Rezension: Lotte in Weimar, von Thomas Mann (Roman 1939) – 4 Sterne

Fazit:

Sprachlich enorm funkelnd, jedoch über lange Strecken praktisch ohne Handlung, eine Abfolge von Monologen, kaum als Roman zu bezeichnen.

Weimar zwitschert:

Sie plaudern und palavern, sie schalmeien und charmieren, sie jokulieren, ventilieren, philosphieren, quinquilieren, tirilieren, eruieren und disputieren – maniriert, affektiert und über alle Maßen elaboriert. Der Autor heißt schließlich Thomas Mann, und der inszeniert hier einen szenischen Operettenstadl für den fortgeschrittenen Bildungsbürger. Ein klein wenig Spannung aufgebaut zu Beginn des Romans, und dann endlose Dialoge, die manchmal wie serielle Monologe wirken, bis zu sechs Seiten ohne einen einzigen Absatz (fast wie ohne Punkt und Komma).

Mann schreibt mit äußerstem sprachlichem Glanz und stellt seine Akteue apart pointiert-ironisch dar; man könnte das auch für eitles Spreizen halten. Ja, gelegentlich glitt mein Auge am Schwafelmarathon derer zu Weimar ab, rutschte ein paar Zeilen nach unten oder eine Seite nach rechts. Ich bin dann manchmal brav zurückgekehrt an eine Buchstelle, die ich noch erinnerte – denn schließlich bringt flüchtiges Überlesen mich um mindestens einige köstliche Aperçus, um ein Akkusativ-e (“über ihr Bette”), wenn nicht um weltphilosophische Spurenelemente. Nur dass ich entscheidende Handlungsmomente verpasse, fürchtete ich kaum. Die sind nämlich so rar wie flaches Deutsch in Thomas Manns hochtourigem Duktus. Manchmal bin ich nicht zurückgekehrt.

Eine hübsche Idee:

Für seinen Roman hatte Mann eine einzige hübsche Idee, der Rest ist serieller Monolog: Charlotte Buff, die angeschmachtete, unerreichbare blutjunge Holde aus Goethes Leiden des jungen Werther, seinem Euro-Bestseller, kommt als gealterte Witwe Kestner nach Weimar, auch um den einst so verzweifelt Schmachtenden (inzwischen selbst Verwitweten) noch einmal zu treffen. Promi-Alarm um Werthers/Goethes Lotte – die Stadt ist in Aufregung.

Doch Thomas Mann hält den Leser weit über Gebühr hin: Die Dame checkt im “Hôtel” ein und will nach kurzem Schlummer zu ihrer ortsansässigen Schwester eilen. Das ist auf Seite 34 von 400. Doch dann drängt sich ein unbekannter Besuch nach dem anderen auf, und bei Seite 250 (sic) ist Demoiselle Kestner immer noch nicht aus dem Haus und Goethe zwar immer wieder angesprochen, aber noch nicht selbst aufgetreten. Selbst in einem Theaterstück gibt es mehr Kulissenwechsel.

Das siebte Kapitel schwenkt dann leserverachtend abrupt in Goethes Haus am Frauenplan, teilweise monologisiert er schwer Nachvollziehbares. Erst 80 Seiten später nach der nächsten Kapitelüberschrift setzt so etwas wie eine Handlung ein (ein Mittagessen, ein Theaterbesuch und danach tatsächlich noch eine weitere hübsche Idee des Autors, vielleicht die einzige, die man gern einmal in der DEFA-Verfilmung von 1975 mit Lilo Pulver sehen würde).

Doch zumeist textet Mann Langstrecken-Sermone über viele Seiten hin  – immer auf das Artigste, Allerliebste, fein individuelle Persönlichkeiten modellierend, einschließlich eines 60seitigen Berichts Adele Schopenhauers mit Klatsch aus Weimar. Doch wer neben germanistischem Glasperlenspiel in einem Roman auch Plot und spannungsreichen Dialog erwartet, ist im falschen Film (“sofern man bei diesen Dialogen und Monologen überhaupt noch von Handlung sprechen kann”, Die Zeit 1946).

Schwach auch, dass Arthur-Schwester Adele Schopenhauer der Kestnerin ausführlich und negativ von Goethe-Sohn August berichtet – und dieser gleich darauf unerwartet selbst erscheint. So ein Zufall. Der Bruch mit Beginn des siebten Kapitels ist dramaturgisch bizarr, oder vielleicht habe ich etwas nicht verstanden.

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