Kritik Theaterstück: Lady Windermeres Fächer, von Oscar Wilde (1892) – 7/10 – mit Videos

Der Cast schnurrt gut aufgezogen übers aalglatt ölige Parkett. Oscar Wilde kredenzt v.a. in den ersten beiden Akten ein köstliches Aperçu nach dem anderen. Plot und Dialog basieren nicht immer auf Realismus und Psychologie, wirken teils mechanisch nach den Regeln der Theaterfarce konstruiert. (Engl. Titel Lady Windermere’s Fan.)

Bitte widersprüchlich:

Auch manche Sprüche ermüden durch immergleiche Konstruktion, zum Beispiel in sich widersprüchlich und gegen die Erwartung:

I like him so much. I’m quite delighted he’s gone!

I think that life is far too important a thing ever to talk seriously about it.

My father would talk morality after dinner. I told him he was old enough to know better.

That uncommon thing called common sense

The lively part of the evening is only just beginning. [Yawns and closes his eyes.]

Whenever people agree with me, I always feel I must be wrong.

In this world there are only two tragedies. One is not getting what one wants, and the other is getting it.

Lachen kann man trotz wiederkehrender Maschen allemal, und vieles klingt wie aus dem güldenen Zitatenwiki. Der Guardian hält das Stück sogar für  

so sticky with bons mots that it becomes a series of quotations rather than a play.

Um so schöner, wenn Oscar Wilde (1854 – 1900) gelegentlich auch Witziges ohne Zuhilfenahme von Masche 1 – 3 gelingt.

Frechheiten:

Teils unterhalten sich die Akteure unrealistisch frech, was natürlich amüsiert. Das überrascht besonders bei Mrs Erlynne mit ihrer prekären Sozialstellung, die bei Windermeres kühn süffisante Reden schwingt – sie klingt vor allem wie Oscar Wilde dabei. Einen Akt später im Haus Darlington schmachtet sie dann erbärmlich Richtung Lady Windermere. Dass Lord Windermere Mrs Erlynne überhaupt gegen den strikten Willen seiner Frau zu deren Geburtstag einlädt, scheint wenig glaubhaft.

Man kann sich fragen, ob und wie relevant das Theaterstück ist – ist es nur Hochglanz-Boulevard? Oscar Wilde (1854 – 1900) textet und konstruiert auf jeden Fall sehr elegant und gerundet. Und vielleicht steckt im Stück ja Kritik an der verlogenen Upperclass.

Assoziation:

  • Lady Windermeres Fächer wirkt etwas relevanter, etwas kritischer, nicht ganz so spieluhrartig wie Oscar Wildes Ernst sein ist alles; in beiden Stücken geht es kurz um Auswandern nach Australien
  • Die Konstruktion erinnert etwas an Oscar Wildes Ein idealer Gatte (das jedoch deutlich politischer wirkt): Der vorletzte Akt wechselt in eine andere Wohnung, es gibt wilde Verwechselungen, und ein Gegenstand spielt eine wichtige Rolle (hier der Fächer, dort eine Brosche).
  • Die plüschige englische Atmosphäre erinnert entfernt an Henry James, Jane Austen sowie Englisches von Somerset Maugham
  • Speziell an Jane Austens Vernunft und Gefühl erinnern die Diskussionen über “people marrying more than once” und über wünschenswerte Mitgift
  • Speziell an Henry James Bildnis einer Dame erinnert die geheimgehaltene Mutterschaft einer mysteriösen Frau
  • Ansatzweise Dorothy Parker und Edith Wharton
  • Wie in manch anderer Belletristik kann eine wichtige, erlösende Wahrheit aus Rücksicht oder Religiosität nicht bekannt werden, und nur so entsteht ein Konflikt, der bei etwas mehr Ehrlichkeit und weniger Konvention keiner wäre (vgl. u.a. Schillers Kabale und Liebe)
  • Trailer zu drei teils sehr freien Verfilmungen ganz unten
  • Amazon-Werbelinks: Oscar Wilde allgemein | Ernst sein ist alles | Lady Windermeres Fächer

Persönlich von Hans D. Blog:

Ich las Lady Windermere’s Fan auf Englisch und kann Eindeutschungen nicht beurteilen. Zwar gibt es das Drama auf Englisch und Deutsch mehrfach gratis online, doch ich lese lieber auf Papier. Ich geriet indes an eine gebrauchte englische Buchausgabe mit zu kleinen Buchstaben – und las letztlich doch am Tablet.

Lesefreundlicher als Gutenberg und andere englische Online-Ausgaben fand ich die engl. Windermere-Version bei Oscar Wilde Online; dort sollte man in den Lesemodus wechseln, auch um das ganze Stück auf einer langen Seite zu sehen. Allerdings gibt es vor Ende des dritten Akts einen Anschlussfehler – erkennbar an sinnlosem Text; ich wechselte vorübergehend zur Normalansicht und dann wieder in die Leseansicht.

Diese Online-Fassung hat zudem vereinzelte, verschmerzbare Tippfehler, die in meiner ansonsten identischen Buchausgabe nicht erscheinen. Ohnehin traue ich Online-Fassungen nicht; meine Buchausgabe kam zwar von einem respektablen Verlag, hatte aber dennoch zu kleine Buchstaben. Online-Kurzgeschichten drucke ich gelegentlich passend formatiert auf Papier aus, aber bei einem Theaterstück schien es mir unpassend.

Meine Stichproben der deutschen Online-Ausgabe Lady Windermeres Fächer bei Gutenberg klingen munter.

Ich verstehe den Hintersinn einer schnellen englischen und zudem historischen Farce viel besser, wenn ich vorab den Inhalt in etwa kenne, vor allem die tatsächliche Beziehung der Hauptfiguren zueinander. Das ist für mich besser, als – wie sonst – ohne Vorabkenntnisse zu lesen. Ähnlich geht es mir sonst nur mit älteren, verwickelten, 3stündigen Bollywood-Filmen. Und wie bei Jane Austen hätte ich gern seitengleiche einordnende Kommentare von David M. Shapard gehabt.

Bücher bei HansBlog.de:





Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Nach oben scrollen