Romankritik: Maigret amüsiert sich, von George Simenon (1956, frz. Maigret s’amuse) – 7/10

Das ist unterhaltsam komponiert: Erschöpfung zwingt Kommissar Maigret zum Urlaub in der eigenen Stadt; und so verfolgt er nur aus der Zeitung einen Mordfall in Paris, einmal bringt eine Infotafel im Kinovorprogramm die Handlung voran. Erst gegen Ende ermittelt Maigret durch ein Telefonat mit verstellter Stimme kurzzeitig selbst.

Maigrets Überlegungen werden durch Unterhaltungen mit Madame Maigret und durch Kommentare von Kaffeehausbesuchern ergänzt, ein reizvolles Konstrukt. Und der letzte Satz ist klasse.

Aus der Zeitung:

Freilich: Die Zeitungsartikel mit ihren langen Dialogen klingen wie ein Roman und nicht wie Tagespresse. Georges Simenon (1903 – 1989) lobt hier einen wuseligen Journalisten – “der kleine Lassagne”, immer wieder -, und womöglich dachte Simenon dabei an seine eigene Pressearbeit in Paris.

Vielleicht hat er ja auch seine eigenen Artikel in Dialogform geschrieben (ich erinnere mich nicht, dass die zwei Simenon-Biografien, die ich kenne, seine Presseartikel zitieren oder darauf eingehen, wie er seine journalistische Arbeit in seinen Romanen verarbeitete).

Fast hätte er ihr geholfen:

Simenons Genderpolitik ist wie immer erste Sahne. Über das Ehepaar Maigret:

”Gehen wir spazieren”, sagte er. Geduldig wartete er, bis sie das Geschirr abgewaschen hatte, fast hätte er ihr geholfen.

Eine Frau ist überaus promisk, eine andere stört sich nicht weiter an den Seitensprüngen ihres Verlobten, eine Mutter unterstützt das Lotterleben ihrer Tochter. Mustergültig züchtig ist nur Madame Maigret.

Eine Andeutung:

Simenon erzählt weitgehend chronologisch und verzichtet auf dräuende Vorahnungen oder Zeitsprünge. Einmal allerdings unterläuft ihm eine aufdringliche Andeutung:

Vorher war etwas noch viel Bedeutenderes geschehen, aber der Kommissar sollte davon erst zusammen mit der breiten Öffentlichkeit erfahren.

Und noch ein unlauterer Trick: erst im letzten Drittel des Romans ergibt sich völlig unerwartet, dass eine der Hauptfiguren eine ganz andere Persönlichkeit hat als bisher angenommen.

Zur Übersetzung:

Die 2020 überarbeitete Übersetzung von Hansjürgen Wille/Barbara Klau/Oliver Ilan Schulz in der Atlantik-TB-Ausgabe klingt durchgehend plausibel, einen Deutschfehler fanden wir gleichwohl (S. 145):

Die Le Guérecs gehören zu den Großbürgern, Fabrikanten und Reeder ((sic)), die…

Die U1 und die U4 der Atlantik-TB-Ausgabe kündigen erregt ein “Nachwort von Jean-Luc Bannalec” an, und die U4 zitiert gleich noch ein allgemeines Maigret-Lob von Bannalec. Das Nachwort ist ein kurzer Fanboy-Text über Maigret allgemein, ohne jeden Bezug zum vorliegenden Roman, scheinbar nicht auf dieses Buch zugeschnitten.

Auch die U4-Behauptung, der Fall spiele “vor allem am Boulevard Richard-Lenoir” (Maigrets Adresse) scheint anfechtbar – die Maigrets sind in diesem Roman überwiegend in Paris unterwegs, auch die anderen Romanfiguren tauchen dort nicht auf.

Assoziation:

 

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