Romankritik: Leichte Verfehlungen, von Elke Schmitter (2002) – 6 Sterne

Berliner Akademikerinnen um die 40 in allen Lebenslagen: In Diskussionsgruppen zu Derrida oder Schnitzler; im Diskurs mit Zugehfrauen, Kleinkindern und One-Night-Stands; beim Gynäkologen, beim Theaterworkshop und bei bizarren Schwiegereltern in spe. Nonstop fließen Weißwein, qualmen Zigaretten, und die Kellner sind eine Zumutung.

Schmitter – zu unterschiedlichen Zeiten auch Redakteurin bei taz und Spiegel – spießt Duktus und Habitus ihres Berliner Personals fast übertreibungsfrei, satirefrei auf. Das liest sich zeitweise elegant-amüsant, auch wenn ich nicht alle geisteswissenschaftlichen Exkurse verstand (sofern etwas zu verstehen ist).

Wie auch in Elke Schmitters Sartoris-Büchern dürfen Ehebruch und Verweise auf Effi Briest, Flaubert und Anna Karenina nicht fehlen; sogar das Motiv der Geliebten, welche die Ehefrau ihres verheirateten Liebhabers sehen will, kehrt wieder. Aber der Seitensprung ist hier kein Drama, eher eine weitere geisteswissenschaftliche Problemstellung; ihre Gefühle klopfen die Protagonistinnen auf Literaturparallelen ab. Die Männer bleiben sehr blass. Jegliche behauptete Gefühlsregung im Buch wirkt schwer nachvollziehbar.

Schmitter erzählt aus immer wieder wechselnden Perspektiven. Selma erscheint jedoch als Hauptfigur und – ohne dass ich es gut begründen könnte – wie ein alter ego der Autorin. Nach einigen Romanseiten aus Selmas Sicht klingt der Wechsel zu einem anderen Blickwinkel jedes Mal unpassend. Mindestens zweimal bringt Schmitter Tagtraum-artige Sequenzen, die jeweils absatzlos sechs Seiten belegen; diese Lektüreabschnitte fielen mir schwer.

Schmetters erfolgreiches Vorgänger-Buch Frau Sartoris (2000) zeigte sehr realistisch einfache Angestellte in einer Kleinstadt fast ohne Dialoge, aber mit hochfliegenden Gefühlen – ein völlig anderes Milieu, ein anderer Stil als hier in Leichte Verfehlungen. Wegen enttäuschter Erwartungen traten viele Frau-Sartoris-Leser den so anderen Nachfolgeroman Leichte Verfehlungen in die Tonne. Doch die Leichten Verfehlungen sind nicht schlechter – nur anders. Man beschwert sich ja auch nicht, wenn eine Mango nicht nach Schnitzel schmeckt. Wirklich gut sind beide Romane ohnehin nicht.

Insgesamt wirkt Leichte Verfehlungen ein bisschen lang, ein bisschen humorlos, ein bisschen unleicht; aber doch gut beobachtet und aufgespießt.

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