Christian Liedtke (*1964) schreibt ruhig und flüssig, unprofessoral und uneitel. Er baut viele kursivierte Heine-Zitate ein, die generell pfiffig, frech und liebenswert klingen – Heinrich Heine (1797 – 1854) hatte hörbar Herz, Hirn und Hormone am rechten (linken) Fleck. Liedtke zitiert vor allem die Briefe Heines und seiner Zeitgenossen (es gibt 862 Endnoten mit Quellenangaben), dazu etwas Lyrik, aber kaum Prosa.
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Weder Zweck noch Mittel:
Die Biografie legt keinen Wert auf Live-Charakter und Zeitkolorit, sondern auf geisteswissenschaftliche Entwicklungen: “Der plaudernde, anekdotenreiche Stil” seines Sujets könne in die Irre führen, versichert Liedtke: Heine lieferte “ohne Frage eine philosphische Leistung, die zu dieser Zeit einzigartig ist”. Und so heißt es allein auf S. 111*:
Zustimmung zu ihrer humanistischen Fortschrittsidee… in geschichtsphilosophischer Hinsicht… Mit der gleichen antiteleologischen Haltung, die er bereits Hegel entgegengebracht hatte… Das Leben ist weder Zweck noch Mittel; das Leben ist ein Recht. Das Leben will dieses Recht geltend machen gegen den erstarrenden Tod, gegen die Vergangenheit, und dieses Geltendmachen ist die Revolution… Dieser existenzielle Revolutionsbegriff trennt Heine von den Saint-Simonisten, in deren Gesellschaftstheorie…
Ausführlich schildert Liedtke auch Heines Beziehung zu den Verlegergrößen Cotta und Campe und sein zunehmend verzweifeltes Ringen mit der preußischen Zensur. Dies Thema hätte ich mir schon ausführlicher gewünscht, und noch viel weniger sagt Liedtke über Politik (Napoleon, Ludwig I., Wiener Kongress, 1830, 1848 etc.) und über Heines Lebensumstände oder Frauen: Als Teen himmelte Heine eine unerreichbare Cousine an, und obwohl Heine die Holden als solche unentwegt besingt, gibt Liedtke dem Dichter erst spät in Paris wieder eine Dame an die Seite.
Innovativ in der Form reflektiert:
Ebenfalls zu knapp erörtert Liedtke Heines schriftstellerische Mittel. Was war das Besondere? Ja, gut, wir lernen, dass Heine (S. 169)
nach dem Tod Goethes der erste deutsche Dichter war, der – bereits zu Lebzeiten – weltliterarischen Rang erlangte.
Und mit welchen Mitteln?
Liedtke enthüllt nur vage, dass (S. 130)
der politische Gehalt Heines Prosa und Versdichtung seit seiner Berliner Zeit niemals bloß äußerlich bleibt, sondern stets auf innovative Weise in der Form reflektiert wird.
Und wie?
Vergleich der Heine-Biografien von Christian Liedtke, Hauschild/Werner und Rolf Hosfeld:
Obwohl viel kürzer, sagt Christian Liedtke am meisten über einflussreiche Lehrer in Heines Schulzeit und auch etwas mehr über Jung-Heines unglückliche Liebe zu seiner Cousine. Hauschild/Werner kümmern sich stärker als Liedtke um Politik und Soziales (vor allem in Frankreich), nur sie widmen jedem wichtigen Buch ein (oft kurzes) Unterkapitel, und sie besprechen zudem ausführlich Heines Stilmittel, auch gegenüber der Zensur.
Rolf Hosfeld hat das stärkste Augenmerk auf Weltgeschichte, Philosophie und Literaturgeschichte, interessiert sich weniger für Heines Alltag und Lebenspraxis.
Nur Hauschild/Werner analysieren in einem interessanten Exkurs Heines ersehntes „Dichter-Professor-Modell“ unter Ludwig I. in München, nur bei ihnen und mehr noch bei Hosfeld besucht er Prostituierte (S. 118, S. 263f) und hat Affären. Bei Hauschild/Werner bekommt Heine für die Englandreise einen Scheck „über zweihundert Pfund“ (S. 115), bei Liedtke dagegen „vermutlich… vierhundert Pfund“ (S. 86).
Liedtke schreibt eingängiger, klarer; die Sprache von Hauschild/Werner klingt im Deutschland-Teil wunderlich, wenn auch meist noch nicht abstoßend germanistisch; Hosfeld plaudert elegant feuilletonistisch, teils verstiegen oder komplizierte Begriffe voraussetzend.
Liedtke und Hosfeld haben einige Bilder auf Lauftext-Seiten, meine Hauschild/Werner-TB-Ausgabe* zeigt Bilder nur auf dem Umschlag. Alle Bücher liefern am Ende eine Zeittafel, bei Hauschild/Werner ausführlicher als bei Liedtke. Er und Hauschild/Werner liefern einen Block mit Zitaten verschiedener Berühmtheiten über Heine.
Liedtke und Hosfeld verwenden hochgestellte Ziffern für viele Quellenbelege in den Endnoten, Hauschild/Werner verzichten auf die hochgestellten Ziffern; das erschwert die Zuordnung der Endnoten zu Zitaten, ergibt aber ein ruhigeres Bild im Lauftext (mir sind hochgestellte Ziffern weit lieber).
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*ich hatte die Ausgabe von 2006
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