Rezension: Unabhängigkeitstag, von Richard Ford (1995, engl. Independence Day, Frank-Bascombe-Buch 2 von 4) – 8 Sterne – mit Presse-Links

Richard Ford schreibt eine Kette von Dialogen, unterbrochen durch viele Autofahrten mit Gedanken und Rückblenden.

Ford bringt subtile, feinnervige Dialoge voller Zwischentöne. Nur ganz gelegentlich klingen die Gespräche zu smart geschriftstellert – dies gilt vor allem, aber nicht nur, beim Teenager-Sohn des Ich-Erzählers. Häufig klingen die Sätze des Erzählers wie elegante, kluge Sprichwörter, doch sie stammen direkt aus Richard Fords Feder (engl. Zitatesammlung a.d.Roman).

Die Dialoge auf öffentlichen Flächen werden öfter unterbrochen durch Gesprächsfetzen Unbekannter, die der Erzähler aufschnappt; das klingt zunächst reizvoll, wirkt indes auf Dauer etwas kalkuliert. Einige der Gesprächspartner sind zu extrem, so die prolligen, entscheidungsunfähigen Hausinteressenten  Markham und der bizarr verhaltensauffällige Ich-Erzähler-Sohn Paul.

Die vielen Autofahrten südlich, westlich und nördlich von New York haben etwas Magisches. Der Ich-Erzähler scheint nicht zur Ruhe zu kommen, registriert jedes Merkmal seiner Umwelt. Die Landkarte der Region brennt sich fast ins Bewusstsein des Lesers ein.

Souverän knüpft Richard Ford Verbindungen zwischen weit auseinanderliegenden Details, die Sprache ist jederzeit kultiviert zurückgenommen – gelegentlich einen Tick zu männlich, aber das ist der Ton des Ich-Erzählers. Gleichzeitig streut er immer wieder Hochgebildetes ein. Insgesamt wirkt das etwas besser als der erste Bascombe-Roman, Der Sportreporter. Darum erhielt Unabhängigkeitstag sowohl einen Pulitzer- als auch einen Pen/Faulkner-Preis – das schaffte sonst kein Roman – und glühende Besprechungen von Berufskritikern (s.u.).

Wie der Vorgängerband Der Sportreporter spielt auch Unabhängigkeitstag an einem einzigen langen Feiertagswochenende, das aber voller Unternehmungen steckt – und voller Rückblenden. Nach vier Fünfteln kippt der Roman jedoch etwas: Ich-Erzähler Frank Bascombe verbringt Zeit mit seinem Sohn und berichtet zu ausführlich von kleinen Unternehmungen und Sportmuseen. Auch wenn er dem faden Teen explizit erwachsene Sprüche andichtet, sackt das Interesse hier etwas ab.

Von Anfang an erinnert Richard Fords vierteilige Romanreihe mit Frank Bascombe (erster Band 1986) an John Updikes vierteilige Romanreihe mit Harry “Rabbit” Angstrom (erster Band 1960). Die Parallelen mehren sich hier im zweiten Bascombe-Buch: Rabbit ist Autohändler und Bascombe ist nicht mehr Sportreporter, sondern Immobilienmakler – zwei nicht unähnliche Berufe. So wie Rabbit mit fast religiöser Inbrunst Markennamen herunterrattert, so repetiert Ich-Erzähler Bascombe Highway-Bezeichnungen, Ortsnamen, Autotypen und Immobilienmerkmale.

Übersicht: Richard Fords Roman-Serie mit Frank Bascombe

Dt. Titel

Der Sportreporter

Unabhängigkeitstag

Die Lage des Landes

Frank

Engl. Titel

The Sportswriter

Independence Day

The Lay of the Land

Let Me Be Frank With You

ersch.

1986

1995

2006

2012

Handlg. im Jahr

1983

1988

2000

2006

Alter & Beruf Ich-Erzähler Frank Bascombe

38 – 39, Sportjournalist

44, Immobilienmakler

55, Immobilienmakler

68, Rentner

ca.-Alter Ford (*1944) bei Ersch.

42

53

62

 

Wertung Amazon.com

3,2 von 5 (226 Stimmen)

3,6 (198 St.)

3,9 (138 St.)

4,0 (296)

Wertung Goodreads.com (jew. Mai 2017)

3,7 von 5 (13890 St.)

3,86 (12591 St.)

3,9 (3339 St.)

3,65 (3133)

Wertung HansBlog.de

8 von 10 (knapp)

8

7 (knapp)

7 (knapp)

bei Amazon.de

dt. Ausgabe

engl. Ausgabe

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engl. Ausgabe

dt. Ausgabe

engl. Ausgabe

dt. Ausgabe

engl. Ausgabe

Jedes der vier Bücher um Ich-Erzähler Frank Bascombe spielt in einer anderen Jahreszeit um einen anderen Feiertag herum: Band 1 um Ostern (Frühling), Band 2 um den Unabhängigkeitstag (Sommer), Band 3 um Thanksgiving (Herbst) und Band 4 um Weihnachten (Winter). Dreißig Jahre altert Bascombe im Verlauf der Bücher. Deutliche Anklänge an US-Stadt- und Vorstadt-Romane von John Updike (speziell die Rabitt-Serie), David Gates, Richard Yates, James Salter und teils Jay McInerney; kaum Anklänge an andere Ford-Bücher wie Eine Vielzahl von Sünden, Rock Springs oder Wild leben.

Die Bascombe-Bände 1 bis 3 sind ähnlich konstruiert und jeweils ziemlich lang: Ich-Erzähler Frank Bascombe ist meist Single, trauert aber immer einer oder mehreren Frauen hinterher und möchte gern neue feste Bande knüpfen. Er fährt um einen Feiertag herum mit dem Auto unstet durch New Jersey, schildert im Präsens seine Umgebung sehr genau und blendet im Präteritum in seine Vergangenheit zurück. In der erzählten Jetztzeit schildert Bascombe filigran Dialoge mit Geschäftspartnern, (Ex-)Lebenspartnerinnen, seinen Kindern oder Zufallsbekannten. Dabei stellt er jederzeit viel Bildung und Lebensphilosophie aus, gelegentlich wird es langatmig und überdetailliert.

Band 4 bringt vier längere Kurzgeschichten mit Ich-Erzähler Frank Bascombe, die alle in derselben Zeit unter gleichbleibenden Voraussetzungen spielen. Die bekannten Figuren sind wieder da, es gibt jedoch keine übergreifende Handlung.

Ich kenne die Romane nur im englischen Original und kann die deutsche Übersetzung nicht beurteilen. Im Englischen schreibt Ford durchweg elegantes smart casual, wenn auch gelegentlich durchsetzt mit männlich herben Flüchen. Das englische Vokabular ließ mich etwas mehr stutzen als bei anderen muttersprachlichen Autoren, hier einige Kostproben aus The Lay of the Land: zany, caustic, daffy, uxorious, copacetic.

Deutschsprachige Kritiker:

Süddeutsche Zeitung lt. Bücher.de:

Nichts offensichtlich Aufregendes passiert in Fords Obduktion des Mittelmäßigen, die Größe dieses Romans steckt im Detail…

Paul Ingendaay in der FAZ:

bringt in seinem opulenten Breitwandformat viele Motive des amerikanischen Alltagslebens unter… eine Form zwischen road novel und Bewußtseinsroman

Ulrich Greiner in der Zeit:

Grandios.

Englischsprachige Kommentare:

New York Times:

We have come to expect brilliant character sketches from Mr. Ford, and he doesn’t disappoint us.

Barbara Ehrenreich in New Republic:

He may be the greatest writer of all time…  prose so gorgeous… dead-on dialogue and a perfect rendering of small-town and suburban distractedness

Kirkus Review (eine der wenigen negativen Besprechungen, wie beim ersten Band):

Bascombe is proof that the overexamined life may not be worth living. (He can’t do anything without chewing it over first in Ford’s typically turgid prose.)

Publishers Weekly:

not even John Updike has penetrated the working, commercial life of a contemporary American with such skill and empathy

Paris Review:

In Frank Bascombe, Ford has created one of the most complex and memorable characters of our time

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