Romankritik: The Grammarians, von Cathleen Schine (2019) – 6/10

Daphne gilt als die Klügere. Doch Laurel kam 17 Minuten früher zur Welt und ist auch sonst überall als erste zur Stelle. Daphne mault:

”I’ll never catch up… you were alive for seventeen minutes without me. I was never alive without you.”

Solch ein Dialog klingt nicht realistisch, aber unterhaltsam. Das Buch ist voll von solchem. Und gelegentlich reden die Zwillingskinder auf Geheimsprache:

”De jers er dydnee”… “Jeedr ub…”

Überhaupt agieren die Mädchen in jungen Jahren unrealistisch wissbegierig und clever –

“that’s onomatopoeia!”

Unrealistisch altkluge Bemerkungen von kleinen Kindern sind ein alter Trick im Film (hallo Bollywood). So etwas gefällt mir nicht, aber weil es hier um Wortspiele und Sprache geht, bin ich ausnahmsweise doch amused.

Cathleen Schine überfrachtet ihren Roman mit Sprachthemen. Daphne wird Sprachkritikerin bei einem Stadtmagazin, Laurel liest ausgiebig in alten Sprachbüchern und grübelt über “the demise of the inflected genitive in modern English”. Wortwechsel sind manchmal verwickelt witzig.

Eine richtige Handlung kommt dagegen nie in Gang, Personen bleiben blass oder Karikatur, und für Spannungsbogen und ernstlichen Konflikt interessiert sich die Autorin nicht (es gibt nur kindische Konflikte auch unter Erwachsenen);  wahrscheinlich denkt Cathleen Schine selbst auch gern über solche Sprachthemen nach, und sie hätte ihr persönliches Interesse zügeln sollen. Laut eigener Danksagung war sie

a bad copy editor long time ago

Im zweiten Buchviertel sind die Zwillinge bereits junge Erwachsene in New York. Das pfiffig Altkluge der Kinderjahre weicht nun einer gefühligen Komödie und Home Story samt knuddeligen Babys, Katzen, Hochzeiten, familiären Tischrunden und schmerzlichen Abschieden – naja, fast schon ein paar Hochzeiten und ein Todesfall, oder eine andere Komödie von Working Title.

Cathleen Schine schreibt ein federleichtes Englisch, mit hingetupften, kurzen,  träumerischen Sätzen, en passant wechselt das Szenario. Und genauso flüchtig und ungreifbar sind auch die Orte: die Kinder wachsen in einer Kleinstadt bei New York auf, sie verbringen ein paar Jahre in Los Angeles und leben dann in New York; doch nie entsteht ein Sinn für den Ort, in den Kindheitsjahren wusste ich eine Weile überhaupt nicht, wo sie wohnen, weil alles so allgemein klingt. Markant wirken nur die zwei Schwestern und zu einem gewissen Grad noch ihre beiden Eltern und ihr Onkel Don.

Zu Beginn hatte die Autorin die private Geheimsprache der Zwillinge wörtlich wiedergegeben, fast unverständlich, aber amüsant. Jetzt textet Cathleen Shine jedoch beispielsweise:

Daphne called, “Goodbye! Good luck!” in their private language.

Ohne die Originalwörter selbst ist das fad, und der Hinweis “in their private language” klingt obsolet. Später darf Daphne einen Artikel für die Vogue schreiben, der ein Erfolg wird, aber von diesem Artikel sehen wir nicht einen Satz, obwohl sein Thema das des ganzen Buches ist – Sprache. Solches Schriftstellern erinnert an Romane über fiktive Schriftsteller, von deren fiktiven Erzeugnissen wir nie eine Zeile lesen, ein no-no.

Einmal tauschen die erwachsenen Zwillinge ihre Jobs. Das heißt, Daphne unterrichtet in Laurels Klasse – völlig unrealistisch, sie kennt keinen Schüler, keinen Kollegen, keinen Weg, kein Gespräch vom Vortag.

Assoziation:

Manche schrägen Sätze erinnern mich an die schrägen Typen der jüngeren Lorrie Moore, z.B. Daphnes Ausspruch in der Redaktion:

”Grammar is good. I mean ethically good. If you think of all these words just staggering around, grammar is their social order, their government.”

Und wegen New York, und ebenfalls wegen Schrägheit, Humor und Frauenzentriertheit, kam mir auch Norah Ephron in den Sinn. Doch sowohl Ephron als auch Moore machen viel mehr aus dem Thema Liebe; im Schine-Buch gibt’s nur Sex, Heirat und Kindlein, aber kein Drama.

Ähnlich wie in ihrem Roman Der Liebesbrief (1995) weckte Cathleen Schine auch hier hohe Erwartungen bei mir und erfüllt sie nicht

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