Tag Archive for Österreich

Kritik Biografie: Georg Kreisler gibt es gar nicht, von Hans-Jürgen Fink und Michael Seufert (2007) – 7 Sterne

Ein hochinteressanter Charakter hat ein hochinteressantes Leben in einer hochinteressanten Zeit. Er und seine langjährige Bühnen- und Lebenspartnerin reden darüber ausführlich und „auf das Freundlichste“ (Nachwort) mit zwei Journalisten, sie überreichen Fotos und Zeitungsausschnitte, auch die witzigen Liedtexte darf man zitieren. Besser könnte die Ausgangslage für eine Biografie kaum sein – freilich wirkt es schon…

Romankritik: Blasmusikpop, von Vea Kaiser (2012) – 4/10 Sterne

Die Schnurre beginnt 1959: Das österreichische 400-EW-Dorf St. Peter am Anger auf 1200 Meter Höhe hat noch 1969 keinen Fernsehempfang und staunt erst 1974 über den ersten Fernseher. Allerdings törnt der Roman inhaltlich und sprachlich ab: Vea Kaiser setzt auf Klamauk statt Plausibilität und Realismus hat zunächst eine trocken-lässige Stimme, schreibt markantes, aber nicht deftiges…

Lese-Eindruck Sachbuch: Der Elefant im Zimmer (2020), von Petra Morsbach

Petra Morsbach bespricht drei eklatante Fälle von Machtmissbrauch: Oberkatholische Kinderschänder, Vertuschung privater Geschäfte einer Regierungsangehörigen, Machtwillkür in einer Künstlerorganisation. Zweimal Bayern, einmal Österreich. Jeder Fall bekommt grob 100 Seiten, dazu noch Vorwort, Nachwort, Endnoten etc. Morsbach schreibt gründlich mit Spiegelstrich-Listen, 442 Endnoten, ein paar Fußnoten und allerlei Unterkapiteln. Ständig reißt sie Dinge an, die erhofft…

Lese-Eindruck Sachbuch: Portraits, von Gerhard Roth (2012)

Die Zeitungsarbeiten über Zeitgenossen und ein paar tote Künstler haben mich kaum angesprochen. Gerhard Roth (1942 – 2022) kapriziert sich als nachdenklich-wunderlich, schreibt etwa über seinen Kanzler: Bei der Besichtigung des (zu) großen Kongresszentrums übergibt Kreisky nach einiger Zeit schwitzend Hut und Mantel einem Sekretär und wischt sich mit einem großen weißen Taschentuch die Stirn,…

Romankritik: Enteignung, von Reinhard Kaiser-Mühlecker (2019) – 7 Sterne

Ein spröder Ich-Erzähler, der „noch nie verliebt“ war (S. 90), pimpert gelegentlich eine spröde, unpersönliche Gin-Trinkerin. Die pimpert nebenbei auch einen spröden, unpersönlichen Schweinezüchter, und darum (sic) schuftet der spröde Ich-Erzähler im stinkenden Stall beim spröden Schweinezüchter; der hat eine spröde, unpersönliche Frau, die – . Reinhard Kaiser-Mühlecker auf Amazon (Werbe-Link) Ein brutal heißer Sommer…

Leseeindruck Roman. Die Klavierspielerin, von Elfriede Jelinek (1983) – mit Video

Elfriede Jelinek bei Amazon Die Handlung geht in den Wortgewaltgewittern der Elfriede Jelinek unter. Lange monotone Absatzmonolithen stehen auf den Seiten wie Sichtbetonstelen. Jeder Satz, jedes Wort sitzt, passt, wackelt nicht und hat keine Luft, will oft separat in Stein gemeißelt werden. Leben gibt es keins. Meisterlich gemeißeltes Deutsch, aber anorganisch. Da ist kein Platz…

Romankritik: Das Wetter vor 15 Jahren, von Wolf Haas (2006) – 8 Sterne

Zwei Kulturmenschen, der österreichische Romanautor „Wolf Haas“ und die deutsche Kritikerin „Literaturbeilage“, unterhalten sich in diesem Dialogroman gewitzt, aber realistisch umgangssprachlich über den Roman des Autors. Sie diskutieren den Romaninhalt, platzieren zwischendurch aber auch ein paar Seitenhiebe auf Christoph Ransmayr, den Zauberberg oder dies: Der Teufel der Plötzlichkeit. Das klingt wie ein Titel von Peter…

Kritik Briefroman: Der Fieberkopf, von Wolfgang Bauer (1967)

Der Briefroman ist auf mehreren Ebenen irre: Ständig überkreuzen sich Briefe und Telegramme die Sprache hat etwas Besessenes, übertrieben Biederes, aufdringlich Banales, ohne je platt zu blöken oder zu kalauern die Handlung wird immer rasender, die spießigen Akteure verwickeln sich in immer seltsamere Geschichten bis ins Fantastische hinein; lauter Fieberköpfe Und darum bin ich nach…

Kritik Filmkomödie: Stella di Mare – Hilfe, wir erben ein Schiff (1999) – 7 Sterne

Nett verkrachte Wiener Familie steht ein paar Mal vor dem Ruin, wird aber stets durch Erbschaften und Lottogewinne wundersam gerettet. Im Hauptteil bringen sie eine rostige kleine Mittelmeerjacht in Gang (Regie, Kamera Xaver Schwarzenberger; Buch Ulrike Schwarzenberger; mit Erwin Steinhauer, Ulrike Beimpold, Corinne Cléry). Ein kleiner, gefälliger Spaß, der sich selbst nicht ernst nimmt und…

Filmkritik: Harri Pinter, Drecksau (2017) – 4 Sterne – mit Video

Angebliche Komödie um einen extrem mackerhaften Endvierziger (Juergen Maurer als Fahrlehrer, Ex-Eishockeystar und Eishockey-Jugendtrainer in Klagenfurt). Seine jüngere philologische Freundin (Julia Cencig) betrügt ihn mit einem Softie-Professor, der sogar selber kocht. Die Klischees kommen knüppeldick, aber dafür vollflach; die ausführliche, aufdringliche 80er-Jahre-Musik macht’s nicht subtiler („Eye of the Tiger“, „I’m in Heaven“). Nichts, aber auch…

Filmkritik: Tag und Nacht (2010) – 7 Sterne – mit Video

Zwei nette Studentinnen in Wien wollen sich mit Prostitution die Miete verdienen. Sie geraten aber meist an fiese Männer und zerbrechen halb daran. Der Film  (offiziell ab 16) zeigt ausgesprochen viel nackte  Haut und ist dabei weder romantisch noch erotisch oder sehr anklagend. Die Sexszenen enden meist mit widerwärtigem Verhalten der Männerkundschaft. Zwischendurch sieht man…

Filmkritik: Der dritte Mann (1949, mit Orson Welles) – 7 Sterne – mit Video

Der Klassiker ist in ganz erlesenem Schwarzweiß gedreht – perfekte Kontraste, markant, schön arrangierte Einstellungen, fast jede Szene wie eine Postkarte oder ein Standbild (Regie Carol ReedCarol Reed, Kamera Robert Krasker). Das sieht auch heute noch sehr gut aus, viel besser als sagen wir Billy Wilders schwarzweißer Sunset Boulevard von 1950. Allerdings wirken die Szenen…

Romankritik: Thomas Feigl will die Kunst des Liebens lernen, von Werner Schandor (2005) – 4 Sterne

Werner Schandor schreibt ein verkopftes Roman-Experiment über ein verkopftes Liebes-Experiment: Der verkopfte Doktorand Thomas Feigl will eine Freundin ohne Liebesqualen haben und sich irgendwie an Erich Fromm orientieren. Gedacht, getan, er lacht sich lockerleicht die junge, schlichte, aber super bekurvte Schuhverkäuferin Manuela an. Die Dinge entwickeln sich erst einmal vielversprechend, aber auf Dauer nicht so…

Romankritik: Die Blendung, von Elias Canetti (1935) – 7 Sterne

Schon nach 100 Seiten sind die Eheleute Kien dermaßen verkracht, dass man nicht weiß, wie Canetti das auf den nächsten 400 Seiten noch toppen will: Nicht nur die Hauptfiguren wirken zunehmend besessen und irr, grotesk und absurd, auch die Sprache selbst lappt ins Fiebrige, Bizarre, unterstrichen durch leichte, aber eingängige Fehlbedeutungen wie gleich zweimal hintereinander…

Filmkritik: Im weißen Rössl – Wehe, Du singst (2013, mit Diana Amft, Armin Rohde) – 6 Sterne – mit Trailer & Links

Grelles Comedy-Musical, das mit viel Produktionsaufwand auf trashige Kitsch-Parodie getrimmt wurde. Zwar wirkt vordergründig alles billig: die Plastikmusik, die grellen Farben und billigen CGI-Tricks, die banal absurde Story, die vulgären Figuren; doch tatsächlich steckt viel Arbeit und Idee darin. Gleichwohl: Wer das Hirn nicht im Schirmständer lässt, könnte leiden (ähnlich wie bei vielen Bollywoodfilmen). Ansonsten…

Romankritik: Der lange Gang über die Stationen, von Reinhard Kaiser-Mühlecker (2008) – 5 Sterne – mit Presse-Links

Der unsympathische, verkniffene Jungbauer lebt mit seiner aus der Stadt eingeheirateten Frau, der Altbäuerin und dem todkranken Vater auf einem abgelegenen Hof in Oberösterreich, um 1955.  Er schildert als Ich-Erzähler minutiös kleinste Beobachtungen und Abläufe. Dabei verbeißt er sich zu tief in Details, die momentan interessant klingen, aber nichts zur Sache tun. Ganz zu schweigen…

Rezension TV-Spielfilm: Probieren Sie’s mit einem Jüngeren (2000, mit Senta Berger) – 6 Sterne – mit Presse-Links

Reiche Lifestyle-Autorin Ende 40 (Senta Berger) heuert verarmten, aber knackigen Jungmann an, damit der vor der Öffentlichkeit ihren Liebhaber darstellt; denn das bringt Schlagzeilen und hoffentlich Auflage. Ein paar witzige Dialoge und drastische Sprüche zu Rollenklischees. Vor allem aber irrsinnige Verwicklungen (jeder mit jeder). Teils amüsant schnell, aber auch unrealistisch auf Effekt und schnelle Wendungen…

Romankritik: Vienna, von Eva Menasse (2005) – 6 Sterne

Eva Menasse schreibt lässig, schnippisch, frech, leicht frivol; die Sprache ist immer kraftvoll und gerundet, ohne aufzutrumpfen. Lakonisch bis mokant parliert sie auch über Katastrophen hinweg – historische und private. Die Autorin kredenzt erfreuliche Austriazismen (samt Glossar) und unterhaltsam Jiddisches. Gelegentlich machen ihre Figuren die Sprache zum Thema, wenn sie etwa einen Onkel mit seinen…

Rezension Bild-Text-Band: Im tiefen Österreich, von Gerhard Roth (1990) – 7 Sterne

Gerhard Roth hat historische Fotos aus der südlichsten Steiermark gesammelt; dazu bringt er eigene Aufnahmen, die wohl zwischen 1977 und 1986 entstanden. Fast mehr Platz als die Bilder belegen die (luftig gesetzten) Erklärungen. Das Buch harmoniert bestens mit Roths Roman aus derselben Region, Der stille Ozean, ohne große Überschneidungen (beide gehören zum Zyklus Archive des…

Rezension Bild-Text-Band: Steirisches Weinland. Eine Anthologie (1990, u.a.m. Texten von Reinhard P. Gruber, Gerhard Roth, Wolfgang Bauer) – 5 Sterne

Das schmächtige Coffeetable-Buch mit etwa 128 äußerst luftig (oder gar nicht) bedruckten Seiten zeigt mehrere kurze Texte über die südlichste Steiermark (teils als Schilcherland bekannt), dazu Landschaftsfotos in Farbe und SW. Der Schwerpunkt liegt auf Weinbau und -genuss, andere Merkmale der Region erscheinen nur am Rand. Zu den Fotos: Helmut Tezaks Fotos sind äußerst schwach.…

Rezension: Aus dem Leben Hödlmosers, von Reinhard P. Gruber (1973) – 7 Sterne

Gruber bringt kurze, schlichte Episoden aus dem Leben des Steirerbauern Hödlmoser: Wie er die Fani ins Gebüsch und dann in die Ehe manövriert; ein Besuch auf dem Fußballplatz; heikle Begegnung beim Wildern; Kommentar eines Zeitungsartikels im Familienkreis; eine Beerdigung; und ein wüstes Ende. Die Geschichtchen sind nicht miteinander verbunden, der schmale dtv-Band ist schlecht gedruckt…

Rezension: Das Schilcher ABC, von Reinhard P. Gruber (1988) – 7 Sterne – mit Video

Gruber greift mit Lust in die Saiten, schreibt schmackig-deftig im Idiom seiner Wahlheimat rund ums südweststeirische Deutschlandsberg (Gruber lebt seit 1977 in Stainz nördlich von Deutschlandsberg; auf wuchs er in Judenburg im oberen Murtal, und in dieser Region spielt sein Romänchen Aus dem Leben Hödlmosers). Grubers Sprache zusammen mit politischen Unkorrektheiten und schwurbeliger Logik macht…

Rezension: Steirisches Wein- und Hügelland (2010, Reihe Falters Feine Reiseführer, Autor Werner Schandor) – 7 Sterne

Werner Schandor beschreibt Graz sowie die Steiermark westlich, südlich und östlich von Graz. Übersichtliche Gliederung: Schandor stellt zunächst knapp die vier Regionen plus Graz mit ihren Eigenheiten vor, dann folgen die großen Kapitel mit den Regionen en detail. Die vordere Umschlagklappe enthält eine Karte des Gesamtgebiets, dazu kommen je einseitige Karten der einzelnen Regionen wie…

Romankritik: Der stille Ozean, von Gerhard Roth (1980) – 7 Sterne – mit Video

Gerhard Roth beobachtet minutiös und ruhig – er seziert fast wie unter dem Mikroskop (das im Buch eine Rolle spielt). Doch gelegentlich spricht Roth gespreizt, die Sätze und Absätze werden zu lang, die Wörter zu eigen („Gezweig“). Häufig hatte ich das Bedürfnis, ganze Absätze oder Seiten erneut zu lesen, weil sie im ersten Anlauf an…

Buchrezension: Der Weg nach Surabaya, von Christoph Ransmayr (Reportagen & Dankreden, 1997) – 7 Sterne

Auf rund 230 Seiten bringt Christoph Ransmayr 16 Reportagen und Kurztexte über nahe und ferne Gebiete, entstanden zwischen 1979 und 1996. Das Titelstück berichtet zwar aus Indonesien; doch die Mehrzahl der Artikel handelt von Europa: jeweils mehrfach Deutschland und Österreich, dann auch Italien und Polen; oft geht es um alte Menschen in Dörfern. Gut geschrieben:…

Rezension US-Spielfilm in Wien: Before Sunrise (1995, mit Julie Delpy, Ethan Hawke, Teil 1 der „Before“-Reihe; mit Trailer) – 8 Sterne

Julie Delpy und Ethan Hawke kennen sich seit ein paar Minuten. Nun durchwandern und durchreden sie eine Nacht. Mehr passiert nicht. Oder doch? Ein Roadmovie zu Fuß, in Wiener Bezirken (Regie Richard Linklater). Ein ungewöhnlicher Film: gedreht wurde offenbar komplett vor Ort, nichts riecht nach Studio und dieser Ort ist Wien, das sehe ich auch…

Komödie Türken in Wien: Kebab mit Alles (2011) – mit Trailer – 5 Sterne

Klischiert und vorhersehbarJa, ich habe ein paarmal laut gelacht. Schön auch, wie gleich anfangs ein knackiger Konflikt entsteht, der unterhaltsame Stunden verspricht. Die Eckkneipe wirkt authentisch, und einige Darsteller sehen unaufdringlich gut aus. Andreas Vitásek glänzt als Bilderbuchspießer. Und klar, der Wiener Dialekt und Schmäh, dös taugt mir auch. Allerdings: Kaum haben wir den Konflikt,…