Natalia Ginzburg (1916 – 1991) erzählt unverklärte Geschichten aus einem italienischen Kaff kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Sie wechselt unübersichtlich zwischen mehreren Familien hin und her.
Die Leute wirken gedrückt und verhuscht, selbst wenn Ginzburg Fröhlichkeit und Reichtum erwähnt. In diesem Dorf wurde “alle vorrätige Lebensenergie schon aufgebraucht“, sagt Hauptfigur Tommasino, das passt. Zudem schreibt Natalia Ginzburg monoton und repetitiv – dies nicht schlecht, und mit einem markanten Tonfall.
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Unfokussiert:
Laut Verlag handelt das Buch vor allem von Elsa und ihrer Liebe zu Tommasino, doch Ich-Erzählerin Elsa redet im ersten Teil zumeist unfokussiert von allen möglichen Dorfbewohnern. Ich hätte gerne einen Stammbaum oder ein Organigramm gehabt. Nie stand mir Romanpersonal weniger plastisch vor Augen als hier.
Erst im zweiten Teil tritt Elsa als Ich-Erzählerin markant in Erscheinung. Damit ist das Buch nicht nur unübersichtlich, sondern auch heterogen; dass sie schon im ersten Teil die Ich-Erzählerin ist, vergisst man, weil sie dort nach dem kurzen Einstieg zumeist über andere referiert.
Der Roman spielt zeitweise im zweiten Weltkrieg, es gibt Partisanen, Kommunisten und Faschisten unter den Akteuren, doch familiäre Beziehungen und Privates scheinen jederzeit wichtiger als Politik oder Weltanschauung.
Sprache:
Der Ton ist spröd, die Übersetzung der promovierten Schweizer Romanistin und Kochbuchexpertin Alice Vollenweider klingt streckenweise passabel, irritiert aber wiederholt, z.B. mit “Bergkrankheit”, wenn offenbar Höhenangst gemeint ist, oder mit “Korkzieher”. Weitere irritierende Stellen:
…begann sie, an Feste und Bälle zu gehen… sie gingen zusammen mit dem Autobus in die Stadt… es sei Zeit, auf den Autobus zu gehen… Meerschiff… begannen damals in die Mode zu kommen… jetzt habe ich mich gewöhnt. … Weinlese in unserem Rebberg… wir kehren nach Haus, und…
Und das in einem Suhrkampband, Umschlag Willy Fleckhaus. Oder bin ich zu kleinlich?
Einige Liedzeilen erscheinen nur auf italienisch. Im Nachwort der Übersetzerin Alice Vollenweider stehen Passagen wie
… von einer akuten sprachlichen Problematik beherrscht: von der Entrhetorisierung einer pompösen akademischen Literatursprache, die durch ihre aulische Prägung zur Darstellung der Alltagswirklichkeit ganz ungeeignet war.
Vergleich der Ginzburg-Romane Die Stimmen des Abends und So ist es gewesen:
Die Romane haben viele Gemeinsamkeiten: die liebende Frau, die von einem bindungsunfähigen, gut situierten Mann jahrelang ausgenutzt wird, sich ihr Leben ruinieren lässt und davon als Ich-Erzählerin fast unbeteiligt berichtet sowie einen Mutter-Tochter-Konflikt.
Größter Unterschied: So ist es gewesen ist ein Kammerspiel mit wenigen Akteuren und wenig Außenwelt; Die Stimmen des Abends spielt dagegen in einem Dorfkosmos mit unübersichtlichem Personal und wirkt teils unfokussiert, hier gibt es auch mehr Politik und Soziologie. Maja Pflugs Übersetzung von So ist es gewesen irritierte mich weit weniger als Alice Vollenweiders Eindeutschung von Die Stimmen des Abends.
Assoziation:
- Übersetzerin Alice Vollenweider zieht im Nachwort eine Parallele zum betont schlichten Stil von Ernest Hemingway; das kann ich einerseits nachvollziehen, andererseits haben Hemingways Figuren deutlich mehr Ausstrahlung und Gefühl (snippets über die persönliche Beziehung Ginzburg-Hemingway in der Paris Review)
- Colm ToÃbÃn schrieb die Einleitung zur englischen Ausgabe, Voices in the Evening
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Qualität | Menge | |
Handlung | 4 (von 10) | |
Konflikt | 5 | 5 |
Dialog | 7 | 7 |
Humor | 1 | 1 |
Liebe | 4 | 3 |
Erzählstimme | 7 | |
Spannung | 1 | |
Details | 4 | |
Realismus | 8 |