Kritik Kurzgeschichten aus: Was ich dir schon immer sagen wollte, von Alice Munro (1974, engl. Something I’ve Been Meaning to Tell You1974) – 7/10

Material – 7/10

Exfrau eines Schriftstellers denkt an gemeinsame Jahre und an einen Wasserschaden, an dem sie nicht unbeteiligt waren.

Munro mischt unaufdringlich mehrere Zeitebenen, Geschichten und Themen. Einzelne Szenen klingen wie immer sehr lebendig,  die Ich-Erzählerin säuselt nonchalant und unselbsteingenommen. Hätte Munro die Aspekte “Wie Schriftsteller Material findet” und “Mann unterdrückt Frau (die das aber auch mitmacht)” rausgelassen, gefiele mir die Geschichte noch besser, aber das wäre zuviel erwartet.

Lieblingssatz, wenn auch etwas zu hervorstechend:

He never did hit me, unless I hit him first.

How I Met My Husband – 8/10

15jährige Bauerntochter ist kurz nach dem 2. Weltkrieg Haushaltshilfe bei Tierarzt-Ehepaar.

Starke Stimme der Ich-Erzählerin. Drollige, fast zu anbiedernde Überraschung kurz vor Schluss. Allerdings meint man die meiste Zeit, die 15jährige reden zu hören – erst am Ende wird klar, dass eine viel Ältere reminisziert, dann müsste sie jedoch anders klingen.

  • Assoziation: Ähnliches Szenario in der Munro-Geschichte White Dump. Entfernt John Updikes Kurzgeschichte A&P, ein anderer Jugendlicher als Ich-Erzähler in der Provinz.

Forgiveness in Families – 6/10

Nichtsnutziger Erwachsener lebt auf Kosten seiner Mutter und schafft es durch Nachlässigkeit, ihr Leben erst zu gefährden und dann scheinbar zu retten. Auf den Hochzeitskuchen seiner älteren Schwester kotzt er. Die Mutter hält nachsichtig zu ihm, während die Schwester sein Gebaren missbilligt – ihm aber auch eine Tragödie der Mutter an den Hals wünscht, die auf ihn zurückfallen würde.

Der unleidliche Ton der Ich-Erzählerin ist 1A. Doch die ersten Seiten bringen nur winzige Episoden und Erinnerungsfetzen, keine Geschichte; Alice Monroe sammelt hier nur Material zum Thema, der aufdringliche Geschichtentitel macht es nicht besser. Erst mit der gesundheitlichen Krise der Mutter setzt eine Handlung ein, samt interessantem Gewissenskonflikt. Die Wandlung des Bruders hin zum faulen Hippie-Heiler und zurück wirkt mechanisch, selbst wenn sich die Autorin um sanfte Übergänge bemüht.

The Found Boat – 6,5/10

5 Halbwüchsige finden ein heruntergekommenes Ruderboot, möbeln es wieder auf. Sie lassen sich den Fluss heruntertreiben, bis sie eine verlassene Halle erreichen.

Hübsche, eindringliche Jugendszenen mit beklemmendem, nicht unwahrscheinlichem Ende. Etwas aufdringlich die Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen und Franks herausgekehrtes Bildungsbürgertum.

Vermutlich voller Symbole, erklärt in dieser engl. Analyse. Offenbar nicht im New Yoker erscheinen, gilt nicht als Munros stärkstes Stück.

Marrakesh – 7

Zwei pensionierte, verwitwete Schwestern haben die Enkelin zu Besuch – Mitte 30, neuerdings ein Hippie. Zum Gin Tonic kommt abends ein Nachbar vorbei, seine Frau liegt todkrank im Krankenhaus.

Sehr realistische, leicht muffige Atmosphäre bei den zwei ältlichen Schwestern. Die Moral von der Geschichte ist mir unklar, aber Alice Munro zeichnet eindrucksvolle Porträts und Skizzen.

  • Assoziation: auch in der Kurzgeschichte Ma’ame Pelagie von Kate Chopin erhalten zwei wunderliche, leicht weltfremde unverheiratete Schwestern Besuch von einer jüngeren, lebhaften Verwandten.

Vom Rezessenten:

Nach Vorrecherchen las ich nur die 5 Geschichten, die mir inhaltlich zuzusagen schienen. Die Durchschnittswertung aller fünf ist 6,9/10

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