Kritik Kurzgeschichten: Die Liebe unter Aliens, von Terézia Mora (2016) – 5/10

Terézia Mora schreibt einfühlsam und knapp, ohne Geschwafel, auch nicht aufgesetzt minimalistisch.

Mora (*1971) verzichtet trotz Prenzlauer-Berg-Domizil meist auf hippe Berliner Kulissen und Figuren deutscher Literaturmechatroniker. Sie vermeidet gnädig LGBTQ*uark plus Gendergedöns und setzt unangestrengt ihren eigenen Ton. (Der japanische Professor am Ende lebt in Berlin, aber das spielt keine Rolle. Auch die Single-Fotografin und Galerie-Assistentin domiziliert in Berlin, das geht schon eher in die unerwünschte Richtung.)

Die Autorin verzichtet auf Humor, Romkom, lustige Interkultur, Glamour, glückliche Liebe in der erzählten Jetztzeit, gelebte Erotik oder typische Alltagsprobleme. Ihre Figuren sind gleichwohl selten haarsträubend unrealistisch und erscheinen dank guter Details plastisch; zugleich verwundern sie und wecken keine Sympathie. Darum fiel mir trotz aller Qualität die Lektüre schwerer als bei anderen Kurzgeschichtenbänden.

Die Geschichten runden sich nicht so elegant wie bei W. Somerset Maugham oder Ernest Hemingway und tröpfeln nicht so cool aus wie gelegentlich bei Raymond Carver oder Alice Munro. Als ich nach der Lektüre noch einmal das Inhaltsverzeichnis sah, konnte ich keinen Geschichtentitel mit einem Inhalt verbinden.

Wiederkehrende Motive und Stilmittel:

Männliche Einzelgänger; schnell laufen können dank Sportlervorleben; ans Meer fahren; Pappeln; gekauftes Sandwich; alleinstehende Wochenend-Eltern; Zuspätkommen; Arbeit in der Gastronomie; Verblüffung über Personen- und Straßennamen (“Wasserstraße 4. Kein Witz.”); namentliche Vorstellung der Protagonisten sehr spät im Text (“Emil (das ist der österreichische Lehrer)”); Frauen zu sehr liebend (“als ich ihm sagte, er sei mein Leben”)

Sprache:

Terézia Mora klingt nie schwach, affektiert oder anbiedernd, jedoch mitunter nach Kindergartenansprache. Gelegentlich überrascht sie mit hart aus dem Englischen Herübergezwungenen, etwa:

Ich exponiere lange ((gemeint ist “ich belichte lange” beim Fotografieren, engl. “expose”))

Rezeptionspult des Hotels… Rezeptionistenpult ((S. 109f, 111; ginge auch “am Empfang”?))

Dazu kommen seltsame Namenspaare: zwei Freunde “Tom und der andere Tom” und die Halbgeschwister Peter und Petra.

Völlig überraschend kredenzt Mora Dativ-e (“am Fuße des Felsens”, S. 58; “wie aus dem Buche”, S. 124; “im Laufe desselben Abends”, S. 206; “am Rande”, S. 240)). Ihr “Linguini” (sic, S. 137) finde ich anfechtbar (Wiki), zumindest wunderlich ihre “Kinderwägen”

Fällt, fällt:

Außerdem leistet sich die 2018 gebüchnerte Terézia Mora unschöne Doppler und Wortstöße:

Als die Haustür hinter mir ins Schloss fällt, fällt mir ein…

…bevor es fertig war, war Masahiko Sato schon… ((S. 242))

Sowie echte Fehler:

Er hat es mit gezeigt, damit ich ihm sage, ob es meiner Ansicht nach… ((S. 174, sic, gemeint “mir”))

an der großen Straße, über das es ein schönes, hundertjähriges Gedicht gibt, über die Linden dort ((S. 196, sic, gemeint “die”))

…was mit sich brachte, dass wir nur solange mit anderen in Kneipen herumsaßen, bis ihre Betrunkenheit noch einigermaßen zu ertragen war ((S. 199, korrekt “wie ihre”))

Sie hatte ihre Tätigkeit zur gleichen Zeit eingestellt, als Erasmus Haas nach seiner Scheidung auf die Insel zog ((S. 217))

Assoziation:

  • Gelegentliche botanische und zoologische Details erinnerten mich kurz an Colette. So schreibt Mora:

Kastanien auf der großen, in den Nebenstraßen Linden, Pyramidenpappeln, Zierkirsche, wieder Linden, sehr gerne Linden, Platanen, ab und zu Zierobst… durch Schwärme von Glühwürmchen, durch Wolken von kleinen Füchsen, über Umzüge von Pillendrehern. Mücken natürlich auch… die Bäume. Platanen, Eichen, Kastanien, Pappeln, Weiden. Die Trauerweide…

Die Geschichten im einzelnen:

Fisch schwimmt, Vogel fliegt  – 7/10

Älterer Eigenbrötler verfolgt Einkaufstaschendieb durch die Stadt.

Wunderliche Hauptfigur, leicht wunderliche Handlung, aber nicht zu unrealistisch. Einfühlsam erzählt.

  • Assoziation: Einzelgänger, der schnell laufen kann, wie in Und sie verliefen sich im Wald aus dem selben Band
Die Liebe unter Aliens – 7/10

Paar um 20 – Arbeitslose und Lehrling – kifft und driftet ohne Geld dahin.

Perpetuum mobile – 7/10

Geschiedener mit Wochenendsohn und Hass auf die Ex trifft Schwester von verstorbenem Schulfreund an dessen Grab. Es geht um Pünktlichkeit, Pietät und mehr, das ich aber  nicht verstand.

Eigentümliche Motivkombination, die mich rätseln ließ, jedoch gute Details und wieder einmal wunderliche, aber sehr plastische Figuren. Dass beide Schulfreunde jeweils Tom heißen, störte, ja ärgerte mich zunächst;, später gefiel es mir.

Miss Lamb…. 7/10

Alleinerziehende ich-erzählende Fotografin offenbar in Berlin, 24, der Sohn wohnt rund eineinhalb Zugstunden entfernt bei ihren Eltern.

Interessante Figuren, interessante Szenen. Wer erklärt mir den übergeordneten Sinn?

Verliefen sich im Wald – 6/10

Zwei Halbgeschwister um 30 bei einem nächtlichen Picknick im Wald.

Heterogene Geschichte, bei der es um Beruf, Privatleben, Familienbande und noch mehr geht – eine seltsame Motivkombi. Gute Einzelszenen, noch spröder als andere Texte hier.

  • Assoziation: Einzelgänger, der schnell laufen kann, wie in Moras Geschichte Fisch schwimmt, Vogel fliegt aus dem selben Band
Die portugiesische Pension – 7/10

Vermieter und Rechtsanwalt will Antiquitäten verkaufen, seine halbherzige, zänkische Loverin bei Laune halten, mehr zu sich stehen. Er ist nicht sehr erfolgreich.

Er hat eine Loverin, Mieter im selben Haus, hatte Eltern, und wirkt doch wie alle Mora-Hauptfiguren sehr auf sich gestellt. Wunderliche Szenen aus dem Leben und die einzige Konstellation, die ich mir zu einem Roman ausgebaut vorstellen konnte.

Selbstbildnis mit Geschirrtuch – 4/10

Monolog eines verhuschten, verunsicherten Heimchens (“außer malen und putzen kann ich nichts”), das mit einem Maler-Macker zusammenlebt. Er ist ein Unhold, aber sie liebt ihn unverzichtbar.

Anstrengende Suada einer Schwachsinnigen, die ich nicht verstand, immer noch mit guten Details. – Dies war Testtext bei einem Übersetzerwettbewerb ins Englische des Goethe-Instituts New York

À la recherche – 4/10

Junge Wissenschaftlerin zieht auf einen Uni-Campus nach London; dort reminisziert sie vor allem ihre ungarische Kindheit und Jugend, erst auf dem Dorf, dann in der Großstadt, und lenkt sich mit Marathon-Spaziergängen von ihren Vrpflichtungen ab. Als Mora-Geschöpf trauert sie einem Mann nach, der sie nach acht Jahren Beziehung verließ.

Seltsame Szenen und Figuren. Fühlte mich zugelabert.

Die Gepard-Frage – 2,5/10

Der eigenbrötlerischste aller Mora-Eigenbrötler will fünf Tage allein verbringen, mit viel Alk und Handy aus. Doch ein häuslicher Unfall drückt ihn blutend aufs Parkett. Dazu Gedanken über private Gepardenhaltung und ihre rechtliche Würdigung durch die Stadtverwaltung.

Werden Moras Kurzgeschichten gegen Ende des Buchs immer bizarrer oder habe ich nur immer weniger Geduld mit ihr, weil sie mich allmählich mürbe textet? Das Herumreiten auf Herrenpipi ermüdete mich:

sein Strahl über dem dunklen Fluss war ein goldgelbes Elixier… er konnte bis 90 zählen, bevor der Urinstrahl…

Aus den zwei genannten Gründen – und aus weiteren – eignet sich der Text nicht zur mahlzeitbegleitenden Lektüre. Vielleicht auch nicht davor oder danach.

Das Geschenk oder Die Göttin der Barmherzigkeit zieht um – 5/10

Langweiliger verheirateter japanischer Professor in Berlin geht in Rente, spaziert durch Straßen, beobachtet Wäschereibetreiberin. In deren Schaufenster steht “ein Bildnis der Göttin der Barmherzigkeit. Kannon, die die Töne der Welt wahrnimmt”. Der Professor fasst einen Entschluss.

Gegen Ende gibt es zwei völlig unrealistische Zufälle – so etwas vermied Terézia Mora bis dato löblich. Der Professor ist ein Langweiler, interessanter wäre seine deutsch-tschechische Frau Vera.

Bücher bei HansBlog.de:

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Nach oben scrollen