Mehr Erfolg mit weniger Verben: Germanistin Damm beendet viele Sätze ohne Zeitwort – das klingt je nach Kontext und Geschmack emotional, gehetzt, impressionistisch, zu privat oder wie mündliche Rede.
Manchmal sogar nur ein “Satz”, vom Verbe befreit, in einem Absatz.
Peter Brauns Weimarer Geschichten: Von Goethe bis Schiller. Eine Spurensuche (2009) liefern streckenweise einen ähnlichen Sound (sogar der Titel klingt nicht unähnlich). Auch Sigrid Damm selbst wiederholt diesen Stil präzise in weiteren Büchern über Schiller und Goethe.
Einerseits klingt Damms Buch damit sehr nach einer romantisch aufgeplusterten, fiktionalisierten Biografie, wie es sie etwa über Robert Louis Stevenson, Frank Lloyd Wright, Richard Francis Burton oder über Goethe selbst gibt. Richtig spannend wird es zuweilen, die Präsensform trägt dazu bei. Ihre Übernahme der früheren, skurril wirkenden Rechtschreibung verstärkt die fremde Atmosphäre weiter.
Zum anderen bringt Damm offenbar keinen nicht belegten Satz, kennzeichnet gelegentliche Spekulation deutlich als solche, erfindet keinen Dialog. Den Widerspruch zwischen romanhafter Textanmutung und strikt dokumentarischem Inhalt beschreibt Damm selbst in ihrer Nachbemerkung fast rechtfertigend (S. 517 in meinem Insel-Taschenbuch):
Ich verzichte auf Fiktionen, auf das Ausfüllen von Leerstellen durch erzählerische Fantasie… Ich vertraue ausschließlich dem Verbürgten, dem Dokument… Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Monographie. Ich nähere mich meinem Thema erzählerisch.
In ihrem nie lasch formulierten Bestseller erwähnt Damm immer wieder ihre eigenen Recherchereisen und Archivbesuche (wie TV-Journalisten, die sich in Dokus selbst vor die Kamera stellen und sagen, “ich beschließe, …”). Zwar zeigt Damm die Epoche enorm lebendig mit ihren vielen Details und Zitaten des geziert-hochpossierlichen, orthographisch flexiblen Schriftdeutschs. Der Einblick in authentische private Briefe – Bitten, Bekenntnisse – macht die Lektüre dramatisch. Damm analysiert und belegt treffend die Entwicklung in dieser sehr heterogenen Beziehung: die arme, unverheiratet ungesicherte und gesellige, gutherzige Christiane, von der Weimarer Gesellschaft eher geschnitten; der abgehobene Dichterfürst, der sich immer wieder für Monate absentiert; dazwischen der einzige Sohn, kein Highlight.
Doch mitunter verliert die Autorin die Distanz zu ihrem Stoff, vergräbt sich in Einzelheiten. So zitiert sie über Zeilen hin Katasternummern oder Gewichtseinheiten und Währungen, die für heutige Leser keine Bedeutung haben und nicht erklärt werden. Goethes Klage über Schlachtfelder voll “Scheishaufen” bringt sie gebannt gleich mehrfach und in den Nachfolgebüchern über Schiller (2004) und Goethes letzte Reise (2007) erneut.
Damm belegt Meinungen mit zu vielen Einzelzitaten, die alle in dieselbe Richtung gehen. Dies konterkariert die romanhafte Wirkung des Buchs und klingt nach Spiegel-Artikeln früherer Jahrzehnte. Auf Fußnoten verzichtet Damm andererseits ganz.
Ebenfalls zu viel: Über mehrere Seiten untersucht Damm mit moralisierendem Unterton Goethes milde Verstrickung in das Todesurteil gegen eine Kindsmörderin – lange vor dem ersten Gespräch mit Christiane, es hat praktisch nichts mit dem Buchthema zu tun; später notiert Damm allzu ausführlich (befriedigt?) den Protest der Goethe-Mutter gegen einen Spielzeuggalgen für Gustl Goethe. Selbst in anderen Büchern einschließlich ihrer Schiller-Biografie kommt Damm auf die Kausa zurück. (Trotzdem hätte ich auch in Christiane und Goethe gern etwas mehr über Schillers Leben unabhängig von seinem Austausch mit dem Olympier erfahren.)
Wenn möglich konzentriert sich Damm jedoch auf Christiane von Goethe, geb. Vulpius, die einfache Putzmacherin, die zunächst lange skandalös unverheiratet mit dem Dichterfürsten zusammenlebte. Christianes Jugend in Armut schildert Damm sehr eindrucksvoll, auch wenn sie meist auf Zitate von Bruder und Vater zurückgreifen muss. Erst nach gut 100 Seiten begegnet die Hauptfigur 23jährig erstmals dem Großdichter. Später steht oft eher Goethe im Vordergrund – weil er mehr unternommen hat, weil die Quellenlage besser ist.
Lateinische oder französische Ausdrücke und Goethelogismen wie “Freitagsgesellschaft” erklärt Sigrid Damm nur manchmal. Die kleinen historischen Landschafts- und Stadtansichten erscheinen undatiert, die im Text erwähnten historischen Portraits sieht man teils gar nicht. Doppelpunkte vermeidet Damm noch strikter als Verben, auch wenn sie zum Beispiel ein Zitat anmoderiert; so werden Bezüge zwischen Sätzen weniger klar als möglich. Mir sind ein paar Grammatikfehler aufgefallen, darunter nur einmal ein Verrutscher in die Grammatik der Goethezeit.
Sehr hohe Publikumsnoten:
- Amazon.de: 4,9 von 5 Sternen bei allerdings nur 26 Rezensionen
- Lovelybooks.de: 4,5 von 5 Sternen bei 34 Stimmen (jeweils Oktober 2016)
Kommentare:
Ob in einer Arbeit für Laien wirklich jeder Futzelkram belegt werden muß, bezweifle ich. Ihr Stil ist wohl Geschmackssache.
Die Qualität des Buches liegt gleichwohl in der der Zurückhaltung der Autorin, die lieber Originalquellen sprechen lässt
Ein akribischer, fesselnder Dokumentarbericht…
Damms Buch ist seriös recherchierte, einleuchtend geordnete und gut lesbare Heimatkunde
Kein Kirchenbuch und keine Champagnerrechnung, kein Zettelchen und kein Dienstbotenklatsch entgehen ihrer Aufmerksamkeit.
Bücher bei HansBlog.de: