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    Buchkritik: Ein Mann der Kunst, von Kristof Magnusson (2020) – 4 Sterne

    Kristof Magnusson liefert hier wieder reizvolle Einblicke in selten literarisierte Bereiche – nicht nur in den Kunstbetrieb, sondern auch in öffentliche Gremien und in Baustellen aus Architektensicht. Der Autor spießt deutsche Sprachmoden hübsch auf: ein E-Zigaretten-Start-up heißt Dampferando, ein Kunstmagazin Visualitäten, die Jungwinzer sind die Weinpiraten. Kristof Magnusson bei Amazon (Werbe-Link) Magnusson liest sich federleicht, doch dabei ist die Sprache so fad wie in der Lokalzeitung, samt Ausdrücken wie „Kunst machen“,  „ein leicht durchgeknatterter Forscher“, „durchgeknatterte Collagen“, „eine Cognacflasche, die von der Form her an ein Dreieck erinnerte“, „Werke im Wert von weit von vielen Millionen Euro“ (sic, S. 218 Hardcover). Die Figuren unterscheiden sich sprachlich nicht, selbst wenn der…

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    Romankritik: Schäfchen im Trockenen, von Anke Stelling (2018) – 4 Sterne

    Fazit: Ich-Erzählerin Resi, um 40, lebt mit Mann und vier Kindern in einer zentralen Berliner Mietwohnung, die sie von langjährigen Freunden mieten. Diese Freunde ziehen in einem selbst finanzierten Bauprojekt zusammen. Resis Familie kann und will hier finanziell nicht mithalten. Die Freunde kündigen ihr zudem ihre derzeitige Mietwohnung – und das auf schwierigem Wohnungsmarkt. Zugleich verstimmt Resi ihre Freunde, weil sie öffentlich über die Miet- und Bau-Erfahrungen schreibt. Prenzlberg-Anrainerin Anke Stelling präsentiert die Suada einer selbstmitleidigen Ich-Erzählerin voller Neid, Vulgärem, und sie zerhackt ihre Geschichte mit vielen Zeitsprüngen, so dass Zusammenhänge und Hintergründe erst allmählich aufscheinen. Die mehr oder weniger arrivierte Clique der Berliner Baugruppe und ihre Konflikte sind fein…

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    Romankritik: Emil und die drei Zwillinge, von Erich Kästner (1935) – 5 Sterne

    Friede, Freude & auch Eierkuchen herrschen in Neustadt, Berlin & auch in Korlsbüttel: Penetrant harmonisch geht’s zu zwischen Jung und Alt, zwischen Arm und Reich in diesem Sequel zu „Emil und die Detektive“. Zwei Jahre danach: Die Geschichte spielt zwei Jahre nach „Emil und die Detektive“, versammelt alle Hauptakteure dieses Romans, zeigt aber eine neue Handlung an der Ostsee. Pfiffig startet Autor Emil Erich Kästner (dies der volle Name, 1899 – 1974) die „Zwillinge“ gleich mit zwei pfiffigen Vorworten: Ein Vorwort für Leser, die den „Detektive“-Roman schon lasen und ein zweites für alle, die den „Detektive“-Roman nicht hatten. Laut Kästner in einem der Vorworte kann man die „Zwillinge“ unabhängig von…

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    Romankritik: Ein anständiger Mensch, von Jan Christophersen (2019) – 6 Sterne

    Jan Christophersen konstruiert in den ersten zwei Buchdritteln eine dramatische, intime, fesselnde Geschichte. Zwei intelligente Paare verbringen ein Wochenende in einem entlegenen Ferienhaus. Sofort gibt es ungute wie auch erotische Spannungen in alle Richtungen. Die wenigen Umgebungsdetails und Nebenfiguren fügen sich gut in die Handlung; nichts wirkt an den Haaren herbeigezogen, Dialoge und Figuren scheinen realistisch und geben Stoff zum Nachdenken. Zudem erzählt Jan Christophersen strikt chronologisch und mit eng beschränktem Personal. Das letzte Drittel hat ganz andere Konstellationen und Erzählweisen. Allerdings beginnt die Lektüre mit einem doppelten Schock: Schon im Klappentext des mare-Hardcovers, 2. Auflage, steht offen und ehrlich, der Autor studierte am „Literaturinstitut Leipzig“. Damit verbinde ich: Blutleere…

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    Romankritik: Echo, von Jan Christophersen (2014) – 4 Sterne – mit Video

    Fazit: Aufbau und Figuren des kleinen Romänchens sind überkonstruiert und leblos. Dies ist keine Geschichte, sondern ein Schreibexperiment – gescheitert. Tom schwieg: Jan Christophersen schildert zunächst Gefühle und menschliche Entwicklungen recht genau – einerseits. Doch während die wichtige Nebenfigur Sascha deftig erscheint, bleiben die Protagonisten Tom, Aga und Gesa völlig diffus. Was passiert zwischen Tom und Aga, zwischen Tom und Gesa. Man weiß es nicht genau. Warum Gesa als etwa 17jährige den etwa 15jährigen Tom anziehend findet, weiß man auch nicht. Warum sie Tom nachhängt, sich aber später von Sascha heiraten lässt – keine Erklärung. Das ist alles so wolkig. Und die ganze Unklarheit betont Autor Jan Christophersen wieder und…

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    Romankritik: Die Schule der Nackten, von Ernst Augustin (2003) – 4 Sterne

    Ein hochgebildeter Mann verbringt einen amüsanten Sommer in einem MünchnerMünchner FKK-Bad und verwertet das Gesehene literarisch. Als es Mitte September zu frisch wird, das gesammelte Material aber für einen Roman noch nicht reicht, besucht der Erzähler ergänzend ein esoterisches Nacktselbstfindungsseminar, das wie erwünscht weiteren kuriosen Stoff liefert. Am Ende folgt noch eine innenarchitektonisch völlig bizarre Mord-Liebes-Fantasie. Zudem streut der Erzähler ein paar indisch-mythische Seiten ein. So liest sich das Romänchen Die Schule der Nackten jedenfalls. Auf den ersten rund 100 von 255 luftig bedruckten Seiten plätschert die Geschichte nur so dahin, wortwörtlich, und sie spielt einzig im Münchner FKK-Bad. Der Ich-Erzähler ist amüsant, nicht sehr gschamig und erzählt mit viel…

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    Romankritik: Bilder deiner großen Liebe, von Wolfgang Herrndorf (2014) – 6 Sterne

    Ein halbwüchsiges Mädchen büchst aus der Anstalt aus, schlägt sich tage- und wochenlang durch die Büsche – das klingt wie, das ist wohl die Vorgeschichte zu Wolfgang Herrndorfs Erfolgsroman Tschick. Und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich: In Bilder deiner großen Liebe beweist Herrndorf (1965 – 2013) wieder seine markante, unaufdringliche und anziehende Erzählstimme mit ungewöhnlichen Einfällen. Doch ausgerechnet Deutschlands bester Dichter seiner Generation starb viel zu früh. Er konnte Bilder deiner großen Liebe nicht mehr fertig stellen. Das Romanende fehlt, es gibt Handlungslücken, Widersprüche und Stichwortsammlungen zwischendurch. Die Herausgeber Marcus Gärtner und Kathrin Passig haben laut Nachwort ein wenig redigiert, Überleitungen eingefügt und zwei Personen zu einer verschmolzen.…

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    Buchkritik: Leichtes Licht, von Hans Pleschinski (2005) – 5 Sterne

    Diesen Kanaren-Trip setzte Hans Pleschinski gnadenlos von der Steuer ab, bis hin zum Cappu am Flugsteig, Seite 12: „2 Euro 80.“… Zu D-Mark-Zeiten hatte der Kaffee hier auch schon 2,80 gekostet. Hans Pleschinski plaudert possierlich dahin, allerlei feuilletonistisch Verspieltes kommt seiner Protagonistin in den Sinn, neben zierlichen Gehässigkeiten über Prolls, Bordfraß und die „nicht durchwegs sympathischen, trostlosen Afrikaner“. Doch die Hauptfigur ist Außendienstlerin beim Sozialamt, und der Gedankenstrom der Romanfigur Perlacher klingt eher nach dem Romanautor Pleschinski (auch nach dessen späterem Roman Königsallee), beide etwas über 40. Einmal fällt die Hamburger Romanfigur des Hamburg-Münchner Autors sogar ins Münchner Idiom („eingekastelt“). Das alles passt nicht, aber als persönliches Pleschinski-Teneriffa-Tagebuch mochte Pleschinski…

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    Romankritik: Seehamer Tagebuch, von Isabella Nadolny (1960) – 4 Sterne

    Das Tagebuch geht über ein Jahr – circa 1960 – und Nadolny trägt viele Belanglosigkeiten ein, speziell bei ihrem Segeltörn auf dem Mittelmeer und nach der Zeitungslektüre. Isabella Nadolny  (1917 – 2004) ist sprachlich gut und gediegen, wie schon im autobiografischen Vorgänger Ein Baum wächst übers Dach. Doch diesmal nörgelt Nadolny sauertöpfisch über Zeitgenossen, deren Lebensstil sie nicht goutiert, reagiert pikiert auf Vulgarität, moniert wiederholt den Touristenauflauf in ihrem Chiemseeblick-Domizil, verallgemeinert beleidgt. Namen nennt Nadolny dabei nie, außer – warum? – bei der halbchinesischen Autorin Han Suyin, deren Selbstbesessenheit die Suyin-Übersetzerin Nadolny offenbar grämt (ich kenne einige Bände von Suyins wortreicher Autobiografie und wundere mich nicht). Viel interessanter als Nadolnys…

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    Romankritik: Cecile, von Theodor Fontane (1886) – 5 Sterne – mit Fontane-Übersicht

    Fontane hat viele interessante Frauenfiguren geschaffen (der New Yorker nannte ihn „Heroine Addict“) – so Effi Briest; die Lene aus Irrungen, Wirrungen; oder Melanie aus L’Adultera. Cécile aber ist anders: Jung, und verheiratet mit einem weit älteren, höflichen Oberst – so weit, so fontanesk –, leidet sie maßvoll in einer Kurpension im Harz vor sich hin. Aber ihr Charakter lässt sich kaum erahnen. Derweil ergehen sich die Pensionsgäste in allerartigsten Plaudereien historisch-politischer Natur, Geschehnisse zurückliegender Jahrtausende kenntnisreich reminiszierend. Das ist hübsch, das ist kultiviert und verbalelegant, aber auch weitschweifig. Auf Amazon: Theodor Fontane Nicht viel passiert, nein falsch, lange passiert gar nichts, und das, obwohl ein außerehelicher Galan mit schottischen Wurzeln…

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    Romankritik: Die Poggenpuhls, von Theodor Fontane (1895) – 6 Sterne – mit Übersicht

    Dieser besonders kurze Gesellschaftsroman hat besonders wenig dramatische Entwicklung – kein Selbstmord, kein Ehebruch, keine aufblühende Liebe, keine vergebliche Liebe, nicht mal eine Hochzeit. Ein älterer Herr stirbt irgendwann, mehr passiert nicht. Die verarmte Majorswitwe Poggenpuhl mit fünf erwachsenen Kindern kämpft beständig gegen die Geldnot und ihren sinkenden sozialen Status. Ihre Kinder äußern in den ausgedehnten Finanzdiskussionen ihre Lebenseinstellungen überdeutlich: der sorglose jüngere Sohn, die tatkräftig-ideenreiche mittlere Tochter, die standesbewusste Älteste, usw. Auf Amazon: Theodor Fontane Im Vergleich zu anderen Fontane-Romanen wirken Die Poggenpuhls etwas blass, weniger heiter oder gar satirisch, und auch etwas weniger dialogreich – dafür mit einer reizvollen Briefserie. Einige nicht ganz unwichtige Nebenfiguren tauchen nur in…

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    Romankritik: Unwiederbringlich, von Theodor Fontane (1891) – 6 Sterne – mit Presse-Links & Übersicht

    Völlig überraschend kommt im letzten Fünftel echtes Drama in den lange dahinplätschernden Roman. Fontane schreibt die Ehebruchiade mit sicherer Stimme, chronologisch, in nuancierten Dialogen – das liest man gern. Den Unterschied zwischen dem lockeren Ehemann und seiner gestrengen Gattin formuliert Fontane jedoch überdeutlich, in ihren eigenen Dialogen als auch in den Kommentaren der Umgebung. Der Abweg vom rechten Pfad deutet sich ebenfalls etwas überklar in Dialogen und unheilvollen Vorzeichen an. Auf Amazon: Theodor Fontane Dialoge klingen hier noch eleganter und schwungvoller als in anderen Fontane-Romanen. Das liegt am hochadligen Milieu, aber Fontane war wohl auch in guter Form. Allerdings parlieren die Figuren seitenlang über Geschichte und Adelswelt Schleswig-Holsteins und Dänemarks…

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    Romankritik: Stine, von Theodor Fontane (1889) – 6 Sterne – mit Fontane-Übersicht & Links

    Nach Fontane-Art herrscht heiteres Geplauder unter Adelsleuten und Kleinbürgern in Berlin. Hier wirkt die Sache etwas schäbig, weil die verwitwete, aber mit zwei Kindern von zwei Männern geschlagene Pauline Stippkowitz sich allzu dezidiert einem schmierigen älteren Single-Baron zur Verfügung stellt, den sie gar nicht mag. Manche Dialoge wirken sogar überdehnt, als ob Fontane den kurzen Roman mit Macht strecken wollte. Auf Amazon: Theodor Fontane Pauline redet sehr nüchtern und geschäftlich über ihre und andere unehelichen Beziehungen, die ohne Rücksicht auf Gefühle nur der finanziellen Versorgung dienen. Vermieter wollen die Miete erhöhen, sobald einsame Mamsellen einen geldigen Grafen angeln. Dazu kommt semi-lasziver Talk. Im aufdringlichen Gegensatz zu soviel niederem Erwerbs- und…

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    Romankritik: Leichte Verfehlungen, von Elke Schmitter (2002) – 6 Sterne

    Berliner Akademikerinnen um die 40 in allen Lebenslagen: In Diskussionsgruppen zu Derrida oder Schnitzler; im Diskurs mit Zugehfrauen, Kleinkindern und One-Night-Stands; beim Gynäkologen, beim Theaterworkshop und bei bizarren Schwiegereltern in spe. Nonstop fließen Weißwein, qualmen Zigaretten, und die Kellner sind eine Zumutung. Schmitter – zu unterschiedlichen Zeiten auch Redakteurin bei taz und Spiegel – spießt Duktus und Habitus ihres Berliner Personals fast übertreibungsfrei, satirefrei auf. Das liest sich zeitweise elegant-amüsant, auch wenn ich nicht alle geisteswissenschaftlichen Exkurse verstand (sofern etwas zu verstehen ist). Wie auch in Elke Schmitters Sartoris-Büchern dürfen Ehebruch und Verweise auf Effi Briest, Flaubert und Anna Karenina nicht fehlen; sogar das Motiv der Geliebten, welche die Ehefrau…

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    Romankritik: Unter Einzelgängern, von Christopher Kloeble (2008) – 4 Sterne – mit Presse-Links

    Die Handlung ist nicht ohne Finesse und phasenweise spannend mit zwei kleinen, gutbürgerlichen Familien und einer Geschichte in der Geschichte. Sie kreist aus unterschiedlichen Perspektiven und Zeitebenen immer wieder um dieselben traumatischen Ereignisse. Ich habe nicht alles komplett verstanden, und meines Erachtens gleitet das Buch gegen Ende in ein irrelevantes Fabulierspiel ab (aber ich kann mich irren). Die Figuren der Mutter und einer Tochter hatten wunderliche Züge (wie auch einige Frauen in Kloebles 2009er-Erzählungsband Wenn es klopft zu Bizarrem neigen). Kloebles Sprache bleibt unauffällig lesbar. Gelegentlich baut er Dialoge ein, indirekte Rede fällt nicht auf, Humor auch nicht (außer beim Namen der Hauskatze). Kloeble (*1982) reitet wieder und wieder auf…

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    Romankritik: Veras Tochter, von Elke Schmitter (2006) – 4 Sterne – mit Presse-Links & Video

    Elke Schmitter liefert hier eine Fortsetzung ihres Ehebruch-Romans Frau Sartoris (2000). Dieses frühere Buch handelte auch von Frau Sartoris‘ zuletzt 16jähriger Tochter, die mit einem dubiosen Typen zusammenkam. Im zweiten Roman wird scheinbar die Tochter zur Ich-Erzählerin: Sie ist schon 40 Jahre alt und blickt vor allem auf die Ereignisse ihrer Jugend zurück – der zweite Roman könnte also auch Frau Sartoris‘ Tochter heißen. Die Handlung diesmal: Die Tochter hat Elke Schmitters erstes Buch zufällig gefunden und sehr überrascht die Geschichte ihrer eigenen Familie erkannt. Später sieht sie sogar Reich-Ranickis Lob des ersten Romans im Fernsehen und kontaktiert Elke Schmitter und ihren Verlag per Rechtsanwältin. In Veras Tochter schildert die…

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    Romankritik: Quasikristalle, von Eva Menasse (2013) – 6 Sterne – mit Video

    Fazit: Eva Menasse schreibt und beobachtet gut. Doch ihr Roman zerfällt in viele Einzelepisoden mit ständig wechselnden Hauptfiguren und Erzählperspektiven. Die eine wiederkehrende Figur – Roxane Molin – gewinnt keinerlei Kontur. Fast wie eine Kurzgeschichtensammlung: Eva Menasse schildert das Leben der Roxane Molin (kurz Xane) über mehrere Jahrzehnte seit den 1980ern in Österreich, später vor allem in Berlin. Die 13 Kapitel zeigen jeweils nur kleine, kaum verbundene Episoden aus Roxane Molines Leben, auch die Nebenfiguren unterscheiden sich häufig. So wirkt Quasikristalle fast wie eine Kurzgeschichtensammlung mit gleichbleibender Hauptfigur, die wir an verschiedenen Lebensstationen treffen und wieder verlassen. Ein wiederkehrendes Motiv ist latenter und offener Antisemitismus, den Menasse streng herausstellt; ein…

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    Rezension: Lotte in Weimar, von Thomas Mann (Roman 1939) – 4 Sterne

    Fazit: Sprachlich enorm funkelnd, jedoch über lange Strecken praktisch ohne Handlung, eine Abfolge von Monologen, kaum als Roman zu bezeichnen. Weimar zwitschert: Sie plaudern und palavern, sie schalmeien und charmieren, sie jokulieren, ventilieren, philosphieren, quinquilieren, tirilieren, eruieren und disputieren – maniriert, affektiert und über alle Maßen elaboriert. Der Autor heißt schließlich Thomas Mann, und der inszeniert hier einen szenischen Operettenstadl für den fortgeschrittenen Bildungsbürger. Ein klein wenig Spannung aufgebaut zu Beginn des Romans, und dann endlose Dialoge, die manchmal wie serielle Monologe wirken, bis zu sechs Seiten ohne einen einzigen Absatz (fast wie ohne Punkt und Komma). Mann schreibt mit äußerstem sprachlichem Glanz und stellt seine Akteue apart pointiert-ironisch dar;…

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    Rezension: Sieben Jahre, von Peter Stamm (Roman 2009) – 6 Sterne – mit Links & Video

    Die Protagonisten führen teils ein sinnenfrohes Leben, aber Peter Stamm schreibt spröde wie ein Buchhalter. Gönnt uns weder markante Dialoge noch vielsagende Details; lieber bringt Stamm sauertöpfisches Amtsdeutsch mit indirekter Rede und Verallgemeinerungen in langen Absätzen, mitunter nur eine Zeilenschaltung pro Druckseite, so wie es sich für neuere auf Deutsch geschriebene Romane gehört. So lässt Stamm seinen Ich-Erzähler sagen (S. 31 im Fischer-Hardcover): Manchmal spielte ich mit dem Gedanken, mich in Sonja zu verlieben ((…)) Blutärmer geht es kaum noch, Phrasen wie arme Würstchen, und auch der weitere Satz reißt nicht vom Hocker: …aber so naheliegend es gewesen wäre, so unangebracht schien es. Oder hier (S. 47): Am Abend der…

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    Rezension: Gefecht in fünf Gängen, von Christina Eichel (Roman 1998) – 6 Sterne – mit Presse-Link

    Fazit: Flott getextet, inhaltlich flach, eine grobe Satire auf Kulturschnöseltum, männliche Paarungs- und weibliche Publikationssehnsüchte. Der Roman schildert das Abendessen von sechs Kulturmenschen in mittleren Jahren – Theaterkritiker, Verleger, Radiofeuilletonisten. Ein Paar, zwei Solo-Männer, zwei Solo-Frauen; später noch zwei jüngere Statisten. Entenbrust an Blattsalaten, Lachs auf Lauchjulienne, Lammrücken und Kartoffelgratin, illustrierte Limettenmousse, Mandelhippen mit Schokoladenfondant: Da geht was. Ein Ort, ein Abend, kaum Rückblenden. Christine Eichel schreibt süffig und wortreich, schildert Essbares und menschliche Physis in köstlichen Sentenzen. Doch sie pumpt ihre Sätze mit sinnigen Adjektiven und Vergleichen fast so angeberisch auf wie die blasiert schwadronierenden Kulturschnösel selbst. Da haut Eichel ihre Figuren schon zu deftig schenkelklopfend in die gut…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Roman

    Rezension: Die kurzen und die langen Jahre, von Thommie Bayer (Roman 2014) – 5 Sterne – mit Kritiken

    Kein Scherz jetzt: die Hauptfiguren heißen Sylvie Spengler und Simon Stiller  – sie thematisieren diese Namen sogar selbst. Wie oft bei Thommie Bayer steht ein Künstlertyp im Mittelpunkt, diesmal allerdings ein gescheiterter, der als Klavierstimmer, Musikalienhändler und Auftragskomponist endet. Wie in Vier Arten, die Liebe zu vergessen (2012) und in Aprilwetter (2009) himmelt der (Fast-)Musiker eine ferne Frau über viele Jahre an, ohne ihr näherzukommen – und ohne mal so richtig etwas zu unternehmen. Das ist so wenig nachvollziehbar wie die riesigen Zufälle im Roman, aber dafür schön melo-tragisch. Bayer kultiviert auch wieder seine Faibles für nüchtern rapportierte Tragödien und für Begräbnisse. Ungewöhnlich hier für diesen Autor: Es gibt mehrere…

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    Rezension: Vier Arten, die Liebe zu vergessen, von Thommie Bayer (Roman 2012) – 6 Sterne – mit Kritiken & Videos

    Thommie Bayer steigt unspektakulär in den Roman ein: Vier Männer mittleren Alters und eine verstorbene Internatslehrerin. Kein Drama weit und breit. Mit seinem üblichen Zeitebene-Zappen beginnt Bayer erst verzögert, dagegen springt hier die Erzählperspektive zwischen den Männern hin und her. Überwiegend steht jedoch einer im Vordergrund, und der Überblick kommt nie abhanden. Dies auch, weil die Männer so völlig eindimensional auftreten – ein betonköpfiger Ökofuzzi, ein immerralliger Frauenaufreißer, und ein Business-Smartie. Man erkennt sie jederzeit an ihren Sätzen, und nie an ihrem Stil. Melodramatisch: Den Hauptdarsteller formt Thommie Bayer betont melodramatisch: Er liebt seit 20 Jahren grundlos anonym eine Sängerin, für die er grundlos anonym hochbezahlte, sehr persönliche Erfolgssongs schreibt;…

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    Buchkritik: Singvogel, von Thommie Bayer (Roman 2005) – 6 Sterne

    Fazit: Bayers Plotmaschine läuft zu hochtourig, und der Plausibilitäts-Tüff musste beide Augen zudrücken. Ich fand den Roman dabei einigermaßen spannend, das Ende jedoch endgültig überdreht und mit unangenehmem Nachgeschmack (andere Bücher wie Der langsame Tanz sind freilich noch überdrehter). Hier und da schien es seicht, indes vor allem zu Beginn für Bayer-Verhältnisse sehr schwungvoll formuliert, die Annäherung der Hauptfiguren nachvollziehbar. Ich konnte es kaum weglegen, die Personen wurden lebendig und auch sympathisch. Internet-Suchmaschinen, E-Mail und selbstgedrehte Videodateien finden handlungswirksam, aber unaufdringlich statt (ähnliche Elemente brachte Bayer ein Jahr zuvor in der Gefährlichen Frau, danach traten sie wieder in den Hintergrund). Bizarre Plots: Thommie Bayer hat in seiner langen Autorenkarriere schon…

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    Rezension: Die gefährliche Frau, von Thommie Bayer (Roman 2004) – 6 Sterne – mit Presse-Links

    Hauptfigur und Ich-Erzählerin ist eine Detektivin, die Ehemänner ver- und dann der Untreue überführt – im Auftrag der Ehefrauen, die zum Beispiel eine lukrative Scheidung anstreben. Wie immer zerbricht sich Vielschreiber Thommie Bayer nicht den Kopf über Plausibilität – er steckt einen Plot aus ganz viel Dramatik zusammen, gesteigert durch enthüllende Rückblenden. Ähnlich wie in Singvogel gibt es zum Schluss eine fast handfeste Überraschung, die indes schon 100 Seiten zuvor als Zaunpfahl gewunken hatte. Diesmal kredenzt Thommie Bayer noch mehr Erotik als sonst, und das wiederum reichhaltig fantasie- und geschmackvoll: Sexspiele mit geschälten Möhren, mehr (oder weniger) versteckten Kameras, Niedertracht, Gefühl und geistig Behinderten. Schriftsteller im Visier: Die Detektivin erzählt…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Roman

    Rezension: Der langsame Tanz, von Thommie Bayer (Roman 1998) – 5 Sterne

    Die Geschichte wirkt hochgradig konstruiert und implausibel: So treibt es Hauptfigur Martin fast grundlos nach Rom – und in wenigen Tagen hat er einer fast Unbekannten sein Auto geliehen, wohnt andererseits im Haus eines fast Unbekannten, leiht einem anderen fast Unbekannten 20.000 Mark (an die Martin sehr überraschend gekommen war) und hat damit bald auch schon wieder viel Geld verdient: „Am Ende der Woche besitzt er über neunzigtausend Mark mehr.“ Hübsch. Auch dass Martin der zentralen Frau der Geschichte verfällt, überrascht – sie mag zwar einen Playboy-tauglichen Körper haben, doch er hält sie selbst erst einmal für eine egozentrische Dampfplauderin. Und so geht es weiter, immerhin wird es zunehmend zwar…

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    Roman-Kritik: Der Sandmann, von Bodo Kirchhoff (1992) – 6 Sterne

    Die Geschichte ist hübsch, wenn auch unrealistisch konstruiert: Ein 50jähriger Frankfurter und sein vierjähriger Sohn suchen ihr junges Kindermädchen im Gassengewirr der tunesischen Hauptstadt. Die Frau des Frankfurters, eine Pensionswirtin und ein weiterer Pensionsgast spielen wichtige Nebenrollen. Alle sind irgendwie miteinander verbandelt, und erzählt wird recht widersprüchlich aus zwei verschiedenen Perspektiven. Mehrfach entstehen spannende Situationen, und Zurückliegendes erscheint immer wieder in neuem Licht. Bodo Kirchhoff schreibt hier ein ruhiges, klares Deutsch, das allerdings zwischen den beiden Ich-Erzählern kaum unterscheidet (allemal besser als im Schnellschuss Erinnerungen an meinen Porsche). Er liefert interessante, lebendige Details – die wesentlichen Figuren werden sehr plastisch, die Altstadt von Tunis allerdings nicht. Gegen Ende überfrachtet Kirchhoff die…

  • Annehmbar,  Asien,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Hot Country Entertainment,  Roman

    Rezension Roman: Die Fälschung, von Nicolas Born (1979) – 6 Sterne – mit Presse-Links

    Die Journalisten Laschen und Hoffmann reisen 1975 ins vom Krieg zerrissene Beirut. Sie sehen Schreckliches, Laschen hat nebenher eine diffuse Affäre. Der Roman wurde 1981 mit Bruno Ganz verfilmt, Regie Volker Schlöndorff. Die Erlebnisse sind extrem, doch an diesem Roman fallen vor allem der distanzierte Ton und Laschens Mentalität auf. Nicolas Born (1937 – 1979) schreibt aus der Sicht des grüblerischen, antriebslosen Laschen, der gewiss nicht zufällig so heißt (er taucht schon in früheren Born-Texten auf). Nur einmal bei Erschießungen zeigt Laschen vorübergehend Aufwühlung, später bekommt auch eine Frau Bedeutung, sonst aber gleitet das Außen wie hinter Gorillaglas an Laschen vorbei. Krieg ohne Drama: Granaten, Maschinengewehre dröhnen in der Nachbarschaft…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Filmbuch,  Roman

    Romankritik: Der letzte Dreh, von Pia Frankenberg (2009) – 4 Sterne – mit Presse-Links & Video

    Die Autorin und Filmemacherin Frankenberg schreibt einen Roman über Autoren und Filmemacher in München und Berlin. Diese Romanfiguren verfilmen und beschreiben ihr eigenes Leben – in einem Roman, in dem die Autorin Frankenberg ihr eigenes Leben verarbeitet. Geht es noch deutscher, noch langweiliger? Nicht wesentlich. Frankenberg erzählt überwiegend keine interessante Geschichte, sondern es klingt so, als ob sie unbedingt schnell noch persönliche Eindrücke loswerden will – auch Lieblingsstellen aus Hollywoodfilmen und wunderliche Typen auf der Straße. Schlechtes Gewissen und Kippen: Die weibliche Hauptfigur im Buch hat immer wieder schlechtes Gewissen, weil sie per Erbschaft zu einem Riesenvermögen kam. Eine seltsame Prämisse, aber so war Frankenbergs eigene Situation. Diese Maria heiratet…

  • Annehmbar,  Belletristik,  Buch,  Deutschland,  Lustig,  Roman

    Romankritik: Erinnerungen an meinen Porsche, von Bodo Kirchhoff (2009) – 4 Sterne

    Er sekretiert zwanghaft aus jeder eigenen Körperritze. Er penetriert dranghaft jede weibliche Körperritze. Dieses sein heiliges Triebleben zelebriert Bodo Kirchhoffs Ich-Erzähler, Ex-Investment-Banker Daniel Deserno, 38, in einem atemlosen Verbal-Erguss über 220 Seiten in 56 Kapiteln. Stolzgeschwellt: Deserno, Schweinigel und Schwadroneur, rekapituliert mit präpubertärem Stolz die Anatomie seines Piephahns, den ersten Analsex, veritable Porno-Action im Privatjet und im Rollstuhl. Also, John Updike kann das viel interessanter, Michael Frayn viel lustiger. Kirchhoffs Held erinnert eher an die dumpf müffelnde Teenie-Proll-Erotik aus American Pie oder Sex up, ich könnt‘ schon wieder. Kirchhoffs Held rezitiert Herrenmagazin-Witzchen, Streifzüge durch die teuersten Autohäuser der Mainmetropole, teure Uhrenmodelle und Weinlagen. Doch das ist vorbei: Die Hauptfigur rekonvalesziert…

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    Roman: Drei Männer im Schnee, von Erich Kästner (1934) – 6 Sterne

    Die Dialoge klingen Kästner-typisch pfiffig, mild frech und warmherzig. Das liest sich sehr komfortabel. Erich Kästner konstruiert hier jedoch eine sehr unrealistische Verwechslungskomödie und schiebt die Figuren nach Belieben in alle möglichen Konstellationen: So erscheint der Millionär plötzlich als Armer, der Diener als Reedereibesitzer, verschiedene Gesellschaftsschichten begegnen sich unter neuen Vorzeichen usw. usf. – ganz nett für einen Moment, doch so an den Haaren herbeigezogen, dass man schon guten Willen braucht, um einen ganzen Roman lang bei der Stange zu bleiben. Und letztlich umsorgen die Diener hier freiwillig und treuherzig ihre Oberen und die Frauen ihre Männer. Das Hotelambiente des Romans erinnert momentweise an Vicki Baums Menschen im Hotel, der…

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    Roman: Der kleine Grenzverkehr, von Erich Kästner (1938) – 6 Sterne

    Mild liebenswertes Gschichterl mit viel Herz und wenig Tiefgang. Im ersten Teil verarbeitet Kästner etwas zu gedehnt touristische Eindrücke aus Salzburg. Dann rollt eine Verwechslungskömodie ab, die schmunzeln lässt, sofern man auf realistische Handlung keinen Wert legt. Erich Kästner bringt viele überaschende Sätze. Er ist ein guter Stilist, ohne dabei mit seinem Können aufzutrumpfen. Deutlich erinnerte mich die Geschichte an Kästners Drei Männer im Schnee – unter anderem wegen der mehrfach verschachtelten Verwechslungen, wegen der leichten Eroberbarkeit schöner reicher Töchter in inkognito und wegen des sonstigen Wohlwollens, das alle Figuren füreinander aufbringen. Unterschiede zu Kästners Romanen Drei Männer im Schnee und Fabian: Es gibt weniger peppige Dialoge und keine Mutter…