Romankritik: Das glückliche Paar, von Naoise Dolan (2023, engl. The Happy Couple) – 5/10

Fazit: Die Erzählerin und ihre Figuren klopfen zunächst supercoole Sprüche mit scharfen Beobachtungen. Sie schlafen mit Männern und Frauen durcheinander und diskutieren Sex wie einen komplizierteren Zündkerzenwechsel. Dazu bringt Naoise Dolan interessante Details aus dem Leben von klassischen Musikern. Die zweite Buchhälfte entgleist als abgeschmackte, verunglückte RomKom und zieht den Gesamteindruck in die Tiefe.

Gedrucktes Tiktok:

Manche Absätze haben nur einen Stummelsatz, und manche Kapitel haben nur einen Stummelsatz; darunter bleibt die Seite weiß. Ich habe das auf Englisch gelesen, und die Sprache ist leicht. Trotzdem habe ich nicht alles verstanden, weil ich zu alt, zu uncool und zu unirisch bin.

Dolan schreibt sehr kurze Kapitel samt abgetrennter Unterkapitel, Listicles und Drehbuch-Dialogen – gedrucktes Tiktok. Sie wechselt öfter Zeit und Perspektive; so verschiebt sie entscheidende Momente nach hinten, erzeugt Cliffhanger und billige Spannung. Ein Ich-Erzähler thematisiert dieses Warten auf Entscheidung oder Wendepunkt sogar:

But you must be wondering what happened…

Über abgezählt 113 Seiten (einige davon nur mit zwei Zeilen gefüllt) grübeln sämtliche Hauptfiguren in den Stunden vor der Trauung, ob sie überhaupt teilnehmen sollten: der Bräutigam, die Braut, die wichtigen Gäste – ein fades Spannungsmittel, ein quälender Countdown:

40 minutes to go… 30 minutes left… Twenty minutes until the ceremony began… they had fifteen minutes… 5 minutes late

Das klingt wie eine überzogene RomKom. Die Figuren vergessen weitgehend ihre Selbstironie und ihre smarten Sprüche. Der aufdringlich symbolische, zerbrochene Porzellanschwan schmerzt.

Aber sie liebte ihn:

Wie die Pianistin Celine ihrem seriell untreuen Verlobten Luke trotz aller Alarmsignale vertraut, erscheint unrealistisch. Die Autorin, aus Celines Perspektive: 

But she loved him. 

But he’d lied.

Luke hat so derb und so schlecht gelogen, sich zwischenzeitlich so lächerlich verstellt, dass die Verlobung gescheitert sein muss. Doch Celine will selbst kurz vor der Trauung nicht alles Bekannte über Luke wissen. Gibt es solche Frauen?

Luke als Ich-Erzähler liefert für Celines Nibelungentreue eine Erklärung. Luke sagt auch, Celine sei ein “Savant”/habe eine Inselbegabung, ein Phänomen, das Autorin Naosie Dolan womöglich bei sich selbst sieht oder diagnostizieren ließ.

Dass die Hauptfiguren sich abwechselnd unsterblich in Menschen ihres und des anderen Geschlechts  verlieben, auch Farbige unter ihnen, das muss so sein. Non-Binäre und in der Kindheit Missbrauchte Figuren oder flagrantes #Metoo gibt es jedoch nicht, deshalb weiterer Punktabzug.

Assoziation:

  • Naoise Dolans Erstling Aufregende Zeiten hat viele Parallelen: die supercoolen Sprüche, bisexuelle und mild desorientierte Hauptfiguren, Lebensrat erfragen bei Google (im nächsten Roman dann ChatGPT?), das Herumreiten auf den Besonderheiten von Irland und dessen Unterschieden zum Vereinigten Königreich (“There are fourteen landlocked Irish counties… British colonialism on Irish musical training”).
  • Ein Ich-Erzähler zitiert kurz Stolz und Vorurteil von Jane Austen
  • Auch in Jakob Augsteins Roman Die Farbe des Feuers hat eine Hauptfigur erst eine intensive homosexuelle Beziehung, um dann einen Partner vom anderen Geschlecht zu heiraten, und der homosexuelle, weiterhin sehr wichtige Ex-Partner kommt (eventuell) zur Hochzeit
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