Kritik Kurzgeschichten: Ulla Meinecke, Ungerecht wie die Liebe (2010) – 5,5/10

Wiederkehrendes:

Scheinbar moderne und zumindest semi-achtsame Menschen verhalten sich hier teils härter als gedacht – vor allem hintergehen sie ihre Partner, teils auch noch reuelos, mehrfach in Fernbeziehungen, wenn die Frau die vom Mann herbeigesehnte Wiederbegegnung kühl platzen lässt. Doch Männer stehen nicht besser da.

Ulla Meinecke berichtet lakonisch bis lässig amüsiert, gefällig lesbar, aber highlight- und nicht klischeefrei. Die Durchschnittswertung aller Geschichten ist 5,67.

Das Bestiarium:

Ulla Meineckes Figuren sind heutig, geldig, 30 – 50 (“Abi ‘78”), nutzen Handy, E-Mail, Onlinedating und YouTube-Kochvideos. Diese ebenso reflektierten wie liquiden, stets urbanen Steuerberater, Anwälte, Möbelschreiner, Fahrradmonteure oder TV-Moderatoren bevölkern im Buch wiederholt Flughäfen, dicke Autos (“Truppentransporter “), ICEs, schicke Villen im Hochtaunus und geschmackvoll grau-rostrot möblierte 4-Sterne-Hotels, alternativ ein “exquisites und dementsprechend teures, kleines Stadthotel”.

Meineckes Figuren leben in Berlin oder Frankfurt, haben mit der deutschen Provinz nichts zu tun; einige domizilieren in Goa, Indien, Sidney, Australien, oder Auckland, Neuseeland;  schickimicki Bali darf zumindest als Flugziel nicht fehlen. Die mittlere Mittelschicht und alles darunter erscheint bei Ulla Meinecke nicht.

Aus mancher Ehe wird allmählich “eine auf Autopilot geschaltete Zwei-Personen-Sekte”, Scheidung folgt, manchmal als Teil der Kurzgeschichte, dann wird sogleich für getrennte Unterkünfte gesorgt. Interkontinentale Fernbeziehungen gibt es mehrfach.

Eine Ausnahme zu all den abgeklärten Protagonisten bildet Klarissa Fürstenberg (sic), der zwar ein “exklusives Modegeschäft” gehört (finanziert vom Gatterich, Wirtschaftsanwalt Claudius Fürstenberg) (sic), die indes wegen unkontrollierter Wutausbrüche zum Psychologen muss. Auch die Eltern eines weiteren Protagonisten stritten immer wieder bis aufs Blut (und verunglückten deshalb wohl tödlich).

Der Buchtitel Ungerecht wie die Liebe klingt banal – vielleicht gewollt -, zumal er nicht über oder innerhalb einer Kurzgeschichte wiederkehrt (oder habe ich etwas überlesen?).

Und einige Storytitel wie Mausolff und die anderen unterwältigen. Unklar, warum der Buchuntertitel von “Erzählungen” redet: die meisten Geschichten haben rund 11 bis 20 Seiten, nur eine einzige Geschichte misst gut 55 (stets leicht bedruckte) Seiten. “Kurzgeschichten” soll man wohl nicht sagen?

Assoziation:

  • Moderne, semi-achtsame Bundesmenschen ohne Geld-, aber mit Liebessorgen, geschildert in leicht flachem Deutsch: Man denkt momentweise an Thommie Bayer, noch entfernter an Judith Hermann oder Daniela Krien. Doch nur Ulla Meinecke schickt die eine Hälfte ihrer Paare  auf ferne Kontinente .

Die Sprache:

Ulla Meinecke schreibt überwiegend nüchtern bis locker-flockig inspiriert, ohne falsche Töne, aber auch ohne Highlights, entspannt lesbar, mit Ausnahme einiger Irritationen wie der “zweikindrigen Ehe” (oder verstehe ich etwas nicht?). Deswegen kann ich nicht zu jeder Kurzgeschichte einen Lieblingssatz nennen.

Zwar schreibt Ulla Meinecke nicht völlig dialogfrei, aber die Wortwechsel klingen nie markant und verraten nichts zwischen den Zeilen. Hier ein fades Beispiel:

”Ach Lisa, du siehst doch gut aus “, sagte Martina… “ich weiß nicht, findest du? Aber du, du siehst richtig toll aus…” ”Das würde ich aber auch sagen! Hallo Mädels”, rief Koss…

(Meinecke will wohlgemerkt keine extrabanalen Figuren abbilden.)

Mausolff und die anderen – 7/10

Er betrügt sie, aber sie kann das auch.

Ein paar aufdringliche Zufälle, nicht klischeefrei, doch amüsant und lässig erzählt.  Frauen und besonders Männer kommen hier nicht gut weg. Lieblingssatz:

Aaah, hier kommt die große Katze! Hier kommt der Mann!

Fliegen im Netz – 6,5/10

End-40er verliebt sich unsterblich in eine Gleichaltrige, die jedoch meist weit entfernt lebt.

Nette, aber dünne Geschichte, die nur aus Berichten über andere besteht. Die Ich-Erzählerin reportiert das  Schmachten des Mannes zu breit ironisch. Letztlich auch dünne Erkenntnis, die ein Wortspiel in der letzten Zeile ansteuert, aber im Meinecke-Sound locker-flockig erzählt. Lieblingssatz:

Verenas Hobby aber war Fliegen. Fliegen im Netz.

Klassentreffen – 5,5/10

Jedes Kapitelchen ist einer anderen anreisenden Personen gewidmet. Erst gegen Ende begegnen sich alle im Hotel.

Die Lebensläufe und ein paar Momente aus ihrem Leben spult Ulla Meinecke gefällig herunter; aber die Figuren bleiben zu lange  unabhängig voneinander, bevor sich überraschende Querverbindungen auftun.

Kaum zu glauben, dass ein Mann seine langjährige Ehefrau und Geschäftspartnerin betrügt, während die in nächster Nähe zu tun hat. Auf den letzten Seiten noch ein harter Zufall und schmalziges Gutmenschentum. Lieblingssatz:

”Mir ist auf einmal ganz doll nach Whirlpool und Buddhas”, sagte Koss.

Kiwi – 4,5/10

Berliner verliebt sich in herumreisende Neuseeländerin und will in ihr Land auswandern.

Banaler als die anderen Geschichten, nicht klischeefrei und teils weniger plausibel.

Jonny – 6/10

Überraschende Wiederbegegnung mit einer Affäre 27 Jahre danach.

Ein Hauch von einem Geschichtchen, eher  eine Stimmungsskizze, ohne Tiefgang.

Perfect Match – 4,5/10

Zwei Kumpels dichten beim Sixpack ein Datingprofil voll klischierter Lügen – wie idiotisch. Trotzdem bricht sofort eine Lovestory herein – wie realistisch. Ulla Meinecke greift tief ins Schmalzfass:

rauschhaft… einen ganzen Abend knutschend…’gute Reise, Liebster’, sagte sie leise”

Das witzige Ende versöhnt kurzzeitig mit vorangegangener Lesepein. Lieblingssatz:

((Sie)) trafen sich in einem Internettelefonprogramm, das ihnen ermöglichte, sich schriftlich ohne zeitliche Verzögerung zu unterhalten.

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