Günter Müchler beschreibt nicht nur das titelgebende Dresdner Treffen Napoleon-Metternich 1813. Er liefert ausführlicher noch Biografien der antagonistischen Staatslenker. Müchler erzählt dies jedoch nicht systematisch und für Neulinge, sondern setzt immenses Vorwissen heraus; es klingt wie gerafft Bekanntes, das ein Geschichtsnerd seinen gelehrten Zuhörern kurz ins Gedächtnis rufen möchte – wer Amiens, Preßburg, Tilsit, Austerlitz, Heinrich IV.und Goldenes Vlies nicht zuordnen kann, kann gehen.
Und Günter Müchler (*1946) stellt in diesen biografischen Abrissen nie einen Zusammenhang zum 1813er Napoleon-Metternich-Treffen her, von dem das Buch vermeintlich handelt , auch nicht an Stellen, an denen es sich anbietet (Ausnahme Seite 129). Seinen unübersichtlichen Historiengalopp garniert der Erzähler mit Kuriosa wie
Menou, ein General der Ägypten-Armee, heiratet die Tochter eines Bademeisters und tritt zum Islam über
sowie Metternichs Seitensprüngen.
In den allgemeinen geschichtlichen Abrissen vor allem zu Napoleon bringt Müchler hunderte Seiten, die nicht zum Thema ”Gipfel 1813 “gehören. Dann wieder lässt er Wichtiges weg: Anfang 1813 Uhr bringt ein Bote
eine Aussage Napoleons mit nach Wien, die Metternich bei großzügiger Lesart als Aufforderung interpretieren kann, mit Rußland in Sondierungen einzutreten.
Was Napoleon in dieser wichtigen Frage schrieb, verrät der sonst zitierfreudige Müchler nicht.
Ab Seite 201 rückt er mehrere Seiten zum Palais Marcolini, Ort der Metternich-Napoleon-”enterrevue”, plötzlich typografisch ein; warum? Er zeigt wenig Bilder von Örtlichkeiten und seinen Protagonisten. Es gibt nur eine große SW-Landkarte am Buchende, obwohl sich die Grenzen im Berichtszeitraum laufend verschoben.
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Atomlos durch die Geschichte:
In hyperventilierendem Präsens springt Müchler im “1. Kapitel” zwischen den Zeiten. Schon auf Seite 36 muss der Leser den vierten Orts- und Zeitwechsel verkraften:
- Napoleons heimliche Rückreise nach dem gescheiterten Russlandfeldzug
- Metternich, seine Rolle in Österreich und seine Gedanken zu Napoleon
- Napoleon als erfolgreicher Feldherr der letzten Jahrzehnte
- Korsika und Napoleon als Jugendlicher
Fortgesetzt wird diese Rückkehr aus Russland im “6. Kapitel”. Im “7. Kapitel” springt Müchler einige Monate zurück, dann aus Metternichs Sicht.
Das 9. Kapitel über das vermeintliche Thema des Buchs, der Metternich- Napoleon-Gipfel 1813 in Dresden, belegt nur 26 von 238 Seiten Haupttext (ohne Anhang, Bilder und Leerseiten nicht herausgerechnet). Ein guter Teil von Kapitel 9 behandelt nicht das Treffen, sondern die Quellenlage und die Vorbereitungen; anschließend schildert Müchler das Treffen nicht einmal, sondern mehrfach aus Sicht divergierender Quellen – nicht übersichtlich, nicht spannend, aber womöglich sinnvoll.
Sprachliches:
Günther Müchler setzt Geschichtswissen und Fremdsprachenkenntnisse voraus; er verwendet Wörter wie entrevue, malgré Tour, prisonnier de guerre, puissancen, pouvoir neutre, force des choses, ci-devants, puissance, la France profonde, drôle de guerre, mater dolorosa, Empereur oder stupor mundi – stets kursiviert, nie erklärt.
Sogar mit seinem Deutsch erwischt Müchler mich kalt: was ist “die Botmäßigkeit Frankreichs” ( Seite 75)? Und “Kw-Vermerk”, “Recognoszierung des Umlands” (S. 200), “Purpurisierungs-Programm”, “perhorresziert”, “Insurrektion” (mehrfach), “dilatorisch”, “Konskriptionen”, “der Equilibrierte” ((als Überschrift)), “estimiert”? Müchler schreibt Sätze wie:
Kaiser Franz werde nicht Beihilfe leisten zur Vernichtung des Vaters seines Enkels. … Insofern liegt die Bedeutung der entrevue weniger im Ereignishaften als in der Sichtbarmachung… Der Aplomb des Stückes ist, daß der Held… Dessen Levée en masse ist für ihn die Erklärung für Frankreichs militärische Suprematie, die allgemeine Wehrpflicht das Kapital, mit dessen Zinsen der Korse Preußen im Unglück hält… Diplomatisch auf Schmalkost gesetzt, expediert Metternich Gesandschaftsberichte nach Wien, deren Umfänglichkeit den politischen Informationswert bei weitem übertrifft… Die devot lackierte Botschaft hat einen harten Kern. … in die Richtung, in die es ohnehin gravitierte, in die Richtung des Abfalls
Dazu kommt Wunderliches wie “Selbstzweifel auszuroden” (Seite 16), “im Gesamt der Kriegsfolgen” (S. 81).
Auch dubiose Tippfehler wie “am einschneidensten” (sic, Seite 40) oder “Wachtburg 1817” schafften es ins Hardcover. Müchler zitiert Johannes Willms’ “soldiers soldiers” so falsch apostrophlos wie diese Leseprobe des Willms-Buchs (ein Verlagswerbetext schreibt es korrekt mit Apostroph). Müchler redet mal von” dreifarbenen Armeen” (Seite 48), mal von ”dreifarbigen Armeen” (Seite 50).
Schockierendes Erlebnis auf Seite 98 – im Präsens-Schweinsgalopp des Müchler-Narrativs ein solitäres Präteritum:
Man überschüttete Friedrich Wilhelm mit Denkschriften.
Schön, dass Müchler in den letzten Kapiteln wichtige Briefzitate deutsch und im französischen Original wiedergibt – nicht nur bei Napoleon, sondern auch bei Russen und Österreichern.
Assoziation:
- 2019 schrieb Müchler dann noch eine richtige, und gute, Napoleon-Biografie
- Viel fundierter als Hans D. Blog, und ohne überflüssige Sprachkrittelei, verreißt Historiker Tim Altpeter das 1813er-Buch
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