Der Ich-Erzähler plaudert und charmiert sich höchst gepflegt durch ein Leben voll liebenswerter Betrügereien und amouröser Extravaganzen. Dialoge und Portraits klingen erfreulich pointiert und delikat satirisch, natürlich einschließlich der Namen (Olympia Übel, Eleonor Twentyman, Senhora Maria Pia Kuckuck, Zouzu Kuckuck). Besonders liebevoll schildert Thomas Mann gutsituierte Lebemänner und leicht liederliche Damen sowie dezidiert gehässig spröde Funktionsträger; der Physiognomie widmet er größte Aufmerksamkeit, ebenso Interieurs, wie auch eigentlich allen anderen Details außer frei wachsender Natur und Witterung.
Thomas Mann schreibt so zierlich, geschnörkelt und affektiert, wie nur er es kann, ohne zu verstören. Bisweilen verfällt der Ich-Erzähler zu ausführlich ins Allgemeine und entschuldigt sich kokett selbst für seine, Zitat, “Quisquilien”, die er zudem mit bekannt Philosophischem überlagert (Schein-Sein, Kunst-Leben, Kommerz-Kultur, Persönlichkeitstausch wie in den Vertauschten Köpfen). Dies gilt besonders ab Beginn der “Weltreise” – anlässlich einer Bahnfahrt von Paris nach Lissabon und in Lissabon selbst präsentiert Thomas Mann weitgehend nur naturwissenschaftlich-naturphilosophische Gedanken, mühsam in Erzähltes verpackt, ohne sich ernsthaft für die Handlung zu interessieren.
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Mann arbeitete über Jahrzehnte an dem Stoff, den er erst in hohem Alter abschloss; dennoch müffeln Felix Krulls kuriose Damenabenteuer kaum nach erotischer Altherreninkontinenz, wie sie John Updike oder Martin Walser aus der Feder tröpfelt. So richtig zu Ende brachte Mann seinen Krull nicht, der Schluss dieser “Memoiren erster Teil” wirkt abrupt; doch quälende Fragen bleiben nicht offen, und noch mehr selbstverliebtes Gesäusel des Ich-Erzählers nebst ausschweifendem Philosophieren könnte meine wohlmeinende Geduld überstrapazieren.
Eigentümlich wirken einige Lehnwörter u.a. aus dem englischen oder jedenfalls germanisch-lateinischen Sprachraum, die sich vielleicht nur mit Manns US-Exil oder seiner norddeutschen Herkunft erklären lassen, etwa “kosig” (im Sinn des engl. “cozy”), “kordial” oder “Tenazität” in nicht-wissenschaftlichem Kontext. Dennoch klingt Mann auch hier nicht wie ein Forscher, der englische Begriffe allzu fantasielos eindeutscht.
Ich habe den Krull gebraucht in einer unpraktischen Hardcover-Ausgabe gekauft, und zwar in der Frankfurter Ausgabe in Einzelbänden (© 1985), weil ich irrig annahm, sie enthalte gleich auch die Anmerkungen. Stattdessen gibt es nur ein 20seitiges Nachwort von Hans Wysling – und im Romantext mindestens ein halbes Dutzend Tipp- oder Grammatikfehler wie “den” statt “dem”, “ihr” statt “ich”, “sie” statt “Sie” oder “meheren” statt “mehreren”. Dazu kommen noch ein paar vom Autor verworfene Seiten.
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