Romankritik: Effie Briest, von Theodor Fontane (1894) – 8 Sterne

Fontane erzählt gemütlich und beständig, mit bis zur Buchmitte leicht schmunzelnder Stimme, so gutbürgerlich-gediegen wie seine Figuren. Die mild behäbige, aber doch lebendige Sprache schafft ein angenehmes Klima. Theodor Fontane (1819 – 1898) integriert reizvolle Dialoge, berichtet meist chronologisch ohne Zeitschleifen, diskret und ohne Verallgemeinerungen – schlichte Erfolgsrezepte, die heutige deutsche Autoren ignorieren oder nicht beherrschen.

Ganz gelegentlich bricht die Chronologie doch für einen Absatz, eilt kurz voraus und kehrt zurück, aber das gibt dem Ganzen fast mehr Tiefe und Plastizität. Dabei schwankt Fontanes Erzählhaltung etwas und wirkt uneinheitlich: Mal erfahren wir das Leben aus Effis Perspektive, dann lernen wir auch Gedanken anderer Figuren kennen. Einzelne Ausdrücke verstand ich nicht auf Anhieb, so etwa “medisant” (erscheint mehrfach), “Haselant”, “eskamotieren”, “ein Kuvert gelegt und ein Kabarett auf den Sofatisch gestellt”. Ich hätte mir eine Ausgabe mit Anmerkungen besorgen sollen. Indirekte Rede setzt Fontane in Anführungszeichen.

Kennt man die Effi-Briest-Handlung schon zu Beginn der Lektüre, dann wirken einige Dialoge und Details aufdringlich vorahnungsvoll: So plappert gleich zu Beginn die 17jährige Effi mit ihren Freundinnen über die Ehe – eine Stunde später ist sie überraschend spontanverlobt. Die Distanz zwischen Effie und ihrem Mann kehrt Fontane von Beginn an überdeutlich heraus: hier der übermütige, träumerische Wildfang; dort der steife, bildungsbeflissene Militär, in dessen Haus Effi zuerst Hai und Krokodil sieht. Der spätere Ehebrecher und Duellant Crampas redet schon früh pro “Abwechslung” und “Leichtsinn” und kontra “Gesetzlichkeiten”, er scherzt mehrfach über seinen eigenen Hinrichtungstod – was sagt uns das?

Die gerade erst verlobte Effi enthüllt ihrer Mutter schon auf Seite 39 von 365 (Insel-Taschenbuch) des Ehebruch-Romans:

Ich bin nicht so sehr für das, was man eine Musterehe nennt… Und ich bin nicht so sehr für dramatische Andeutungen.

Vielleicht sah sich der Autor aber auch zu diesen aufdringlichen Vorzeichen gezwungen, weil der Roman sonst vor allem Plaudereien enthält – und weil er zuerst als Serie in der Zeitung erschien. Wenn Fontane jedoch nicht dräut, sondern skizziert, dann gelingen ihm spannungsreiche Dialoge, so etwa in der Annäherung von Crampas und Effi oder auch zwischen Innstetten und Effi. Insgesamt beeindruckt die erzählerische Substanz.

Der Roman wurde mehrfach verfilmt, u.a. 1939 von Gustav Gründgens mit Marianne Hoppe, 1974 von Rainer Werner Fassbinder mit Hanna Schygulla und 2009 von Hermine Huntgeburth mit Julia Jentsch. Und es gibt eine vulgäre “Comedy”-Version mit J. Böhmermann.

Assoziation:

  • Vergleich mit Fontanes Irrungen, Wirrungen (1887): Irrungen Wirrungen spielt in anderen Gesellschaftsschichten, hat mehr Mundart, ist kürzer, richtet wieder Hauptaugenmerk auf junge Frau, hat mehr erklärungsbedürftige Ausdrücke; in beiden Romanen die Motive Duell, Beziehung ohne Liebe und verräterische aufbewahrte Briefe
  • Vergleich mit Fontanes Unwiederbringlich (1891): In beiden Ehebruchiaden geht es um zwei Eheleute mit sehr unterschiedlichen Temperamenten und Geisteshaltungen. Diese Gegensätze schildert Fontane jeweils etwas zu deutlich, ebenso wie er die Vorzeichen des Ehebruchs zu sehr herauskehrt. Der Roman Unwiederbringlich hat einige dramatischere, aber auch viele stärker verplauderte Stellen als Effi Briest. Die Handlung ist teils ähnlich, teils deutlich abweichend konstruiert.
  • Erinnert fühlte ich mich teilweise an die Buddenbrooks, die offenbar von Effi Briest inspiriert sind (auch in Briest gibt es einen Buddenbrook und südländische Vornamen bei nordländischem Familiennamen; Thomas Mann bewunderte Effi Briest). Dabei haben die Buddenbrooks durchweg einen schärferen, deutlicher satirischen Ton und einen episch breiteren Ansatz.
  • In Theodor Storms Im Nachbarhause links heißt es, fast wie bei Effi: „auf ihrer Außendiele hing ein Ungeheuer, ein ausgestopfter Hai“
  • Auch die Bürgerbehaglichkeit in einigen Romanen von Walter Kempowski kam mir in den Sinn, ebenso wie klassische russische Erzähler.
  • Das Effi-Briest-Motiv des geheimnisvollen Chinesen samt weißem Südsee-Kapitän ließ mich kurz an Joseph Conrads Roman Sieg, engl. Victory, denken.

Theodor Fontane bei HansBlog.de:

Handlung Milieus Good­reads.com** Amazon.de Hans­Blog.de
1880* L'Adultera Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe, Ehebruch Geschäftsleute in Berlin; etwas Berliner und Schweizer Mundart; eher kurz 3,18 (106 Stimmen) 3,6 (8) 7
1885 Unterm Birnbaum Leben eines Wirtsleute-Ehepaars, nachdem es einen Mord begangen hat; kein Liebesdrama Dorf im Oderbruch um 1831; viel Mundart; eher kurz 3,13 (327) 3,5 (52) 7
1886 Cécile Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe Oberst und andere Militärs, lange in einem Kurort, dann in Berlin 3,4 (85) 3,5 (13) 5
1887 Irrungen, Wirrungen Zukunftslose Beziehung über Standesgrenzen hinweg in Berlin, Ehe ohne Liebe; Kleinbürger und Adlige viel Mundart, Wechsel zwischen Kleinbürgern und adligen Militärs, Schauplatz Berlin und Umland 3,22 (1392)   4,2 (54) 7
1889 Stine Zukunftslose Beziehung über Standesgrenzen hinweg in Berlin zu Versorgungszwecken viel Mundart, Wechsel zwischen Kleinbürgern, Bürgern und Kleinadligen, Schauplatz Berlin 3,31 (85) 3,7 (3) bzw. 4,3 (3) 7
1892 Unwieder­bringlich Ehe unterschiedlicher Charaktere, Ehebruch und dessen Folgen; Adlige lange Dialoge voller historischer Anspielungen; die letzten 60 Seiten plötzlich mit viel Handlung; Schauplatz Ostseedorf und höfisches Kopenhagen 3,72 (292) 4,4 (12) 6
1892 Frau Jenny Treibel Ehen über Standesgrenzen hinweg in Berlin; Kaufleute, Lehrer und Unternehmer Relativ großes Personaltableau, deutliche Satire, keine dramatischen Gefühle oder Konflikte, kaum Mundart 2,97 (627) 4,0 (56) 7
1894 Effi Briest Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe, Ehebruch und dessen späte Folgen Wenig Mundart, eher homogenes soz. Mittelschichtmilieu, Schauplatz meist Provinz; lang 3,23 (6656) 3,6 (188) 8
1895 Die Poggenpuhls Soziale Nöte des verarmten Adels Verarmte Majorsfamilie in Berlin, wenig Mundart, wenig Handlung, keinerlei Drama, Geldnot und Klasse sind Themen; kurz 3,36 (61) 4,7 (6) 6
* Datum jw. erstes Erscheinen als Fortsetzungsroman in der Zeitung, nicht als Buch, Quelle jw. Wikipedia ** Maximum Leserwertung bei Amazon und Goodreads jw. 5; bei HansBlog 10; erfasst Juli/August 2017

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