer Romanhandlung kann keine Rede sein – ein paar Plot-Spurenelemente begegnen zu Beginn, und dann wartet man lange vergeblich auf Fortsetzung. Kuckart…

Romane mit Pidgin-Englisch

Vergnügliches Pidgin-Englisch liefern u.a. die folgenden Romane und Kurzgeschichten im englischen Original: die frühen Geschichten von V.S. Naipaul, sie spielen ca. 1950 unter eingewanderten Indern auf Trinidad, bekannt v.a. Ein Haus für Herrn Biswas und Der mystische Masseur, in dem eine Frau schnöseliges Neureichen-Pidgin intoniert die Bücher von Naipauls Bruder Shiva und seinem Vater Seepersad…

Kritik Kurzroman: Der harte Handel, von Oskar Maria Graf (1832) – 7/10 Sterne

Oskar Maria Graf erzählt spannend und unidyllisch vom Leben auf dem Dorf mit Versicherungsbetrug, Ausbeutung, Hinterfotzigkeit und kalkuliertem Sex unter Unsympathen. Der Titel „Der harte Handel“ passt perfekt zu Atmosphäre, Intrigen und Geschacher im Roman. Die Figuren werden äußerst lebendig, aber nicht liebenswert. Das Herz erwärmt nichts, zumal die Geschichte gutteils im Winter spielt. Nebenbei…

Lese-Eindruck: Europastraße 5, von Güney Dal (1981)

Güney Dal beschreibt zunächst detailliert und plastisch Gefühle und Lebensumstände kleiner türkischer Gastarbeiter im Vorwende-Westberlin. Allerdings stören mich persönlich Dinge: Vater Hasan, solange er noch lebt und in Rückblenden, erzählt weitschweifend vom Krieg. Damit ermüdet er seine Familie – und den Leser. Und Sünbül, die Frau der Hauptfigur Salim, war in der Psychiatrischen und verhält…

Romankritik: Striptease, von Georges Simenon (1958) – 7/10 Sterne

Eine kleine Stripteasebar in Cannes: Die alternden Tanzdamen fürchten die Konkurrenz der blutjungen Neuen. Ein oder zwei wollen zudem den Besitzer erobern. Doch der ist schon verheiratet und polyamor; seine Frau sitzt krank an der Kaschemmenkasse, sie ahnt die Konkurrenz. Amazon-Werbelink: Bücher Georges Simenon Unglamourös, nicht dramatisierend: Georges Simenon (1903 – 1989) recherchierte selbstlos für…

Romankritik: Blasmusikpop, von Vea Kaiser (2012) – 4/10 Sterne

Die Schnurre beginnt 1959: Das österreichische 400-EW-Dorf St. Peter am Anger auf 1200 Meter Höhe hat noch 1969 keinen Fernsehempfang und staunt erst 1974 über den ersten Fernseher. Allerdings törnt der Roman inhaltlich und sprachlich ab: Vea Kaiser setzt auf Klamauk statt Plausibilität und Realismus hat zunächst eine trocken-lässige Stimme, schreibt markantes, aber nicht deftiges…

Kritik Indien-Roman: Ghachar Ghochar, von Vivek Shanbhag (2013) – 7/10 Sterne

Vivek Shanbagh (*1962) liefert interessante Einblicke in indisches Alltagsleben heute, ingesamt stimmig erzählt. Eine Zwei-Generationen-Familie scheint vor dem Abgrund zu stehen, als der Familienvater und Ernährer den Job verliert. Doch sein jüngerer Bruder hat eine erfolgreiche Geschäftsidee, und kurzum bewohnt die Familie sogar ein besseres Haus in einem teuren Viertel. Die Beziehungen zwischen den Akteuren…

Kritik Schweizer Kuhroman: Blösch, von Beat Sterchi (1983) – 6/10 Sterne

Fazit: Beat Sterchi berserkert mit Sprache und Inhalt, dass es spritzt. Hochdetailliert und wortgewaltig beschreibt er Abläufe auf einem sehr altmodischen Milchviehbauernhof und im Schlachthof. Wie die Kuh Blösch bestiegen und schließlich geschlachtet wird, schildert Sterchi über jeweils mehrere Seiten und ohne Rücksicht auf Sensibilitäten. Amazon-Werbelinks: Beat Sterchi In den Zisternen: Sehr viel Plot gibt…

Krimikritik: Der Fall Galton, von Ross MacDonald (1959, engl. The Galton Case) – 7 Sterne

Fazit: Die Handlung schnurrt gut konstruiert und gut geölt herunter, und Ross MacDonald erzählt ebenso elegant und gut geölt – zu gut: Dialoge klingen geschriftstellert, hübsche Zufälle helfen weiter. Amazon-Werbelinks: Buch Der Fall Galton | Ross MacDonald allg. auf Deutsch | Krimis insgesamt Kultiviert: Der Krimi beginnt genre-typisch: Privatdetektiv Archer betritt eine Anwaltskanzlei, ein Fall-Hintergrund…

Romankritik: Schmidt, von Louis Begley (1996, engl. About Schmidt, Teil 1 von 3 der Reihe) – 6 Sterne – mit Video

Im ersten Teil passiert wenig: Hauptfigur Schmidt grübelt langwierig über Kindheit und Ehe-Vergangenheit und über eine juristisch-fiskalisch komplizierte Erbregelung. Es zieht sich. Gelegentlich gibt’s affektierte Fremdwörter, dazu Italienisch und Französisch unübersetzt („tiers incommode“). Und was der zähe Gedankenstrom längst nahelegte, äußert diese Figur dann explizit und bezeichnet sich als „single sixty-year-old codger with no dependents“*.…

Romankritik: Selig & Boggs, von Christine Wunnicke (2013) – 5/10 Sterne

Christine Wunnicke erzählt mit verwirrenden Zeit- und Kulissenwechseln. Hubert Winkels in der SZ lobte, dass Wunnicke von Nahaufnahme zu Nahaufnahm springt, mit aberwitzig frechen Schnitten ((zitiert aus Buecher.de, kein Werbelink)). Ich fand Wunnickes Szenen-Hopping nur unübersichtlich. Gelegentlich springt sie über zwei Generationen hinweg zwischen Hauptfigur Boggs und dessen Großvater. Nachdem ich hörte, dass Wunnicke ihre…

Romankritik: Daheim, von Judith Hermann (2021) – 7 Sterne

Judith Hermann schreibt betont achtsam, zart, feminin, spröd, mild wunderlich. Teils pseudo-literarisch-lyrisch wie Seit fast einem Jahr lebe ich auf dem Land, an der östlichen Küste ((…)) an dieser Küste Warum schreibt sie nicht „Ostsee“? Warum nicht einen Ortsnamen? Oder heißt die Gegend Daheim? Für echten, kernigen Dialog ist Judith Hermann zu deutsch, aber ganz…

Kritik Roman: Queenie, von Candice Carty-Williams (2020) – 5/10 Sterne

Candice Carty-Williams schreibt ein paar witzige Dialoge und Chat-Verläufe, aber letztlich eine Zeitgeist-Soap mit dümmlicher Ich-Erzählerin, gegen Ende sehr unrealistisch. Warum das Buch Preis und Preise von Qualitätsmedien wie Time oder Guardian erhielt, weiß ich nicht. Die junge schwarze Londonerin Queenie, 25, jiepert dümmlich Männern hinterher, u.a. ihrem weißen Ex-Freund Tom, trifft sich mit Freundinnen,…

Kritik Roman: Stolz und Vorurteil, von Jane Austen (1813, engl. Pride and Prejudice) – 7 Sterne – mit Videos

Um Seite 50 herum wollte ich das Buch fast rauswerfen. Ich überblickte das zahlreiche Personal nicht ganz – nicht mal mit den Personenlisten und kernkraftwerkschaltplangleichen Organigrammen aus der Wikipedia. Außerdem erschien mir das Gedankengut vieler Protagnisten allzu hohl, nur auf Konvention, Geld und bella figura gerichtet: Mr. Bingleys stattliches Vermögen, bei dessen Erwähnung ihre Mutter…

Romankritik: Aufregende Zeiten, von Naoise Dolan (2020, engl. Exciting Times) – 8 Sterne

Thailand

In Hongkong hat der reiche Banker Julian, 28, Brite, eine WG+ mit der armen irischen Englischlehrerin Ava, 22: Sie lebt gratis bei ihm, packt seine Koffer, erledigt den Müll und erträgt seine billigen chinesischen Zigaretten; nachts geht’s manchmal in die Kiste, zumindest oral. Aushälter und Haushälterin betonen das Unverbindliche, letztere etwas zähneknirschend. Ihre Sicht zu…

Romankritik: Meine dunkle Vanessa, von Kate Elizabeth Russell (2020, engl. My Dark Vanessa) – 8 Sterne

Kate Elizabeth Russell beschreibt die Annäherung des etwa 42jährigen Englischlehrers Strane an seine verhuschte, 15jährige Schülerin Vanessa atemraubend genau: Worte, Gesten, Berührungen, nur leicht übergriffig, sensibel rückversichernd, gleichwohl zielorientiert. Die Literatur-affine Vanessa ist verwirrt, bald ergeben. Das liest sich oft sehr gut, auch dialogreich. Wie andere US-Autoren, die literarisches Schreiben studierten (John Irving, T.C. Boyle)…

Romankritik: Rose Royal, von Nicolas Mathieu (2019) – 3 Sterne

Das ist gutteils eine unrealistische Räuberpistole: Französische Angestellte ordert Feuerwaffe aus USA, spaziert damit wochenlang durch Paris, dann wird die Waffe zweimal geplant ausgerechnet in Kneipe und Luxushotel abgefeuert. Sonst noch? Auch im übrigen Romänlein bleiben Mathieus wenige Figuren unplausibel, außerdem wenig konturiert (abgesehen von Lucs vielgelobtem kantigem Gesicht). Dazu kommen Altklugscheißereien: Aus Isolation und…

Kritik Roman und 2 Verfilmungen: Überredung, von Jane Austen (1817, engl. Persuasion) – 7 Sterne – mit Videos

Der Roman: Jane Austen plaudert elegant, markant und flüssig (im englischen Original; nicht in meiner mittelprächtigen Eindeutschung; s.u.). Sie schafft spannende soziale Situationen, lebhafte Dialoge und plastische Kulissen, ohne unrealistisch, melodramatisch oder aufdringlich symbolisch zu werden – es klingt fast wie genau beobachtete Gesellschaftsreportage oder nüchternes Tagebuch. Die Geschichte ist „erwachsener“ und weniger satirisch als…

Lese-Eindruck: Jane Austen, A Reader, Ein Lesebuch, Hg. Eva Leipprand (2001, dtv 2012)

Herausgeberin und Übersetzerin Eva Leipprand bringt zweisprachige Auszüge aus Janes Austens bekannten Romanen wie Emma, Überredung, Verstand und Gefühl, Stolz und Vorurteil. Weitere Auszüge stammen aus Jane Austens weniger bekannten Werken und aus Austens Briefen, u.a. an ihre Schwester Cassandra. Leipprand bringt rund 25 bis 35 Seiten pro Roman. Die aus dem Zusammenhang gerissenen Passagen…

Romankritik, Filmkritik: Der Liebesbrief, von Cathleen Schine (1995, 1999, engl. The Love Letter) – 6 Sterne – mit Video

Der Roman (1995, 6 Sterne): Fazit: Cathleen Schine schreibt eine gedruckte romantische Komödie, fluffig, lustig, unrealistisch, etwas belanglos. Die Hauptfigur, Buchhändlerin Helen, ist Ü40, lässig, attraktiv, unliiert und produziert ebenso wie das andere Buchpersonal unentwegt coole Einzeiler – unplausibel, aber vergnüglich. Ein Beispiel (ich kenne nur das engl. Original): You read my mind even when…

Romankritik: Die Ladenhüterin, von Sayaka Murata (2018) – 3 Sterne

Ich-Erzählerin Keiko Furukura hat ihr Studium abgeschlossen, bleibt aber weiter kleine Angestellte in einem Tokioter Minimarkt (einem Konbini). Sie redet bewusst wie ihre Kollegen, kleidet sich wie ihre Kollegen, isst nur den Fraß aus dem Minimarkt, oft im Hinterzimmer des Minimarkts. Sie pflegt wenig Kontakte außerhalb des Ladens. Aufdringlich betont sie, wie sie im System…

Lese-Eindruck: Glückliches Ende, Roman von Isaac Rosa (2018, sp. Feliz final)

Das Buch beginnt mit einer nicht enden wollenden, wehleidigen Wohnungsräumung Mehrseitige Passagen erscheinen durchgehend kursiv, nicht lesefreundlich* Mehrseitige Passagen erscheinen ohne Absatz, nicht lesefreundlich; z.B. S. 58 – 61 und S. 73 – 114 durchgehend ohne Absatz, dito S. 224 – 226 Tippfehler „norjdeuropäischem“, sic, schon S. 15 Die Übersetzung überzeugt mich nicht, einerseits soll…

Romankritik: Mittagsstunde, von Dörte Hansen (2018) – 7 Sterne – mit Video

Dörte Hansen hat tolles Material an der Hand: Echte Dörfler vom   Alten   platten Land, die prächtig Dialekt reden; interessante Details aus Landwirtschaft und Land-Wirtschaft; drei Generationen. Terroir ohne Ende. Sie verwebt ihre Motive vielfach, alles hängt mit allem zusammen. Was die Autorin nicht hat: Eine knackige Handlung. Und vorhandene Plotspuren versteckt Dörte Hansen noch aufwändig.…

Romankritik. Einer von uns, von Chinua Achebe (1966, engl. A Man of the People) – 5 Sterne

Ich-Erzähler Odili Samalu ist zunächst ein kleiner Lehrer in einer privaten Dorfschule – gut gebildet zwar, doch er will mit der korrupten Staatsbürokratie im postkolonialen Nigeria nichts zu tun haben. Dann gerät Odili ins Umfeld des mächtigen, brunzdummen Kulturministers Chief the Honourable M. A. Nanga, M.P.; dessen Umtriebe, Eitelkeiten und hohlen Sprüche schildert der Ich-Erzähler…

Romankritik. Nur die Tiere, von Colin Niel (2017, frz. Seules les bêtes) – 5 Sterne – mit Video

Die Geschichte ist gutteils grotesk unglaubwürdig. Doch Colin Niel begint mit einer zunächst ansprechenden, realistischen Handlung aus dem ländlichen, rauen Frankreich. Der Ex-Agrarwissenschaftler liefert stimmige Details aus der Landwirtschaft (es könnte jedoch noch plastischer sein) und produziert interessante Analogien, so über einen Menschen: zaudernd wie ein Tier, das nach einem langen Sommer den Stall betritt…

Romankritik: Der Postbote klingelt immer zweimal, von James M. Cain (1934, engl. The Post Man Always Rings Twice) – 5 Sterne – mit Video

Die Dialoge sind kalt, knapp und cool. Die Sätze kurz. Die Kulisse wirkt staubig und reell, eine einsame Tankstelle in kalifornischer Pampa in den 1930ern. Doch dann kommen die Schwächen. Der Krimi protzt mit Stil, nicht mit Substanz, er ist unrealistisch und wirr. Erst türmt Autor James M. Cain Zufall auf Zufall: Beim Mordversuch fährt…

Romankritik. Rabbit, eine Rückkehr, von John Updike (2000, engl. Rabbit Remembered, Rabbit Teil 5) – 6 Sterne

Wer die ersten vier Bände der Rabbit-Reihe kennt, muss nicht lang warten: Gleich auf den ersten Seiten von Rabbit, eine Rückkehr präsentiert John Updike alle überlebenden Akteure – und handfeste Überraschungen dazu. Rabbit Teil 5 spielt 1999. Autor John Updike (1932 – 2009) liefert solides Storytelling-Handwerk, doch ganz ohne das Funkeln der früheren Bände: die…