Rezension: Die Buddenbrooks. Verfall einer Familie, von Thomas Mann (Roman 1901) – 8 Sterne – mit Video

Fazit:

Sehr unterhaltsam, sinnlich, sprachlich brillant, fast immer spannend, gelegentlich zu satirisch.

Hochtourig:

Thomas Mann schreibt ein hochtouriges Deutsch voller Aperçus, Bling, Jokus und Augenzwinkern. Trotzdem, und das ist das Besondere, klingt er nie sehr selbstgefällig, der bei Veröffentlichung erst 25jährige delektiert sich nicht zu aufdringlich am eigenen Genius. Mann mischt Hochdeutsch, Platt, Französisch, Englisch, Oberbayrisch, ein wenig Latein, wählt oft ans Französische oder Englische angelehnte Schreibweisen (“Coulissen”). Das Dativ-e gedeiht prächtig, und mir ist nie klargeworden, unter welchen Voraussetzungen Mann dann gelegentlich darauf verzichtet. Eigentümlich sein Komma vor “als”-Konstruktionen ohne Verb.

Manns sinnliche, hochsuggestive Sprache transportiert häufig auch sinnliche Inhalte – die ausgedehnten, üppigen Mahle im ersten Buchdrittel, die detaillierten Gesichtszüge, das bei aller Steifheit überbordend gefeierte Firmenjubiläum, die grotesken körperlichen Gebreste und Maleste, Agonie auf dem Sterbebett. Lateinlehrer, Zahnarzt und Immobilienmakler schildert Mann genussvoll diabolisch.

Geschäftig:

Der Roman liefert neben einer oft spannenden Handlung interessante Einblicke in Geschäftsleben und Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, behält immer die geschäftliche Entwicklung von Firma gleich Familie im Auge, will aber keine Zeitchronik sein: Allgemeine Entwicklungen wie die 48er-Revolution, der Wechsel von Kerzen- zu Gaslicht oder anderes spielen nur kleine Rollen, die Kriege von 1864, ’66 und ’70-’71 erscheinen praktisch gar nicht.

Etwas zu aufdringlich betont Mann seine Themen – Bürger versus Künstler, Niedergang des Bürgers, und der weitere, schon im Buchtitel angekündigte Verfall dräut zu aufdringlich (ähnlich wie später im Tod in Venedig). Wirklich den Fortgang der Geschichte aus den Augen verliert Mann jedoch einige Seiten lang nur bei Hanno Buddenbrooks Hinwendung zur Musik in ganz jungen Jahren (um Seite 500). 1903 in der Kurzgeschichte Tristan liefert Mann seine Buddenbrooks-Themen und seine Buddenbrooks-Ironie noch einmal fast noch aufdringlicher, und im selben Jahr kehren Motive und Milieu noch einmal ironiefrei in Tonio Kröger (1903) wieder.

Derb:

Einige Figuren karikiert Mann zu derb, insonderheit die Ehemänner der Antonia Buddenbrook – den grünlichen Herrn Schleimig und den bierdimpfelnden Herrn Permaneder. Manche Eigenschaften wiederholt Mann aufdringlich oft, etwa Klothildes Hunger, Antonias Atlasschleifen, Christians zu kurze Nerven linkerseits oder die bläulich umschatteten Augen erst Gerdas, dann Hannos. Von den Männern, die Antonia nahekamen – Schwarzkopf junior, Grünlich, Permaneder, Weinschenk – würde man gern das Schicksal nach Verlassen der Buddenbrooksschen Sphäre kennen.

Assoziationen:

  • Die epische Familiensaga erinnerte mich an ein anderes breites Familienpanorama aus ferner Zeit, an Vikram Seths Eine gute Partie/A Suitable Boy (1993). Tatsächlich liest eine Seth-Figur (angeödet) die Buddenbrooks, und in beiden Romanen entscheidet sich eine junge attraktive Frau nach anfänglichem Widerstand überraschend für den selben Typ Mann; weitere Parallelen sind die Vorliebe leichtlebiger Söhne für ebensolche Vertreterinnen der darstellenden Künste und die akribische Darstellung historischer Geschäftsabläufe. Mann schreibt jedoch sarkastischer und skeptischer.
  • Erwähnt werden die Buddenbrooks auch im Kempowski-Roman Uns geht’s ja noch gold.
  • Die Buddenbrooks erinnerten mich teilweise an Effi Briest: Thomas Mann bewunderte den Fontane-Roman, der am Rand auch eine Buddenbrook-Figur sowie südländische Vornamen bei nordländischem Familiennamen enthält. Dialektfärbung bietet Effi Briest allerdings im Gegensatz zu anderen Fontane-Romanen und zu Buddenbrooks kaum. Dabei haben die Buddenbrooks durchweg einen schärferen, deutlicher satirischen Ton und einen episch breiteren Ansatz.
  • Thomas Mann machte sich einst unbeliebt, weil seine Buddenbrooks die Lübecker und die eigene Familie zu deutlich portraitierten; und John Updike wurde lt. engl. Wikipedia übelgenommen, dass er die Einwohner seines Wohnorts Ipswich allzu wieder erkennbar im Roman Ehepaare kopulieren ließ; Updike-Biograf Begley meint jedoch, „the Couples gang never complained about their treatment“.
  • Auch bei Jane Austens Gesellsschaftssatiren frage ich mich, ob die Verwandtschaft eventuell not amused war.
  • Die elitäre Ironie und das Plüschige ließen mich momentweise an Henry James denken.
  • Die Entwicklung der Familie Buddenbrook erinnerte mich vage an die Entwicklung der Familie Angstrom in der Rabbit-Reihe von John Updike und an die norddeutsche Familie Feddersen im Roman Mittagsstunde von Dörte Hansen

Stimmen zu den Buddenbrooks:

Nobelpreiskomitee 1929 (laut SZ 2011):

…seinen großen Roman ,Buddenbrooks’, der im Laufe der Jahre immer mehr bleibende Anerkennung als eines der klassischen Werke der zeitgenössischen Literatur gefunden hat

Rainer Maria Rilke:

So überraschend und interessant, daß man, obwohl es Tage kostet, die beiden gewichtigen Bande Seite für Seite mit Aufmerksamkeit und Spannung liest ohne zu ermüden

Andreas Isenschmid in der Zeit 2001:

Einer der größten deutschen Romane…

Jonathan Franzen:

Ein meisterhaftes Werk, auch wenn der Schluss, diese Häufung von Verfallsmotiven, etwas angestrengt wirkt

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