Kritik Doppelbiografie. Hazel Rosenstrauch: Wahlverwandt und ebenbürtig, Caroline und Wilhelm von Humboldt (2009) – 5 Sterne

Rosenstrauch erzählt teils sehr subjektiv, sie springt v.a. in den ersten Kapiteln zwischen Zeiten und Personen, es wirkt vielleicht “persönlich”, aber gewiss unübersichtlich:

  • So bringt sie auf S. 26* einen 70-Wörter-Satz mit rund zwölf gutteils nicht eingeführten und auf unterschiedliche Art verflochtenen Personen (“Karoline von Wolzogen, die Schwester von Charlotte Schiller, die zur Ehe des Dichters…”)
  • Auf Seite 42 schildert sie einen Ablauf und zitiert dazu einen Brief vom 20. März 1789, danach vom 4. Januar 1789.

Gelegentlich schreibt Hazel Rosenstrauch über sich selbst:

(S. 44:) Ich stelle mir Caroline wie eine der Figuren aus Sophie La Roches Romanen vor

(S. 271) Ich denke mir Wilhelm und Caroline, wie sie ((…))

Das klingt sehr unpassend.

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Zu diesem sprunghaften Stil gehören auch störende Wiederholungen (hallo Lektorat):

((S. 57:)) Der überzeugte Aufklärer wurde ((…)) unter Napoleon Fürstprimas der Rheinbund-Staaten.

((S. 75:)) Dalberg ließ sich, als der Rheinbund geschaffen wurde, von Napoleon zum Fürstprimas des neuen Staatsgebildes machen.

((S. 178:)) Im Juli 1806 wird unter Napoleons Protektorat der Rheinbund gegründet ((…)) Dalberg wird Fürstprimas

Eine andere Wiederholung:

((S. 61:)) Paris – im August 1789 und dann mit Unterbrechungen von 1797 bis 1801

((S. 66:)) Im November 1797 wird er mit Frau und Kindern nach Paris zurückkommen und

Präsens und Vergangenheit können durcheinander fliegen wie auf S. 165:

Er empfing preußische Besucher, führte Prinzen und Grafen herum, besuchte den Papst, besprach sich mit den Kardinälen und konnte dazwischen seinen „Agamemnon“ übersetzen und Altertümer besichtigen. Zu seinen Geschäften gehört es ((…))

Mehrfach waren mir Bezüge unklar (wen meint ein Personal- oder Possessivpronomen), dazu kamen unerklärte historische Fachbegriffe. Das “Duell mit Boyen” (S. 249) wird nach meiner Übersicht zweimal erwähnt, aber nie erklärt.

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Bei allem Versenken in Details überrascht, wie knapp Rosenstrauch die Spontanverlobung ihrer Hauptfiguren abhakt (S. 57):

Auf einem Ball haben sich Wilhelm und Caroline am 16. Dezember 1789 verlobt – vorerst ohne es den Eltern mitzuteilen.

Mehr nicht. (Auf S. 185 heißt es nur noch, “die Verlobung im Dezember 1789 fand bekanntlich im Geheimen statt”).

Ebenfalls verblüffend knapp im Buchkontext: Wilhelm von Humboldt schrieb zwei “Abhandlungen über die Weiber” (Schillers Worte laut Rosenstrauch, S. 100). Laut Rosenstrauch galten die Texte als “Beginn der Sexualwissenschaft” und waren für “Genderforscherinnen ein typisches Dokument der männlichen Festschreibung von Geschlechterrollen” (jew. ebf. S. 100). Rosenstrauch nennt aber nicht den Titel der Humboldttexte, diskutiert nicht den Inhalt, bringt keine Quellenangabe (es sei denn, ich hätte sehr grob etwas überlesen), obwohl sie Philosophisches und Politisches sonst breit diskutiert. Auf Seite 108f zitiert sie danm zwei Humboldt-Texte “Über die männliche und weibliche Form” und “Über den Geschlechtsunterschied” – sie könnten auf Seite 100 gemeint sein, aber der Bezug wird nicht hergestellt. Auf S. 308 steht ein anderer möglicher Bezug.

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Rosenstrauch schreibt sehr wenig über die Kinder. Aufdringlich betont die Autorin, nicht nur im Titel (hier S. 18):

Sie war ihm eine ebenbürtige – manche sagen, ihm überlegene – Partnerin.

Oder S. 40:

Caroline ist weder verschämt noch passiv, die Initiative geht offenbar von ihr aus.

S. 97:

In seiner Ehe ist die Frau nicht Zierde, sondern eher die Lenkerin ((…))

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Alexander von Humboldt taucht in der Biografie kaum auf – überraschend, wenn man die Wilhelm-Alexander-Biografie von Manfred Geier gelesen hat. Aber Rosenstrauch schreibt weitgehend über die erwachsenen Jahre der Protagonisten, und die verbrachten die berühmten Brüder gutteils getrennt. Kurz figurieren Napoleon, Ludwig I. und andere Staatenlenker aus Preußen und Österreich.

Rosenstrauch erklärt die Humboldts zu “klugen und sympathischen Leuten” (S. 235). Doch schwer erträglich sind Carolines antisemitische Zitate. Um das näher zu erklären, sagt Rosenstrauch:

Ich würde das Paar hier gerne verlassen

und bringt nach ein paar Seiten noch das Kapitel “Unvermeidbarer Exkurs”.

Wilhelm von Humboldt ist liberaler als Caroline, Rosenstrauch setzt ihn jedoch mit Unterwerfungslust und sublimiertem Psychosadismus (S.187) in Verbindung und zitiert dazu derb schwülstige Humboldtlyrik über gequälte Frauen.

Außerdem sei Humboldts (S. 15)

Bild als Mann und Ehemann ((…)) befleckt, weil er regelmäßig ins Bordell ging

Die Kritik wird auf S. 188 wiederholt (“irritierende Schatten”), und schmutzige “Stockflecken hinterlassen” haben lt. Rosenstrauch auch Humboldts “kleine und große Dichtungsversuche” (jew. S. 295).

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Quellenhinweise erscheinen direkt im Lauftext, teils eine ganze Zeile lang, in eckigen Klammern. Hochgestellte Ziffern, die auf Endnoten verweisen, wären viel ruhiger.

Zitate bringt Rosenstrauch nicht eingerückt, jedoch kursiviert und mit Gänsefüßen. Das wirkt zu unruhig, und längere Zitate sollten eingerückt erscheinen. Die peinlichen Gedichte Wilhelms gibt sie ebenfalls kursiviert mit Gänsefüßen – und ohne den geplanten Zeilenumbruch – wieder (u.a. S. 299f). Ab S. 276 bringt Rosenstrauch knapp zehn Seiten autobiografische Skizze am Stück kursiviert – dafür wurde der Schriftschnitt nicht geschaffen.

Die Strecke mit vielen sehr kleinen SW-Bildern erscheint en bloc am Textende. Die Bildchen stehen jedoch auf normalem Textdruckpapier* – man hätte sie also auch in passenden Gefilden des Lauftexts einstreuen können.

Es gibt keine Zeittafel, keinen Stammbaum, keine Autografen, keine lebenden Kolumnentitel mit Jahreszahlen, und Kapitelüberschriften wie “Entweder – oder und sowohl – als auch” verraten wenig über das Kommende.

*ich hatte die “Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg”, gedruckt 2009

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