Das ist, wortwörtlich, eine Räuberpistole: wir lernen viel über Samuel White, königlich bestellter Hafenvorsteher im damals siamesischen Mergui und zugleich Großpirat auf eigene Rechnung. Wir erfahren ein bisschen von der East India Company in Madras, vom siamesischen König Narai und seiner Verwaltung in Ayutthaya und vom englisch-französischen Ringen um Macht in Süd- und Südostasien. Doch vor allem geht es um die Räubereien und Winkelzüge des Engländers Samuel White – und wie er damit die East India Company aufs Blut reizte.
Die Geschichte spielt zunächst in Madras, dann in Mergui (heute Myanmar) auf der anderen Seite des Golfs von Bengalen, dann in Ayutthaya, Siam, dann wieder in Mergui und verschiedenen Hafenstädten des bengalischen Golfs.
Samuel White begann als Angestellter der East India Company in Madras, und so lernen wir zunächst einiges über das Geschäftsmodell dieser Gesellschaft und wie einzelne Angestellte ihr Einkommen privat aufbesserten. Im siamesischen Ayutthaya geht es auch um niederländische und japanische Händler, denen heute kleine Museen in Ayutthaya gewidmet sind. Weil Thaikönig Narai niederländische und muslimische Händler zurückdrängen wollte, kam Buch-Hauptfigur Samuel White zum Job als Handelskapitän und Hafenvorsteher.
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Expats:
Der Buchtitel “Siamese White” könnte ein Aufgehen des weißen Engländers White in der siamesischen Kultur des 17. Jahrhunderts anzeigen, doch davon sind Samuel White und die anderen Gringos in “Indo-China” (Biograf Collis) weit entfernt.
Selbst politische Schachereien und wilde Scharmützel in Ayutthaya, Mergui und Bangkok spielen nur zwischen Ausländern: Griechen, Engländern, Franzosen, Sulawesen, Arabern – von Siamesen hören wir fast nichts. Das ist wirklich nicht mein Thema. Interessant allenfalls die Konflikte, die Whites ehrenhafter Buchhalter Davenport und der naive englische, mittellose Kapitän Weltdten durchmachen. Ganz am Ende spielen Thai-Mandarine und Dörfler eine Rolle.
Teil-weise spannend:
Was Morris Collis nicht belegen kann, das denkt er sich aus. So moderiert er eine fast ganzseitige wörtliche Rede mit den Worten an, ”which maybe summarized in the following way”. Wie Samuel White König Narai begegnete, leitet Collis aus Schilderungen anderer Beobachter ab – so plastisch, als hätte er Samuel Whites Audienz am Hof von Ayutthaya persönlich begleitet. Kann er nichts über die Lebensumstände der Weißen in Mergui sagen, zieht er mutmaßliche Parallelen zu Weißen auf Sumatra.
Für Teil 2 dieser Biografie des englischen Asien-Abenteurers Samuel White (*ca. 1650) verspricht Autor Maurice Collis
an exotic clash, wherein the great fundamentals of human conduct are at issue… a number of sensational events
Teil 1 indes leiste, so Collis, weniger aufregend die Vorarbeit, sei nur
a methodical effort to present the data for a judgement on White
Tatsächlich setzt Maurice Collis (1889 – 1973) in Teil 1 immer wieder zu allgemeinen Erklärungen an, die den Erzählfluss unterbrechen, anmoderiert z.B. wie hier:
Before describing what resulted, there are some further points relating to the position of affairs in the East at this date, which I must inflict upon the reader… before following him there, I propose to give some descriptions of…
Diese anmoderierten Hintergründe wirken unglücklich: Collis sollte die Handlung voranbringen und Hintergründe wo nötig einflechten, statt jedes Mal Hintergründe erst umständlich anzukündigen und dann noch umständlicher mit ihnen die Handlung zu unterbrechen.
Teil 2 liefert wie versprochen mehr Action, spannungsreichen Dialog, verzwickte Gemengelagen und Suspense. Die Kapitelüberschriften klingen wie aus einem Abenteuerbuch für Jugendliche:
A pirate in a river… The capture of Davenport… The fierce fight with the Macassars… Davenport decides to betray White… White’s plot and the Wizards… Hiding in the islands… White and Weltden arrange Davenport’s murder…
Ich kam indes nicht immer mit, wegen der vielen Akteure an jeweils mehreren Schauplätzen in Siam, im heutigen Indien und in England und wegen der Zeitsprünge.
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Sprache:
Zeitweise schreibt Collis blümerant:
As he was impecunious, this amounted to a pleasant douceur… his plan would not now be so easy of operation… his caution forsook him
Einige Städte nennt Collis ausschließlich bei ihren historischen Namen, so Tenasserim (heute Tanintharyi), Acheen (Aceh) und Louvo (Lopburi). Dazu kommt allerlei Nautik-Englisch, das der Autor als bekannt voraussetzt (“neap… three fathoms… lascar… careen”).
Persönliche Erklärung:
Biograf Collis berichtet, White
was always careful to have his papers in order. His piracies, robberies and embezzlements were done under the cloak of an unimpeachable file… he was to all intents and purposes a pirate operating on a large scale… he became master and under cover of his position plundered the merchantmen who were not strong enough to oppose his frigates… his caution forsook him, he fell into a violent rage and, shouting… pirate and ruffian that he was at the heart…
Als ich dieses Buch bestellte, interessierte mich vor allem das historische Siam und wie ein Weißer dort zurechtkommt, doch davon erfahren wir nur am Rand. Ein Arschloch und Wutmörder wie Samuel White, der aus seiner von König Narai garantierten Machtposition heraus mafios Handelsschiffe ausrauben, Bilanzen fälschen und kleine Fische köpfen lässt, fasziniert mich nicht.
Ich brauche wohlgemerkt keinen sympathischen Helden, aber ein bissl Finesse und Charme darf er haben. Der Biograf liefert indes kaum raffinierten Betrug, hot country reading und Interkulturelles (und schon gar keine Liebe) – stattdessen Niedertracht und Gier ohne Ende und ein paar zu schwache oder zu naive Gegenspieler. Deswegen hätte ich das Buch fast weggelegt; die Räubergeschichte entwickelte aber so viel Dynamik, dass ich dran blieb.
Assoziation:
- Andere Zeit, anderer Ort, anderes Genre und andere Schwerpunkte – und doch erinnerte mich die White-Biografie an Joseph Conrads Welt – an Kurtz ebenso wie an Almayer und Co.
- Englische Wikipedia Maurice Collis
- Es klingt absurd, doch wie sich der böse Bube White ein ums andere Mal aus der Schlinge zieht hat etwas von Patricia Highsmith’ Mr Ripley
- A History of Thailand erwähnt die dramatischen Ereignisse der Biografie nicht. Die Hauptfiguren Phaulkon und König Narai erscheinen dort nur ein- oder zweimal am Rand, Samuel White gar nicht.
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