Völlig überraschend kommt im letzten Fünftel echtes Drama in den lange dahinplätschernden Roman. Fontane schreibt die Ehebruchiade mit sicherer Stimme, chronologisch, in nuancierten Dialogen – das liest man gern. Den Unterschied zwischen dem lockeren Ehemann und seiner gestrengen Gattin formuliert Fontane jedoch überdeutlich, in ihren eigenen Dialogen als auch in den Kommentaren der Umgebung. Der Abweg vom rechten Pfad deutet sich ebenfalls etwas überklar in Dialogen und unheilvollen Vorzeichen an.
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Dialoge klingen hier noch eleganter und schwungvoller als in anderen Fontane-Romanen. Das liegt am hochadligen Milieu, aber Fontane war wohl auch in guter Form. Allerdings parlieren die Figuren seitenlang über Geschichte und Adelswelt Schleswig-Holsteins und Dänemarks in allerlei Jahrhunderten; das klingt immer geistreich, aber teils auch nach dem Goldenen Blatt. Dem Ex-Journalisten Fontane bereiten die Reminiszenzen und politischen Anspielungen erkennbar Freude; vielleicht wollte er seinen Roman so auch strecken. Heutige Leser sind eventuell weniger interessiert und kriegen wegen Allgemeinbildung-Mangels noch ein schlechtes Gewissen. Einiges habe ich nicht verstanden.
Das gilt auch für verschiedene Ausdrücke und Zitate Fontanes wie medisant, Satyrspiel, divinatorisch, Froufrou, Epitheton ornans, diverses Französisch, die Sagenfiguren Ägisth und Phädra. Mein Insel-Taschenbuch liegt zwar gefällig in der Hand, doch anders als eine Schülerausgabe liefert es keinerlei Erklärungen, weder zu alten Ausdrücken noch zu historischen Bedingungen (die Ausgaben von dtv und Aufbau-Verlag bieten offenbar Erklärungen).
Viele Dialoge und Briefe formuliert Fontane aber auch psychologisch genau und – obwohl die Ziele etwas deutlich herausstechen – interessant vielschichtig und zweideutig. Der Seitensprung bahnt sich über viele dialogselige Seiten hin an. Erst auf Seite 223 ändert die Geschichte nachhaltig die Bauart: bis zur letzten Seiten 284 gibt es viel Handlung, überraschende Entwicklungen und keinerlei charmante Plaudereien mehr.
Assoziationen:
- Vergleich mit Fontanes Effi Briest (1894): In beiden Ehebruch-Romanen geht es um zwei Eheleute, deren einer streng diszipliniert, der andere entspannt freigeistiger und unbekümmerter ist. Diese Gegensätze schildert Fontane jeweils etwas zu deutlich, ebenso wie er die Vorzeichen des Ehebruchs zu sehr herauskehrt.
- Der Fontane-Roman Unwiederbringlich hat einige dramatischere, aber auch viele stärker verplauderte Stellen als Effi Briest. Die Handlung ist teils ähnlich, teils deutlich abweichend konstruiert.
- Vage Erinnerung an Keyserlings Roman Wellen, der in etwa ähnlicher Zeit auch an der Ostsee spielt, allerdings eine Urlaubsszenerie hat.
Kommentare:
Er erzählt entspannt, locker und souverän… Er ist eher ein Plauderer, freilich nicht nur ein gemütlicher, sondern auch ein begnadeter.
Fontane erweist sich auch in diesem Werk als kluger Beobachter, der dem heutigen Leser noch so einiges über Beziehungen und Konfliktfähigkeit zu sagen hat
Die feine Psychologie und der treffsichere Stil machen auch diesen Fontane-Roman zu etwas ganz besonderem… die traurige, leise Grundstimmung…
Trotz Recherchen im Internet konnte ich leider sehr vieles nicht nachvollziehen, was dem zeitgenössischen Leser sicher vertraut war.
Theodor Fontane bei HansBlog.de:
* Datum jw. erstes Erscheinen als Fortsetzungsroman in der Zeitung, nicht als Buch, Quelle jw. Wikipedia
** Maximum Leserwertung bei Amazon und Goodreads jw. 5; bei HansBlog 10; erfasst Juli/August 2017
Handlung
Milieus
Goodreads.com**
Amazon.de
HansBlog.de
1880*
L'Adultera
Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe, Ehebruch
Geschäftsleute in Berlin; etwas Berliner und Schweizer Mundart; eher kurz
3,18 (106 Stimmen)
3,6 (8)
7
1885
Unterm Birnbaum
Leben eines Wirtsleute-Ehepaars, nachdem es einen Mord begangen hat; kein Liebesdrama
Dorf im Oderbruch um 1831; viel Mundart; eher kurz
3,13 (327)
3,5 (52)
7
1886
Cécile
Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe
Oberst und andere Militärs, lange in einem Kurort, dann in Berlin
3,4 (85)
3,5 (13)
5
1887
Irrungen, Wirrungen
Zukunftslose Beziehung über Standesgrenzen hinweg in Berlin, Ehe ohne Liebe; Kleinbürger und Adlige
viel Mundart, Wechsel zwischen Kleinbürgern und adligen Militärs, Schauplatz Berlin und Umland
3,22 (1392)
4,2 (54)
7
1889
Stine
Zukunftslose Beziehung über Standesgrenzen hinweg in Berlin zu Versorgungszwecken
viel Mundart, Wechsel zwischen Kleinbürgern, Bürgern und Kleinadligen, Schauplatz Berlin
3,31 (85)
3,7 (3) bzw.
4,3 (3)
7
1892
Unwiederbringlich
Ehe unterschiedlicher Charaktere, Ehebruch und dessen Folgen; Adlige
lange Dialoge voller historischer Anspielungen; die letzten 60 Seiten plötzlich mit viel Handlung; Schauplatz Ostseedorf und höfisches Kopenhagen
3,72 (292)
4,4 (12)
6
1892
Frau Jenny Treibel
Ehen über Standesgrenzen hinweg in Berlin; Kaufleute, Lehrer und Unternehmer
Relativ großes Personaltableau, deutliche Satire, keine dramatischen Gefühle oder Konflikte, kaum Mundart
2,97 (627)
4,0 (56)
7
1894
Effi Briest
Ehe unterschiedlicher Charaktere und Generationen ohne Liebe, Ehebruch und dessen späte Folgen
Wenig Mundart, eher homogenes soz. Mittelschichtmilieu, Schauplatz meist Provinz; lang
3,23 (6656)
3,6 (188)
8
1895
Die Poggenpuhls
Soziale Nöte des verarmten Adels
Verarmte Majorsfamilie in Berlin, wenig Mundart, wenig Handlung, keinerlei Drama, Geldnot und Klasse sind Themen; kurz
3,36 (61)
4,7 (6)
6
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