John Updike (1932 – 2009) schreibt realistisch, klar und detailreich, mit fließenden, spannungsreichen Dialogen, meist aus der Perspektive des Toyota-Händlers Harry “Rabbit” Angstrom. Werbung und Tagespolitik kommen unentwegt zur Sprache, ohne dass es in zeitgeistige Markenhuberei ausartet.
Die Geschichte spielt vom 23. Juni 1979 bis zum 20. Januar 1980 in der pennsylvanischen Mittelstadt Brewer, Hauptfigur Harry “Rabbit” Angstrom ist 46 und seit gut 22 Jahren verheiratet.
Früh schon entstehen Fragen: Ist die langbeinige Autokäuferin Rabbits Tochter? Wie löst sich die Spannung im Haushalt mit Frau, Schwiegermutter und unwillkommenem Sohn? Will der Sohn ins Geschäft eintreten? Zusätzlich brisant: Die Hauptfigur schnüffelt mehrfach ungebeten im Privatbereich anderer herum, sieht teils Überraschendes und riskiert Entdeckung.
Das Buch erhielt fast ungeteiltes Kritikerlob und drei der höchsten US-Literaturpreise.
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Werbung und Tagespolitik:
Dialoge schreibt John Updike meisterlich*. Die Figuren reden kaum selbstironisch (anders als Updikes Ehepaar Maple), aber immer voller Zwischentöne. Spannung erzeugt Updike auch, indem er die Gespräche unterbricht und später nonchalant wieder aufgreift. Dazu lässt er entweder mehrere Paare virtuos durcheinander reden oder er schiebt Erzähltes ein, um dann wie selbstverständlich den Dialog an der Bruchstelle fortzuführen.
Hauptfigur Rabbit ist ein Unsympath, der Familie, Freunde und alles Weibliche kalt abschätzt. Er verarbeitet ständig alles um sich herum, und das fließt in den Text: Warentests, Tagespolitik, Wetter, Goldkurs, Physiognomien, Silberkurs, Werbung (“the new supertall Exxon and Mobil signs”, “that new kind of razor with the narrow single-edge blade”). Das inkludiert metzgerhafte Frauenfleischbeschau und gynäkologische Fantasien. Auch Männer werden examiniert und bespekuliert (“one of those very thin reedy pricks probably”, wiederkehrend in Teil 5). Einmal fragte ich mich, ob Rabbits sex- und fleischbesessener Gedankenstrom bewusst so verstören soll, wie es sonst Vergewaltigungen oder Mord leisten.
Gespräche:
Der Roman springt von Gesprächssituation zu Gesprächssituation – im Auto, im Autohaus, im Wohnzimmer, im Krankenzimmer, im Schlafzimmer beim Sex, auf Parties, im Golfclub, am Urlaubsstrand, im Restaurant. Dazwischen pflanzt John Updike Grübeleien und Reminiszenzen seiner Hauptfigur, einmal beim Joggen sieben Seiten am Stück, und gleich danach eine längliche Hochzeit (“a 25-page set piece” laut Updike-Biograf Adam Begley).
Beim Grübeln kommt Rabbit Angstrom immer wieder auf seine Vergangenheit, seine Frauen, die tödlichen Tragödien der zwei Vorgängerbände. Man muss aber Rabbit 1 und Rabbit 2 nicht unbedingt lesen, die Handlung steht auch in Wikipedia (in der englischen Wiki etwas genauer als in der deutschen).
Auch mit seinem langjährigen Angestellten und Nebenbuhler Charlie Stavros bespricht Angstrom zu Romanbeginn einmal die Vergangenheit. Das wirkt pflichtbewusst konstruiert, wie ein betont beiläufiges “Was bisher geschah” – ein solches Rückblickgespräch hätten die beiden schon jedoch viel früher führen können, vor der Spielzeit des Romans.
Vergangenheit:
Gelegentlich erzählt Updike ein paar Seiten aus Perspektive des Rabbit-Sohns Nelson – ein wunderlicher Perspektivbruch. Auch Nelson bekommt seine Grübelstrecke, und er ist auf andere Art genauso unliebenswert wie sein Vater, ein charakterloser Versager. Nelsons Mutter Janice Angstrom, eine weitere Hauptfigur, wärmt das Herz auch nicht.
Manchmal beschreibt Updike zu detailliert, wiederholt Altbekanntes wie den überflüssigen Baumbestand in der Stadtmitte zu oft. Bei aller Akribie des Autors und offensichtlicher Freude an peinlichen Momenten wunderte mich, dass Updike das heikle Weihnachtsfest vor dem Karibikurlaub und vor dem Umzug weg von der Schwiegermutter nicht schildert – vielleicht gestrichen?
Versionsgeschichte:
Wie auch Updikes Kurzgeschichten, gibt es die vier ersten Rabbit-Romane in mehreren Fassungen. Zuletzt erschienen die Romane en bloc (wörtlich) im edel produzierten Sammelband Rabbit Angstrom, The Four Novels von 1995 in der Everyman’s Library (“printed and bound in Germany”, 1516 Dünndruckseiten, 1145g, 5,7 cm dick, m.E. unpraktikabel). Hier hat Updike seine Rabbit-Texte wieder leicht überarbeitet, wie er in der Einleitung sagt, u.a. Inkonsistenzen ausgebügelt.
Speziell in Bessere Verhältnisse/Rabbit Is Rich, also in Rabbit Teil 3 mit der Hauptfigur als Autohändler, korrigierte Updike laut seiner Einführung
various automotive glitches – a front engine assigned to a rear-engine make of car, a convertible model that never existed in all of Detroit’s manufacture.
Auch einige Fremdwörter erscheinen offenbar in verbesserter Schreibweise. Ich habe diesen Roman in der eindrucksvollen, viel zu schweren, verbindlichen Everyman’s-Blockausgabe von 1995 wie auch als billiges Random-House-Taschenbuch von 1996 – sie verwenden offenbar dieselbe Satzdatei, ohne jeden Unterschied in Zeilenfall und Wörtern und womöglich ohne jeden Tippfehler (sofern das wiederkehrende “he didn’t used to …”, sic, beabsichtigt ist (in Rabbit Teil 4 ist’s stets “didn’t use to”)). Selbstverständlich ist das nicht, ich las irgendwo, dass auch nach Erscheinen bearbeiteter Rabbit-Bände noch Versionen mit alten Fassungen herauskamen.
Besonders stark wandelte sich vermutlich Buch 1, Rabbit Run/dt. Hasenherz: die Vulgaritäten durften laut Updike zunächst 1960 in den USA gar nicht erscheinen, dann 1962 in England zum Teil doch, als US-Taschenbuch später noch mehr, und so wurde Rabbit 1 immer schweinischer.
Persönliche Erklärung des Rezessenten:
Ich habe die vier ersten Rabbit-Romane schon einmal vor rund 30 Jahren auf Deutsch gelesen. Von jedem Roman erinnerte ich zuletzt nur noch einzelne, eindrückliche Szenen – so gut, dass ich Teil 1 und 2 nicht noch einmal lesen wollte. Die Szenen, die ich von Teil 3 erinnerte, erschienen jetzt bei der englischen Lektüre genau wie erinnert, und im Lauf der Lektüre wurden auch keine weiteren Erinnerungen wach.
Definitiv nicht erinnerte ich den pornografischen Gedankenstrom der Hauptfigur und die allgemeine Miesheit der männlichen Akteure (“Harry misses Buddy Inglefinger, to feel superior to”). Sie verdarben mir etwas die Lektüre. Romanfiguren müssen wohlgemerkt nicht sympathisch sein, aber hier hat man schon zu schlucken.
Habe ich einen dicken englischen Roman gelesen, sollte danach etwas Deutsches folgen, gern ein Sachbuch. Doch hier fesselte mich die unsympathische Familie Angstrom so, dass ich Rabbit 3, 4 und 5 in einem Zug las, und dann aus komparatistischen Gründen auch noch Teil 1.
Vergleich der Rabbit-Bände 1, 3, 4 und 5 – Hasenherz (1960, Rabbit, Run), Bessere Verhältnisse (1981, Rabbit Is Rich), Rabbit in Ruhe (1990, Rabbit at Rest) und Rabbit, eine Rückkehr (2002, Rabbit Remembered):
Alle Bücher gehen von einer langen Gesprächskonstellation zur nächsten. Sie sind voll mit Alltagsrealismus, Tagespolitik, Werbung, Produktnamen (ohne viel Updikesche Autobiografie zu enthalten). In allen Bänden stoßen Frauen aller Generationen weniger ab als die Männer, die oft derb frauenfeindlich und teils rassistisch denken.
Die Bände 1, 3 und 4 liefern exzellente Dialoge ohne schnelle Gags, aber voller Spannung und Zwischentöne, Teil 5 funkelt weit weniger. Die Teile 1, 3 und 5 spielen weitgehend in oder nah der pennsylvanischen Mittelstadt Brewer (100.000+ EW), Teil 4 teils auch in Florida.
Teil 3 und 4 betonen immer wieder Körperliches wie Ohr- und Fußform, Zehen, Zähne, Augen, Gerüche, Schweißränder. Teil 4 hat deutlich mehr körperliche Beschwerden, Illegales und deutlich mehr Feindseligkeit zwischen Vater und Sohn, damit ist der Ton in Teil 4 besonders düster. Teil 4 hat auch weniger Sex und Sexfantasien. Teil 1 hat mehr religiöses Palaver.
Nur Teil 3 hat keinen Tod und ingesamt eine leichtere Atmosphäre. Vor allem Teil 4 und 5 haben zu viele Erinnerungen an zurückliegende Tragödien.
In Teil 3 werden Toyotas meist gelobt, in Teil 4 einmal seitenlang massiv heruntergemacht. In Teil 4 reitet Updike auf den Unterschieden zwischen Christen, Juden und Afroamerikanern herum, wie auch in vielen seiner Kurzgeschichten; das spielte in Teil 3 kaum eine Rolle, kehrt aber in Teil 5 wieder, und Teil 1 hat nur Christen. Teil 1 und 4 enthalten lange, ermüdende Golfpartien, Teil 4 auch Banaltourismus und Krankenhausgeschichten. Der ständige Nachrichten- und Werbestrom prasselt in Teil 3 via Autoradio, Zeitung und Plakat, in Teil 4 oft per Fernseher; in Teil 1 und 5 fällt er etwas weniger auf.
Teil 1 liest sich lebhafter, jugendlicher, etwas härter und weniger altersmüde als die späteren Bände, ist auch kürzer. Teil 3 ist stilistisch auf seine Art perfekt, Teil 4 zeigt deutliche Schwächen (zu aufdringlich über Junkfood und Todesahnung, zu viel Tourismus und Krankenhaus, momentweise plump), auch Teil 5 wirkt schlapp.
In Teil 3 heißt es stets “he didn’t used to”, in Teil 4 “he didn’t use to”. In Teil 3 schreibt Updike nur einmal kurz nicht aus Perspektive der Hauptfigur Rabbit; in Teil 4 wechselt er etwas öfter zur Sichtweise von Frau oder Sohn; in beiden Büchern wirkt das unrund, weil es selten geschieht und die gewohnte Sichtweise unterbricht. In den Teilen 1 und 5 wechselt die Perspektive öfter.
Assoziation:
- Updike erwähnt in Bessere Verhältnisse zweimal kurz das Sexmagazin Oui; in diesem Playboy-Ableger erschien einst Updikes Prostitutionsgeschichte “Transaction” (1973, in Early Stories), nachdem sie beim New Yorker durchfiel
- Updikes Detailfreude führt auch in Bessere Verhältnisse/Rabbit Is Rich zu ödem Banaltourismus, hier rund um eine Karibikreise, wie etwa auch in Updikes Witwen von Eastwick oder in vielen seiner Kurzgeschichten
- Entfernt die Frank-Bascombe-Bücher von Richard Ford
*ich kenne nur das engl. Original und kann die Eindeutschung nicht beurteilen
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