Anekdoten, Pointen und Allgemeinplätze schnurren ab der ersten Seite gut geölt herunter. Dazu behauptet Nigel Barley in seinem Afrikabuch auch mal Widersprüchliches: Aufgebrochen sei er
totally unprepared both materially and mentally for the bush
und nur eine Seite später:
I felt as well equipped as anyone needed to be.
Selbstironie ist des Angelsachsen Pflicht, darum Barley über sich:
a flurry of irrelevant activity… re-establish my credentials as a harmless idiot
Ein englischer Kritiker bezeichnete Barley als typischen “court jester” (Hofnarr) der britischen Reiseliteratur (Quelle), und im englischen Nachfolgeband Raupenplage preist ihn der Verlag tatsächlich als “jester” an. Das passt, und in der zweiten Buchhälfte habe ich tatsächlich ein paar Mal erschrocken aufgelacht. Nur warum viele Angelsachsen hier von Reiseliteratur sprechen, ist mir schleierhaft (abgesehen von der stressigen Anreise).
Vielleicht brezelt Barley die ersten Buchkapitel auch deshalb verstärkt jokulös auf, weil inhaltlich zunächst aufreizend wenig passiert: Der Anthropologe beginnt mit faden Anthropologengrübeleien in England und walzt danach öde Tropenklischees aus: Bürokratie à la Absurdistan (wiederkehrend am Ende), kaputte Straßen, kauzige Missionare und “First World War rolling stock” (die Züge).
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Zäher Einstieg:
Warum nicht medias in res? Erst etwa auf der 35. Seite von 183 trifft Barley erstmals Dowayo-Kameruner, sein Forschungsobjekt. Das Lesen fällt schwer bis dorthin, obwohl der Autor durchgehend flüssig textet. Und auch diese ersten Begegnungen beginnt Barley mit Verallgemeinerungen.
Mit Verallgemeinerung und Zusammenfassung geht es weiter (dies ist Barleys erstes Buch fürs breite Publikum). Es gibt wenig einzelne Szenen und Dialog, abgesehen von einem turbulenten Fest.
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Namenlos:
Lange Zeit kennen wir überhaupt nur zwei Dowayos mit Namen, den Dorfchef sowie Barleys Assistenten (der aus dem Flachland stammt, während Barley im Hochland forscht). Namentlich erscheinen ansonsten nur vier exzentrische Städter, “Alphonse and Augustin” sowie “Patrice und Hubert”, über die Barley womöglich lieber geschrieben hätte.
Dazu kommen “Jon and Jeannie Berg” plus weitere Missionare; nur bei ihnen fühlt Barley sich wohl und verstanden. Erst im letzten Viertel treten zwei weitere Dowayos namentlich auf, ein guter Bekannter des Dorfchefs und dessen dritte Frau.
Schock:
Ganz zu schweigen von den vielen schwachsinnigen bis lebensgefährlichen Aberglauben und Riten der Berg-Dowayos wie “rubbing goats’ horns on a patient’s chest to cure tuberculosis” oder “excrement and blood were thrown on the skulls”. Nigel Barley (*1947) hält Dowayo-Gerede teils selbst für “gibberish”. Gleichwohl thematisiert der Autor nicht, wieviel Akademiker-Zeit und -Geld man in solchen Schmarrn investieren sollte, und ob man stattdessen besser mehr Infrastruktur und Bildung bereitstellt.
Zu den Bizarrerien zählt auch, dass der “rainchief” der Dowayos Regen machen und Impotenz heilen kann und 13 Frauen hat – und gleichwohl unheilbar impotent ist. Und Nigel Barley berichtet ermüdend ausführlich, wie man Regen macht, die Ernte gegen Geister schützt und Kranke angeblich heilt.
Doch wie die Erforschten ihre Vielweiberei handhaben, darüber fast kein Wort. Stattdessen extemporiert Barley über “the sexual position of the fieldworker”, also Beziehungen zwischen Forschern und Erforschten, ganz allgemein natürlich, ohne konkrete eigene oder recherchierte Erfahrungen.
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Unerhört:
Barley erlaubt sich zudem mehrfach diskriminierende Ausdrücke, für die er noch heute gecancelt werden müsste, wie
Africa is the home of the most astonishing physiques, both male and female
They knew less about the animals of the African bush than I did… They did not know that caterpillars turn into butterflies
Any African hospital is a shock by Western standards
The obsession of Third World countries
Ich lernte aber auch exquisite Vokabeln wie “paralytic” und “emetic”.
Jahre später, im Indonesien-Buch, sagt Barley über “Africa”:
There, one has to overcome an initial negative valuation, a culture that seems disagreeable in most essentials.
Ich weiß freilich gut, was er meint, selbst wenn die Verallgemeinerung fies ist.
Persönliche Erklärung:
Ich hatte Traumatische Tropen schon vor Jahrzehnten einmal auf Deutsch gelesen und in prima Erinnerung. Auch Barleys Indonesienbericht Hallo Mr. Puttyman/Not a Hazardous Sport sprach mich damals sehr an.
Diesmal – auf Englisch – schien mir Traumatische Tropen/Innocent Anthropologist teils abgestanden, zu schwafelig, schenkelklopfend. Und Hallo Mr. Puttyman ebenso. Nach, mittlerweile, einigen Afrika– und Asien-Reisen fand ich Barleys Erklärungen der afrikanischen Verhältnisse viel zu weitschweifig (die öden Bürokraten; die Schnorrer; die Unzuverlässigkeit).
Afrikanische “agression und furious posing” kritisiert Barley erst später im Indonesien-Buch. Auch aus Südost-Asien hören wir zu viel Verallgemeinerndes, abgehangene Klischees, die offenbar doch breitgetreten werden müssen wie in einem “Wunderbar”-Reisefeature des WDR. Wer von den Umständen in Afrika oder Asien rein gar nichts weiß, schätzt jedoch vielleicht Barleys Ausführlichkeit.
Freie Assoziation:
- Nigel Barleys Nachfolgeband aus Kamerun, Die Raupenplage; sein Ceremony: An Anthropologist’s Misadventures in the African Bush (1984, über die Fulani, die Nachbarn des Dowaya-Gebiets)
- Nigel Barleys Indonesien-Bericht Hallo Mr. Puttyman, engl. Not a Hazardous Sport (1989), auch der beginnt mit langen Anreise-Anekdoten (hat aber den vergnüglichen Gegenbesuch von Asiaten in London)
- Ethnologin Heike Behrend allein in Ostafrika: Menschwerdung eines Affen (Barley taucht kurz in Behrends Endnoten auf)
- Wegen der Missionare in fremder Einsamkeit, Bodo Kirchhoffs Infanta
- Afrikafahrerin Mary Kingsley wird kurz erwähnt
- Ganz anders, und doch: Mark Hudson allein in einem gambischen Dorf
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