Tag Archive for Paris

Lese-Eindruck Biografie: Heinrich Heine, Die Erfindung des europäischen Intellektuellen, von Rolf Hosfeld (2014)

Kulturjournalist und Heine-Doktorand Rolf Hosfeld (1948 – 2021)  interessiert sich vor allem für Weltgeschichte, Literaturgeschichte und Philosophie und weniger für Heinrich Heines Alltag und Mentalität. Ich konnte nur die erste Hälfte komplett lesen; dann wurde es mir zu wolkig, und ich habe die zweite Hälfte nur punktuell studiert. Amazon-Werbelinks: Heinrich Heine | Heinrich Heine Biografie…

Kritik Memoiren: Die Einwilligung, von Vanessa Springora (2020, frz. Le Consentement) – 7 Sterne

Diese Memoiren sind nach meinem Geschmack, denn Männer werden in die  Ei  Tonne getreten: Der Vater ein bindungsunfähiger Wüterich mit Sexpuppe Schon als Kind Begegnung mit Exhibitionist Die Liebhaber der Mutter sagen der nachts hörbar „Dreh dich um“ und sonst nicht viel Der viel ältere Verehrer hat Glatze, dazu passend das „gefräßige Lächeln eines großen…

Kritik Biografie. Heinrich Heine, von Jan-Christoph Hausschild u. Michael Werner (1997) – 6 Sterne

Die Sprache ist nicht direkt professoral oder zu verschachtelt, aber doch im ersten Teil glanzlos und nicht achtsam leserfreundlich. Immerhin gibt es Sätze mit über 60 Wörtern (z.B. S. 59*, „Das hinderte ihn aber nicht…“). Der zweite Teil (Paris) ist keine Chronologie, sondern eher eine Aufsatzsammlung. Auf Amazon: Heinrich Heine | Heinrich Heine Biografie |…

Kritik Biografie. Heinrich Heine, von Christian Liedtke (1997, 2006, rororo Monografie) – 7 Sterne

Christian Liedtke (*1964) schreibt ruhig und flüssig, unprofessoral und uneitel. Er baut viele kursivierte Heine-Zitate ein, die generell pfiffig, frech und liebenswert klingen –  Heinrich Heine (1797 – 1854) hatte hörbar Herz, Hirn und Hormone am rechten (linken) Fleck. Liedtke zitiert vor allem die Briefe Heines und seiner Zeitgenossen (es gibt 862 Endnoten mit Quellenangaben),…

Romankritik: Im Falle eines Unfalls, von Georges Simenon (1958, auch Mit den Waffen einer Frau) – 5 Sterne – mit Video

Simenon

Ein steinreicher alter weißer Cismann erzählt diesen Nicht-Maigret-Roman. Seine Frau ist noch älter, darum hält er nebenbei eine Privatnutte, die einst als Mandantin in seinem Büro ungefragt den Rock lupfte, und kein Höschen darunter. Das ist sehr Simenon, sogar Altherren-Simenon, aber er kann es eigentlich besser: wenn er über bittere Rentner, verschlurfte Kleinstadtärzte oder Kleingastronomen…

Kritik Kurzgeschichten. W. Somerset Maugham: Collected Short Stories Volume 1 – 7 Sterne

Die Bände 1, 2 und 4 von Maughams Collected Short Stories sind sehr heterogen: Sie versammeln Geschichten mit unterschiedlichsten Entstehungsjahren, Längen, Themen und Schauplätzen. Volume 1 der Collected Short Stories wirkt besonders heterogen: Der Band enthält nur wenige der meistgefeierten Maugham-Shorties – das vielberaunte Südsee-Schmalzodram Rain ist jedoch drin. Die Kurzgeschichten sind oft routiniert erzählt,…

Kritik Biografie. Selina Hastings: The Secret Lives of W. Somerset Maugham (2009) – 8 Sterne

Selina Hastings erzählt sehr flüssig, ohne aufzutrumpfen oder die Zeit literarisch zu pimpen – sie textet eher distanziert*. Elegant, fast anmutig schwebt sie von Recherche zu Zitat, vom Allgemeinen zum Konkreten, von Liebe zu Literatur. Das liest sich hervorragend und spannender als erwartet – von Profikritikern gab’s viel Lob. Natürlich liefert Hastings Bezüge zwischen Maughams…

Kritik Doppelbiografie. Hazel Rosenstrauch: Wahlverwandt und ebenbürtig, Caroline und Wilhelm von Humboldt (2009) – 5 Sterne

Rosenstrauch erzählt teils sehr subjektiv, sie springt v.a. in den ersten Kapiteln zwischen Zeiten und Personen, es wirkt vielleicht „persönlich“, aber gewiss unübersichtlich: So bringt sie auf S. 26* einen 70-Wörter-Satz mit rund zwölf gutteils nicht eingeführten und auf unterschiedliche Art verflochtenen Personen („Karoline von Wolzogen, die Schwester von Charlotte Schiller, die zur Ehe des…

Kritik Doppelbiografie. Manfred Geier: Die Brüder Humboldt (2009) – 5 Sterne

Wilhelm von Humboldt frönte „einer Hure“ (S. 113) und schrieb in Schillers „Horen“ (S. 183). Sein Bruder Alexander schrieb auch in den „Horen“, schwärmte aber für zarte Männer, bereiste ferne Länder, folterte sich im Namen der Wissenschaft. Die Humboldt-Brothers verkehrten mit Goethe, Schiller, Georg Forster, Campe, Fichte, Friedrich von Gentz et. al., man traf gekrönte…

Kritik Roman: Privateigentum, von Julia Deck (2019) – 7 Sterne

Julia Deck (*1974) beschreibt lakonisch-bösartig die Vorort-Hölle in einer Pariser Reihenhaus-Siedlung, inklusive „Solarmodulen und Kompostbecken“ und Wüsteneien entlang der Ausfallstraßen. Die Nachbarn plaudern scheißfreundlich über „Komposthaufen oder Flohmärkte“, belauern sich, werden beiläufig läufig und übergriffig. Diesen Albtraum samt giftgrünem Rasen und Autowaschen vorm Haus schildert Julia Deck beklemmend, düster satirisch, momentweise lustig. Allerdings schwächelt das…

Filmkritik Komödie: Julie & Julia (2009, mit Meryl Streep) – 4 Sterne – mit Video

Das ist kein vollwertiger Spielfilm. Es gibt kaum Drama, und die zwei Hauptfiguren begegnen sich nicht, obwohl sie es könnten. Zwischen den zwei Paaren im Mittelpunkt des Films herrscht zumeist allerkuscheligste Harmonie; eine kleine Krise beim jüngeren Paar wirkt unglaubwürdig und löst sich darum schon bald in Luft auf. Meryl Streep spielt die Kochbuchautorin und…

Kritik TV-Spielfilm: Verratenes Glück (2018) – 7 Sterne – mit Video

Ein ruhiger, stimmungsvoller TV-Spielfilm um ein arriviertes Ehepaar mit einem Ehemann auf Abwegen (Xavier Lemaître, Isabelle Carré; Regie Philippe Harel). Besonders gefällt mir Roxane Arnal als junge, unsichere Ehebrecherin, die ganz bei sich ist; sie erhielt einen Nachwuchspreis, ist aber zur Filmmitte bereits im Off. Das Ganze ist betont geschmackvoll ausgestattet und abgelichtet. Der Film…

Kritik Memoiren: Der kälteste Winter, von Paula Fox (2005, engl. The Coldest Winter) – 5 Sterne

᛫ ᛫ ᛫   Als etwa 23jährige reist Paula Fox (1923 – 2017) im Auftrag einer kleinen Nachrichtenagentur um 1946 durch das kriegszerstörte Europa. Die Stationen in diesen Erinnerungen sind New York, London, Warschau, Barcelona, Madrid, Mallorca, Paris. Diese Memoiren veröffentlichte Paula Fox über 50 Jahre später. Da hatte sie schon lange keine Erwachsenenromane mehr…

Filmkritik: Night on Earth (1991, von Jim Jarmusch, mit Gena Rowlands, Winona Ryder, Roberto Benigni) – 7 Sterne – mit Video

Der Film zeigt fünf unverbundene Geschichten von fünf längeren, nächtlichen Taxifahrten in fünf Großstädten – Los Angeles, New York, Paris, Rom und Helsinki. Regisseur und Autor Jim Jarmusch skriptete überwiegend hervorragend, teils sehr gefühlvoll, teils rabiat sarkastisch, mit starken Dia- und Monologen. Die Schauspieler bringen ihre oft schrägen Figuren oft überzeugend und sehr präsent auf…

Spielfilmkritik: Siebenmal lockt das Weib (1967, mit Shirley MacLaine, Regie Vittorio de Sica) – 4 Sterne – mit Video

Die Frauen in diesem Episodenfilm sind zänkisch, dümmlich, niedlich und dominant. Hübsche Heimchen, die ihren männlichen Anhang am Nasenring durch die Arena ziehen, weil der noch dümmlicher ist. Begehren des anderen Geschlechts bügeln die Damen ab – vorerst, doch nicht auf Dauer, denn sie werden eigentlich gern umworben, notfalls auch von anonymen Passanten. Shirley Maclaine…

Romankritik: Drei Frauen, von Georges Simenon (1959) – 4 Sterne – mit Medien-Links

Simenon

Die junge, selbstbewusste Fallschirmspringerin und Rennfahrerin Sophie lebt mit einer labilen Freundin und einer Haushälterin zusammen. Da muss die fast vergessene Großmutter aufgenommen werden – sie kommt in die zweite Dienstbotenkammer. Zwischen den Frauen entsteht eine Art Machtkampf; zum Beispiel konfisziert Sophie den Konservenvorrat ihrer Großmutter, um Gäste zu bewirten; es gibt ein wenig Zickenkrieg,…

Rezension: Der Mann mit dem kleinen Hund, von Georges Simenon (1964) – 7 Sterne

Simenon

Der Ich-Erzähler ist ein betont dröger, alleinstehender Endvierziger in Paris. Er arbeitet in einem kleinen Antiquariat und redet praktisch nur mit seiner Chefin und seinem Pudel. Dieser Félix Allard schreibt sein wechselhaftes, aber langweiliges Leben in schlingernden Rückblenden auf. Erst ganz allmählich wird klar, dass die Hauptfigur vier Jahre im Gefängnis saß (O-Titel L’Homme au…

Kritik: Der römische Schneeball, von Mario Adorf (Erzählungen 1999) – 5 Sterne

       Mario Adorf ist sicher ein Netter, und man sieht sein Lächeln oft zwischen den Zeilen, wenn er seine Schnurren und Räuberpistolen vorträgt. Das gilt vor allem für die römische Titelgeschichte. Gerne mischt Adorf Epochen via Rückblende und per Geschichte in der Geschichte. Schwächen fallen gleichwohl ins Auge: Einzelne Sätze und ganze Handlungsabläufe…

Rezension: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, von Thomas Mann (Roman 1954) – 7 Sterne

Der Ich-Erzähler plaudert und charmiert sich höchst gepflegt durch ein Leben voll liebenswerter Betrügereien und amouröser Extravaganzen. Dialoge und Portraits klingen erfreulich pointiert und delikat satirisch, natürlich einschließlich der Namen (Olympia Übel, Eleonor Twentyman, Senhora Maria Pia Kuckuck, Zouzu Kuckuck). Besonders liebevoll schildert Thomas Mann gutsituierte Lebemänner und leicht liederliche Damen sowie dezidiert gehässig spröde…

Filmkritik: Ein Augenblick Liebe (2014, mit Sophie Marceau) – 6 Sterne – mit Video & Links

Sophie Marceau ist moderne alleinziehende Mutter und verliebt sich in einen verheirateten Rechtsanwalt (François Cluzet). Der ist auch sehr angetan, will aber seine Familie eigentlich nicht riskieren. Oder doch? Sie schleichen umeinander herum. Der Film ist voller Klischees und platter Küchenpsychologie (O-Titel Une rencontre). Sophie Marceau als angebliche Erfolgsautorin klaut sich Cluzets Nummer aus dem…

Rezension Biografie: Some Sort of Epic Grandeur, The Life of F. Scott Fitzgerald, von Matthew J. Bruccoli (2002, Second Revised Edition) – 7 Sterne – mit Pressekommentaren

Autor Bruccoli (1938 bis 2008) galt zu Lebzeiten als bekanntester Fitzgerald-Gelehrter. Der Haupttext dieser Fitzgerald-Biografie hat gut 500 Seiten, auf eher großem Druckblatt und eher eng bedruckt, also viel Stoff. Dazu kommen rund 155 Seiten Vorwörter, Zeittafeln, Danksagungen und Anhänge wie Bibliografien, Anmerkungen, Stichwortverzeichnis und ein paar reproduzierte interne Aufzeichnungen Fitzgeralds, etwa seine Finanzen und…

Romankritik: Glücklich die Glücklichen, von Yasmina Reza (2013) – 6 Sterne – mit int. Presse-Links

Ein gutes Dutzend Hauptfiguren mit gleichberechtigten Anteilen hat der kurze Roman. Einige Ehepaare zanken ungut und betrügen sich. Ohnehin gibt es viel Rechthaberei und Machtspiele, außerdem einen Psychiatriefall, Stricherbesuche mit bezahltem Geschlagenwerden, Kindesmissbrauch, Krankheiten und Streit über Beerdigung versus Einäschern. Yasmina Reza produziert 21 Kapitel mit je sieben Seiten und 18 verschiedenen Ich-Erzählern. Die Beziehungen…

Romankritik: Adam Haberberg, von Yasmina Reza (2007) – 7 Sterne – mit internat. Presse-Links

Die Erfolgsdramatikerin Yasmina Reza greift ein global relevantes und sehr populäres Thema auf: Die Schriftstellerin schreibt über einen Schriftsteller in der Krise. Adam Haberberg, 47, greint das ganze (kurze) Buch hindurch. Krankheiten plagen ihn, die Gattin ist lieblos, und die Kritiker haben sein drittes Buch kaum mehr ignoriert, so dass er – Schmach über Schmach…

Rezension Frankreich-Spielfilm: LOL (2008, mit Sophie Marceau; mit Trailer) – 8 Sterne

Und wieder, die Franzosen: Dieser Film ist jung, modern, lässig, sexy, cool, beschwingt, chic, rhythmisch, unpeinlich, pfiffige Dialoge, schön gefilmt rund um ein schönes Mutter-Tochter-Team in Paris mit Sophie Marceau. Das Ganze unaufdringlich, unaufgeregt, unblöd. J’aime bien. Die amerikanische Neuverfilmung interessiert mich nicht, auch nicht von der selben Regisseurin. Im Jugendwerk La Boum war Marceau…

Rezension Frankreich-Komödie: Zazie (1960, Regie Louis Malle) – 3 Videos – 8 Sterne

Überbordend mit vergnüglich skurrilen, bizarren und gern auch deftigen Einfällen. Die Akteure bewegen sich oft wie aufgezogen, man denkt an Stummfilme (frz. Titel Zazie dans le métro).  Freches Vergnügen ohne Hollywood-Seife: Regisseur Malle spult seine Kaspereien mit ausgelassener, sinnfreier Freude ab, die mitunter an Bollywoodkracher etwa von Manmohan Desai erinnert. Er serviert mehr Spaß und…

Rezension Komödie: Das Mädchen Irma La Douce (1963, Regie Billy Wilder, mit Jack Lemmon) – mit Trailer – 7 Sterne

So wie der Filmtitel ist dieser Hollywood-Klassiker auch etwas süßlich, etwas schlüpfrig und mehr als etwas künstlich: alle Kulissen und Utensilien riechen nach Studio, bis hin zu den plastifizierten Schweinebäuchen auf dem Markt; so erinnert das Stück noch deutlicher als nötig an seine Vergangenheit als Bühnenmusical in New York und Paris. Aber Jack Lemmon spielt…

Rezension Jazz-Spielfilm: Um Mitternacht (Round Midnight, Regie Bertrand Tavernier, 1986; mit Trailer) – 7 Sterne

Das ist sehr edel gefilmt, selten zuvor sah ich Musiker so schön in Szene gesetzt – und das ohne Hektik. Aber auch außerhalb des Jazzclubs Blue Note glänzt die Kamera, schwenkt immer wieder langsam und beobachtend horizontal oder diagonal durch den Club und durch komplette Wohnungen – mit langen Einstellungen, wenig Schnitten, ein herrlich träger…

Rezension US-Spielfilm: Before Sunset (2004, mit Julie Delpy, Ethan Hawke, Teil 2 der „Before“-Reihe; mit Video) – 7 Sterne

Das ist ein intelligenter Quasselfilm. Handlung gibt es nicht, Nebendarsteller auch nicht. Sie plaudern sich fast um den Verstand: Während sie im milden Spätnachmittagslicht durch Paris flanieren, produzieren die Hauptdarsteller Ethan Hawke und Julie Delpy viele originelle Sätze und Gedanken. Da hört man gern zu – auch wenn zwei Leute, die sich zuletzt in einer…

Paris-Südsee-Gaugain-Roman: Silbermond und Kupfermünze, engl. The Moon and Sixpence, von W. Somerset Maugham (1919) – 5 Sterne

Romantisierendes KunstgewerbeFiktive, vage Gaugin-Biographie mit den Stationen England, Frankreich und Südsee. Künstler, Lebenskünstler und Kunstgewerbler bevölkern den schmalen Roman. Autor W. Somerset Maugham gehört zur letztgenannten Berufsgruppe. Einige Schwächen: Denn der Roman dräut penetrant melodramatisch, die Hauptfigur zeigt kaum nachvollziehbare Wendungen, die Handlung kleinere Logiklücken und Brüche. Das Leben Paul Gaugins – sehr loses Vorbild…