Romankritik: Hotel du Lac (1984), von Anita Brookner – 6/10

Beim Einstieg übertreibt Anita Brookner die Heimlichtuerei: unentwegt vermisst die alleinreisende Hauptfigur Edith Hope einen gewissen David; und die Autorin deutet eine Missetat der Hauptfigur an (“that other business”), die ihre Flucht von England ins Genfer Hotel du Lac auslöst – Näheres erfährt der Leser erst ab Seite 118 von 184 in einer harten, überraschenden Rückblende. Dieses Kapitel 9 könnte auch ganz am Anfang stehen, vor dem Kapitel 1, dann wäre das Buch ordentlich chronologisch und ab Kapitel 2 fast frei von Handlung.

Vor Kapitel 9 passiert nichts, weder in allerlei kleinen Rückblenden noch in der erzählten Jetztzeit im plüschigen Hotel am Genfersee:

The afternoon continued golden and mellow. The beauty of this perfect day brought them all back to the terrace…

Das einzige Fast-schon-Ereignis: Spitze Schreie und schnelle Schritte auf dem Hotelflur – eine Spinne in der Suite der Damen Pusey, ein Galan eilt zu Hilfe.

Der leicht dröge Roman erhielt 1984 den Booker-Preis, wurde von Elke Heidenreich in der deutschen Ausgabe und von Anne Tyler in der New York Times gepriesen; er gehört laut englischer Wikipedia zu den zehn meistverkauften der 80er Jahre.

Nennenswerter Dialog bleibt rar, abgesehen von einem langen alkoholhaltigen Gespräch über das Wesen der Liebe und so weiter und so fort zur Buchmitte:

”You are wrong to think that you cannot live without love, Edith.“

Später folgen ähnlich gestelzte Wortwechsel über Männer, Frauen und Geld und über Eheschließung. Dialog ist nicht Brookners Stärke. Ihr stilistisches Können steckt Anita Brookner in nonchalante Beschreibungen, innere Monologe, nicht in Dialoge; immerhin gibt es ein paar aparte Einzeiler.

Stil:

Anita Brookner schreibt mit erlesener Ironie (“in the high summer of their self-esteem”) und schönen Gedanken: Hauptfigur Edith Hope beobachtet andere Hotelgäste, spekuliert über ihr Leben und gebietet sich dann Einhalt:

I must stop this, she said to herself. I do not have to make up their lives for them. They are in fact doing very nicely without me.

Die Erzählperspektive ist nicht ganz einheitlich: zumeist hören wir in der dritten Person aus der Perspektive von Edith Hope, doch gelegentlich blickt Anita Brookner auch in andere Köpfe (“thought Harold”). Dieser seltene Perspektivwechsel stört.

Brookner verwendet im englischen Original allerlei Wörter, die ich gerne nachgeschlagen habe, wie gamine, venery, gyneceum, rebarbative.

Assoziation:

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