Romankritik: Darüber reden, von Julian Barnes (1991, engl. Talking It Over) – 6/10 Sterne – mit Video

Drei Personen reden abwechselnd direkt zum Leser und schildern jeweils ihre Sicht eines sich anbahnenden Liebesdreiecks; teils erzählen sie ihre Geschichte fortlaufend, ohne Überlappung. Diese interessante Konstruktion schwächt Julian Barnes durch die Geschwätzigkeit und Blasiertheit der Figur Oliver/Ollie samt Angeber-Fremdwörtern (“Gillian’s rebarbatively quotidian motor-car”) und anlasslosem Deutsch oder Französisch mitten im englischen Satz (ich kenne nur das engl. Original und kann die Eindeutschung von Gertraude Krueger nicht beurteilen).

Autor Julian Barnes schnitzte sich mit Ollie ein Vehikel für alle Bildungsvokabeln und Randbemerkungen, die er schon immer mal im Druck sehen wollte; dazu gehört auch eine peinsame Schilderung vom Herrenurinal.

Immerhin, so hebt sich Oliver deutlich von den anderen zwei Sprechern ab, die sich stimmlich kaum unterscheiden, aber auch nicht konsistent formulieren. Doch andererseits passiert im ersten Roman-Viertel nicht viel, weil Oliver über alles und nichts schwafelt und deutlich mehr Zeilen als die anderen zwei Akteure beansprucht.

Keinen Moment wird klar, warum diese blasierte Laberbacke Ollie mit dem bodenständigen Stuart befreundet und dann in dessen ebenso bodenständige Frau Gill(ian) verliebt ist – “it was her face that did it”, behauptet Oliver mehrfach unglaubwürdig. Auch die Anziehung in umgekehrter Richtung wirkt wörtlich an den Haaren herbeigezogen.

Billiger Trick:

Erst auf Seite 83 von 273 erzeugt Barnes endlich Spannung – jedoch mit einem schäbigen Romancier-Trick: Ollie verhält sich drastisch unrealistisch und kippt dadurch das Gefüge in der Drei-Freunde-Gruppe. Eine weitere Person reagiert darauf ebenfalls unrealistisch und generiert ein Geheimnis, das keins sein müsste – es macht aber die Geschichte spannend.

Gegen Ende kredenzt Autor Julian Barnes weitere Unwahrscheinlichkeiten. Es kommt ihm nicht auf psychologische Genauigkeit an, sondern auf einen symmetrischen Plot, der mögliche Konstellationen systematisch durchspielt. Spätestens hier erinnert die Geschichte an einen Bauernstadl, bei dem ständig aufgeregte Trottel durch die Türen links und der Bühne stürmen.

Assoziation:

  • Die Roman-Fortsetzung heißt Liebe usw. (2000, engl. Love, etc.) und ein Kapitel “II: Love, &c.” erscheint bereits im ersten Roman (jedenfalls in der engl. Fassung)
  • Die Verfilmung von Darüber reden/Talking It Over heißt ebenfalls Love etc.
  • Die aufdringlichen Verallgemeinerungen und Lehrsätze des Ich-Erzählers Ollie in Liebe usw. und in Darüber reden erinnern vag an Barnes‘ Ich-Erzähler aus Die einzige Geschichte. In allen drei Barnes-Büchern gibt es ein Ehepaar und einen weiteren Mann, der die Ehefrau haben will, zwischenzeitlich in USA arbeitet und sich mit Feinkost selbständig macht
  • Amazon-Werbelinks: Darüber reden | Liebe usw. | Julian Barnes allg.

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