Kritik Kurzgeschichten. Der weite Weg zu zweit, von John Updike (engl. The Maples Stories bzw. Too Far to Go) – 8 Sterne

Diese Wirklichkurzgeschichten entstanden über Jahrzehnte hin und sind sehr heterogen, auch wenn immer dasselbe Ehepaar Maple im Mittelpunkt steht. Tonfall und Erzählperspektive schwanken, es gibt wenig Verbindungen oder Querbezüge, Übergänge fehlen. In zwei Geschichten (Wife-Wooing, Plumbing) tauchen die Namen der Hauptakteure gar nicht auf, sie wurden dem Storyreigen wohl erst nachträglich zugeordnet. Besonders unzusammenhängend wirken die ersten etwa acht Geschichten.

Liebe, Untreue, Kinderaufzucht, Scheidung und Wohnen sind die Hauptthemen. Man weiß jedoch kaum, ob und was Richard Maple arbeitet – er hat zu viel mit Frauen, Kindern und Heimwerken zu tun; nur die erste Geschichte ordnet ihn der Werbebranche zu, in Giving Blood erwähnt er werktägliche Trips in die Bostoner City.

Viele Stories brillieren durch ihre sarkastischen, dabei seelisch sehr genauen Dialoge und durch vielschichtige Einsichten in den Ehe-Alltag, weitgehend aus Updikes eigener Erfahrung. Schon in der vierten Kurzgeschichte, Twin Beds in Rome, denken die Maples an Scheidung. So hangeln sie von Krise zu Krise, können aber lange nicht voneinander lassen. Erst die Geschichten 14 und 16 heißen Separating und Divorcing, doch lässt John Updike (1932 – 2009) noch zwei weitere Stories folgen (ich kenne nur das englische Original).

Die erste Buchhälfte ist oft witzig, frech, die zweite melancholischer, die Beziehung geht den Bach runter. Völlig anders als sagen wir die Amerikaner Richard Yates, David Gates oder Hemingway macht sich Updike immer wieder über Männer lustig, man denkt fast an den frühen Woody Allen (Updike ist besser).

Einzelne Sätze, Seiten oder Geschichten habe ich mit kurzem Abstand mehrfach gelesen – so, wie man einen guten Wein noch einmal probiert, auch wenn man schon genug hatte. Auf ein paar andere Geschichten hätte ich ganz verzichten können.

Die Stories:

Snowing in Greenwich Village (1956): Richard Maple bringt eine Bekannte durch den Schnee nach Hause, nachdem sie ihn und seine Frau Joan in der neuen Wohnung besucht hatte; sie gehen noch kurz zu ihr nach oben. – Kurz und lässig auch beim 2. Lesen, mit überraschendem, stimmigem Ende; ein Genuss. Einige Motive kehren wieder The Women Who Got Away (1956, u.a. in Collected Later Stories)

Wife-Wooing (1960): Ein Mann bewundert seine Frau und ihre weißen Schenkel, die  hervorschauen; er spekuliert auf eheliches Beisammensein später am Abend, wenn die Bratzen endlich schlafen. – Ungewöhnlich der Ich-Erzähler, und die Namen der Hauptakteure fallen nicht. Zu elegisch, humorlos, Anatomie-fixiert.

Giving Blood (1963): Ehepaar Maple zum, beim und nach dem Blutspenden. – Teils scharfe, teils lustige Dialoge, Witzeln über mögliche Ehekrise; gut beobachtet, 2x gelesen.

Twin Beds in Rome (geschr. 1963, veröff. 1964): Die urlaubenden Maples erwägen das Ende ihrer Ehe und erhalten in Rom prompt ungeplant zwei Einzelbetten. – Nette Dialoge, zu viel Tourismus. Einige Parallelen zur ebenfalls lahmen Ehezank-in-Italien-Geschichte “Aperto, Chiuso” a.d. Collected Later Stories.

Marching Through Boston (wohl 1965): Auf Demo gegen Rassentrennung. Richard Maple gefällt sich in Kauzigk- und politischen Unkorrektheiten. – Mild amüsant. Ein Vietnamkriegsbefürworter zwischen lauter Kriegsgegnern erscheint auch in der Kurzgeschichte More Stately Mansions (1979, u.a. in Collected Later Stories).

The Taste of Metal (1967): Die Maples und eine Begleiterin nach einer Party im Auto; es schneit. Außereheliche Gelüste, Mobilitätsprobleme. – Origineller Themenmix, wie immer gute Dialoge voller Nebensinn.

Your Lover Just Called (1966): Halb ernst, halb im Scherz palavert das Ehepaar Maple über außereheliche Aktivitäten des jeweils anderen. – Gelungener Titel, gelungene Geschichte, tiefsinniger Boulevard, amüsant.

Waiting up: Richard Maple wartet ungeduldig auf die Rückkehr seiner Frau Joan von einer Einladung. Dann ein Gespräch über seinen Seitensprung. – Schöne Einsichten, gute Ironie.

Eros Rampant (1968): Zunächst schönes, flüssiges Panorama der gesamten Familie mit Vater, Mutter, vier Kindern, 1 Hund, 2 Katzen, dann unterhaltsames Gestichel über Ehebrecherei.

Plumbing (1970 o. 1971, bearb. späte 70er): Gedankenstrom beim Renovieren und Umziehen. Dialog nur mit dem Installateur, keine Handlung. Liefert keine Namen und passt auch deshalb nicht in die Maples-Reihe. Von Updike offenbar erst mit Verspätung als Maple-Geschichte betrachtet. – Zunächst witzig über den Installateur, fachkundig über Montageteile, dann zu elegisch schweifend.

The Red-Herring Theory: Nach der Feierrunde mit Freunden sinken die Gastgeber Joan und Richard Maple matt auf die Couch, sie spekulieren über ihre Gäste und Untreue. – Offen, schmerzlich und sehr gut lesbar.

Subliminating (1971): Mehr Palaver über eheliche Untreue, und ein Lob auf den Phänotyp des Kohlkopfs. – Man will gleich einen Kohlkopf fressen, oder streicheln. Und wie meist sehr gute Dialoge. Hier erscheint ein A&P-Laden, der auch im Titel einer anderen bekannten Updike-Kurzgeschichte steht.

Nakedness (1974, The Atlantic): Richard und Joan Maple treffen am Strand auf Nacktbader. Das gibt ihnen zu denken. Das Ausziehen nachts ist anders als sonst. – Mild interessant, guter Dialog am Strand.

Separating (geschr. 1974, veröff. 1975): Nach langem Grübeln entscheiden sich Joan und Richard Maple für eine vorübergehende Trennung. Und nun müssen sie es den vier Kindern sagen, möglichst einzeln. Ein Drama. – Einfühlsame, traurige Geschichte ohne die verschmitzten Kopfnoten vieler anderer Maples-Stories. Updike-Biograf Adam Begley rekonstruiert den Wahrheitsgehalt der Geschichte in Gesprächen mit Updikes Kindern. – Assoziation: Die Scheidungs-Familienkonferenz in der Komödie Mama gegen Papa

Gesturing (1978 im Playboy): Richard Maple zieht endgültig in eine andere Stadt, doch sein Liebesleben bleibt verworren. – Nachdenklich, momentweise witzig, sehr lebendig. Die seltsame Berufslosigkeit von Richard Maple fällt hier mehr auf. Vielleicht wegen des Erscheinungsorts gibt es mehr Vierbuchstabiges, Nacktputzen, “fun” im Bett und Schamhaar-Komparatistik als in den anderen Geschichten. Updike druckte die Geschichte in den von ihm kuratierten Best American Short Stories of the Century, obwohl er selbst innerhalb der Maples Stories Besseres abliefert.

Divorcing: A Fragment: Gut und traurig, sehr kurz, doch mehr als drei Seiten wären vielleicht zu schwer erträglich.

Here Come the Maples: Die Scheidungsformalitäten mischen sich mit Erinnerungen an die Hochzeit, und ein verblüffender Einzeiler zum Schluss.

Grandparenting: Gegen den Willen seiner zweiten Frau Ruth fährt Richard Maples zur Geburt seiner Enkelin. Im Krankenhaus trifft er seine Ex-Frau Joan und deren zweiten Mann Andy. – Heikle, zivilisiert peinliche Begegnungen.  

Die Story der Stories:

Die Geschichten erschienen zuerst über mehrere Jahrzehnte in verschiedenen Magazinen, u.a. neunmal im New Yorker, dann 1979 im Band Too Far to Go parallel zu einer NBC-Verfilmung unter diesem Titel, später unter dem von Updike gewählten, neckischen Titel Your Lover Just Called (s. Vorwort zu Updikes Early Stories) und schließlich leicht bearbeitet und um die Geschichte Grandparenting ergänzt in The Maples Stories. Deutsche Fassung: Der weite Weg zu zweit (Buch und Film).

Die gelobte Ausgabe der Maples Stories in Everyman’s Pocket Classics nennt nicht systematisch Erscheinungsjahre und -orte der Kurzgeschichten (auch das engl. Zumbuchwiki hilft nicht weiter). Die Titel der Kurzgeschichten erscheinen auch nicht als lebende Kolumnentitel.

Assoziation:

  • Ehebruchiaden, ähnliche Konstellation und Titel gibt’s auch in John Updikes Romanen Heirate mich (Marry me, 1976) und Ehepaare (Couples, 1968) und in vielen Updike-Kurzgeschichten der mittleren Phase. An die Couples-Hauptfigur Piet Hanema erinnert in der Maples-Kurzgeschichte Gesturing der “ginger-haired contractor who… left town”
  • Updikes Kurzgeschichte Domestic Life in America aus den Collected Later Stories passt perfekt auf die hinteren Seiten der Maples Stories
  • Viele weitere Updike-Kurzgeschichten aus verschiedenen Phasen passen zu den Maples Stories, so das exzellente I Will not let Thee Go, Except Thou Bless Me (Early Stories)
  • Zu viel Touristisches wie in Twin Beds in Rome liefern nicht nur viele weitere Updike-Kurzgeschichten, sondern auch sein Roman Witwen von Eastwick (2008)
  • Mehrere Maples-Geschichten finden sich auch in den Early Stories
  • Ehepaare, die zusammenbleiben, auch wenn beide Partner zeitweise fremdgehen, und Ehemänner beim Be-  Nachsteigen anderer Frauen gibt’s auch bei Joseph von Westphalen; beide Autoren belieferten mal den Playboy

*ich kenne nur das engl. Original und kann die Eindeutschung nicht beurteilen

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