Romankritik: Washington Square, von Henry James (1880) – 8/10 Sterne – mit 2 Videos

Henry James - (c)

Naive, zukünftige Erbin in New York wird von attraktivem Nichtsnutz umworben. Der Tochtervater, gutverdienender Arzt, ahnt den Braten und will den Bewerber blocken. Der jedoch wanzt sich unerschrocken an das Jungfräulein und ihre charmierte Tante heran.

Henry James (1843 – 1916) erzählt mit feiner Ironie und psychologischer Einfühlung. Er verwendet kurzweilige Plot- und Stilelemente, die bei HansBlog gern gesehen werden:

  • Reichlich vielsagender Dialog
  • Kurze Kapitel
  • Humor
  • Chronologischer Bericht
  • Liebe, Gewissenskonflikt, Betrug
  • Ausgang lange Zeit nicht absehbar
  • Verzicht auf Unrealistisches wie unpassendes Verhalten, krasse Zufälle
  • Verzicht auf Gewalt

Vielleicht malt Henry James die Positionen der Akteure etwas zu deutlich aus, zeichnet speziell die eingebildete Mrs Penniman etwas zu satirisch, den Tochtervater zu kontrollfreakig – doch daraus entstehen elegante Dialoge.

Henry James alterniert detailgenaue Schilderungen mit gelegentlichem Zeitraffer. Der Roman bleibt lange spannend, die Auflösung des Hauptkonflikts wird erst auf Seite 160 von 196 angedeutet und auf Seite 162 geklärt . Man fragt sich, was jetzt noch kommt; doch Henry James erzeugt unerwartet noch einmal viel Spannung.

Gut lesbar:

Selbst Einfaches packt James teils in filigrane Wortschnitzerei:

‘I am very sorry’, Catherine permitted herself to observe

Doch der Hauptteil des kurzen Romans ist gut lesbar, nicht ganz typisch für diesen Autor. Freilich verwendet Henry James allerlei possierliche Vokabeln, so innerhalb weniger Zeilen obliquity, addled, veracious, später auch coxcomb, confabulate, deucedly, fibbing, perspicacity, pugilism, excogitate, vestals und penitence (ich kenne nur das engl. Original und kann Eindeutschungen nicht beurteilen; dict.cc kann alles übersetzen, Google Translate nicht).

Henry James

15 Seiten Gesäusel:

Henry James beginnt den Roman allerdings mit 15 säuselnden Seiten Rückblende, dialogfrei, pro Doppelseite teils nur ein Absatzwechsel. Das schreckt ab. Gleich der erste 58-Wörter-Satz definiert den pompös soignierten Ton:

During a portion of the first half of the present century, and more particularly during the latter part of it, there flourished and practised in the city of New York a physician who enjoyed perhaps an exceptional share of the consideration which, in the United States, has always been bestowed upon distinguished members of the medical profession.

Fast schafft man es nicht mehr bis auf die 16. Seite, auf der die amüsante Hauptgeschichte endlich einsetzt.

Assoziation:

  • Warum denke ich bei Henry James nie an Jane Austen? Nun, sie schreibt schlanker und nüchterner als James, zudem weniger spöttisch und über eine andere Szene. Nein, viel eher erinnert mich Henry James an die elitäre Ironie von Thomas Mann. Mark le Fanu, der Washington Square in den Oxford World’s Classics einleitet, vergleicht Austen und James mehrfach (und Hans D. Blog stimmt nicht zu):

Washington Square is written in a clear classical novelistic prose, an English unchanged since the time of Jane Austen… The wit of James’s generalizations recalls the poise and the force of Jane Austen

 

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