Kritik Biografie: Georg Kreisler gibt es gar nicht, von Hans-Jürgen Fink und Michael Seufert (2007) – 7 Sterne

Ein hochinteressanter Charakter hat ein hochinteressantes Leben in einer hochinteressanten Zeit. Er und seine langjährige Bühnen- und Lebenspartnerin reden darüber ausführlich und “auf das Freundlichste” (Nachwort) mit zwei Journalisten, sie überreichen Fotos und Zeitungsausschnitte, auch die witzigen Liedtexte darf man zitieren.

Besser könnte die Ausgangslage für eine Biografie kaum sein – freilich wirkt es schon fast wie eine schönfärberische Autobiografie. Auch Kreislers autobiografische Texte zitieren die Autoren kommentarlos.

Viele Buchaussagen basieren scheint’s allein auf Kreislers Erzählungen und Zeitungsausschnitten. Ob Kreisler auch weniger Löbliches erwähnte? Im Buch kommt das nicht vor.

Kritik gibt’s nicht (auch keine Lobhudelei), und nur ein einziges Mal zitieren Fink/Seufert explizit einen anderen Zeitzeugen: “Jürgen Schmidt erzählt…” – und der redet natürlich auch wohlwollend. Die taz hält das Buch blauäugig für

ein großartiges Dokument, das zum Verständnis Kreislers beiträgt, weil er selbst an der Biografie mitgewirkt hat und den Journalisten in vielen Interviews seine Lebensgeschichte erzählte

Vielleicht hat Kreisler auch schöngefärbt und nur genehme Papiere und Fotos überreicht?

Langes Leben:

Georg Kreisler (1922 – 2011) begegnete auch hochinteressanten Menschen: Marlene Dietrich, Friedrich Gulda, Hermann Göring, Julius Streicher, Billy Wilder; und er arbeitete als Musiker in Hollywood für einen freundlichen Charlie Chaplin. Die Geschichte liest sich oft spannend, gelegentlich etwas mechanisch heruntergespult, wie häufiger bei Biografien über lange, ereignisreiche Leben.

Wie jedoch Kreisler seinen lächelnden schwarzen Humor entwickelte, seine bösartigen Kommentare mit eleganter Klavierbegleitungs, dazu erfährt man nichts Tiefgründiges von den Autoren, die ihn so lange sprachen. Der Mann bleibt ein Phänomen. (Fink/Seufert beschreiben kurz seine Arbeitsweise, wie Musik und Text gemeinsam entstehen.)

Historisches Präsens und Futur:

Die Autoren schreiben ein fast genormtes, nicht begeisterndes Presse-Deutsch, das auch an Spiegel und Zeit erinnert (die unterscheiden sich doch nicht mehr). Die Haupterzählung liefern sie im Präsens, eine etwas künstliche Dramatisierung. Rückblenden innerhalb der Hauptgeschichte haben teils auch Präsens (das verwirrt) und Vorgriffe das Futur 1 (sehr merkwürdig). Ein Beispiel (S. 79):

Die Schiffspassage ist bis nach Los Angeles bezahlt. Es wird eine wochenlange Reise werden – über den Atlantik, durch den Panama-Kanal hindurch, dann an Costa Rica, Nicaragua, Guatemala und Mexiko vorbei die Westküste Amerikas hinauf bis Kalifornien.

Warum nicht Vergangenheit? Ist Amerika = USA? Liegt Kalifornien jenseits der “Westküste Amerikas”?

Manches ist sprachlich schlecht oder schlampig, etwa “im gleichen Jahr” oder dass sie öfter von “Heute” schreiben (u.a. S. 240, S. 279 TB-Ausgabe), wenn sie “im Jahr der Niederschrift” oder besser noch “2007” meinen. Schillingbeträge werden nicht übersetzt. Sie schreiben teils zu passivisch und hilfsverbhappy (S. 274):

Der wird bei der Lektüre wenig Freude gehabt haben. Denn Kreisler schildert detailreich dessen Geschäftstüchtigkeit, durch die er immer wieder enttäuscht wird.

Ich las die Taschenbuchausgabe ohne beiliegenden Tonträger. Einige Bildseiten rieselten bald heraus und in die Badewanne. Die Biografie hat diverse Anhänge einschl. einer Kreisler-Bibliografie. Die Autoren liefern aber keine Empfehlung für einige der vielen Kreisler-Bücher, obwohl es ihnen sicher leicht gefallen wäre. Zumindest gebraucht sind viele Kreisler-Bücher günstig zu bekommen.

Freie Assoziation:

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