Kritik Kurzgeschichten. The Complete Henry Bech, von John Updike (2001) – 5 Sterne

John Updikes 20 Kurzgeschichten über den jüdischen, meist ledigen, aber selten unliierten Großdichter Henry Bech erschienen zuerst im Magazin New Yorker, dann in den drei Bänden

  • Bech: A Book (1970)
  • Bech is Back (1982, dt. Henry Bech, bei Rowohlt) und
  • Bech at Bay (1998, dt. Bech in Bedrängnis)

und zuletzt gemeinsam hier im Sammelband The Complete Henry Bech.

Jeder Buchteil enthält

  • höchstens ein oder zwei wirklich gute Geschichten,
  • dazu ein paar passable, und
  • viel schwer Genießbares (Details unten).

Trotzdem habe ich nur eine Geschichte nicht zu Ende gelesen – vielleicht, weil mich das mutmaßlich fast wahrheitsgetreu reportierte Updike-Leben interessierte oder weil ich Bech nach dem ersten Kennenlernen nicht mehr fallenlassen mochte; zudem textet Updike immer gefällig intelligent und ein bisschen männlich-verwegen.

Die Geschichten sind sehr lose verbunden, gelegentlich rekapituliert der Erzähler Bechs bisherige Veröffentlichungen und Frauen aus früheren Geschichten – ermüdend, wenn man die Texte am Stück liest. Die Geschichten ergeben kein rundes Ganzes, das ist sehr heterogen, keins der drei Bücher ist ein Fast-Roman. Frühere kleine Widersprüche zwischen einzelnen Stories wurden lt. Vorwort zu The Complete Henry Bech “adjusted in this re-edited volume”.

Schriftsteller über Schriftsteller:

Schriftsteller, die semi-autofiktional über fiktive Schriftsteller schreiben, nerven ohne Ende (vgl. Pedro Mairals Auf der anderen Seite des Flusses oder Daniel Kehlmanns Ruhm). Der fiktive Henry Bech erwähnt gleich auf den ersten Seiten “the artistic indecency of writing about a writer” – aber Updike kriegt so etwas manchmal besser hin als andere, u.a. dank Selbstironie, interessanter Dichterreisen in den Ostblock der 60er Jahre und reizvolle Einblicke in Denkprozesse, Verlagsabläufe, Rituale der Großkopferten.

Schön auch teils brillante, bös unterhaltsame Dialoge sowie die geschraubten Kritikerzitate: Lob in Bech Wed und ziseliert Maliziöses in Bech Noir.

Doch dazwischen erscheinen seltsame Grübeleien, multiple Anspielungen auf Litterati, zu viel fade Reiseeindrücke und zunehmend mentale Schürzenjagd (am Dinnertisch: “he wanted… to reach down and fish up one of her tits”). Manche Geschichten wirken unfokussiert bis zusammenhanglos. Ein paar vergnügliche Spezialitäten liefert der erste Teil (ursprünglich das erste Bech-Buch) mit

  • einem Brief des fiktiven Bech an Updike und
  • einer sehr gründlichen, indes frei erfundenen Bech-Bibliografie; Harvard-Englisch-Absolvent John Updike hatte erkennbar Freude dabei.

In den letzten Bech-Geschichten schreibt John Updike (1932 – 2009) sich gelegentlich selbst in den Text als “his creator”.

Updike-typisch ist alles gut recherchiert, von tschechoslowakischer Geschichte bis zur DFÜ der späten Neunziger. Und selbstverständlich produziert Updike wieder viel gebildetes Vokabular, u.a. “anfractuous”, “queried corrigenda”, “emendation”, “esophagus”, “esophageal tract”, “defenestration”, “circumocular”, “poltroon”, “querulous misprision”, “sepulchrally”, “dotard”.

Reise-Vertreter:

Laut Updike-Biograf Begley fühlte Updike im Ausland oft “that he was posing as himself” – daraus machte Updike dann den fiktiven Großdichter Henry Bech, der sich freilich von seinem Erfinder in  Religionszugehörigkeit, Produktivität und Ehestand deutlich unterscheidet. Auch Bech selbst auf seinen vielen Dichterreisen in diesem Band (Russland, Rumänien, Bulgarien, England, Israel, Kanada, Australien, halb Afrika, Südkorea, Venezuela) tut oft “little but pose as himself” (aus “Bech swings?”, in London spielend). Bei College-Auftritten praktiziert der späte Bech ebenfalls “impersonating himself” (aus “Bech Pleads Guilty”).

Alltagsmenschen und Alltagsszenen erlebt Bech/Updike auf seiner 1964er-Ostblockreise in den ersten drei Geschichten nicht, nur Übersetzer, Dichter, US-Diplomaten, Fahrer, Kellner, Museen, Theater- und Ballettaufführungen; die Stories sind gleichwohl besser als eine 1986er-Tschechoslowakei-Reise in Teil 3.

Banaltouristik:

Viele weitere Geschichten überfrachtet Updike mit ermüdender Banaltouristik. Er hätte bestimmt auch lange, ernsthafte Kritiken bei Trip Advisor und Google Maps gepostet.

Bech über laute deutsche Massentouristen:

The Germans in Europe were like a fat man who seats himself, with a happy sigh, in the middle of an already crowded sofa.

Unentwegt kapriziert sich Hauptfigur Bech auf ethnische und kulturelle Differenzen: Allein beim New Yorker Künstlertreffen in “Bech Presides” heben sich eine “shapely brown hand” und eine “delicate yellow hand”, dazu kommt eine australische Teilnehmerin mit “lurking antipodean strangeness”. Osteuropäische “gypsies” faszinieren ihn, jedenfalls weibliche.

Auch US-Ost- versus Westküste reizt Bechs anthropologische Ader, und er karikiert mehrfach US-Südstaaten-Akzent. Die Hauptdifferenz ist ihm Jude versus WASP/shiksa.

Krötengleich:

Die wiederkehrende Verächtlichkeit der Geschichten erstaunt, vor allem in heißen Ländern – da gibt’s den Titel “Bech Third-Worlds It” – aber auch in Kanada:

his toadlike interviewer, whose very warts were telegenic

Nicht minder schwächt die nimmermüde, repetetive Frauenbegutachtung, wenn auch häufig ohne finale Bettlandung.

Bechs Wechsel von Norma zu ihrer Schwester Bea gibt Updike viel Spielraum für verletzende Ehebruchiaden.

In den Stories der 90er Jahre bringt Updike Themen, die auch in den 2010er und 2020er Jahren aktuell waren: Gender- und ethniengerechte Sprache, Kritikerblogs, “China… as top superpower”, Donald Trump, “Greta!… from Stockholm”, Stalking und Cybercrime (per Modem).

Freie Assoziation:

  • Kurzgeschichten über gleich bleibendes Personal liefern auch Updikes The Maples Stories, Romane über gleich bleibendes Personal Updikes Rabbit-Reihe
  • Erschlagend viel Touristisches goss Updike auch in andere Kurzgeschichten wie Twin Beds in Rome und in seine Witwen von Eastwick (2008)
  • Updikes Kurzgeschichte Licks of Love (Collected Later Stories) schildert eine weitere Kulturreise durch die UdSSR in den 1960ern
  • Ein anderer Großschriftsteller, der den Literaturbetrieb fiktionalisiert: Daniel Kehlmann in Ruhm
  • Die US-Buchbranche wie in James Salters Fiktion Alles was ist
  • Joseph Heller hat einen Miniauftritt in der vorletzten Geschichte, und tatsächlich stellte ich mir Henry Bech ein wenig wie Joseph Heller vor (beide auch New Yorker Geschöpfe)
  • Sleeping with John Updike, eine Kurzgeschichte von Julian Barnes mit dem lesereisenden John Updike in einer Nebenrolle und lesereisenden Schriftstellerinnen in Hauptrollen; die Handlung passte auch ins Henry-Bech-Buch (Volltext im Guardian)

Die Stories:

Introduction 7,5 Fundierte, lesenswerte, etwa zwölfseitige Einführung von Malcom Bradbury (1932-2000) (der selber über Schriftsteller und Uni-Leben schrieb)
       
Bech: A Book 1970 x/

10

Ø 6,11 (1 Geschichte o. Wertung)
Foreword 7 Der fiktive Henry Bech schreibt einen süffig ironischen Brief an seinen Autor “Dear John”, beklagt u.a. “the artistic indecency of writing about a writer”
Rich in Russia 1970 6,5 Mild bizarre Debatten mit seiner Übersetzerin bei einer Dichterreise 1964. Wie alle Bech-Geschichten hier intelligent witzig, aber ein bisschen luftig. Bechs/Updikes banalere Reiseerlebnisse, die in anderen Kurzgeschichten und Romanen so ermüden, wurden hier erfreulich in den Anhang verbannt
Bech in Rumania 1966 6,5 Weitere mild bizarre Debatten mit seinem Übersetzer.
The Bulgarian Poetess 1964 5,5 “Her legs were visibly good.” Und ein zauberhaftes Wesen hat die bulgarische Dichterin auch, glaubt man den Dialogen dieser Geschichte und dem für Updike schon fast achtsamen Ton. – Doch ansonsten packt Updike zuviel Dichterreise-Kleinklein in die Geschichte, die kein Ganzes ergibt. Gehört zu Updikes Top-Ten-Geschichten für Updike-Biograf John Begley und Updike-Blogger Jim Higgins. Nur diese Bech-Geschichte steht auch im Band The Early Stories 1953 – 1975.
Bech Takes Pot Luck 1968 7,5 Bech urlaubt mit Anhang auf Martha’s Vineyard, lässt sich von Ex-Student zulabern, dann eine Haschrunde. – Sehr witzige, böse Dialoge und zuviel touristische Randbeobachtungen, die Updike wohl loswerden musste. Nur begrenzt Bezüge zum Literaturbetrieb. Nicht so tiefgründig, aber smart.
Bech Panics 1970 4,0 Grob zusammengestöpselt einige heterogene Themen: Beziehungsstress, Besuch auf Mädchencollege, Rassenfragen, Todesgrübeleien (“He tried to analyze himself. He reasoned that…”). 2 Stuhlgangiaden. – Der Beziehungsstress ist brillant und böse lustig, der Rest fällt stark ab. (Hintergrund u. Interpretation.) Erinnert in seiner Zusammengestöpseltheit an die kombinierten Ashenden-Kurzgeschichten von W. Somerset Maugham.
Bech Swings? 1970 5,5 Bech promotet seinen Sammelband “The Best of Bech” in London, hat eine Loverin, viele Interviews, sucht Inspiration für Roman. – Sehr disparat, aber gute Imitation unterschiedlichster Stimmen einschl. Presse, momentweise witzig. Momentweise ähnlich wehleidig wie andere Schriftsteller-Selbstfiktionalisierungen (was Updike sonst oft vermeidet). (Hintergründe zur Geschichte)
Bech Enters Heaven 1970 Fantastisch-fiktiver Besuch eines Literaten-Pantheons als 12jähriger, dann Aufnahme des erwachsenen Bech in hohen Dichterzirkel. – Unübersichtlich, verquast, undurchschaubare Insideranspielungen in dieser Kurzgeschichte à clef (Aufschlüsselung hier). Momentweise witziger Mutter-Sohn-Dialog, wenn auch unrealistisch. Nicht komplett gelesen
Appendix A 5 Notizen und Briefe Bechs
Appendix Β 7,5 fiktive Bech-Bibliografie inkl. Sekundärliteratur
Bech is Back 1982   dt. Henry Bech, Ø 4,86
Three Illuminations… 1978 7 Drei unverbundene Vignetten: Bech trifft schrulligen Bechiana-Sammler in der Provinz; Bech erfindet Frauentyp für geplanten Roman, dann trifft er die dazu passende Frau; Bech muss 28500 Autogrammbögen für einen Sonderdruck signieren, seine Ex hilft. – Nett, momentweise guter Dialog, Highlight die Signierstrapazen mit unüblichem Einblick und Schreibkrise bei eigenem Namen.
Bech Third-Worlds It 1974 3 Sehr kurze Szenen aus vielen Ländern, u. ä. Südkorea, Venezuela, Ghana, Nigeria, Tansania, Kenia, begleitet von Diplomaten und Intellektuellen; die Amis und Bech wirken gleichgültig bis verächtlich, Einheimische eifernd. – Unergiebig, teils verächtlich. Online kaum diskutiert, wie auch die folgenden Geschichten. Die Gleichgültigkeit der Hauptfigur soll wohl Reise-Ermattung signalisieren, doch ewig lockt das (gern exotische) Weib.
Australia and Canada 1974 6 Froh, in sicheren zivilisierten Ländern zu sein. Geht in beiden Ländern nach Interview mit TV-Macherinnen aus, hofft auf mehr. – Teils nicht uninteressant, aber das mehrfache Mischen der zwei Episoden nervt.
The Holy Land 1979 3,5 “Kodachrome where Christ stumbled, bottled Fanta where He thirsted”:  Bech und frisch Angetraute besichtigen Israels heilige Stätten. Religiöse Diskussion mit Guide, später mit örtlichen Geistesgrößen. – Verschwiemeltes Palaver, zu viel blanker Tourismus, dazu Bea Bech religionsbeflissen, schwacher Bezug zu Literaturbetrieb. “The travelogues are dispirited and deadly to read.”
MacBech 1981 1 Ehepaar Bech besichtigt Schottland auf Spuren ihrer Vorfahren. – Banaler Tourismus und verquaste Palaver, Zweitverwertung eines Privaturlaubs, kein Bezug zum Literaturbetrieb, nicht mal ein Verleger- oder Pressebesuch bei Anreise via London. Und als nächstes “Bech beim Brotkaufen”? Offenbar Parallelen zu Ehepaar-in-Irland-Geschichte “Bluebird in Ireland” i.d. Collected Later Stories.
Bech Wed 1981 7,5 2 Handlungsstränge: 1) Bech zieht aus New York zu seiner neuen Frau und deren Kindern, Katzen und Hunden in die Provinz; fremdelt arg. 2) Bech entwirft und schreibt Roman, redet mit Verlag, Buch erscheint. – Interessante Dialoge mit Frau und Lektorat, reizvolle fiktive Romanszenen, dazwischen wunderliches Räsonnieren (mind. 4 einzelne Buchseiten völlig absatzlos). Gut 50 Seiten lang, Berichtszeitraum mehrere Jahre, also fast ein kleiner Roman. Gelungene Verbindung Familie-Autordasein. Bech-Frau Bea erinnert deutlich an Updikes 2. Frau Martha, obwohl die sich genaue Nachbauten verbat; No. 1, Mary, war eh netter.
White on White 1981 6 Wie Fortsetzung von Bech Wed. Party-Plaudereien, teils witzig.
Bech at Bay 1998   dt. Bech in Bedrängnis, Ø 5,33
Bech in Czech 1986 4,5 Bech und US-Botschafterpaar in Prag besichtigen Kafkagrab. Der Botschafter “short and peppy with sandy thin hair”, seine Frau “a leggy blonde considerably younger”. Treffen mit Dissidenten und Verlagsmenschen. – Von den Zitaten abgesehen auch zu viel Banaltourismus, kein interessanter Dialog. Die Ostblockreisen aus Teil 1 haben mehr Atmosphäre. Flüssig getextet. Laut Biograf Begley fast genau so erlebt; gehört für Begley zu Updikes Top-Ten-Geschichten.
Bech Presides

 

 

1997 4,5 Bech denkt über andere Großschriftsteller nach, soll zu einer Festschrift beitragen, besucht Großkünstlergremium, Getechtel mit a) Verlagsfrau,  b) Dichtergattin. – Die Anspielungen amüsieren kurzzeitig, doch Updike walzt eitle Künstlerpalaver zu breit und unlustig aus; “the discussion rambled”, konstatiert die Hauptfigur selbst. Weitaus zu lang. “Bech was good in bed”, berichtet Updike über den 74jährigen, doch die LRB bezeichnet den dritten Teil Bech at Bay als “fleshless game”; man dachte wohl auch an die Geschichte Bech Presides
Bech Pleads Guilty 1997 5 Bech bezeichnet einen Hollywoodagenten im Druck als “Erzgauner”, ein langer fintenreicher Prozess in L.A. folgt. – Zu schwadronierend, kaum Witz oder Schärfe; jedoch mild amüsant, weil mutmaßlich gestützt auf tatsächliches Verfahren gegen Updike
Bech Noir 1997 6 Bech, 74, lebt mit 26jähriger Sekretärin/Loverin (“she was a practical-minded broad… ‘she understands computers, copulation and elementary cooking'”). Ermordet auf Distanz mehrere Kritiker, die ihn demütigten. – Momentweise witzig, hinterhältige Kritikerzitate, untypische Handlung mit einigen zu gewollten (voulu) Wendungen. Verblüffender Schluss. Nicht “noir”. Fortsetzung in Bounty of Sweden. Erinnert vag an den Buchtitel Tod eines Kritikers von Martin Walser (hier per Amazon-Werbelink).
Bech and the Bounty of Sweden 1997 7 Bech bekommt Nobelpreis und Baby, gibt Interviews, arbeitet an Nobelpreisrede und Wickeltisch, reist nach Schweden. – “Fabelhaft pfiffig, schlicht zum Tränenlachen”,  meinte wohl die Süddeutsche Zeitung. Naja. Aber die ersten drei, vier Seiten sind lustig. Sehr ungewöhnlich für Hauptfigur und Autor: Bech beschläft nicht das karibische Kindermädchen. Fortsetzung von Bech Noir. Wird im nächsten Stück His Oeuvre nicht fortgesetzt, obwohl man darauf hofft.
His Oeuvre 1999 5 Bei Lesungen denkt Bech humorfrei an Ex-Loverinnen und ihre Orgasmusschwierigkeiten, einschl. Alice Oglethorpe, “the most marvelous lay of his life”, im (Bei-)schlafwagen. – 🥱. Erschien in keinem Einzelband. Assoziationen: Setzt Bounty of Sweden nicht fort, was wünschenswert wäre. Enthält ein Motiv aus der Kurzgeschichte New York Girl (Coll. Later Stories). Ähnliche Beischlafwagen-Action in Alice Munros Geschichte Japan erreichen/Dear Life aus dem Band Liebes Leben/Dear Life (2012)
Ø Gesamtbuch 5,04
Zeittafel ausführlich mit drei Spalten zu Updike, zu “literary context” und “historical events”

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