Gut
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Salsa, Raï + Hiphop: 3x Aïcha, 3 Musikvideos
Comme si je n’existais pas Elle est passée à côté de moi… So mies sind die Weiber, und während Aïcha weiterzieht, heult die Männerwelt unerlöst in die Schnuffeldecke – in Algerien, Senegal und Dänemark. Hier drei Klagelieder in drei Stilen über die ferne Aïcha. Mesdames et Messieurs, écoutez-moi, regardez-la: Khaled, Africando, Outlandisch:
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Kritik Sachbuch: Phantastische Wirklichkeit. Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers, von Hans-Peter Schwarz (2006) – 7 Sterne
Bekannt wurde Hans-Peter Schwarz durch Biografien zu Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Axel Springer. Hier in Phantastische Wirklichkeit kommentiert Schwarz (1934 – 2017) die 13 bekanntesten Politthriller-Autoren, „die Meister des Genres“, für Schwarz gleichbedeutend mit weltweiten Bestsellerkönigen (S. 11 der dva-Hardcover-Ausgabe von 2006). Gemeint sind u.a. Ian Fleming, Tom Clancy, Graham Greene, John le Carré, Eric Ambler, Frederik Forsyth und Robert Ludlum. Eine „Exhumierung“ heute vergessener Thrillerautoren interessiert Schwarz nicht (S. 14). Gelegentlich nennt Schwarz weitere Autoren außerhalb seiner Auswahl, u.a. neben Le Carré andere Verfasser von Deutschland-Polit-Thrillern. Kurzauftritte haben auch Karl May und Johann Mario Simmel. Solche Tipps reicht Schwarz teils im Nachwort und in den Endnoten aus. Bestenlisten…
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Romankritik: Das Wetter vor 15 Jahren, von Wolf Haas (2006) – 8 Sterne
Zwei Kulturmenschen, der österreichische Romanautor „Wolf Haas“ und die deutsche Kritikerin „Literaturbeilage“, unterhalten sich in diesem Dialogroman gewitzt, aber realistisch umgangssprachlich über den Roman des Autors. Sie diskutieren den Romaninhalt, platzieren zwischendurch aber auch ein paar Seitenhiebe auf Christoph Ransmayr, den Zauberberg oder dies: Der Teufel der Plötzlichkeit. Das klingt wie ein Titel von Peter Handke. Dabei lernen wir die Sprecher kennen und den im Meta-Roman diskutierten Roman. So, wie sie den Inhalt auseinanderklamüsern, steigt die Spannung fast ins Fiebrige: Wann enthüllen sie das Ende? Und knistert da was zwischen den Diskutanten? Zur Halbzeit des Romans ist die erste große Frage geklärt – und Wolf Haas baut sogleich eine neue…
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Romankritik: Altes Land, von Dörte Hansen (2015) – 7 Sterne
Fazit: Der leicht lesbare Roman schnurrt zunächst gut dahin, bringt eigenwillige, aber nicht zu unrealistische Figuren, interessante Einblicke aus vielen Jahrzehnten sowie unterhaltsame Dialoge oder Einzeiler auf Plattdeutsch. Dörte Hansen wechselt jedoch regelmäßig zwischen zwei und mehr Zeitebenen, vor allem in den ersten zwei Buchfünfteln, so dass mir die Übersicht abhanden kam. Dörte Hansens Spott über Stadthipster und Landlust-Leser, die sich dem Salz der Erde anbiedern, klingt im Roman zu wohlfeil und zu ausführlich. Kapitel 14, Apfeldiplom, enthält gar auf zehn Seiten nur das Räsonnieren des Bauern Dirk zum Felde über die Zugereisten – ohne Handlungsfortschritt. Später kommt das Gegenkapitel mit viel Räsonnieren eines Zugereisten über die Ureinwohner. Der Gegensatz…
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Kritik Kurzgeschichten: Heiraten (Ehegeschichten), von August Strindberg (1884, 1886) – 7 Sterne
August Strindberg (1849 – 1912) schreibt schnarrig unwirsch sarkastisch über Ehe-Alltag. Der beginnt oft mit blumigen Illusionen und enttäuscht schon bald bitter. Entscheidungen und Wendungen bahnt Strindberg nicht einfühlsam an; er verkündet sie nassforsch im Kasernenton: „Es setzte eine heftige Reaktion ein“, so beginnt etwa der Umschwung in der Geschichte Zweikampf. Öfter wollen Gockelmänner mit Ausgaben imponieren und rutschen prompt von der Ehe ins Elend; den Ehestand schildert Strindberg gern als kaum finanzierbar und nie als langfristig erfreulich. Einige Frauen mögen aus- und unterhalten werden, sonst zicken sie; andere geben brav das Heimchen am Herd. Allen endemisch ist, dass sie innert zehn Jahren an Schönheit einbüßen, wenn sie überhaupt je…
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Kritik Komödie: Tootsie (1982) – 7 Sterne – mit Video
Das ist eine nette Geschichte für die ganze Familie – ein Schauspieler verkleidet sich als Schauspielerin, weil er nur so Arbeit beim Film bekommt. Eine andere Schauspielerin will die falsche Frau zur Freundin, und ein paar Männer wollen die falsche Frau zur Frau. Der Mann in Frauenkleidern bekommt ein neues Verständnis von der Rolle der Frau – fast ein metoo-Moment –, und er verliebt sich in die Frau, die ihn als weibliche Freundin haben wollte. Etwas angestrengt spielt das Drehbuch sämtliche denkbaren Konfusionen durch: alle Konstellationen, alle missverständlichen und doppeldeutigen Dialoge. Sydney Pollacks Inszenierung ist nicht wirklich schrill, aber natürlich nicht ganz ernst. Das gilt auch für Dustin Hoffmans deutschen…
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Kritik romantische Komödie: Es ist kompliziert (2015) – 7 Sterne – mit Video
Das ist fast schon Cool Britannia: Die Figuren in dieser Komödie agieren lässig, selbstironisch und witzig, ohne dabei flach, schrill oder allzu melodramatisch zu geraten. (Zunächst.) Das Szenario hat was: Der Mann spricht eine Frau an, die er für seine Blind-Date-Verabredung hält; sie lässt sich von ihm einladen, obwohl sie gar nicht die Gesuchte ist. Dem folgt eine durchgequasselte Londoner Kneipentour mit Lachen, Weinen, Tanz und Streit. Dazu läuft viel muntere Popmusik. Im zweiten Teil liefern Regisseur Ben Palmer und Autorin Tess Morris dann doch alles nach, was man bei handelsüblichen Romantischen Komödien erwartet: Vulgarität, Schrillität, Tränendrüsenattacken, Unrealismus, und das Ende muss man nicht verraten. Fast scheint die Klischeeorgie im…
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Romankritik: Heile Welt, von Walter Kempowski (1998) – 7 Sterne
Walter Kempowski (1929 – 2007) liefert reizvolle, detailreiche Einblicke ins norddeutsche Dorfleben Anfang der 1960er Jahre – teils autobiografisch (auch wenn auf der Impressumseite „Alles frei erfunden!“ steht). Die Hauptfigur trifft als Junglehrer ein und lernt alle Bauern, ihre Beziehungen und Tics kennen, natürlich auch Bürgermeister, Krämer, Pfarrer und viele Kollegen und Oberlehrer. Schatten der Nazizeit reichen in die erzählte Jetztzeit. Amazon-Werbelinks: Dörte Hansen | Walter Kempowski | Ulrike Siegel Gemütliches Platt: Zwar schreibt Kempowski keine Dialoge, er liefert gleichwohl viel O-Ton in gemütlichem Plattdeutsch. Der Autor suhlt sich dabei in geäußerten Banalitäten und gut abgehangenen Sprüchen, die Behaglichkeit herstellen, wie „Das, was es an Ferien gibt, müßte die Schulzeit sein, da war man sich…
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Romankritik: Uns geht’s ja noch gold, von Walter Kempowski (1972) – 7 Sterne
Walter Kempowski (1929 – 2007) erzählt tagebuchartig von seiner Zeit als Jugendlicher ab Kriegsende 1945 in Rostock. Die Russen übernehmen die Stadt, Kempowski bekommt einen Job bei der Verwaltung, plündert und wird geplündert, muss sich mit russischen und US-Besatzern arrangieren, auf dem Schwarzmarkt jonglieren, übersteht eiskalte Winter ohne Heiz- oder Beißmaterial. Er haust mit Mutter und Großvater; Bruder und Vater sind zunächst unerreichbar irgendwo, die Schwester lebt mit ihrem dänischen Mann in Dänemark. Die Jahre 1938 bis 1945 hatte Kempowski bereits im Band Tadellöser & Wolff geschildert. Amazon-Werbelinks: Dörte Hansen | Walter Kempowski | Ulrike Siegel Kempowski schreibt seinen etablierten Montage-Collage-Mosaik-Stil voll zeittypischer Details und Ausdrücke, wenn auch deutlich weniger markant als im Vorherbuch Tadelloeser…
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Romankritik: Tadellöser & Wolff, von Walter Kempowski (1971) – 8 Sterne – mit Video
Walter Kempowski schreibt ein sehr sinnliches, eigenwilliges und altmodisches Deutsch, das jedoch stets kraftvoll und in der direkten Rede teils verspielt und/oder falsch tönt: „Entpörend… konfortabel… Immerhinque… vom Stamme Nimm… allerhandlei… Verstahne vous?… zu und zu schön“ Manche Sprüche erklingen wieder und wieder, wie altvertraute Möbelstücke. All die sprachliche Finesse bringt meine btb-Ausgabe 3. Auflage 1996 über lange Strecken ohne jeden Tippfehler, dann passiert’s aber doch: „mach Hause“ (sic) heißt’s auf S. 391, dort m.E. kein Sprachtic des Sprechers. Amazon-Werbelinks: Dörte Hansen | Walter Kempowski | Ulrike Siegel Walter Kempowski (1929 – 2007) archiviert neben sprachlichen Antiquitäten auch Sitten und Objekte der 1930er, 1940er Jahre, darunter Butterrosen, ans Jacket geklammerte Hüte und Lehrer mit Kasernenhofton.…
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Romankritik: Katz und Maus, von Günter Grass (1961) – 7 Sterne – mit 1 Video
Günter Grass schreibt teils enorm lange, unübersichtliche Sätze. Auf die Hauptfigur Mahlke bezieht er sich mal in der dritten, mal in der zweiten Person. Gelegentlich fand ich die Grammatik anfechtbar, auch einzelne Textstellen (so grübelt der Ich-Erzähler, ob Mahlke in der Oster- oder Westerzeile wohnte, doch der Ich-Erzähler wohnte selbst in der Westerzeile, besuchte das Mahlke-Haus in der Osterzeile, da müsste er die Lage kennen). Manchmal erzählt Grass die Hauptsache undeutlich, sie muss aus ihren Folgen oder Nebenaspekten erschlossen werden. Wegen dieses Springens zwischen „Du“ und „er“ und der unübersichtlichen Erzählweise dachte ich manchmal an verschachtelte kubistische Bilder. Wegen dieser Erzählweise konnte ich auch nicht allen Aspekten der Handlung folgen.…
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Romankritik: Kings of Cool, von Don Winslow (2012, Teil 1 der Reihe) – 6 Sterne
Don Winslow schreibt einen ultra-coolen Mackerton, in dem Zeilen und sogar Kapitel oft nach zwei, drei Wörtern enden. Er erzählt von Drogenhändlern, Fahndern und Hippies in Südkalifornien, mit vielen kurzen, vulgären Gewaltausbrüchen (oft Kopfschüsse) und interessanten Einblicken in den regionalen Wohnungs-, Dating- und BTM-Markt. Winslow springt zwischen verschiedenen Personengruppen und Zeitebenen, nicht immer hatte ich ganz den Überblick, vermisste ein Personenregister oder besser noch Organigramm. Zur Konfusion trägt bei, dass Winslow einige Figuren je nach Kontext mit unterschiedlichen Namen benennt und auch ein paar mir unbekannte Fachausdrücke, Slangvokabeln und Abkürzungen einstreut – klingt natürlich lässig (ich kenne nur das englische Original vollständig, fand aber auch in der deutschen Version Wörter…
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Kritik TV-Spielfilm: Verratenes Glück (2018) – 7 Sterne – mit Video
Ein ruhiger, stimmungsvoller TV-Spielfilm um ein arriviertes Ehepaar mit einem Ehemann auf Abwegen (Xavier Lemaître, Isabelle Carré; Regie Philippe Harel). Besonders gefällt mir Roxane Arnal als junge, unsichere Ehebrecherin, die ganz bei sich ist; sie erhielt einen Nachwuchspreis, ist aber zur Filmmitte bereits im Off. Das Ganze ist betont geschmackvoll ausgestattet und abgelichtet. Der Film spielt in Paris, doch das lässt sich kaum ahnen, und Overtourism-Hotspots meidet die Kamera. Ein paar Dinge störten mich auch: Warum heuert die junge, unsichere Ehebrecherin ausgerechnet in der Teestube der betrogenen Ehefrau an? Eine Motivation dafür ist nicht zu erkennen Der betrügende Ehemann speichert Textnachrichten und Nacktfotos seiner Geliebten auf seinem Handy? Und die…
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Filmkritik: Wolf of Wall Street (2013, Scorsese, diCaprio) – 7 Sterne – mit Video
Was für eine Orgie aus heißen Weibern/Öfen/Rhythmen/Deals. Dazu Drogen ohne Ende, Gier und grelle Bilder, Niedertracht und Vulgarität. Ein Fest. Über drei Stunden kommt Martin Scorseses pubertär schriller Film über pubertär schrille Geldjongleure kaum zur Ruhe. Gelegentlich überraschen dann wieder übertrieben lange Gespräche und andere Szenen. Die Darsteller sind bis in kleinste Nebenrollen exzellent besetzt – der Ex-Polizist Bo Dietl spielt sich dabei selbst, Altmeister Jean Dujardin kredenzt eine charmant-verschlagene Euronote. Was die hormonpralle Männerrasselbande in ihrem Börsenmaklerhangar da Strafbares ausfrisst, habe ich nicht verstanden. Aber weggucken konnte ich auch nicht. Scorsese mischt Perspektiven, Stilmittel, lässt die Chronologie schlingern – es funktioniert einigermaßen. Meine Bluray enthielt drei je etwa 15minütige…
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Kritik Biografie: A Tragic Honesty: The Life and Work of Richard Yates, von Blake Baily (2003) – 8 Sterne
Biograf Blake Bailey hatte offenbar perfekten Quellenzugang: Alle Kinder, alle Ex-Frauen, viele Ex-Freundinnen, Schüler, Literaturbetriebler, aber auch Kellnerinnen und Wirte redeten mit dem Biografen, sogar Richard Yates‘ Psychiater packte aus. Das Archiv stand uneingeschränkt offen. Kunst und Leben: Wann möglich – also fast immer -, zieht Blake Bailey Parallelen zwischen Yates‘ Leben und Kunst. Dabei sollte man Yates‘ Geschichten möglichst gut kennen, zum Beispiel wissen, welche Figur welche Rolle in welchem Roman spielt. Für Yates‘ frühe Erwachsenenjahre sind seine Kurzgeschichten sogar noch wichtiger als die Romane. Bei solchen Fiktion-Leben-Vergleichen setzt Bailey zu genaue Yates-Kenntnisse voraus. So sagt Bailey z.B. über einen Yates-Bekannten (S. 168): He served as the model for…
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Romankritik: Tiefe Wasser, von Patricia Highsmith (1957, engl. Deep Water) – 9 Sterne – mit 2 Videos
Highsmith macht alles richtig: Die Sprache ist jederzeit uneitel im Dienst der Geschichte. Sie verzichtet auf Dramatisierung, düstere Andeutung, Zeitsprünge, schreibt strikt chronologisch und ohne bizarre Zufälle. Sie erzählt bruchlos aus Perspektive der Hauptfigur. Das Ende bleibt fast bis zur letzten Seite völlig offen. Im Zentrum steht ein scheinbar freundlicher, aber innerlich zynischer Familienvater. Er beobachtet die außerehelichen Flirts seiner dümmlichen Gattin kalt lächelnd und kredenzt noch Drinks dazu – nicht ohne maliziöse Aperçus. Er streut sogar, ein gesuchter Rivalenmörder zu sein. Seine Gedanken und Gewohnheiten und die verunsicherten Reaktionen der Umwelt schildert Patricia Highsmith (1921-1995) in diesem relativ frühen Roman sehr überzeugend klar und unaufdringlich, ohne jede Effekthascherei. Zwar…
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Kritik Biografie: Riefenstahl. Eine deutsche Karriere, von Jürgen Trimborn (2002) – 7 Sterne
Laut Vorwort traf Jürgen Trimborn 1997 die 94jährige Leni Riefenstahl persönlich. Er betont jedoch, dass die Begegnung oder Riefenstahls Autobiografie keinerlei historische Erkenntnisse verschaffe, weil alles dezidiert geschönt werde. Aus Leni Riefenstahls Privatarchiv erhielt Trimborn laut Vorwort wie andere Forscher nur ausgewählte, Riefenstahl-freundliche Unterlagen. Und Trimborn meint, auch ein erweiterter Archivzugang könne nur Vorgefiltertes zutage bringen (S. 16f), jede Kooperation der Riefenstahl bringe keine historischen Erkenntnisse. Mehrfach weist er ihr falsche Darstellungen bis hin zu „Geschichtsklitterung“ (S. 263) nach. Mehrfach fördert Trimborn offenbar in Details neue Erkenntnisse zutage, ohne dies groß herauszustellen, etwa zur Rolle Riefensteins beim Polenüberfall 1939 und bei der Verpflichtung von Zwangsarbeitern für ihren Tiefland-Film. Trimborns Erkenntnisse…
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Kritik Jugendmemoiren: Das deutsche Krokodil, von Ijoma Mangold (2017) – 7 Sterne – mit Video
Kulturjournalist Ijoma Mangold schreibt über seine deutsche Kindheit mit deutscher Mutter und abwesendem Vater aus Nigeria. Die Geschichte reicht bis in Mangolds viertes Lebensjahrzehnt, bleibt aber stets im Privatbereich – von seinem Beruf als Top-Kulturjournalist hören wir nichts. Mangold hat dunklere Haut und krauses schwarzes Haar. Er liefert über weite Strecken einen allgemeinen Bericht über Jugend in den 1970ern, 1980ern, ohne interkulturelle oder fremdenfeindliche Noten. So steht auf Seite 99 meiner 2017er-Rowohlt-Hardcover-Ausgabe: Dass ich exotisch aussah, schien an der Schule niemand groß zu bemerken… Meine fremdländische Aura… wurde gar nicht wahrgenommen. Mangold führt dies vor allem auf das entspannte Heidelberger Klima zurück, bei dem Bildung mehr als Blut zähle. Er…
- Asien, Biographie, Buch, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Sachbuch, Südostasien, Thailand
Rezension Thailand-Memoiren: My Boyhood in Siam, von Kumut Chandruang (1938) – 7 Sterne
Kumut Chandruang erzählt über viele Jahrzehnte das Leben seiner Eltern und sein eigenes Leben in Thailand. Er klingt naiv versöhnlich, liefert jedoch viele interessante, gelegentlich humorvolle Details und Einblicke in eine untergegangene Welt, und das in gefälliger Schreibe – samt unterschiedlicher Ansichten zu Europäern. Nord und Süd: Chandruangs Vater verließ mit 14 auf eigene Faust sein zentralthailändisches Dorf, lernte in einem Tempel in Bangkok und wurde schließlich Mitarbeiter des Vizekönigs in Nakhon Sri Thammarat. Dort am Hof verbrachte auch sein Sohn, Autor Chandruang, seine frühe Kindheit. Als hoher Richter tourt der Vater mit dem Sohne dann durch verschiedene nördliche Orte wie Uthai Thani, Nakhon Sawan und Phichit – im Buch…
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Romankritik: Von der Schönheit, von Zadie Smith (2005, engl. On Beauty) – 7 Sterne
Zadie Smith schreibt witzige, intelligente Dialoge, und sie spießt Uni-Politik und die Tics der US-Uni-Koryphäen boshaft auf. Gewiss erkannten sich einige Wissenschaftler in diesem Roman erzürnt wieder. Zu den Highlights zählen auch ein paar erstaunliche Sexszenen. Doch die Dialoge und Szenen laufen teils zu lang, und sie konzentrieren sich ermüdend auf die immer gleichen Themen: Zusammenleben der Hautfarben, Quotenafrikaner, Uni-Diplomatie. Das Buch ist zu lang (442 Seiten in meiner englischen Hamish Hamilton-TB-Ausgabe von 2005, die Eindeutschung von Marcus Ingendaay kenne ich nicht). Gelegentlich knirscht der Roman gar wie ein grob geplotteter Boulevardschwank: Da zieht Sohn Belsey (USA) für ein paar Monate zu Familie Kipps (England). Aber ach, ausgerechnet Vater Kipps…
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Kritik: Die Dame mit dem Hündchen, Erzählungen 1897 – 1903, von Anton Čechov – 7 Sterne
In diesem vierten und letzten Band seiner gesammelten Erzählungen schreibt Anton Tschechow (Anton Čechov, 1860 – 1904) kenntnisreich und einfühlsam über das Leben geschundener Bauern und Tagelöhner – mit Intrigen und Gaunereien wollen sie das Überleben sichern. Nicht besser sind aber auch die Krämer, die Beamten und die Fabrikanten. Positiv ist wenig. Tier- und Pflanzenwelt, Milieus und Umgebung schildert Tschechow teils liebevoll. Tristesse rurale: Kultivierte Städter, die per Zug und Kutsche aufs Land reisen, oft Ärzte wie Čechov, konfrontiert der Erzähler regelmäßig mit bornierten, verkommenen und verelendeten Dörflern. Immer wieder geht es aufs Land im Zug, die letzten Werst im Zweispänner oder in der Troika. Teils treffen die Städter nur…
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Romankritik: Szenen einer Ehe, von Ingmar Bergmann (1973) – 7 Sterne – mit Video
Der Dialogroman gibt intime Einblicke in das seelische Geflecht einer bürgerlich-liberalen Ehe, man fühlt sich wie ein Lauscher hinter der Wand. Verhalten sich die Figuren realistisch oder eher so, wie es ein mondäner Theaterregisseur lässig imaginiert? Auch wenn manche Plotwendungen und Formulierungen sehr verwundern, liest sich das Buch flüssig, und es passt gut zur Verfilmung. Die Dialogform funktioniert bestens. Wie auch immer, dieser Roman respektiert aktuelle Sensibilitäten nicht und es nimmt kein Wunder, dass ihn der DLF seit Jahren grimmig ignoriert: Die Romanfiguren haben nichts von LGBTXYZ Transmigrasi people of colour TV, nein, der Autor müllt das Buch mit uralten weißen Heteromännern zu. Und der Verfasser nennt sich auch noch…
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Kritik Kurzgeschichten: Collected Short Stories, von Richard Yates – 8 Sterne
Richard Yates schreibt lakonisch über kleine Leute in und um New York, mit hochrealistischen Dialogen – ohne Effekt, aber als ob er es genau so selbst vernommen hätte. Oft geht es um Unangenehmes – Hintergedanken, Sorgen. Männer blähen sich auf und sind schnell gekränkt. Öfter laufen sie krank im Schlafanzug herum, da wirken sie noch gockelhafter. Teilweise ist das besser als in Yates‘ besten Romanen. Wiederkehrende Themen im Gesamtband TB-Stationen in Militärkrankenhäusern Männer sind krankhaft stolz, rüde, zum Fremdschämen unachtsam + Alkohol-affin, werden von Frauen verlassen Frauen sind dekorative Möbelstücke, die sich von Männern ergeben benutzen lassen (mit Ausnahme der Tageskellnerin Maggie Hennessy) Künstler übernehmen frustrierende Kommerzjobs, träumen von echter…
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Kritik Kurzgeschichten: Eine letzte Liebschaft, von Richard Yates – 7 Sterne
Dieser Band enthält Yates-Stories, die in den USA nie oder zumindest nicht zwischen Buchdeckeln erschienen, die jetzt aber auch auf Englisch in Yates‘ Collected Stories herauskamen. Offenbar basieren die meisten Geschichten auf Yates‘ eigenem Leben: biografische Skizzen zum Autor lesen sich wie die Zusammenfassung einer Yatesschen Kurzgeschichte, und die Themen kehren auch in Yates‘ Romanen wieder. Die Geschichten aus Eine Letzte Liebschaft Protzen mit Kriegserlebnissen auf einer Cocktailparty Beziehung Patient-Krankenschwester in Militärkrankenhaus 2 Marine-Ehefrauen gehen in Frankreich aus, ihre Männer sind auf hoher See Zwei Soldaten im Graben im Mai 1945 hören fernes Glockenläuten Männer in Krankenhaus brüsten sich mit früheren Diebestouren Schülerin gilt ungerechtfertigt als Diebin Rechnungsprüfer wird von…
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Kritik Kurzgeschichten: Verliebte Lügner, von Richard Yates (1982, engl. Liars in Love) – 7 Sterne
Diese Kurzgeschichtensammlung gibt es auch auf Englisch als Teil der Collected Short Stories von Richard Yates. Weitere deutsche Kurzgeschichten – mit etwas anderem Charakter – stehen in den Bänden Elf Arten der Einsamkeit und Eine letzte Liebschaft. Häufig geht es um Geschiedene, um deren Kinder, um ambitionierte Künstler in demütigenden Kommerzjobs, meist in und um New York, je einmal Los Angeles und London. Die Geschichten sind 20 – 35+ Seiten lang und zeigen unterschiedliches Leben in alle Richtungen – teils denkt man an Kurzromane. Sie klingen gut und lesen sich flüssig. Sie erinnern deutlich an Yates‘ Romane von In Zeiten der Aufruhr bis Strahlende Zukunft und Cold Spring Harbor. Die…
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Kritik Kurzgeschichten: Elf Arten der Einsamkeit, von Richard Yates (1962, engl. Eleven Kinds of Loneliness) – 9 Sterne
Yates schreibt lakonisch über kleine Leute in New York und den Vororten, mit hochrealistischen Dialogen – ohne Effekthaschen, aber als ob er sie genau so selbst vernommen hätte. Oft geht es um Unangenehmes – Hintergedanken, Sorgen. Männer blähen sich auf und sind schnell gekränkt. Teilweise ist das besser als in Yates‘ besten Romanen. Amazon-Werbelinks: Richard Yates | Ernest Hemingway | John Cheever | John Updike Die Stories sind zumeist blendend konstruiert, inhaltlich sehr geschlossen und sparsam getextet, ohne überflüssiges Blabla – wenn auch nicht so reduziert wie Hemingways beste Kurzgeschichten, auf die sich ein Ich-Erzähler ausdrücklich bezieht (auch der mehrfache Schauplatz Militärkrankenhaus erinnert an Hemingway). Die Geschichten wirken enorm kompakt…
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Romankritik: Cold Spring Harbor, von Richard Yates (1986) – 7 Sterne
Überwiegend schildert Yates Teens und Young-Twens in und um New York. Aber auch einige ältere Herrschaften rücken zeitweise in den Vordergrund, teilweise benehmen sie sich schmerzhaft peinlich, vor allem wenn sie die Alkoholzufuhr nicht bremsen können – Fremdschämalarm. Yates ist etwas unfokussiert, nicht immer weiß man, wer die Hauptfigur ist, und zur Buchmitte scheint der Fokus ganz zu verrücken, auch mit völlig neuem Personal. Dazu kommt – ungewöhnlich für Yates – ein seltsamer Zufall, bei dem zwei Familien unbewusst gleichzeitig eine dritte Familie spontan besuchen. Merkwürdig auch, dass die frühe Hauptfigur Evan als perfekter Autotüftler beschrieben wird, doch in einem handlungentscheidenden Moment sein Auto nicht selbst in Ordnung bringen kann,…
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Romankritik: Eine strahlende Zukunft, von Richard Yates (1984, engl. Young Hearts Crying) – 7 Sterne
Richard Yates schreibt flüssig, zupackend – eine famose Erzählstimme (ich kenne nur das englische Original in der Methuen-TB-Ausgabe). Dabei beobachtet er fein, bringt präzise Wortwechsel (nicht gepfeffert, aber hochrealistisch), meist stimmige Entwicklungen über Jahrzehnte. Amazon-Werbelinks: Richard Yates | Ernest Hemingway | John Cheever | John Updike Bei soviel Qualität gibt es auch Störungen – weniger an der Schreibkunst als an Yates‘ Milieus und Figuren: im Mittelpunkt zeigt Richard Yates einen angehenden Schriftsteller und eine Millionärstochter, die später selber künstlert und sogar lässig die Genres wechselt („stories were no longer her business. She was a painter now“; S. 182; und als Schauspielerin hatte sie angefangen) zu viele Künstlermilieus mit Autoren, Malern,…
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Romankritik: Mutterland, von Paul Theroux (2017, engl. Mother Land) – 7 Sterne
Offenbar erzählt Paul Theroux in etwa sein eigenes Leben, vor allem mit Blick auf seine alle beherrschende und alle manipulierende Mutter. Mit 83, nach dem Tod ihres Ehemannes, schwingt sie sich zu neuer Unliebenswürdigkeit auf – „she will eat you alive and shit you over a cliff“ (S. 9 der engl. Penguin-TB-Ausgabe). Selten ward eine Mutter so vom Sohn gedisst, und die Geschwisterschar tritt er gleich mit in die Tonne. Soweit erkennbar, ändert Theroux nur die Namen der Beteiligten, aber kaum ihre Lebensumstände (außer vielleicht beim mexikanischen Ende). Lehren und Episoden: Über große Strecken schreibt Theroux jedoch zu viele Verallgemeinerungen und Analysen, keine echten Geschichten. Es gibt kaum eine Entwicklung.…
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Rezension Biografie: Ernest Hemingway, von Mary Dearborn (2017) – 7 Sterne
Mary Dearborn schreibt weitgehend entspannt, angenehm zu lesen. Sie dramatisiert nichts. Sie schreibt nicht streng chronologisch, sondern liefert manchmal zeitliche Querschnitte, zum Beispiel zur Beziehung Hemingway-Fitzgerald. Lediglich Hemingways vorgezogener Selbstmord, dem noch einige Seiten über seine letzten zwei Lebensjahre folgen, befremdet – das klingt nachträglich montiert. Dearborn mag einige frühere Hemingway-Kurzgeschichten, insonderheit Kilimanjaro und Macomber, sowie ein oder zwei frühe Romane. Sie schildert Hemingways erste zwei Frauen Hadley und Pauline verhalten liebenswert. Ansonsten beschreibt die Biografin Ernest Hemingway, seine Frauen, sein Werk überwiegend negativ – stets nachvollziehbar gut begründet und nie eifernd, belehrend, parteiisch (ob sie ein stimmiges Gesamtbild liefert, kann ich nicht beurteilen). Hemingway war nach diesem Buch zumeist…
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Kritik Kurzgeschichten: Ernest Hemingway: The Collected Stories – 7 Sterne
Der Sammelband enthält die Hemingway-Kurzgeschichten der ursprünglichen Bände in our time (kleingeschrieben), In Our Time (großgeschrieben, und in our time mit enthaltend), Men Without Women und Winner Take Nothing sowie danach veröffentlichte Geschichten wie Snow on the Kilimanjaro und The Short Happy Life of Francis Macomber. Die Einleitung schrieb James Fenton, der die Geschichten auswählte. Fenton bringt die Geschichten in der Reihenfolge des Erscheinens, also vor allem geordnet nach Hemingways ursprünglichen, frühen Kurzgeschichtenbänden (allerdings erscheinen Juvenilia am Ende). Damit liest man die Geschichten nicht in der Reihenfolge des Entstehens und nicht nach Zusammengehörigkeit; zwei Beispiele: die vielgelobte Story Indian Camp steht auf S. 42; das Exzerpt Three Shots mit der…