Nach Fontane-Art herrscht heiteres Geplauder unter Adelsleuten und Kleinbürgern in Berlin. Hier wirkt die Sache etwas schäbig, weil die verwitwete, aber mit zwei Kindern von zwei Männern geschlagene Pauline Stippkowitz sich allzu dezidiert einem schmierigen älteren Single-Baron zur Verfügung stellt, den sie gar nicht mag. Manche Dialoge wirken sogar überdehnt, als ob Fontane den kurzen Roman mit Macht strecken wollte.
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Pauline redet sehr nüchtern und geschäftlich über ihre und andere unehelichen Beziehungen, die ohne Rücksicht auf Gefühle nur der finanziellen Versorgung dienen. Vermieter wollen die Miete erhöhen, sobald einsame Mamsellen einen geldigen Grafen angeln. Dazu kommt semi-lasziver Talk.
Im aufdringlichen Gegensatz zu soviel niederem Erwerbs- und Fleischessinn steht Paulines holde hehre Schwester Stine – auch für sie interessiert sich ein lukrativer Adelsmann, aber Stine redet nur von Liebe und wünscht keine Geldzuwendungen oder Anzüglichkeiten. Vielen zu langen Dialogen folgt ein überraschend melodramatisches Ende, in dem “Krampfschluchzen” (O-Ton Roman) noch das Geringste ist.
Assioziationen:
- Vergleich mit Fontanes Irrungen, Wirrungen (1887): Über 4/5 der Strecke klingt Stine wie eine Variation des Fontane-Romans Irrungen, Wirrungen mit vielen ähnlichen Motiven: dem Schauplatz Berlin nebst Ausflügen; unehelichen Beziehungen über Standesgrenzen hinweg, teils zwecks finanzieller Sicherstellung; Freunde bezeichnen sich mit literarischen Namen; junge arme, aber nicht korrumpierbare Schneidermamsell als holde Hauptfigur; der Roman Stine klingt jedoch etwas härter, weil einige Hauptfiguren den Versorgungsaspekt so deutlich betonen, während bei Irrungen, Wirrungen die holde Lene ohne finanzielle oder standesamtliche Interessen im Vordergrund steht; Lene erinnert deutlich an Stine, die aber weniger Profil gewinnt. Zudem hat Stine weniger Entwicklung und einige überdehnte Dialoge.
- Vergleich mit Fontanes Roman Effi Briest (1894): Stine hat weniger sympathische, deutlicher karikierte Akteure, die alle piefig erscheinen
- Vergleich mit Fontanes Roman Unwiederbringlich (1892): Die Romane haben unterschiedliche Themen und spielen in deutlich unterschiedlichen Milieus. Unwiederbringlich wirkt schon deshalb eleganter, weil es in deutlich höheren Kreisen siedelt; m.E. ist Unwiederbringlich auch einfach besser geschrieben.
- Auch Unterm Birnbaum (1885) bringt viel Kleine-Leute-Gerede in starkem Dialekt, das jedoch schwerer zu verstehen ist als in Stine.
Theodor Fontane bei HansBlog.de:
* Datum jw. erstes Erscheinen als Fortsetzungsroman in der Zeitung, nicht als Buch, Quelle jw. Wikipedia
** Maximum Leserwertung bei Amazon und Goodreads jw. 5; bei HansBlog 10; erfasst Juli/August 2017
Handlung
Milieus
Goodreads.com**
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1880*
L'Adultera
Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe, Ehebruch
Geschäftsleute in Berlin; etwas Berliner und Schweizer Mundart; eher kurz
3,18 (106 Stimmen)
3,6 (8)
7
1885
Unterm Birnbaum
Leben eines Wirtsleute-Ehepaars, nachdem es einen Mord begangen hat; kein Liebesdrama
Dorf im Oderbruch um 1831; viel Mundart; eher kurz
3,13 (327)
3,5 (52)
7
1886
Cécile
Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe
Oberst und andere Militärs, lange in einem Kurort, dann in Berlin
3,4 (85)
3,5 (13)
5
1887
Irrungen, Wirrungen
Zukunftslose Beziehung über Standesgrenzen hinweg in Berlin, Ehe ohne Liebe; Kleinbürger und Adlige
viel Mundart, Wechsel zwischen Kleinbürgern und adligen Militärs, Schauplatz Berlin und Umland
3,22 (1392)
4,2 (54)
7
1889
Stine
Zukunftslose Beziehung über Standesgrenzen hinweg in Berlin zu Versorgungszwecken
viel Mundart, Wechsel zwischen Kleinbürgern, Bürgern und Kleinadligen, Schauplatz Berlin
3,31 (85)
3,7 (3) bzw.
4,3 (3)
7
1892
Unwiederbringlich
Ehe unterschiedlicher Charaktere, Ehebruch und dessen Folgen; Adlige
lange Dialoge voller historischer Anspielungen; die letzten 60 Seiten plötzlich mit viel Handlung; Schauplatz Ostseedorf und höfisches Kopenhagen
3,72 (292)
4,4 (12)
6
1892
Frau Jenny Treibel
Ehen über Standesgrenzen hinweg in Berlin; Kaufleute, Lehrer und Unternehmer
Relativ großes Personaltableau, deutliche Satire, keine dramatischen Gefühle oder Konflikte, kaum Mundart
2,97 (627)
4,0 (56)
7
1894
Effi Briest
Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe, Ehebruch und dessen späte Folgen
Wenig Mundart, eher homogenes soz. Mittelschichtmilieu, Schauplatz meist Provinz; lang
3,23 (6656)
3,6 (188)
8
1895
Die Poggenpuhls
Soziale Nöte des verarmten Adels
Verarmte Majorsfamilie in Berlin, wenig Mundart, wenig Handlung, keinerlei Drama, Geldnot und Klasse sind Themen; kurz
3,36 (61)
4,7 (6)
6
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