Kritik Geschichtsbuch: Chris Baker, Pasuk Phongpaichit: A History of Thailand (4. Aufl 2022)

Thailand

Die Autoren berichten von einem zutiefst undemokratischen, korrupten und brutalen Land – eine Bananenrepublik. Sie schreiben dicht und Blabla-frei, zugleich noch gut lesbar, jedoch ohne packende Narrative oder human interest.

Chris Baker und seine Frau Pasuk Phongpaichit texten nicht streng chronologisch, sondern liefern thematische Kapitel innerhalb begrenzter Zeiträume etwa über Ideologien, Wirtschaft oder ethnische Fragen. Sie behandeln auch nicht jede Verfassung und jeden Staatsstreich einzeln, sondern nur die wichtigsten. Ein Beispiel von Seite 217f:

Between 1977 and 1980, there were three more coups, one unsuccessful (in 1977) and the two others resulting in successive generals becoming prime minister. For all its own propaganda, the military was no basis for political stability.

Unruhen:

Die 3. Auflage der History of Thailand war 2014 erschienen. Die 4. Auflage von 2022 endet mit den Unruhen und der Covid-Krise 2020, besprochen im falsch überschriebenen letzten Abschnitt “Postscript: Thailands future”.

Die Umwälzungen von 1998 bis 2020 schildern die Autoren etwas ausführlicher und  aufgeregter, vielleicht weil die Ereignisse zeitlich näher liegen und weil die Autoren wohl in der Nähe waren. Auch Ayutthaya erscheint sehr ausführlich, darüber schrieben die Autoren 2017 ein eigenes Buch.

Vereinzelt Bürgerliche:

Die Autoren reden nicht ausschließlich von Königen, Premierministern, Generälen und Kriegen, sondern besprechen vereinzelt auch die Entwicklung der Landbevölkerung  und einzelne Bürgerliche und Aktivisten, die durch zu viel Bildung in Konflikt mit Königshaus oder Polizei gerieten oder als Unternehmer herausstachen. Doch zu oft nennen sie nur die Namen illustrer Familien; das mag Insider interessieren, doch ich hätte gern mehr Details und Persönliches – selbst wenn es vielleicht nicht ein Geschichtsbuch gehört.

Die Alltagskultur interessiert die Autoren deutlich weniger als wirtschaftliche Ungleichheit oder Verfassungsfragen; sie bekommt ein kurzes Unterkapitel, wie eine Pflichtübung. Dort geht es um Popstar-Mönche und um Musikrichtungen wie Lukthung (u.a. die Sängerin Phumpheuang) oder pleua chiwit (Caravan, Carabao); ein paar Dutzend Seiten später folgt ein kurzes Unterkapitel über erfolgreiche Filme um die Jahrtausendwende; ansonsten spielt Kultur kaum eine Rolle.

Kein Klatsch:

Allzu schlichte Interessen befriedigen Baker/Phongpaichit jedoch nicht – kein Klatsch. So erwähnen sie zwar, dass Nai Boonrawd 1933 eine Brauerei gründete; dass diese jedoch heute die allgegenwärtigen Biermarken Singha und Leo plus viele weitere Gesöffe verkauft, erfährt der Leser nicht. In den 1990ern nennen sie mehrfach den erfolgreichen Geschäftsmann Thaksin Shinawatra ohne Erwähnung seiner späteren politischen Rolle.

Auch die Schrulligkeiten und Harems von Königen wie Rama IV und V übergehen Baker/Phongpaichit, ebenso wie Eigenheiten des langjährigen, vielen Lesern vertrauten Königs Rama IX (Bhumiphol bekommt ein Unterkapitel mit seinen Beiträgen zu ländlicher Entwicklung, Religion und als Nationalheiligtum; seine Haltung während verschiedener Staatsstreiche wird nur vereinzelt beleuchtet).

Generell schreibt das Autorenpaar keinen Human-Interest-Text und verzichtet weitestgehend auf reportageartige Elemente oder geschriftstellerte Kapiteleinstiege.

Was ich vermisste:

Vergleiche mit Nachbarländern gibt es praktisch gar nicht, auch nicht während der Asienkrise 1997f. Die Zusammenarbeit des Thai-Militärs mit den Khmers Rouges behandeln die Autoren nach meiner Übersicht ebenfalls nicht.

Schön die Zusammenfassungen am Ende jeder Kapitels – im Grund sollte man die “Conclusion” zuerst lesen, um den detaillierten Kapitelinhalt besser zu verarbeiten. Mitunter scheinen die Zusammenfassungen jedoch Dinge zu zusammenzufassen oder zu abstrahieren, die vorher kaum auftauchten.

Gelernt habe ich neben vielem anderen auch, wann und warum sich Thailand von Siam umbenannte – allerdings bringen die Autoren die wechselnden Landesnamen komplett in Englisch, hier hätte ich mir auch transkribierte Thai-Wörter für “Thailand” gewünscht.

Marionettenstaat:

Sehr interessant ein 1942er Satz von Phibun angesichts des Weltkriegs (S. 151):

”Which side do you think will lose this war? That side is our enemy”

Weitere Zitate dieser Art folgen in späteren Jahrzehnten. Schließlich wundert man sich auch nicht mehr über den redaktionellen Satz (Seite 162):

Thailand had become a US client-state under military rule.

Wiederholt scheinen die Autoren nahezulegen, ohne je explizit zu werten, dass Südostasien in den 1960ern mehr als nur einen “Marionettenstaat” der Amerikaner hatte.

Bemerkenswert auch das Zitat des exilierten Ex-Premiers Thaksin: Thailand brauche nun (S. 313)

”liberty, equality and fraternity…. And then, it is also necessary that I manage to recover my frozen assets.”

China wird als “neighbor” bezeichnet, was mangels gemeinsamer Grenze erstaunt. Den Wirtschaftsboom der 50er und 60er Jahre tragen vor allem chinesische Familien, obwohl sie in Thailand einen schlechteren Status haben, und die Autoren erklären den Mangel an wirtschaftlich erfolgreichen Bio-Thais nicht. Während sie Rama X klar nicht für den idealen König halten, sagen sie nicht, wie frei Rama IX bei der Auswahl eines Nachfolgers war und ob z.B. eine seiner Töchter theoretisch auch in Frage gekommen wäre.

Flüssig bis locker:

Die Autoren schreiben flüssig bis mild locker und liefern ein paar Gedicht- und Songzeilen sowie weniger historische Abbildungen in schlechtem Schwarz-Weiß. Ein markanter Satz von Seite 100:

… the western planters’ requests for large land concessions were met with bureaucratic obstruction and foot-dragging on land titling.

Ebf. S. 100:

… Siam was increasingly part of the colonial economy but not a colonial subject dominated by a single master.

Oder Seite 112:

The Chinese dominated commerce (three-fifths of all workers in this occupation), and commerce dominated the Chinese (three-fifths of all Chinese households).

Eine ähnliche Konstruktion auf Seite 300:

one in five people moved from rural to urban, either because they moved to the city or the city moved to them

Oder Seite 253:

Traditional cultural performances were increasingly museumized or reinvented for sale to tourists.

Kompakt:

Dabei schreiben Baker/Phongpaichit kompakt, schlank, ohne Blabla, Verallgemeinerungen oder sonstige Irritationen; ein Beispiel von Seite 275:

With the added impact of the Gulf War, the growth rate slackened and the stock market index lurched downwards.

Sie verzichten weitestgehend auf rhetorische Fragen oder hohle Gemeinplätze – ein lobenswert dichter und gleichzeitig gut lesbarer Text. Eine einzelne nichtssagende Verallgemeinerung wie

As immigrants do everywhere, the Chinese…

(S. 52) fällt da bereits unangenehm auf.

Der Text scheint auf den ersten Blick wertfrei, die Meinung der Autoren schimmert dennoch durch in Sätzen wie (S. 280):

…big business lost its passion for taking a personal role in politics; making money out of the continuing boom consumed all of its attention.

Gerafft:

Trotz solch kleiner Perlen klingt das Buch manchmal heruntergeleiert und zu verallgemeinernd gerafft – vielleicht unvermeidbar, wenn ein gewaltiger Zeitraum und ein umfassendes Thema mit vielen Akteuren und Veränderungen (u.a. Militärcoups) in kürzester Zeit auf knappem Raum besprochen wird. Auch Wirtschaftsentwicklung und Statistik fassen die Autoren in Text; doch Grafiken und Karten wären eingängiger.

Pro Seite gibt es ein paar Quellenangaben per hochgestellter Ziffer und Endnote; man wünscht sich jedoch weitaus mehr Quellenangaben, etwa bei diesem unbelegten Satz von S. 320 über ein staatliches Hilfsprogramm:

Large numbers of the truly poor were excluded, while many others had been wrongly included.

Zu den knappen Texten und Quellenangaben sagen die Autoren im Vorwort:

The publisher ((Cambridge Univ. Press)) wants the books in this series to be accessible to a wide readership, not too long and not overloaded with academic referencing.

Das klingt wie Kritik am eigenen Verlag. Baker/Phongpaichit sollten vielleicht woanders mit mehr Freiheit publizieren.

Freie Assoziation:

  • Louis Leonowens hat einen Mini-Auftritt, ebenso seine einflussreiche Mutter (die Autoren scheinen Anna Leonowens’ Statements 1:1 zu glauben)
  • Bei der Grenzziehung im späteren 19. Jahrhundert denkt man öfter an den 1881er Reisebericht von Carl Bock.
  • Die Autoren zitieren kurz Four Reigns, den Roman um Thai-Höflinge von Kukrit Pramoj, und dessen politische Ansichten kehren im Buch immer wieder
  • Der Roman Letters from Thailand wird auf S. 172 zitiert, der Buchtitel erscheint aber nur in den Anmerkungen
  • Der Film Monrak Transistor taucht kurz auf
  • Der englische Text verwendet zwei deutsche Wörter: “Anschluss” (Österreichs an Deutschland, mit großem a) und “putsch” (mit kleinem p)
  • Amazon-Werbelinks*: Bücher von Baker und Phongpaichit; Bücher über Thailand, Südostasien, ganz Asien

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