Romankritik: Wie ich lernte, die Frauen zu lieben (1965, engl. In Praise of Older Women), von István Vizinczey – 7/10

Der Roman klingt verblüffend nach echten Memoiren. Ich-Erzähler András Vajda ist ein Liebhaber der Frauen, dem Qualität über Quantität geht. Autor István Vizinczey (1933 – 2021) erzählt flüssig, die Affären überschneiden sich teils, es ist erotisch, charmant, auch mal rollig, nie vulgär oder auch nur angeberisch, sonden literarisch ansprechend und nebenbei historisch erhellend. Die Dialoge sind witzig, teils paradox, voller Einblick in Menschliches.

Der Ich-Erzähler berichtet stets auch die Lebensgeschichte seiner Gespielinnen und wie sie sich auf die Affären auswirkt. Von #metoo haben die Zielpersonen des Ich-Erzählers nie gehört, halleluja.

Politische Abweichler und KZ-Häftlinge:

Unter anderen trifft der Ich-Erzähler im stalinistischen Ungarn der 1950er Jahre Kriegsflüchtlinge, politische Abweichler und ehemalige KZ-Häftlinge. Das rein politische Kapitel 15, “On Anxiety and Rebellion”, ohne viel Amour, musste ich allerdings überblättern. Nach dem gescheiterten Aufstand 1956 verlässt István Vizinczey Ungarn endgültig und

turned into a philandering internationalist

Ab Kapitel 16 hatte der Autor also wieder meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Das Buch beginnt direkt nach dem Krieg in österreichischen Kasernen; der zu Beginn zwölfjährige Ich-Erzähler vermittelt bezahlten Sex zwischen US-Soldaten und Flüchtlingsfrauen, will verzweifelt Eigenes erleben, zumindest als heimlicher Zuschauer – doch dann fliegt er im letzten Moment aus dem Raum.

Und so geht die Jugend weiter, in Budapest: zunächst scheitern erhitzte Anläufe in Richtung Weiblichkeit, der Ich-Erzähler berichtet mit viel Selbstironie und menschlichem Einblick. Schon als 16-Jähriger erleidet er  kaum noch Zurückweisungen. Jedoch beschert ihm sein Mitgefühl zuweilen erektile Indisponiertheit, und ein Kapitel heißt “On Happiness with a Frigid Woman”.

Das sind aber Ausnahmen. Du willst es doch auch, das scheint der Ich-Erzähler bei seiner Zielgruppe vorauszusetzen, und die Reaktionen geben ihm recht, zumindest im Roman. Ältere Frauen haben bei diesem Autor fast immer Lust auf einen Seitensprung mit einem netten Jungmann. Sie sagen geschmeichelt: 

You paid me a nice compliment with that business of wishing you could rape me.

Der Ich-Erzähler bildet sich bei Balzac, Stendhal, Moliere und anderen Klassikern über die Liebe. Er denkt nicht nur an das Eine, sondern sieht seine Geschöpfe multi:

Her body was Western dualism in the flesh: with her soft face, light lips and thin shoulders she appeared an elusive and sublime creature… but her affirmative breasts and buttocks manifested an earthbound voluptuousness.

Der heranwachsende Erotomane schätzt Vieles, z.B.

the mysterious shadow which appeared through the white silk of Fräulein Mozart’s panties

her long white toes, those ten life roots of her whole body

Besonders unbeschwert vögelt es sich mit bereits verheirateten Frauen:

They could embrace me without bringing upon themselves the obligation of having to wash my socks.

Die Vorteile verheirateter Frauen für einen abenteuerlustigen Singlemann muss der Autor nicht weiter ausbuchstabieren, sie werden auf jeder Seite klar.

Immer wieder preist der Ich-Erzähler seine Umschwärmten, physische Details oder ihre Art, ihn auf die Nase zu küssen. Das klingt meist liebenswert und respektvoll, teils sinnlich bis erotisch.

Nie klingt er platt wie neuere Amis von John Updike bis Miranda July. F-wörter gibt es nicht bei ihm. Intime Körperteile benennt der Autor wissenschaftlich korrekt oder mit neckische Umschreibung. Fellatio und anderes schildert er einigermaßen konkret; doch einmal erwähnt er “unfamiliar love-play“, ohne uns dies näher zu schildern.

Assoziation:

  • Der Erzähler zitiert Felix Krull und besitzt in Kanada eine Telefunken-Anlage
  • Der Film Der Mann, der die Frauen liebte (der Roman wurde mindestens zweimal verfilmt)
  • Nabokovs Lolita (vom Autor im Nachwort angeführt)
  • Julio Iglesias, To all the girls I loved before (der Roman handelt jedoch nicht von “Girls”)

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