Romankritik: Die Poggenpuhls, von Theodor Fontane (1895) – 6 Sterne – mit Übersicht

Dieser besonders kurze Gesellschaftsroman hat besonders wenig dramatische Entwicklung – kein Selbstmord, kein Ehebruch, keine aufblühende Liebe, keine vergebliche Liebe, nicht mal eine Hochzeit. Ein älterer Herr stirbt irgendwann, mehr passiert nicht.

Die verarmte Majorswitwe Poggenpuhl mit fünf erwachsenen Kindern kämpft beständig gegen die Geldnot und ihren sinkenden sozialen Status. Ihre Kinder äußern in den ausgedehnten Finanzdiskussionen ihre Lebenseinstellungen überdeutlich: der sorglose jüngere Sohn, die tatkräftig-ideenreiche mittlere Tochter, die standesbewusste Älteste, usw.

Im Vergleich zu anderen Fontane-Romanen wirken Die Poggenpuhls etwas blass, weniger heiter oder gar satirisch, und auch etwas weniger dialogreich – dafür mit einer reizvollen Briefserie. Einige nicht ganz unwichtige Nebenfiguren tauchen nur in den Erzählungen der Hauptakteure auf, erscheinen aber nicht selbst als Handelnde (oder auch nur, da wir bei Fontane sind, als zumindest Sprechende). Das Romänchen spielt weitgehend in einer Wohnung und einem Anwesen und wirkt so wie ein Theaterstück. Geschrieben hat Fontane wie immer mit sicherer Hand, starker Stimme; dazu historische Anspielungen und Fremdwörter, die meine Standard-Reclam-Ausgabe nicht erklärt.

Assoziationen:

  • Vergleich mit Fontanes Effi Briest (1894): Verblüffend, wie deutlich sich die nacheinander entstandenen Romane Effi Briest und Die Poggenpuhls unterscheiden: Effi Briest hat Drama, Schwere, Konsequenz, eine Entwicklung über Jahrzehnte hin und viele 100 Seiten. Die Poggenpuhls zeigen nichts dergleichen. Beide Romane haben eine treue Hausdienerin.
  • Vergleich mit Fontanes Stine (1889): Beide Romane zeigen Berliner in milden Geldnöten, jedoch sehr unterschiedliche Figuren: Bei Stine alleinstehende Frauen, in den Poggenpuhls eine Witwe mit fünf erwachsenen Kindern.
  • Vergleich mit Fontanes Frau Jenny Treibel (1892): Beide Romane spielen in Berlin, sind ähnlich handlungsarm, ähnlich lang und portraitieren u.a. eine liebenswerte ältere Hausdienerin; wegen der unterschiedlichen sozialen Milieus ergeben sich gleichwohl sehr unterschiedliche Stimmungen, verstärkt durch den dezidiert satirischen Ton in Frau Jenny Treibel.

Theodor Fontane bei HansBlog.de:

Handlung Milieus Good­reads.com** Amazon.de Hans­Blog.de
1880* L'Adultera Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe, Ehebruch Geschäftsleute in Berlin; etwas Berliner und Schweizer Mundart; eher kurz 3,18 (106 Stimmen) 3,6 (8) 7
1885 Unterm Birnbaum Leben eines Wirtsleute-Ehepaars, nachdem es einen Mord begangen hat; kein Liebesdrama Dorf im Oderbruch um 1831; viel Mundart; eher kurz 3,13 (327) 3,5 (52) 7
1886 Cécile Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe Oberst und andere Militärs, lange in einem Kurort, dann in Berlin 3,4 (85) 3,5 (13) 5
1887 Irrungen, Wirrungen Zukunftslose Beziehung über Standesgrenzen hinweg in Berlin, Ehe ohne Liebe; Kleinbürger und Adlige viel Mundart, Wechsel zwischen Kleinbürgern und adligen Militärs, Schauplatz Berlin und Umland 3,22 (1392)   4,2 (54) 7
1889 Stine Zukunftslose Beziehung über Standesgrenzen hinweg in Berlin zu Versorgungszwecken viel Mundart, Wechsel zwischen Kleinbürgern, Bürgern und Kleinadligen, Schauplatz Berlin 3,31 (85) 3,7 (3) bzw. 4,3 (3) 7
1892 Unwieder­bringlich Ehe unterschiedlicher Charaktere, Ehebruch und dessen Folgen; Adlige lange Dialoge voller historischer Anspielungen; die letzten 60 Seiten plötzlich mit viel Handlung; Schauplatz Ostseedorf und höfisches Kopenhagen 3,72 (292) 4,4 (12) 6
1892 Frau Jenny Treibel Ehen über Standesgrenzen hinweg in Berlin; Kaufleute, Lehrer und Unternehmer Relativ großes Personaltableau, deutliche Satire, keine dramatischen Gefühle oder Konflikte, kaum Mundart 2,97 (627) 4,0 (56) 7
1894 Effi Briest Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe, Ehebruch und dessen späte Folgen Wenig Mundart, eher homogenes soz. Mittelschichtmilieu, Schauplatz meist Provinz; lang 3,23 (6656) 3,6 (188) 8
1895 Die Poggenpuhls Soziale Nöte des verarmten Adels Verarmte Majorsfamilie in Berlin, wenig Mundart, wenig Handlung, keinerlei Drama, Geldnot und Klasse sind Themen; kurz 3,36 (61) 4,7 (6) 6
* Datum jw. erstes Erscheinen als Fortsetzungsroman in der Zeitung, nicht als Buch, Quelle jw. Wikipedia ** Maximum Leserwertung bei Amazon und Goodreads jw. 5; bei HansBlog 10; erfasst Juli/August 2017

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