Kritik Sachbuch: Fritz Bauer, von Ronen Steinke (2014) – 6/10

Fazit:

Fritz Bauer ist eine hochinteressante Figur der Zeitgeschichte und Ronen Steinke ein interessanter Journalist und Jurist mit ungewöhnlichem Profil. Doch dies ist keine große Biografie. Sie leidet unter vielen Zeitsprüngen, teils unglücklicher Sprache und ausschweifenden juristischen Betrachtungen. Steinke schreibt zwar leicht lesbar, jedoch nie angenehm oder einladend.

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Lasst Fakten sprechen:

SZ-Journalist und Jurist Ronen Steinke schreibt flüssig, aber glanzlos. Er lässt immer wieder wie Fakten sprechen wie in

Von den 47 leitenden Beamten des BKA im Jahr 1958 sind 33 frühere SS-Angehörige…

Ronen Steinke folgt nicht der Chronologie, sondern sortiert eher nach übergeordneten Lebensthemen oder großen Prozessen. So springt der Biograf heftig zwischen den Jahrzehnten, wenn er z.B. Belege für eine bestimmte Geisteshaltung aufzählt. Und selbstverständlich beginnt Steinke nicht mit Fritz Bauers Großeltern, sondern klassisch livig mit einer dramatischen Szene aus Fritz Bauers (1903 – 1968) späteren Jahren.

Auch viele spätere Kapitel leitet Steinke gern mit einer Live-Szene ein und springt dann evtl. ein paar Jahre zurück. Das Buch startet denn auch mit der konspirativen Übergabe der Eichmann-Informationen an Israel. Verblüffend nur, dass Fritz Bauers Israel-Eichmann-Kollaboration später nicht erneut zur Sprache kommt. Ich hatte ernsthaft erwartet, dass Steinke diesen Ablauf noch einmal bespricht, auch wenn er Bauer nicht viel Zeit kostete. Doch nach dem stark dramatisierten Einstieg mit der Weitergabe der Eichmann-Unterlagen ist dieses Thema schon erledigt.

Zeitsprünge:

Nach dem aufsehenerregenden Remers-Prozess von 1952 bringt Steinke ein Unterkapitel über Bauers Jurastudium drei Jahrzehnte zuvor – all das zumeist im Präsens, wenn auch gelegentlich mit Futur und Perfekt dazwischen. Ebenfalls nach dem Remers-Prozess und nach Rückkehr aus dem Exil kommt dann noch, in der Buchmitte, die Zwischenüberschrift:

Die Speerspitze des Fortschritts: Jugendrichter 1928

Also wieder ein Sprung zurück über mehrere Jahrzehntee. Dem folgt dann ein Sprung nach vorn: das Unterkapitel über das Nürnberger Tribunal 1945. Ich glaube, Steinke wollte die Bauart einer Reportage auf ein ganzes Buch übertragen, aber das funktioniert hier nicht.

Wenig Atmosphäre:

Immer wieder beschreiben Zeitzeugen Fritz Bauer als “Pulverfass” oder “Vulkan”, aber im Buch entfaltet er wenig Wumms. Ob der evtl. homosexuelle Bauer vor 1936 irgendein Liebesleben hatte, darüber sagt Ronen Steinke  nicht ein Wort. Über die Zeit danach auch kaum etwas. So wenig wie ein Gefühl für den Lauf der Zeit entsteht entsteht in diesem Buch ein Gefühl für den Menschen Fritz Bauer – trotz einiger Unterkapitel speziell zu seinem Privatleben. Aber womöglich gibt es einfach nichts Belastbares.

Der erste und der zweite Weltkrieg rauschen irgendwie fast unbemerkt vorbei. Dagegen schildert Steinke Fritz Bauers Haft 1933 sehr ausführlich. Wir hören genau, wie Bauer mehrere Stellen in der deutschen Justiz nach 1945 verweigert wurden, offenbar mit antisemitischen Argumenten.

Hoch ist Steinkes Interesse an rechtsphilosophischen Fragen, so beleuchtet er genau einen Prozess Bauers, in dem es darum geht, ob die Hitler-Attentäter vom 20. Juli als Verräter bezeichnet werden dürfen. Mehrfach springt er in Zeiten und Themen, um Rechtserörterungen einzuschieben:

Hegel bringt das auf die berühmte Formel, die Straftat sei eine “Negation” des Rechts, die Strafe die “Negation der Negation”… eine Korrelation zwischen der Härte der Strafe und der Höhe der Rückfallquote bedeutet… Es ist eine zweischneidige Angelegenheit mit dem Präventionsgedanken: Der französische Philosoph Michel Foucault beschreibt in seinem 1977 auf Deutsch erschienen Buch Überwachen und Strafen, wie autoritär gerade ein auf Resozialisierung ausgerichtetes Gefängnis sein kann. Unter dem Ruf nach Resozialisierung werde…

Auch das Konzept der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse 1945 erläutert Steinke weit ausführlicher als für eine Fritz-Bauer-Biografie nötig – Bauer war noch im Ausland (er kommentierte die Prozesse aber vorab und nachher schriftlich unter anderem mit einem Buch und modellierte offenbar seinen Frankfurter Auschwitz-Prozess nach Prinzipien des Nürnberger Prozesses).

Zudem schildert Steinke ausführlich nicht nur den braunen Sumpf in der deutschen Justiz lange nach 1945, sondern auch Greueltaten aus Auschwitz. Und er schildert sehr breit die Homosexuellengesetze und ihre stumpfsinnigen Begründungen bis 1967 (Bauer schrieb ein Buch dazu).

Sprache:

Zwar liest sich Ronen Steinke insgesamt flüssig, und er bemüht sich um reportageartige Live-Szenen bei vielen Kapitel-Einstiegen und teils mitten im Text. Dennoch enttäuscht Steinke sprachlich, so etwa mit doppelten Verneinungen wie hier (S. 47):

…was ihm nicht möglich wäre, wenn seine Eltern nicht mehr eingetragene Gemeindemitglieder wären.

Warum sagt er nicht einfacher: “… was ihm nur möglich war, weil seine Eltern noch eingetragene Gemeindemitglieder waren.” Oder (S. 213):

Kaum einer der Empörten versäumt zu erwähnen, dass…

Warum nicht “Fast alle Empörten erwähnen, dass…”

Auch Wortdoppler oder Klangdoppler scheut Steinke nicht:

eine Demütigung, die er über sich ergehen lässt, um Schlimmerem zu entgehen

Von dem Fabrikantensohn Max, der früh aus der Heimat auszog… hat Bauer zu Hause schon früh gehört.

Auffallend oft stellt er seine politischen Argumente jetzt auf ausnehmend christliche Füße.

Seite 233: 2x “bereits” innert drei Zeilen; S. 259: 2x “arbeiten/-t” innert 4 Zeilen.

Manches klingt einfach unglücklich bis sperrig, etwa (S. 169)

… eine klare, verstehbare Erzählung dessen zu geben, …

Die Mutter widmet sich in einem changierenden Kleid dem Tango… ((lieber “…farblich changierenden”))

Auffallend oft stellt er seine politischen Argumente jetzt auf ausnehmend christliche Füße.

Dazu kommen sprachliche Irrtümer wie

Gerade weil die Emanzipation der Juden unvollständig ist, legen jene besonderen Wert darauf zu beweisen, dass sie keineswegs anders sind als ihre christlichen Nachbarn ((korrekt “…legen diese”)

Es handelt sich um die Ouvertüre zum Rheingold, einem Werk des Komponisten… ((korrekt “…ein Werk))

Zu den chronologischen Sprüngen kommen allerlei Tempiwechsel, hier etwa von Futur 2 über Futur 1 zu Präsens (S. 188):

Bis zum Prozessbeginn werden sie 1500 Zeugen ausfindig gemacht haben, von denen sie 250 auch in den Zeugenstand rufen werden. Auch mit Schläue gehen sie vor…

Trennfehler gibt es zum Glück nicht – bei “Auschwitz” steht, nicht selbstverständlich, der kleine Strich an der richtigen Stelle (Seite 277).

Schöner als Steinke schreibt allemal sein Objekt Fritz Bauer, dessen wenige Zitate jederzeit mitreißen, und Steinke lobt den “auffällig farbige(n) Schreibstil” Bauers.

Ausstattung:

Die Biografie liefert 60 Seiten Endnoten, aber sie werden nicht durch hochgestellte Ziffern im Lauftext markiert. Der Leser muss auf gut Glück nach hinten blättern und gucken, ob zu einem Zitat oder einer anderen Buchstelle eine Endnote vorhanden ist – leserfreundlich geht anders; zumal dort hinten nicht nur Quellenangaben stehen, sondern auch mehrere Sätze lange Hintergründe. Man braucht also  zwei Lesezeichen bzw. zwei Lesebändchen. Meine Piper-Hardcover-Ausgabe (3. Auflage 2014) hat jedoch nur ein Lesebändchen.

Es gibt keinen Stammbaum, der bei den komplizierten Familienbeziehungen – unter anderem Familie Hirsch (Tübingen) und die nicht verwandte Familie Hirsch (Stuttgart) – helfen könnte. Auch eine Zeittafel fehlt, sie könnte bei den vielen Zeitsprüngen die Übersicht erleichtern. Zudem vermisse ich eine Bibliografie der zahlreichen Bücher Bauers, die Ronen Steinke nur am Rand erwähnt. Meine Hardcover-Ausgabe hatte einige Seiten ordentlich reproduzierte Schwarz-Weiß-Fotografien auf matt gestrichenem Fotodruckpapier.

Assoziation:

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