Romankritik: Die Hochstapler, von Tom Rachman (2023, engl. The Imposters)– 6/10

Tom Rachman formuliert 1A. Er erfindet 1A Dialoge. Kleine Szenen und originelle, charakterstarke Persönlichkeiten.

Doch am übergeordneten Plot scheitert Tom Rachman – ein unübersichtliches Figurenkabinett sucht vergeblich den Handlungsbogen, selbst wenn Figuren über mehrere Geschichten hinweg wiederkehren.

In der Rahmenhandlung bringt eine alternde Schriftstellerin ein paar letzte Texte zu Papier; die werden wie Kurzgeschichten in die Rahmenhandlung eingestreut, mit  Bezug zu ihrem Leben und ihren Patchwork-Angehörigen. Erst die letzte Geschichte führt vieles zusammen, das in  Texten und kursivierten Tagebuchnotizen aufploppte; bei einem zweiten Lesen könnte der Roman darum viel interessanter sein.

Selbst die einzelnen Texte der Schriftstellerin sind teils heterogen, so  die Indien-Kurzgeschichte: sie zwängt mechanisch einen Hippie-Reisenden und einen indischen Bürokraten in einen Plot, mit einem unwahrscheinlichen Zusammentreffen gegen Ende, und doch Seite für Seite einzeln betrachtet exzellent geschrieben. Unübersichtlich, zumindest für unaufmerksame Leser wie mich, klingt auch die Geschichte The novelist’s former lover, wiederum mit vielen gelungenen Einzelszenen, ebenso wie die letzte Geschichte, die krampfhaft sämtliche offenen Fragen des bisherigen Buchs erklärt.

Dem novelist’s former lover folgt wieder seitenlang kursiviertes Tagebuch der alternden Schriftstellerin. Anschließend die Story der US-Amerikanerin, die aus Versehen ihr Handy bepieselt, deren Hund angefahren wird und die dann mit dem Handy ein Taxi ruft; daraus wird etwas über eine schwarze lesbische Gagschreiberin in Los Angeles und ihre Berufsaussichten in einer woken Welt, ich muss es nur noch verstehen. Dass diese Frau die Tochter der Autorin-Hauptfigur sein soll, mir doch egal. Sie kehrt viel später wieder, dann in Paris. Hier und dort erscheint die einsetzende Corona-Pandemie, das brauche ich gar nicht.

Einige Szenen oder Geschichten spielen unter Stand-Up-Comedians oder Hollywoodschreibern, und hier passt Tom Rachman gut hinein – er selbst liefert klasse Szenen, klasse Wortwechsel und Einzeiler, fehlt nur die Handlung. Eine lange, wehleidige Geschichte spielt auf einem australischen Literaturfestival aus Sicht eines unbedeutenden, gedemütigten Autors – woher diese Inspiration kommen mag? (Und dies ist schon der zweite Autor im Figurenkabinett.)

Es gibt auch etwas mutmaßlich Brutales aus einem Foltergefängnis, diesen Text musste ich schnell überblättern. Ebenso wie die Geschichte über den Mord an zwei kleinen Geschwistern und deren darunter leidende Mutter. Fluchtinstinkt weckt auch die letzte Geschichte, die offenbar auf einen gut geplanten Selbstmord zusteuert, nebst toten Ratten im Keller (“which recycling bin?”) und wie öfter im Buch körperlichem Verfall im Alter; wegen der interessanten Rückblenden zu Figuren aus früheren Geschichten und vieler zusammenlaufender Handlungsfäden blieb ich dran, aber in beständiger Todes-Angst absprungbereit.

Assoziation:

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